Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 125 III 358



125 III 358

62. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 23. August 1999 i.S. S.
gegen M. u. Mitb. und Obergericht des Kantons Zürich -(Berufung) Regeste

    Herabsetzung des Mietzinses (Art. 270a OR).

    Das Recht des Mieters von Wohn- oder Geschäftsräumen, die Herabsetzung
des Mietzinses auf den nächstmöglichen Kündigungstermin zu verlangen,
kann nicht mittels vertraglich ausgeschlossener Unterschreitung
des Anfangsmietzinses eingeschränkt werden. Die gesetzlich zwingend
vorgesehenen Anfechtungsmöglichkeiten schliessen die Vereinbarung eines
absoluten Minimalzinses für die Zukunft aus (E. 1).

Sachverhalt

    A.- Mit Vertrag vom 4. Mai 1993 mieteten M. und P. von S. (Beklagter)
per 1. Juni 1993 ein Ladenlokal sowie zwei Autoabstellplätze in der
Liegenschaft X. zu einem Mietzins von Fr. 1'850.-- monatlich netto für das
Ladenlokal und je Fr. 100.-- für die Parkplätze. Diese Vereinbarung wurde
am 16. Februar 1994 durch einen zusätzlich von T. und W. unterzeichneten
Vertrag ersetzt, der den Mietbeginn auf 1. November 1993 festlegte. Als
frühest möglicher Kündigungstermin wurde der 30. September 1994 vereinbart.
Danach sollte der Vertrag mit einer Kündigungsfrist von sechs Monaten
entweder auf Ende März oder September kündbar sein. Unter der Überschrift
«Besondere Vereinbarungen» hielten die Parteien weiter fest, der Mietzins
basiere auf dem Indexstand vom März 1993 sowie einem Hypothekarzinsstand
von 6.5% und ein Absinken unter den Anfangsmietzins sei ausgeschlossen.

    Mit Schreiben vom 11. September 1997 ersuchten M. und P. namens
des Coiffeursalons Y. den Beklagten unter Berufung auf den aktuellen
Hypothekarzinsstand um Herabsetzung des Mietzinses. In seiner Antwort
vom 25. September 1997 machte der Beklagte geltend, es bestehe für die
Liegenschaft eine Festhypothek und zudem sei im Mietvertrag ein Absinken
unter den Anfangsmietzins ausdrücklich ausgeschlossen worden.

    B.- Am 11. November 1997 reichten sämtliche Mieterinnen (Klägerinnen)
bei der Schlichtungsbehörde ein Herabsetzungsbegehren ein. Nachdem an der
Schlichtungsverhandlung vom 25. März 1998 keine Einigung erzielt werden
konnte, reichten sie beim Mietgericht des Bezirkes Zürich Klage ein. Diese
wurde am 3. Dezember 1998 gutgeheissen, die bestehenden monatlichen
Nettomietzinse wurden als missbräuchlich erklärt sowie mit Wirkung ab 1.
Oktober 1998 auf Fr. 1'619.30 für das Ladenlokal bzw. je Fr. 87.60 für
die Parkplätze, ab 1. April 1999 auf Fr. 1'584.-- bzw. je Fr. 85.60
herabgesetzt. Gleich entschied das Obergericht des Kantons Zürich am 4.
März 1999.

    Das Bundesgericht weist die Berufung des Beklagten ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Nach Ansicht des Beklagten ist die Vorinstanz bundesrechtswidrig
von der Ungültigkeit der Vertragsbestimmung ausgegangen, mit welcher ein
Absinken des Mietzinses unter das Anfangsniveau hätte verhindert werden
sollen. Er erblickt darin eine Verletzung von Art. 270a OR.

    a) Der Mieter kann nach dieser Bestimmung den Mietzins als
missbräuchlich anfechten und die Herabsetzung auf den nächstmöglichen
Kündigungstermin verlangen, wenn er Grund zur Annahme hat, dass der
Vermieter wegen einer wesentlichen Änderung der Berechnungsgrundlagen
einen übersetzten Ertrag aus der Mietsache erzielt. Art. 270a OR
konkretisiert den Schutz vor missbräuchlichen Forderungen bei der
Wohnungs- und Geschäftsmiete (Art. 269 ff. OR), indem er die formellen
und materiellen Voraussetzungen festlegt, unter denen der Mieter eine
Überprüfung des Mietpreises verlangen kann. Sinn und Zweck dieser
Bestimmung schliesst eine abweichende Parteivereinbarung insoweit aus,
als damit von Gesetzes wegen eine endgültige Lösung getroffen wird,
die den gegenseitigen Interessen der Parteien Rechnung trägt (RONCORONI,
Zwingende und dispositive Bestimmungen im revidierten Mietrecht, mp 1990
S. 76 f.). Nach der gesetzlichen Systematik wird dem Mieter von Wohn-
oder Geschäftsräumen überlassen, ein möglicherweise missbräuchliches
Entgelt für den Gebrauch der Mietsache anzufechten oder nicht (TERCIER,
Les contrats spéciaux, N. 1983 f.), wobei die Unterlassung der Anfechtung
des Mietzinses dazu führen kann, dass der Mieter ein objektiv übersetztes
Entgelt für die Mietsache freiwillig und bewusst bezahlt. Insofern
wird die Vertragsfreiheit durch die Bestimmungen über missbräuchliche
Mietzinse nicht beschränkt (BGE 123 III 70 E. 3a S. 73). Anderseits
sind die Voraussetzungen, unter denen eine gerichtliche Überprüfung des
Entgelts für die Mietsache auf allfälligen Missbrauch verlangt werden
kann, im Gesetz abschliessend umschrieben (Art. 270-270d OR). Die Mieter
können nicht jederzeit und ohne Anlass die Überprüfung des Entgelts
für die Mietsache auf Missbrauch verlangen, sondern während 30 Tagen
im Anschluss an die Übernahme der Sache (Art. 270 OR) und während 30
Tagen nach Mitteilungen über Mietzinserhöhungen oder andere einseitige
Vertragsänderungen (Art. 270b OR) sowie wenn sie Grund zur Annahme haben,
die Berechnungsgrundlagen des Vermieters hätten wesentlich geändert (Art.
270a OR; vgl. HIGI, Zürcher Kommentar, N. 17 zu Art. 270a OR mit Hinweisen;
LACHAT, Le bail à loyer, S. 272; TERCIER, aaO, N. 2033 ff.). Dabei können
sie die Herabsetzung des Mietzinses, sofern er sich als missbräuchlich
erweist, in diesem Fall erst auf den nächsten Kündigungstermin verlangen
(Art. 270a Abs. 1 OR). Dieses System der Anfechtungsmöglichkeiten
trägt den gegenseitigen Interessen der Parteien Rechnung und kann daher
vertraglich ebenso wenig eingeschränkt oder wegbedungen wie durch weitere
Anfechtungsmöglichkeiten erweitert werden (RONCORONI, aaO, S. 84; LACHAT,
aaO, S. 258).

    b) In der Doktrin wird teilweise die Ansicht vertreten, die
zwingende Natur von Art. 270a OR stehe nicht entgegen, parteiautonom eine
Unterschreitung des Anfangsmietzinses vertraglich auszu-schliessen. Zur
Begründung wird auf BGE 108 II 135 verwiesen (SVIT-Kommentar, N. 2 zu
Art. 270a OR) oder die Vorschrift in Art. 270a OR, wonach die Herabsetzung
nur auf den - vertraglich bestimmten - nächsten Kündigungstermin verlangt
werden kann, in dem Sinne verallgemeinert, dass die Herabsetzung
während der Mietdauer nicht allein durch Vereinbarung entsprechender
Kündigungstermine, sondern auch sonstwie durch vertragliche Abmachung
ausgeschlossen werden könne (HIGI, aaO, N. 42 zu Art. 270a OR).

    aa) Der im SVIT-Kommentar zitierte BGE 108 II 135 betraf zwar eine
Streitigkeit über die Mietzinsherabsetzung, sprach sich aber über die
Zulässigkeit einer vertraglichen Bestimmung zur Verbindlichkeit des
Anfangsmietzinses nicht aus (die Herabsetzung unter den Anfangsmietzins war
im Grundsatz sogar unbestritten). Es handelt sich wohl um ein Versehen und
gemeint sein dürfte der in der Berufung aufgeführte BGE 108 II 321, in dem
unter der Geltung des Bundesbeschlusses über Massnahmen gegen Missbräuche
im Mietwesen (BMM; SR 221.213.1) erkannt wurde, eine Indexklausel mit
dem vereinbarten Vorbehalt, dass der Mietzins nicht unter die Basis
herabgesetzt werde, sei gültig und eine Herabsetzung unter den Betrag
des Basismietzinses könne daher aufgrund von Art. 19 Abs. 1 BMM erst
nach Ablauf der Vertragsdauer verlangt werden (E. 2c S. 324). Dieses
Urteil bezieht sich ausdrücklich auf einen Mietvertrag mit Indexklausel,
die schon altrechtlich gültig nur für Mietverträge vereinbart werden
durfte, welche auf mindestens fünf Jahre abgeschlossen wurden bzw. vom
Vermieter während dieser Zeit nicht gekündigt werden konnten (Art. 9
BMM; BGE 112 II 69 E. 3 S. 71). Aus dem Entscheid ergibt sich allein,
dass altrechtlich - bei gegenüber dem geltenden Recht weitergehenden
Möglichkeiten der Indexierung - die Anpassung des Mietzinses während
der vereinbarten Vertragsdauer insoweit beschränkt werden konnte, als
trotz der vorgesehenen Indexierung der ursprüngliche Mietzins nicht
unterschritten werden durfte. Dies entspricht dem Grundsatz, dass ein
einmal vereinbarter Mietzins während der festen Vertragsdauer nicht
verändert werden kann. Weitergehende Schlussfolgerungen können dem in
der Berufung erwähnten Präjudiz für die vorliegende Frage nicht entnommen
werden, wie die Vorinstanz zutreffend festhält.

    bb) Es kann aber auch der Auffassung nicht gefolgt werden, ein
vertraglicher Ausschluss der Herabsetzung sei allgemein und unabhängig
von den vereinbarten Kündigungsmodalitäten gültig. Dies widerspricht dem
Wortlaut von Art. 270a OR, der bei im Übrigen gegebenen gesetzlichen
Voraussetzungen ausdrücklich bestimmt, dass die Herabsetzung auf den
«nächstmöglichen Kündigungstermin» verlangt werden kann. Soweit eine
Analogie zu den gesetzlichen Beschränkungen der Anfechtungsmöglichkeiten
für indexierte und gestaffelte Mietzinse in Art. 270c und 270d OR
hergestellt wird, übergehen die Vertreter dieses Standpunkts, dass die
Vereinbarung solcher Mietzinse nur gültig ist, wenn der Mietvertrag
für mindestens fünf (Art. 269b OR) bzw. mindestens drei (Art. 269c OR)
Jahre abgeschlossen wird. Die - gesetzlich beschränkten (BGE 124 III 57
E. 3a S. 58 f.) - parteiautonom vereinbarten Anpassungsmöglichkeiten
gelten denn auch neurechtlich nur für die vertraglich bestimmte Dauer,
während der eine Kündigung mindestens von Seiten des Vermieters nicht
ausgesprochen werden kann (BGE 123 III 76 E. 4a S. 77). Nach Ablauf
dieser mindestens für den Vermieter verbindlichen Vertragsdauer können
beide Parteien, sofern der Vertrag auf unbestimmte Zeit fortgeführt
wird, die Überprüfung des Mietzinses verlangen und zwar wahlweise nach
der sog. absoluten oder nach der sog. relativen Methode bezogen auf den
Zeitpunkt des Vertragsschlusses (BGE 123 III 76 E. 4c S. 82 f.). Der
gesetzlich vorgesehene Ausschluss der Anfechtung gemäss Art. 270c und
270d OR gilt für indexierte oder gestaffelte Mietzinse nur während der
zwingend vorgeschriebenen verbindlichen Vertragsdauer und lässt sich auf
Mietverträge nicht analog anwenden, die auf unbestimmte Zeit geschlossen
und auf Kündigung gestellt sind.

    cc) Die Vorinstanz hat demnach zutreffend erkannt, dass die
gesetzlich gegebene Möglichkeit der Herabsetzung auf den nächstmöglichen
Kündigungstermin nach Art. 270a OR vertraglich nicht ausgeschlossen werden
kann. Nach dem gesetzlichen System der Missbrauchskontrolle müssen vielmehr
die im Gesetz vorgesehenen Anfechtungsmöglichkeiten zwingend gewahrt
bleiben, was auch die Vereinbarung eines absoluten Minimalzinses für
die Zukunft ausschliesst. Dies gilt auch, wenn ein solcher Mindestbetrag
entsprechend der Höhe des ursprünglichen Mietzinses festgesetzt wird, denn
die Möglichkeit privatautonomen Ausschlusses der Herabsetzung darf nicht
vom Zufall abhängen, ob der auf unbestimmte Zeit eingegangene Vertrag z.B.
bei hohem oder tiefem Hypothekarzinsniveau abgeschlossen worden ist. Der
Verzicht des Mieters auf die Anfechtung gemäss Art. 270a OR ist allein
in Kenntnis der tatsächlich eingetretenen Entwicklung möglich.

    c) Die Höhe der vorinstanzlich zugesprochenen Mietzinsherabsetzung
blieb im Übrigen unangefochten.