Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 125 II 225



125 II 225

21. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 19.
März 1999 i.S. Eidg. Departement für auswärtige Angelegenheiten gegen W.-M.
und. G. sowie Eidg. Datenschutzkommission (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste

    Einsicht in Akten mit Personendaten, Art. 8 ff. Datenschutzgesetz.

    Ein Akteneinsichtsgesuch darf abgewiesen werden, auch wenn in einem
vorgängigen Verfahren bereits Akteneinsicht gewährt worden ist (E. 3).

    Beurteilungsspielraum der Verwaltung bei der Abwägung der
entgegenstehenden Interessen. Rücksichtnahme auf den Handlungsspielraum
des EDA bei diplomatischem Schutz von Personen im Ausland und Bemühungen
um Freilassung von verschleppten Personen. Überwiegende öffentliche
Interessen rechtfertigen Einschränkungen der Akteneinsicht (E. 4).

Sachverhalt

    Im Rahmen eines Projektes Kulturbrücke Schweiz-Sarajevo weilten W.-M.
und G. im Jahre 1995 in Sarajevo. Dort wurden die beiden im April 1995
verschleppt. Auf Grund von Bemühungen des Eidgenössischen Departementes
für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und weiterer Stellen erfolgte im
Mai 1995 die Freilassung der Verschleppten.

    Im Februar 1996 erliess die Sektion für konsularischen Schutz des
EDA gegenüber W.-M. und G. eine Gebührenverfügung für die er- statteten
Bemühungen. Auf Verwaltungsbeschwerde hin konnten W.-M. und G. im Rahmen
des Beschwerdeverfahrens im Juli 1996 bei der Direktion für Völkerrecht
Einsicht in das vorhandene Dossier nehmen. Später wurde das Verfahren
sistiert.

    Unabhängig von diesem Verwaltungsverfahren ersuchten W.-M. und
G. gestützt auf das Bundesgesetz über den Datenschutz bei verschiedenen
Direktionen des EDA um Auskunft und um Einsicht in ihre beim EDA
befindlichen Akten. Dem Ersuchen wurde teils stattgegeben, teils wurde
es mit förmlicher Verfügung abgewiesen.

    W.-M. und G. gelangten darauf an die Eidgenössische
Datenschutzkommission, welche die Beschwerde teilweise guthiess und das
EDA anwies, die Einsicht in eine Reihe namentlich genannter Dokumente zu
gewähren, u.a. in das Aktenstück c) [Telegramm der Politischen Abteilung
I an die Vertretung in X.] und das Aktenstück d) [Telefax CH-Vertretung
in X. an Politische Abteilung I].

    Gegen diesen Entscheid hat das Eidgenössische Departement für
auswärtige Angelegenheiten beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde
erhoben. Das Departement macht eine Verletzung des Datenschutzgesetzes
und im Besonderen eine unrichtige Interessenabwägung geltend.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, soweit es auf sie
eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer zieht die Anwendung des Datenschutzgesetzes
auf die streitigen Akten nicht in Zweifel. Diese umfassen Angaben über die
privaten Beschwerdegegner, ihre Verschleppung und die Bemühungen des EDA
um deren Freilassung. Sie enthalten damit von Bundesorganen bearbeitete
Personendaten über die Beschwerdegegner im Sinne von Art. 3 lit. a des
Bundesgesetzes über den Datenschutz (DSG; SR 235.1). Als Betroffene im
Sinne von Art. 3 lit. b DSG haben die privaten Beschwerdegegner nach Art. 8
DSG grundsätzlich Anspruch auf Auskunft über die Datenbearbeitungen. Der
Beschwerdeführer macht nicht geltend, bei den streitigen Akten handle
es sich um interne Notizen zum persönlichen Gebrauch, auf die das
Datenschutzgesetz nicht anwendbar ist (Art. 2 Abs. 2 lit. a DSG).

    Der grundsätzliche Anspruch der Betroffenen auf Auskunft kann nach
Art. 9 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 lit. a DSG wegen überwiegender Interessen
von Dritten oder wegen überwiegender öffentlicher Interessen, insbesondere
der innern oder äussern Sicherheit der Eidgenossenschaft, verweigert oder
eingeschränkt werden. Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz in erster
Linie vor, solche überwiegende öffentliche Interessen an der Geheimhaltung
im Sinne von Art. 9 DSG verkannt zu haben. (...)

Erwägung 3

    3.- Die Vorinstanz hat darauf hingewiesen, dass die privaten
Beschwerdegegner bereits im Juli 1996 Gelegenheit hatten, Einsicht in das
bei der Direktion für Völkerrecht vorhandene Dossier zu nehmen; zu diesem
Dossier gehörten auch die beiden, im vorliegenden Verfahren umstrittenen
Aktenstücke. In der Folge ist die Einsicht in diese Akten verweigert
worden. Die Vorinstanz hat dazu festgehalten, dass der Beschwerdeführer
diesen Sinneswandel nicht begründet habe. Die Einsicht in Akten, die
früher bereits offengelegt worden waren, erscheine unbedenklich.

    Für die Beurteilung der Einsicht in die beiden streitigen
Aktenstücke kann nicht allein darauf abgestellt werden, dass die Be-
schwerdegegner bereits Gelegenheit zur Einsicht hatten. Die ur- sprüngliche
Akteneinsicht erfolgte im Rahmen des gegen die Gebührenverfügung geführten
Verwaltungsverfahrens gestützt auf Art. 26 VwVG, während im vorliegenden
Verfahren die Einsicht im Sinne von Art. 8 DSG in Frage steht. Die
Einsicht in ein sehr beschränktes Dossier kann in einem andern Licht
erscheinen als ein umfassender Einblick, der Folgerungen in weiterem
Zusammenhang ermöglicht. Schliesslich ist die erste Akteneinsicht
abgeschlossen, und es kann der Behörde grundsätzlich nicht versagt sein,
die Einsicht auf ein weiteres Gesuch hin aus haltbaren Gründen und neuer
Beurteilung zu verweigern. Das behördliche Verhalten ist insoweit nicht
an den formellen Widerrufsgründen zu messen. Bei der Interessenabwägung
darf aber die frühere Einsichtsgewährung berücksichtigt werden.

Erwägung 4

    4.- a) Bei der richterlichen Prüfung der für und gegen die Einsicht
sprechenden Gründe ist den verantwortlichen Behörden ein gewisser
Beurteilungsspielraum zuzugestehen, in den weder die Eidgenössische
Datenschutzkommission noch das Bundesgericht einzugreifen hat. Es geht
darum, die Begriffe der überwiegenden öffentlichen Interessen und der
innern oder äussern Sicherheit der Eidgenossenschaft im entsprechenden
Sachzusammenhang zu konkretisieren und auf besondere Interessen
auszurichten. Das gilt insbesondere für spezifische Bereiche wie die
Diplomatie mit ihren Gepflogenheiten und Rücksichtnahmen. Gerade der
diplomatische Schutz von Personen im Ausland und die Hilfeleistung
zu Gunsten künftiger Opfer erfordern für die Behörden einen weiten
Handlungsspielraum (vgl. zum diplomatischen Schutz im Allgemeinen und zur
schweizerischen Praxis die Stellungnahme des EDA zu einem Fragebogen des
«Procedural Aspects of International Law Institute» [Washington D.C.],
in: SZIER 1998 S. 654 ff.). Es gehört zu den überwiegenden öffentlichen
Interessen und zum Schutz der innern und äussern Sicherheit der Schweiz
im Sinne von Art. 9 Abs. 2 lit. a DSG, das Funktionieren diplomatischer
Kontakte (formeller und informeller Natur) sicherzustellen und den
diplomatischen Handlungsspielraum in Krisensituationen aufrecht zu erhalten
(vgl. zur Einschränkung der persönlichen Freiheit auch die Formulierung in
Art. 8 Ziff. 2 in fine EMRK). Die Einsichtsverweigerung in die streitigen
Aktenstücke ist nachfolgend auf diesem Hintergrund zu prüfen.

    b) Das Dokument c) enthält eine Reihe von Hinweisen auf die
Handlungsweise und -methode der Behörden in der durch die Verschleppung
der Beschwerdegegner geschaffenen Krisensituation, an deren Geheimhaltung
ein überwiegendes öffentliches Interesse be- steht. Das Papier nennt
Kontakte zu andern diplomatischen Vertretungen. Die Informationsgestaltung
gegenüber Medien und Angehörigen in verschiedenen Zeitpunkten wird im
Einzelnen beschrieben. Es werden auch die Verhandlungsführung, Kontakte und
Diskussionen mit verschiedenen Personen unterschiedlicher Verbindungen und
Kreise sowie die Koordination mit andern Bemühungen aufgedeckt. Ebenso ist
von der Logistik für die Befreiungsanstrengungen die Rede. Damit geht unter
verschiedenen Gesichtspunkten eine Beurteilung der Situation in und um
Sarajevo einher, die klarerweise nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist.

    Auch das Dokument d) umfasst Hinweise auf die Methoden der vom EDA
gesteuerten Bemühungen und auf die kontaktierten Personen und deren
Verbindungen zu offiziellen und inoffiziellen Machtzentren. Es wird ein
allfälliger Beitrag von Drittpersonen und Organisationen zu den Bemühungen
um die Befreiung der Be- schwerdegegner diskutiert wie auch die Bedingungen
und die Umstände einer Freilassung erörtert werden.

    All diese Informationen geben Hinweise auf das Funktionieren der
diplomatischen Bemühungen im Falle der Entführung der Be- schwerdegegner.
Sie verdienen, über den konkreten Anlass hinaus geheim gehalten zu
werden. Denn sie geben einerseits Einblick in die Handlungsweise des
EDA, was sich in künftigen Krisensituationen für die Eidgenossenschaft
nachteilig auswirken kann. Sie betreffen aber auch Einzelpersonen,
Gruppierungen, Organisationen und Stellen unterschiedlicher Kräfte,
deren Bekanntwerden gravierende diplomatische Empfindlichkeiten auslösen
und zu unvorhersehbaren Reaktionen in naher oder ferner Zukunft führen
könnte. All das sind Gründe, die bei dem den Behörden einzuräumenden
Beurteilungsspielraum eine Verweigerung der Akteneinsicht im Sinne von Art.
9 Abs. 2 lit. a DSG zu rechtfertigen vermögen. Daran vermag der Umstand
nichts zu ändern, dass die Beschwerdegegner als Direktbetroffene über
gewisse Einzelheiten der Bemühungen bestens informiert sind. Desgleichen
ist angesichts des Gewichts der öffentlichen Interessen an der
Geheimhaltung nicht entscheidend, dass die Beschwerdegegner die beiden
streitigen Aktenstücke bereits haben einsehen können. Schliesslich kann
es nicht Aufgabe des Bundesgerichts sein, einzelne Passagen aus den
streitigen Aktenstücken, in die für sich genommen ohne Bedenken Einsicht
gewährt werden könnte, herauszuschälen und isoliert freizugeben.

    Auf Grund dieser Erwägungen erweist sich die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde hinsichtlich der Aktenstücke c) und d)
als begründet.