Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 125 II 473



125 II 473

47. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 1.
September 1999 i.S. A. gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt
und Eidgenössische Datenschutzkommission (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste

    Art. 4 BV; Art. 8 DSG und Art. 9 DSG; Anspruch auf Einsicht in
interne Akten.

    Das datenschutzrechtliche Auskunftsrecht gemäss Art. 8 DSG deckt sich
nicht mit dem verfahrensrechtlichen Akteneinsichtsrecht gemäss Art. 4 BV
(E. 4a).

    Der Auskunftsanspruch gemäss Art. 8 DSG erstreckt sich auch auf
interne Akten in einem Verwaltungsverfahren (E. 4b).

    Voraussetzungen der Verweigerung der Akteneinsicht gemäss Art. 9
DSG. Die Einsicht in interne Akten in einem Verwaltungsverfahren darf nicht
generell, d.h. ohne nähere Prüfung der fraglichen Dokumente verweigert
werden (E. 4c).

Sachverhalt

    A. erlitt am 4. März 1994 als Beifahrer einen Verkehrsunfall,
in dessen Folge er bei der Kreisagentur Zürich der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) Versicherungsleistungen
beanspruchte. Im Verlaufe der versicherungsrechtlichen Abklärungen
ersuchte der Rechtsvertreter von A. um Zustellung der Akten samt eines
Röntgenbilderverzeichnisses. Die Kreisagentur entsprach dem Gesuch, wies
aber darauf hin, dass kein Verzeichnis der Röntgenbilder geführt werde. Der
Rechtsvertreter des Verunfallten hielt die unterbreiteten Akten für
unvollständig und verlangte daher am 5. Dezember 1997 die Zustellung der
internen Akten. Der Hauptsitz der SUVA in Luzern teilte ihm darauf am 12.
Januar 1998 mit, dass interne Akten grundsätzlich nicht ediert würden.

    Am 19. Januar 1998 erhob A. bei der Eidgenössischen
Datenschutzkommission (EDSK) Beschwerde und verlangte Einsicht in
sämtliche, insbesondere auch in die internen Akten. Die EDSK ging davon
aus, das Schreiben der SUVA vom 12. Januar 1998 enthalte Anordnungen,
welche das datenschutzrechtliche Auskunftsrecht beträfen, und stelle somit
eine Verfügung im Sinn von Art. 5 Abs. 2 VwVG dar. Sie trat daher auf die
Beschwerde ein, wies diese aber mit Entscheid vom 15. Mai 1998 ab. Die
von A. gegen den Entscheid der EDSK erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde
heisst das Bundesgericht teilweise gut

Auszug aus den Erwägungen:

                     aus folgender Erwägung:

Erwägung 4

    4.- a) In der Sache ist streitig, ob dem Beschwerdeführer auch über
die verwaltungsinternen Akten des unfallversicherungsrechtlichen Verfahrens
Auskunft zu erteilen sei.

    Nach der Praxis des Bundesgerichts und des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts besteht weder nach der Akteneinsichtsordnung des
Verwaltungsverfahrensgesetzes noch jener des Unfallversicherungsgesetzes
noch auf Grund des verfassungsmässigen Mindestschutzes nach Art. 4
BV ein Anspruch auf Einsicht in verwaltungsinterne Akten (BGE 115
V 297 E. 2g S. 303 ff.; 113 Ia 1 E. 4c/cc S. 9 f., 286 E. 2d S. 288
f.). Als verwaltungsinterne Akten gelten dabei Unterlagen, denen für die
Behandlung eines Falles kein Beweischarakter zukommt, welche vielmehr
ausschliesslich der verwaltungsinternen Meinungsbildung dienen und
somit für den verwaltungsinternen Gebrauch bestimmt sind (z.B. Entwürfe,
Anträge, Notizen, Mitberichte, Hilfsbelege usw.). Mit dem Ausschluss des
Einsichtsrechts in diese Akten soll verhindert werden, dass die interne
Meinungsbildung der Verwaltung über die entscheidenden Aktenstücke
und die erlassenen begründeten Verfügungen hinaus vollständig vor der
Öffentlichkeit ausgebreitet wird. In der Literatur ist die Unterscheidung
zwischen internen und anderen Akten allerdings umstritten (vgl. JÖRG
PAUL MÜLLER, Grundrechte in der Schweiz, 3. Aufl., Bern 1999, S. 529 f.;
GEORG MÜLLER, Kommentar BV, N. 109 zu Art. 4 BV; ALFRED KÖLZ/ISABELLE
HÄNER, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes,
2. Aufl., Zürich 1998, Rz. 296; RENÉ A. RHINOW/HEINRICH KOLLER/CHRISTINA
KISS, Öffentliches Prozessrecht und Justizverfassungsrecht des Bundes,
Basel/Frankfurt a.M. 1996, Rz. 345; ALEXANDER DUBACH, Das Recht auf
Akteneinsicht, Diss. Bern, Zürich 1990, S. 19 und 27).

    Nach Ansicht der SUVA ist das Auskunftsrecht gemäss Art. 8 des
Bundesgesetzes über den Datenschutz vom 19. Juni 1992 (DSG; SR 235.1) der
gleichen (generellen) Beschränkung unterworfen wie das Akteneinsichtsrecht
gemäss Art. 4 BV. Dem kann nicht ohne weiteres zugestimmt werden. Das
datenschutzrechtliche Auskunftsrecht und das verfahrensrechtliche
Akteneinsichtsrecht sind selbständige Ansprüche, die hinsichtlich Umfang
und Voraussetzungen nicht deckungsgleich sind, d.h. je ihren besonderen
Anwendungsbereich haben, der vom anderen Anspruch nicht beschlagen wird
(BGE 123 II 534 E. 2e S. 538 f.; DUBACH, aaO, S. 208 ff.). Die Ausnahmen
vom datenschutzrechtlichen Auskunftsrecht sind in den Art. 9 und 10 DSG
abschliessend normiert. Sie stimmen nicht unbedingt mit den Einschränkungen
des Akteneinsichtsrechts überein, welche die Rechtsprechung z.B. aus
Gründen der Funktionsfähigkeit der Verwaltung zulässt.

    Im Folgenden ist daher aus datenschutzrechtlicher Sicht zu prüfen,
ob und gegebenenfalls inwieweit der Beschwerdeführer einen Anspruch hat,
über die umstrittenen internen Akten informiert zu werden.

    b) Gemäss Art. 8 Abs. 2 lit. a DSG erstreckt sich das Auskunftsrecht
auf alle über eine Person in einer Datensammlung vorhandenen Daten,
d.h. auf alle Angaben, die sich auf diese Person beziehen (Art. 3
lit. a DSG) und ihr zugeordnet werden können (Art. 3 lit. g DSG;
vgl. hierzu das Urteil der Datenschutzkommission vom 21. November 1997,
VPB 62/1998 Nr. 57 E. 4 S. 539). Es spielt dabei keine Rolle, ob es sich
um Tatsachenfeststellungen oder um Werturteile handelt (URS BELSER in:
Kommentar zum Schweize--rischen Datenschutzgesetz, hrsg. URS MAURER/NEDIM
PETER VOGT, Basel/Frankfurt a.M. 1995, N. 5 zu Art. 3). Unerheblich ist
auch die Art der Speicherung. Schliesslich kommt es auch nicht auf die
Bezeichnung der Datensammlung durch den Inhaber an. Das Auskunftsrecht
kann nicht dadurch unterlaufen werden, dass z.B. neben der «offiziellen»
Datensammlung auch eine «inoffizielle» geführt wird (ALEXANDER DUBACH
in: Kommentar zum Schweizerischen Datenschutzgesetz, N. 34 zu Art. 8;
Stellungnahme des Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten vom 21. November
1997, VPB 62/1998 Nr. 59 Ziff. 3.2 S. 552). Somit erstreckt sich der
Auskunftsanspruch gemäss Art. 8 DSG auch auf Akten, die zwar von der
Verwaltung als «intern» bezeichnet werden, die aber Angaben über den
Gesuchsteller enthalten und diesem zugeordnet werden können.

    Dieses Ergebnis findet seine Rechtfertigung darin, dass erst das
Auskunftsrecht den Betroffenen in die Lage versetzt, seine übrigen
Datenschutzrechte wahrzunehmen. Gemäss Art. 4 DSG muss die Bearbeitung
von Personendaten verhältnismässig sein (Abs. 2) und sie darf nur zum
Zweck erfolgen, der bei der Beschaffung angegeben wurde, aus den Umständen
ersichtlich oder gesetzlich vorgesehen ist (Abs. 3). Das Datenschutzgesetz
verbietet daher das Sammeln von Personendaten «auf Vorrat» und verlangt,
dass nur diejenigen Daten erhoben und gespeichert werden, die eine
Behörde zur Erfüllung ihrer Aufgabe objektiv benötigt. Das Auskunftsrecht
ermöglicht dem Betroffenen, die Einhaltung der materiellen Grund-
sätze des Datenschutzes zu überprüfen und seine Rechte wahrzunehmen,
so z.B. die Berichtigung unrichtiger Daten (Art. 5 Abs. 2 DSG), die
Sperrung der Bekanntgabe gewisser Daten (Art. 20 Abs. 1 DSG) oder die
Anonymisierung und Vernichtung nicht benötigter Daten zu verlangen (Art. 21
DSG). Diese Rechte muss der Betroffene gerade auch bezüglich interner,
ihm im Verwaltungsverfahren nicht ohne weiteres zugänglicher Akten ausüben
können, namentlich wenn diese - wie die internen Akten der SUVA - besonders
schützenswerte Personendaten enthalten (z.B. über medizinische Befunde).

    Im vorliegenden Fall stellt die SUVA nicht in Frage, dass die
umstrittenen als «intern» bezeichneten Akten sich auf den Beschwerdeführer
beziehen. Folglich ist dieser grundsätzlich berechtigt, Auskunft über
diese Akten zu erhalten. Davon ging im Übrigen auch die EDSK aus. Es
fragt sich damit einzig, ob Gründe vorliegen, die eine Einschränkung des
datenschutzrechtlichen Auskunftsrechts rechtfertigen.

    c) Nach Art. 9 Abs. 1 DSG kann der Inhaber der Datensammlung die
Auskunft verweigern, einschränken oder aufschieben, soweit ein formelles
Gesetz dies vorsieht (lit. a) oder dies wegen überwiegender Interessen
eines Dritten erforderlich ist (lit. b). Für eidgenössische Datensammlungen
kommen gemäss Abs. 2 zusätzliche Einschränkungsgründe in Betracht: Ein
Bundesorgan kann die Auskunft insoweit einschränken, als dies überwiegende
öffentliche Interessen - insbesondere der inneren oder äusseren Sicherheit
der Eidgenossenschaft - gebieten (lit. a); im Weiteren ist eine Begrenzung
zulässig, soweit die Auskunft den Zweck einer Strafuntersuchung oder
eines anderen Untersuchungsverfahrens in Frage stellen würde (lit. b).

    aa) Die EDSK ging in ihrem Entscheid davon aus, in einem hängigen
erstinstanzlichen Verwaltungsverfahren könne die Bekanntgabe interner
Aufzeichnungen und Mitteilungen die Arbeitsabläufe und die unabhängige
Meinungsbildung der Verwaltung in empfindlicher Weise stören. Sie hielt
es für zulässig, gemäss Art. 9 Abs. 2 lit. b DSG die Auskunft über solche
Akten zu verweigern. Dieser Auffassung ist insoweit zuzustimmen, als die
Meinungsbildung der Behörden einen ungezwungenen, offenen Meinungsaustausch
voraussetzt, der durch ein unbeschränktes Auskunftsrecht auch während des
laufenden erstinstanzlichen Verfahrens verunmöglicht werden könnte. Müsste
jede Besprechungsnotiz, jeder Aktenvermerk über das weitere Vorgehen
oder noch abzuklärende Fragen und jede vorläufige Stellungnahme dem
Versicherten auf Anfrage bekannt gegeben werden, könnte dies den Ablauf
des Verfahrens erheblich stören und die sachgerechte Aufgabenerfüllung
der Verwaltung in Frage stellen. In diesem Sinn lässt sich gestützt
auf die erwähnte Bestimmung, die einen Sonderfall der Geheimhaltung aus
überwiegendem öffentlichen Interesse regelt, eine gewisse Beschränkung des
Auskunftsrechts rechtfertigen. Allerdings muss eine solche Einschränkung -
angesichts der grossen Bedeutung des Auskunftsrechts für den Datenschutz
(vgl. BBl 1988 II 452) - auf das zeitlich und sachlich unbedingt Notwendige
begrenzt werden.

    bb) In zeitlicher Hinsicht rechtfertigt sich eine Verweigerung
der Auskunft nur solange, als das erstinstanzliche Verfahren noch
hängig ist. Dies scheint auch die Ansicht der EDSK zu sein. Sobald der
Meinungsbildungsprozess der Verwaltung abgeschlossen ist, besteht kein
zwingender Grund mehr für die Einschränkung des Auskunftsrechts. In diesem
Zeitpunkt muss die Behörde vielmehr entscheiden, ob sie die vorläufigen
Stellungnahmen, Entwürfe, Anträge etc. selber noch benötigt und aufbewahren
will oder nicht. Im Fall der Aufbewahrung unterliegen diese Dokumente
dem Auskunftsanspruch, sofern sie Personendaten enthalten.

    cc) In sachlicher Hinsicht ist die Verweigerung der Auskunft auf
das zum Schutz der verwaltungsinternen Meinungsbildung Notwendige zu
beschränken.

    Wie bereits dargelegt wurde, kann die im Zusammenhang mit dem
verfahrensrechtlichen Akteneinsichtsrecht entwickelte Abgrenzung
zwischen externen und internen Akten nicht ohne weiteres als Mass- stab
für die Begrenzung des Auskunftsrechts nach Art. 8 DSG dienen. Das
Recht auf Einsicht in die Akten eines hängigen Verfahrens soll
den Verfahrensbeteiligten die Kenntnisnahme der Entscheidgrundlagen
ermöglichen, eine wirksame und sachbezogene Stellungnahme erlauben und
die Akzeptanz der Entscheidung fördern (vgl. JÖRG PAUL MÜLLER, a.a.O,
S. 525). Die Akteneinsicht erstreckt sich grundsätzlich auf alle Akten,
die geeignet sind, Grundlage für die spätere Entscheidung zu bilden, d.h.
entscheidrelevant sind oder sein könnten (BGE 121 I 225 E. 2a S. 227 mit
Hinweisen). Um den Umfang des Akteneinsichtsrechts zu bestimmen, kommt
es auf die Bedeutung eines Aktenstückes für die verfügungswesentliche
Sachverhaltsfeststellung an (BGE 115 V 297 E. 2g/bb S. 303). Dagegen
erstreckt sich der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch nach den
vorstehenden Erwägungen (E. 4b) auf alle personenbezogenen Daten einer
Behörde, ohne Rücksicht auf die Entscheidungserheblichkeit für ein
konkretes Verfahren. Unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten ist also
ausschliesslich die Art und der Inhalt eines Dokuments von Bedeutung und
nicht seine Entscheidrelevanz und Klassifikation als interne Akte durch
die SUVA. So unterliegen z.B. Angaben über den Versicherten, welche der
SUVA durch Dritte zugetragen wurden, dem uneingeschränkten Auskunftsrecht,
auch wenn sie für die bevorstehende Verfügung ohne Beweiswert sind und
daher in einer internen Akte geführt werden.

    Es ist demnach im Einzelnen zu prüfen, ob die Bekanntgabe eines
Dokumentes während des hängigen erstinstanzlichen Verfahrens dessen Ablauf
gefährdet und ob das öffentliche Geheimhaltungsinteresse das private
Interesse auf Information überwiegt (vgl. BGE 125 II 225 E. 4 S. 228).

    dd) Im vorliegenden Fall vermutet der Beschwerdeführer, dass
sich die interne Datensammlung nicht auf Entwürfe, Anträge und
dergleichen beschränkt, sondern darin auch andere Dokumente abgelegt
sind. Dieser Verdacht ist nicht völlig abwegig. Wie der Eidgenössische
Datenschutzbeauftragte in einer publizierten Stellungnahme vom 21. November
1997 zuhanden des Bundesamtes für Sozialversicherung festgestellt hat, lädt
der offene, nicht abschliessende Begriff der internen Akten die Verwaltung
geradezu ein, interne Akten anzulegen, welche die datenschutzrechtlichen
Grundsätze der Verhältnismässigkeit, der Transparenz und der Zweckbindung
verletzen (VPB 62/1998 Nr. 59 Ziff. 3.4 S. 553).

    Im Lichte der dargelegten Grundsätze durfte sich die EDSK nicht mit
der Versicherung begnügen, es handle sich bei sämtlichen Dokumenten um
interne Akten, worüber während eines hängigen Verfahrens keine Auskunft
gegeben werden müsse. Es hätte vielmehr im Einzelnen überprüft werden
müssen, ob die Vorenthaltung der fraglichen Akten für die Dauer des
Verfahrens vor der SUVA gerechtfertigt war oder nicht (vgl. BGE 125 II
225 E. 4 S. 228). In diesem Punkt ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
daher gutzuheissen. Es kann nicht Aufgabe des Bundesgerichts sein, im
vorliegenden Fall die unterlassene Prüfung nachzuholen. Die Sache ist daher
zu neuer Beurteilung dieser Frage an die EDSK zurückzuweisen. Bei ihrem
neuen Entscheid wird die EDSK auch dem Umstand Rechnung tragen müssen,
dass das unfallversicherungsrechtliche Verfahren inzwischen abgeschlossen
worden ist.