Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 125 III 57



125 III 57

10. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 21. Dezember 1998 i.S.
A.X. gegen Verwaltungsgericht (I. Verwaltungsgerichtshof) des Kantons
Freiburg (Berufung) Regeste

    Einzeladoption durch einen Ehegatten (Art. 264b Abs. 2 ZGB).

    Aus Wortlaut, Sinn und Entstehungsgeschichte von Art. 264b Abs. 2 ZGB
ergibt sich, dass eine Einzeladoption durch einen der getrennt lebenden
Ehegatten nur bei einer seit mehr als drei Jahre dauernden gerichtlichen
Trennung gemäss Art. 147 Abs. 1 ZGB möglich ist (E. 2).

Sachverhalt

    A.- Die am 9. Juli 1971 zwischen A.X. und B.X. geschlossene Ehe blieb
kinderlos. Am 9. Dezember 1985 nahmen die Ehegatten das Mädchen Y. zwecks
Adoption in ihre Obhut.

    B.X. verliess im März 1988 die eheliche Wohnung und reichte am 1. März
1989 beim Zivilgericht des Sensebezirkes Klage auf Scheidung ein, welcher
sich die Ehefrau widersetzte.

    Am 6. November 1990 wies das Zivilgericht die Klage in Anwendung
von Art. 142 Abs. 2 ZGB ab; das Urteil erwuchs in Rechtskraft. Die
Ehegatten X. lebten indes auch weiterhin getrennt, wobei das Kind
Y. bei seiner Pflegemutter A.X. verblieb. Auf deren Gesuch hin
erliess der Gerichtspräsident des Sensebezirkes am 24. November 1992
Eheschutzmassnahmen für unbestimmte Zeit zur Regelung des Getrenntlebens.

    B.- Nachdem B.X. seinen Verzicht auf eine Adoption des Kindes erklärt
hatte, stellte A.X. am 1. Dezember 1994 ein Gesuch um Einzeladoption, dem
das Justizdepartement des Kantons Freiburg indes am 24. Februar 1998 nicht
statt gab. Die von A.X. dagegen eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde
wies das Verwaltungsgericht (I. Verwaltungsgerichtshof) des Kantons
Freiburg am 24. September 1998 ab.

    C.- A.X. gelangt mit Berufung an das Bundesgericht und beantragt,
den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Freiburg aufzuheben und
festzustellen, dass die Adoption auszusprechen sei. In ihrem Eventualantrag
schliesst sie dahin, die Sache sei zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Das Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg beantragt
Abweisung der Berufung.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab und bestätigt das angefochtene
Urteil.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Gemäss Art. 264b Abs. 2 ZGB darf eine verheiratete Person,
die das 35. Altersjahr zurückgelegt hat, allein adoptieren, wenn die
Ehe mehr als drei Jahre gerichtlich getrennt ist. Die Berufungsklägerin
beanstandet, das Verwaltungsgericht habe Art. 264b Abs. 2 ZGB unrichtig
ausgelegt. Die Auffassung der Vorinstanz, dass unter der gerichtlichen
Trennung nur jene von Art. 147 ZGB, nicht aber das Getrenntleben des
Eheschutzes zu verstehen sei, erweise sich als zu eng und widerspreche
der gesetzgeberischen Intention. Zwar verlange der Wortlaut von Art. 264b
Abs. 2 ZGB als Voraussetzung für die Einzeladoption Verheirateter die
gerichtliche Trennung; doch lasse das Gesetz die Frage nach der Rechtsnatur
dieser Trennung offen. Das richterlich angeordnete Getrenntleben,
welches länger als drei Jahre gedauert habe, müsse genügen, wenn -
wie hier - davon auszugehen sei, dass die eheliche Gemeinschaft nicht
wieder aufgenommen werde. Nur diese Interpretation werde der Absicht des
Gesetzgebers gerecht, bei der Adoption entscheidend auf das Kindesinteresse
abzustellen. Demgegenüber habe das Verwaltungsgericht sich an den Wortlaut
von Art. 264b Abs. 2 ZGB geklammert und durch eine rein grammatikalische
Interpretation die Bedeutung des Getrenntlebens als einer rechtlich
selbstständigen Eheschutzmassnahme verkannt.

    b) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts ist eine
Gesetzesbestimmung in erster Linie nach ihrem Wortlaut auszulegen. An einen
klaren und unzweideutigen Gesetzeswortlaut ist die rechtsanwendende Behörde
gebunden, sofern dieser den wirklichen Sinn der Norm wiedergibt. Dabei sind
die drei Amtssprachen gleichwertig (BGE 120 II 112 E. 3a mit Hinweisen). Ob
die Ansicht der Berufungsklägerin zutrifft, in Art. 264b Abs. 2 ZGB werde
die Rechtsnatur der gerichtlichen Trennung offen gelassen, ist auf der
ersten Auslegungsstufe durch Wortinterpretation zu überprüfen:

    Den Ausdruck '«Trennung'» verwendet das Gesetz in Art. 143 ff. ZGB,
wobei die Trennung stets als Alternative zur Scheidung erscheint. Für die
Eheschutzmassnahme des sogenannten Getrenntlebens wird dagegen die Wendung
'«Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes'» gebraucht, und zwar im geltenden
wie auch im früheren Recht (vgl. Art. 175 ZGB bzw. aArt. 170 ZGB). Diese
Differenzierung nehmen auch die andern Amtssprachen vor. In Art. 143 ff.
ZGB wird von '«séparation de corps'» bzw. von '«separazione giudiziale'»
gesprochen, wogegen die Eheschutzmassnahme des Getrenntlebens mit der
Wendung '«suspension de la vie commune'» bzw. '«sospendere la comunione
domestica'» umschrieben wird. Die vom Gesetzgeber getroffene Wortwahl
ist signifikant. Der in Art. 264b Abs. 2 ZGB verwendete Ausdruck der
gerichtlichen Trennung kann nach dem Gesagten nicht die Eheschutzmassnahme,
sondern nur die Trennung als Alternative zur Scheidung meinen.

    c) Dieses Ergebnis der Wortinterpretation wird durch die
Entstehungsgeschichte bestätigt. Die Botschaft zur Revision des
Adoptionsrechts führt im Zusammenhang mit der Bestimmung von Art. 264b
Abs. 2 ZGB aus: '«Die Einzeladoption ist nicht gestattet, wenn die
Ehe nach Art. 147 ZGB auf bestimmte Zeit gerichtlich getrennt oder
der gemeinsame Haushalt nach Art. 170 ZGB aufgehoben ist'» (BBl 1971 I
1218). Der Gesetzgeber hat sich an der Rechtsnatur des Getrenntlebens
als eines blossen Provisoriums orientiert. Die Aufhebung des gemeinsamen
Haushaltes ist ein vorübergehender Rechtszustand, eine Massnahme ohne
definitiven Charakter (EGGER, Zürcher Kommentar, N. 1 zu aArt. 170 ZGB;
aArt. 172 ZGB). Der Gesetzgeber hat demnach die Frage nach der Rechtsnatur
der gerichtlichen Trennung keineswegs offen gelassen, sondern eindeutig
dahin beantwortet, dass bei der Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes
die Einzeladoption durch einen Ehegatten nicht in Frage kommt. Eine
rechtspolitische Lücke liegt nicht vor.

    d) Die auf mehreren Stufen durchgeführten interpretativen Überlegungen
führen somit zum Ergebnis, dass die Einzeladoption durch einen Ehegatten
nach dem Normsinn von Art. 264b Abs. 2 ZGB nur bei einer Trennung im Sinne
von Art. 147 ZGB, nicht aber bei der Eheschutzmassnahme des Getrenntlebens
möglich ist.

    Damit ist die Auffassung von MAX HESS, (Die Adoption in rechtlicher
und sozialpädagogischer Sicht, Wädenswil 1976, S. 20) entkräftet,
wonach die Trennung als Eheschutzmassnahme und das für die Dauer des
Scheidungsprozesses angeordnete Getrenntleben nicht vom Tatbestand des Art.
264b Abs. 2 ZGB ausgeklammert werden dürften, sofern sie nicht nur faktisch
vollzogen, sondern vom Richter verfügt worden seien. Die Berufungsklägerin
versucht daher vergeblich, ihre These mit dieser im Widerspruch zur
herrschenden Doktrin stehenden Lehrmeinung zu stützen (HEGNAUER, Berner
Kommentar, N. 20-22 zu Art. 264b ZGB; BREITSCHMID, in: Kommentar zum
Schweizerischen Privatrecht, Schweizerisches Zivilgesetzbuch I, Basel 1996,
N. 8 zu Art. 264b ZGB; vgl. auch GROSSEN, in: Schweizerisches Privatrecht
III/2, Basel 1992, S. 97 und 101).

    e) Die Berufungsklägerin wendet allerdings ein, das
Verwaltungsgericht habe übersehen, dass das Getrenntleben im neuen
Eherecht ein selbstständiges Institut bilde. Damit scheint sie geltend
machen zu wollen, die Massnahme des Getrenntlebens sei im Zuge der
Revision des Eherechts gewissermassen verselbstständigt worden, was es
rechtfertige, sie unter den in Art. 264b Abs. 2 ZGB erwähnten Tatbestand
der gerichtlichen Trennung zu subsumieren. Diese Argumentation dringt
freilich nicht durch. Denn die Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes war
schon im früheren Recht als selbstständige Eheschutzmassnahme konzipiert
worden (EGGER, aaO N. 1 zu aArt. 170 ZGB; LEMP, Berner Kommentar, N. 1 zu
aArt. 172 ZGB). Daran hat sich bei der Revision nichts geändert; vielmehr
wurden nur die Voraussetzungen für das Getrenntleben weiter gefasst
(BRÄM/HASENBÖHLER, Zürcher Kommentar, N. 1 f. zu Art. 175 ZGB). Auch im
revidierten Recht ist die Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes eine zum
Schutz der Ehe gedachte vorübergehende Trennung (HAUSHEER/REUSSER/GEISER,
Kommentar zum Eherecht, N. 17 zu Art. 175 ZGB; BRÄM/HASENBÖHLER, aaO,
N. 12 zu Art. 175 ZGB); auch sie ist somit ein Provisorium, das nach der
bereits geschilderten Intention des Adoptionsgesetzgebers nicht genügt,
um eine Einzeladoption zu rechtfertigen. Hätte die Revision des Eherechts
Auswirkungen auf gewisse Vorschriften des Adoptionsrechts gehabt, so
wäre zweifellos eine Anpassung dieser Bestimmungen erfolgt, wie sie der
Revisionsgesetzgeber bei zahlreichen ausserhalb des Eherechts stehenden
Normen vorgenommen hat. Irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass der
Revisionsgesetzgeber eine Änderung der Bestimmung von Art. 264b Abs. 2
ZGB als notwendig erachtet hätte, sind nicht auszumachen. Folglich kann
nicht damit argumentiert werden, die der genannten Vorschrift zu Grunde
liegende Zweckvorstellung des Adoptionsgesetzgebers sei infolge der
Revision des Eherechts obsolet geworden.

    f) Die Berufungsklägerin macht sodann geltend, eine formaljuristische
Auslegung von Art. 264b Abs. 2 ZGB führe zur Aufhebung der rechtlich
geschützten Stellung des schuldlosen Ehegatten. Durch eine zu enge
Interpretation der genannten Bestimmung werde er gezwungen, seinerseits
auf Trennung oder Scheidung zu klagen, um eine Einzeladoption zu erreichen.
Ein solcher Sachzwang in Bezug auf ein höchstpersönliches Recht habe aber
nicht in der Absicht des Gesetzgebers gelegen, der bei der Neuregelung
des Adoptionsrechts keine Änderung des Scheidungsrechts beabsichtigt habe.

    Die Berufungsklägerin vermengt hier unterschiedliche Rechts-
und Interessenlagen. Die Interessen des an der Scheidung unschuldigen
oder weniger schuldigen Ehegatten werden durch die auf dem Verbot des
Rechtsmissbrauchs beruhende Klagebeschränkung von Art. 142 Abs. 2 ZGB
gewahrt (BGE 84 II Nr. 45 S. 337; 108 II 25 E. 3a S. 27). Demgegenüber
liegt die Frage nach der Zulassung der Einzeladoption Verheirateter
auf einer anderen Ebene. Hier geht es um die Persönlichkeitsentwicklung
des fremden familienlosen Kindes, was nichts damit zu tun hat, ob einem
schuldlosen Ehegatten gegen dessen Willen die Scheidung aufgedrängt werden
darf. Folglich kann die Schuldlosigkeit eines Ehegatten an der Zerrüttung
keinen Grund bilden, ihm bei blossem Getrenntleben die Einzeladoption
zu gestatten.

    g) Schliesslich verkennt die Berufungsklägerin die Befugnisse des
Bundesgerichts als rechtsanwendenden Instanz. Der Richter darf nur
vom Gesetz abweichen, wo sich der Gesetzgeber offenkundig über gewisse
Tatsachen geirrt hat oder sich die Verhältnisse seit Erlass des Gesetzes
gewandelt haben, so dass die Vorschrift unter legislativpolitischen
Gesichtspunkten nicht mehr befriedigen kann und deren Anwendung einen
Normmissbrauch darstellt (BGE 123 III 445 E. 2b/aa S. 448). Aus den
bisherigen Ausführungen erhellt, dass davon im vorliegenden Fall keine
Rede sein kann. In der Anwendung der in Art. 264b Abs. 2 ZGB getroffenen
Regelung lässt sich kein Normmissbrauch erblicken. Der Vorwurf der
Berufungsklägerin, das angefochtene Urteil sei bundesrechtswidrig, erweist
sich damit als unbegründet. Die Vorinstanz hat vielmehr bundesrechtskonform
festgestellt, dass unter der Geltung von Art. 264b Abs. 2 ZGB die von der
Berufungsklägerin verlangte Einzeladoption nicht bewilligt werden kann.
Dies führt zur Abweisung der Berufung und zur Bestätigung des angefochtenen
Urteils.