Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 125 III 384



125 III 384

66. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurs-kammer von 18.
Oktober 1999 i.S. O. AG (Beschwerde) Regeste

    Art. 65 SchKG; Zustellung von Betreibungsurkunden.

    Betreibungsurkunden können den in Art. 65 Abs. 1 SchKG als Vertreter
genannten Personen auch ausserhalb des Geschäftslokals der betriebenen
juristischen Person oder Gesellschaft zugestellt werden, ohne dass
vorgängig versucht werden muss, sie im Geschäftslokal zuzustellen.

Sachverhalt

    A.- Gegen die in Olten domizilierte O. AG ist von der O. GmbH
(Deutschland) für eine Forderung von Fr. 1'818'296.80 (zuzüglich Zins
und Kosten) die Betreibung Nr. x des Betreibungsamtes Olten-Gösgen und
für eine Forderung von Fr. 564'109.30 (zuzüglich Zins und Kosten) die
Betreibung Nr. xx desselben Amtes eingeleitet worden. Die Zahlungsbefehle
in diesen beiden Betreibungen wurden am 30. April 1999 rechtshilfeweise der
in Tägerwilen wohnhaften S.H., kollektiv zeichnungsberechtigte Prokuristin
der Schuldnerin, zugestellt.

    Am 8. Juli 1999 beschwerte sich die O. AG bei der Aufsichtsbehörde für
Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons Solothurn. Die Beschwerdeführerin
erklärte, sie habe durch eine Kopie des Konkursbegehrens vom 28. Juni 1999,
das ihr vom Vertreter der Gläubigerin zugestellt worden sei, erstmals von
den Zahlungsbefehlen Kenntnis erhalten. Sie sei eine Aktiengesellschaft
nach schweizerischem Recht mit Sitz in Olten, wo während der Bürozeit auch
Angestellte anzutreffen seien. Das Betreibungsamt habe die Zahlungsbefehle
nie in Olten zugestellt, sondern direkt einer Prokuristin an deren
Privatadresse. Das sei rechtswidrig; denn Betreibungsurkunden seien im
Geschäftslokal der betriebenen Gesellschaft zuzustellen und könnten erst,
wenn dort niemand anzutreffen sei, einem Vertreter an dessen privatem
Wohnsitz zugestellt werden.

    Die kantonale Aufsichtsbehörde erachtete die Beschwerde als verspätet
und trat daher mit Urteil vom 18. August 1999 nicht darauf ein.

    B.- Die O. AG zog die Sache an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
des Bundesgerichts weiter, welche die Beschwerde abwies.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Die im angefochtenen Urteil getroffene Feststellung, dass die
Zahlungsbefehle in den Betreibungen Nrn. x und xx des Betreibungsamtes
Olten-Gösgen am 30. April 1999 requisitorisch der in Tägerwilen
wohnhaften S.H. zugestellt worden sind, wird von der Beschwerdeführerin
ausdrücklich anerkannt. S.H. war im Zeitpunkt der Zustellung Prokuristin
der Beschwerdeführerin, also eine Vertreterin der Schuldnerin, der nach
Massgabe von Art. 65 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG Betreibungsurkunden zugestellt
werden können. Die Zahlungsbefehle sind durch die Prokuristin in die
Hände einer jener natürlichen Personen gelangt, die für die Gesellschaft
handeln können (BGE 118 III 10 E. 3a).

    b) Vergeblich versucht die Beschwerdeführerin, etwas zu ihren Gunsten
daraus abzuleiten, dass die Zustellungsbefehle auf Anhieb der Prokuristin
an ihrer Privatadresse zugestellt wurden und dass nicht vorgängig
eine Zustellung im Geschäftslokal der Schuldnerin angestrebt wurde. Im
angefochtenen Urteil wird zutreffend auf die Rechtsprechung (BGE 72 III
71) verwiesen, wonach Betreibungsurkunden den in Art. 65 Abs. 1 SchKG
als Vertreter genannten Personen auch ausserhalb des Geschäftslokals der
betriebenen juristischen Person oder Gesellschaft gültig zugestellt werden
können. Dass die Zustellung an juristische Personen oder an Gesellschaften,
die ein Geschäftslokal haben, rechtswirksam nur an diesem Ort geschehen
könne, folge aus Art. 65 Abs. 2 SchKG nicht, ist in diesem Entscheid
erklärt worden, aus dessen Sachverhalt hervorgeht, dass der Zahlungsbefehl
dem volljährigen Sohn eines Vertreters der betriebenen Genossenschaft -
und ausserhalb von deren Geschäftslokal - ausgehändigt wurde.

    Wenngleich die Beschwerdeführerin einen Autor zu nennen weiss, nach
dessen Auffassung Betreibungsurkunden grundsätzlich im Geschäftslokal
der betriebenen Gesellschaft zuzustellen sind und dem Vertreter nur in
seiner Wohnung zugestellt werden können, wenn dieser im Geschäftslokal
nicht anzutreffen ist oder gar kein Geschäftslokal existiert (ANGST,
in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs,
Basel/Genf/München 1998, Art. 65 N. 9), schliessen sich andere Autoren
der zitierten Rechtsprechung an, ohne daran Kritik zu üben (GILLIÉRON,
Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la
faillite, Lausanne, 1999, Art. 65 N. 45; JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN,
Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 4. Auflage Zürich 1997,
S. 280). Die bundesgerichtliche Rechtsprechung ist auch von kantonalen
Aufsichtsbehörden übernommen worden (BlSchK 1993, S. 140 ff.: Graubünden;
BlSchK 1994, S. 185: Schaffhausen); und die Zustellung unmittelbar am
Wohnort eines Vertreters der betriebenen Gesellschaft - womit dem Zweck
der gesetzlichen Regelung nachgelebt wird - ist denn auch gang und gäbe
(BlSchK 1994, S. 187). Durch die Gesetzesrevision vom 16. Dezember 1994
ist daran nichts geändert worden (JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, op.cit.,
Art. 65 N. 1).