Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 125 III 277



125 III 277

48. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. Juni 1999 i.S. K.
c. L. AG (als Gesamtnachfolger der B. AG) (Berufung) Regeste

    Arbeitsvertrag; Streikrecht; Missbräuchliche Kündigung des
Arbeitsverhältnisses infolge Streiks (Art. 336 OR).

    Bejahung eines Streikrechts im schweizerischen Arbeitsrecht (E. 2).

    Ein Streik ist rechtmässig, wenn er von einer tariffähigen Organisation
getragen ist, durch Gesamtarbeitsvertrag regelbare Ziele verfolgt, nicht
gegen die Friedenspflicht verstösst und verhältnismässig ist (E. 3b).

    Die Teilnahme an einem rechtmässigen Streik verletzt den Arbeitsvertrag
nicht; dieser ist in seinen Hauptpflichten suspendiert. Kündigt
der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis und bildet der Streik das
ausschlaggebende Motiv für die Kündigung, ist sie missbräuchlich (E. 3c).

Sachverhalt

    A.- Der Beklagte wurde ab Mai 1992 als ungelernter Arbeiter in der
Baumwollspinnerei der B. AG in Kollbrunn zu einem monatlichen Bruttolohn
von Fr. 2'960.-- beschäftigt. Es bestand kein Gesamtarbeitsvertrag. Am
27. Januar 1994 teilte die Arbeitgeberin der Belegschaft der Spinnerei
mit, zufolge der schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen würden
praktisch alle Arbeitsverhältnisse ab 31. Januar 1994 gekündigt. Es
werde aber versucht, die Betroffenen später durch Vermittlung des
Arbeitsamts weiter zu beschäftigen, allerdings zu einem Gehalt, das
wesentlich geringer sein werde als das heutige, wobei die Differenz bis
zu 80 Prozent des früheren Gehaltes durch die Arbeitslosenkasse getragen
und bezahlt werde. Dieses Vorgehen wurde vom Bundesamt für Industrie,
Gewerbe und Arbeit (BIGA) am 9. Februar 1994 abgelehnt. In der Folge
kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der von der Gewerkschaft Bau
und Industrie (GBI) unterstützten Belegschaft und der Arbeitgeberin,
die am 21. März 1994 in einen Warnstreik mündeten. Gleichentags gab die
Arbeitgeberin die Betriebsschliessung bekannt und kündigte den Grossteil
der bestehenden Arbeitsverträge auf den 31. Mai 1994, darunter auch jenen
mit dem Beklagten. Dieser erhob mit Schreiben vom 23. März 1994 Einsprache
gegen die nach seiner Ansicht missbräuchlich erfolgte Kündigung.

    Ab dem 23. März 1994 wurde die Baumwollspinnerei von der Belegschaft
bestreikt, wobei sich auch der Beklagte am Streik beteiligte. Am
28. April 1994 löste er - gleichzeitig mit anderen Arbeitnehmern und
Arbeitnehmerinnen - das Arbeitsverhältnis fristlos auf.

    Am 27. Juni 1994 belangte die B. AG den Beklagten auf Fr. 290.30
nebst Zins. Sie verlangte eine Entschädigung wegen ungerechtfertigten
Verlassens der Arbeitsstelle. Der Beklagte verlangte widerklageweise
im Wesentlichen Fr. 8'880.-- als Entschädigung gemäss Art. 336a OR. Mit
Entscheid vom 9. Mai 1995 hiess der Einzelrichter des Bezirkes Winterthur
die Klage vollumfänglich und die Widerklage im Betrag von Fr. 2'960.--
nebst Zins teilweise gut. Das zweitinstanzlich im Wesentlichen nur noch
mit der Entschädigungsforderung des Beklagten befasste Obergericht des
Kantons Zürich wies diese mit der Begründung ab, eine Entschädigung wegen
missbräuchlicher Kündigung sei nicht geschuldet, weil nicht die ordentliche
Kündigung der Klägerin, sondern die vom Beklagten ausgesprochene fristlose
Kündigung für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses kausal gewesen sei.

    Auf Berufung des Beklagten hob das Bundesgericht das obergerichtliche
Urteil am 14. Januar 1997 auf. Es erwog, die nach Art. 336a OR
grundsätzlich anspruchsberechtigte Partei verzichte nicht von Gesetzes
wegen auf eine Entschädigung, wenn sie nach erfolgter Einsprache ihrerseits
das Arbeitsverhältnis fristlos kündige. Da das Obergericht sich zur Frage
der Missbräuchlichkeit der Kündigung vom 21. März 1994 nicht geäussert
hatte, wies das Bundesgericht die Sache zur Neubeurteilung an die
Vorinstanz zurück. Mit Beschluss vom 9. Februar 1998 wies das Obergericht
des Kantons Zürich die Entschädigungsforderung des Beklagten abermals ab.
Zur Begründung führte es aus, der Warnstreik vom 21. März 1994 habe die
Klägerin zur Kündigung veranlasst. Ein Streik stelle keine rechtmässige
gewerkschaftliche Tätigkeit i.S.v. Art. 336 Abs. 2 lit. a OR dar, weshalb
eine deswegen erfolgte Entlassung nicht missbräuchlich sei.

    Das Bundesgericht heisst die dagegen eingelegte eidgenössische Berufung
des Beklagten gut, hebt den angefochtenen Beschluss des Obergerichts auf
und verpflichtet die Klägerin zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe
eines Monatslohns an den Beklagten.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Das geltende Recht enthält weder auf Verfassungs- noch auf
Gesetzesstufe eine ausdrückliche Regelung des Streikrechts. Hinweise
dafür, dass dessen Normierung i.S. eines qualifizierten Schweigens
bewusst unterlassen worden ist, sind - wie nachfolgend aufzuzeigen ist -
nicht ersichtlich (BGE 118 II 199 E. 2a; MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar,
N. 255 f. zu Art. 1 ZGB). Für die Beurteilung der Missbräuchlichkeit der
streitbetroffenen Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die Klägerin
ist unerlässlich, die Frage nach einem Streikrecht im schweizerischen
Arbeitsrecht zu beantworten. Die bestehende (echte) Lücke ist gemäss Art. 1
Abs. 2 ZGB richterrechtlich zu schliessen, sofern nicht Gewohnheitsrecht
einschlägig ist (MEIER-HAYOZ, aaO N. 318 zu Art. 1 ZGB). Dabei ist
bewährter Lehre und Rechtsprechung zu folgen (Art. 1 Abs. 3 ZGB;
MEIER-HAYOZ, aaO, N. 428 f. und 466 f.).

    b) Das Bundesgericht hat in seiner bisherigen Rechtsprechung die Frage
offen gelassen, ob ein ungeschriebenes verfassungsmässiges Recht auf
Streik bestehe. In BGE 111 II 245 f. verwarf es die vom Arbeitsgericht
Zürich vertretene Auffassung als «zu absolut und zu summarisch»,
das Streikrecht bzw. das Recht auf kollektive Kampfmassnahmen habe
im geltenden Arbeitsrecht noch keinen Eingang gefunden. Es betonte
gleichzeitig, dass der Arbeitskampf jedenfalls nur als letztes Mittel zur
Herbeiführung des Arbeitsfriedens in Frage komme (E. 4a). Offen gelassen
wurde die Frage auch in einem Entscheid vom 25. Oktober 1985 (publ. in
Rivista di diritto amministrativo e tributario ticinese [RDAT] 1987,
S. 27 f.). Das Bundesgericht hatte darin die Verfassungsmässigkeit einer
gegen streikende Lehrer ausgesprochenen Disziplinarmassnahme (Verwarnung)
zu beurteilen. Es erachtete den zweistündigen Unterbruch des Unterrichts
- im Lichte der von der Doktrin für die Rechtmässigkeit von Streiks
aufgestellten Kriterien - als jedenfalls unverhältnismässig (E. 6). In
einem Entscheid vom 23. März 1995 (publiziert in JAR 1997 S. 279 f.) hatte
sich das Bundesgericht zwar nicht über die bundesverfassungsrechtliche
Garantie eines (Beamten-)Streikrechts auszusprechen, nachdem ein solches
im angefochtenen Urteil jedenfalls für den Kanton Genf (auf kantonaler
Grundlage) im Grundsatz bejaht worden war. Es beurteilte aber die Genfer
Regelung als verfassungswidrig, welche für die angekündigte - und nicht
für die effektive - Dauer des Streiks den Ausfall jeglichen Lohnanspruchs
vorsah. In diesem Zusammenhang erwog es unter Verweis auf BGE 111 II
245 E. 4b, das Arbeitsverhältnis werde für die Dauer eines rechtmässigen
Streiks in seinen Hauptpflichten (Arbeits- und Lohnzahlungspflicht)
suspendiert, weshalb der Lohn nur für die effektive Streikdauer ausgesetzt
werden könne (E. 5).

    c) Die Lehre befürwortet übereinstimmend einen verfassungsrechtlichen
Schutz des Streiks bzw. der Streikfreiheit, verstanden als
Verpflichtung des Staates, den Arbeitskampf zuzulassen und diesen
nicht durch Zwangsschlichtung, durch straf- oder zivilrechtliche Normen
funktionsunfähig zu machen (statt vieler: VISCHER, Zürcher Kommentar,
N. 25 f. zu Art. 357a; ders., Fragen aus dem Kollektiv-arbeitsrecht,
AJP 5/95, S. 547 f., 552 und 553; ders., recht 1987, S. 138 f., 139;
ders., Streik und Aussperrung in der Schweiz, Wirtschaft und Recht,
1981, passim; PORTMANN, Kein Streikrecht in der Schweiz ?, SJZ 94
[1998], S. 486 f., 487). Streik und Aussperrung werden als Teilgehalte
der Koalitionsfreiheit (Art. 56 BV) oder als Ausfluss des Prinzips der
Arbeitsmarktfreiheit (Art. 34ter BV) anerkannt. Die durch Art. 28 der
neuen Bundesverfassung vom 18. April 1999 garantierte Koalitionsfreiheit
erklärt Streik und Aussperrung für zulässig, «wenn sie Arbeitsbeziehungen
betreffen und wenn keine Verpflichtungen entgegenstehen, den Arbeitsfrieden
zu wahren oder Schlichtungsverhandlungen zu führen» (Art. 28 Abs. 3
nBV). Inwieweit aus Art. 11 EMRK ein Streikrecht hergeleitet werden kann,
ist umstritten (VISCHER, Zürcher Kommentar, Vorb. zu Art. 356-360 OR,
N. 54; VILLIGER, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention,
S. 364; FROWEIN/PEUKERT, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl.,
N. 13 und 14 zu Art. 11 EMRK; VALTICOS, in: Pettiti/Decaux/Imbert, La
Convention européenne des droits de l'homme, S. 424).

    d) Eine ausdrückliche Garantie des Streikrechts enthält Art. 8
Abs. 1 lit. d des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale
und kulturelle Rechte vom 16. Dezember 1966, in Kraft getreten für
die Schweiz am 18. September 1992 (SR 0.103.1, «UNO-Pakt I»). Das
Bundesgericht hat wiederholt entschieden, dass die darin enthaltenen
Bestimmungen programmatischen Charakter haben, sich an den Gesetzgeber
richten und grundsätzlich keine subjektiven und justiziablen Rechte des
Einzelnen begründen (BGE 120 Ia 1 E. 5c; 121 V 246 E. 2c; 122 I 101
E. 2a). Immerhin hat es anerkannt, dass einzelne Bestimmungen dieses
Pakts unmittelbar anwendbar («self-executing») sein können, namentlich
Art. 8 Abs. 1 lit. a betreffend des Rechts, Gewerkschaften zu bilden und
einer solchen nach freier Wahl beitreten zu können (BGE 121 V 246 E. 2e;
Botschaft zur Ratifikation der beiden Pakte, BBl 1991 V 1202). Verschiedene
Autoren bejahen unter Hinweis auf Wortwahl und Entstehungsgeschichte die
Justiziabilität von Art. 8 des Pakts I (KÜNZLI/KÄLIN, Die Bedeutung der
Pakte für die Schweiz, in: KÄLIN/MALINVERNI/NOWAK [Hrsg.], Die Schweiz
und die UNO-Menschenrechtspakte, 2. Aufl., S. 123 mit Hinweisen). Andere
Autoren lehnen diese Auffassung ab, melden Zweifel an oder lassen die Frage
offen (BÉATRICE AUBERT-PIGUET, L'exercice du droit de grève, AJP 12/96,
S. 1497 f., 1501; JEAN FRITZ STÖCKLI, Das Streikrecht in der Schweiz,
BJM 1997, S. 169 f., 172 und 173, je mit Hinweisen). Der vom Wirtschafts-
und Sozialrat der Vereinten Nationen zwecks internationaler Überwachung des
Paktes I eingesetzte Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle
Rechte («Sozialausschuss») hat in seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 3 Ziff.
5 zum Pakt I die unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 8 - nebst anderen
Bestimmungen des Paktes I - bejaht (abgedruckt in KÄLIN/MALINVERNI/NOWAK,
aaO, S. 458).

    aa) Entscheidend ist, ob die angerufene staatsvertragliche Regelung
inhaltlich hinreichend bestimmt und klar ist, um im Einzelfall Grundlage
eines Entscheides bilden zu können. Die erforderliche Bestimmtheit geht
insbesondere blossen Programmartikeln ab. Sie fehlt auch Bestimmungen, die
eine Materie nur in Umrissen regeln, dem Vertragsstaat einen beträchtlichen
Ermessens- oder Entscheidungsspielraum lassen oder blosse Leitgedanken
enthalten (BGE 121 V 246 E. 2b; 120 Ia 1 E. 5b; KÄLIN, Das Verfahren der
staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Aufl., S. 90 und 91). In Anwendung dieser
Grundsätze verneinte das Bundesgericht die unmittelbare Anwendbarkeit von
Art. 2 Abs. 2, Art. 9 und 13 Abs. 2 lit. c des Paktes I (BGE 121 V 246 E.
2e; 120 Ia 1 E. 5d). Art. 8 Abs. 1 lit. d des Paktes I garantiert das
Streikrecht, «soweit es in Übereinstimmung mit der innerstaatlichen
Ordnung ausgeübt wird» (deutsche Übersetzung des französischen
Originaltextes). In der Literatur wird die Auffassung vertreten,
dass dieser Vorbehalt nicht den Inhalt des Streikrechts beschlage,
sondern den Vertragsstaaten (lediglich) erlaube, die Zulässigkeit
des Streiks von gewissen formellen Voraussetzungen (Einhalten einer
Wartefrist, vorgängiges Vermittlungsverfahren, etc.) abhängig zu machen
(KÜNZLI/KÄLIN, aaO, S. 123 mit Hinweis). Einschränkungen des Streikrechts
sollen auch während laufender Vergleichsverhandlungen möglich sein oder
in Kollektivarbeitsverträgen vereinbart werden können. Anerkannt wird
sodann, dass die Vertragsstaaten politische Streiks vom Streikrecht
ausschliessen und dieses während laufender Schlichtungsverhandlungen
oder in Gesamtarbeitsverträgen einschränken können (vgl. MATTHEW CRAVEN,
The international Covenant on economic, social and cultural rights,
Oxford 1995, S. 279 und 281 f.). Art. 8 Abs. 2 Pakt I behält sodann -
nebst der allgemeinen Schrankenbestimmung in Art. 4 - die Einschränkung
der in Art. 8 Abs. 1 lit. a-d eingeräumten Rechte für Angehörige der
Streitkräfte, der Polizei oder der öffentlichen Verwaltung vor.

    bb) Es sprechen somit beachtliche Gründe dafür, der betreffenden
Bestimmung self-executing-Charakter zuzubilligen. Danach wären die
Vertragsstaaten zur Gewährleistung des Streikrechts verpflichtet, ohne
dass eine landesrechtliche Umsetzung dieser - von der Schweiz durch die
vorbehaltlose Unterzeichnung und Ratifikation des Paktes I anerkannten -
Freiheit zwingend erforderlich wäre. Umgekehrt sind staatliche Massnahmen
verboten, welche diese Freiheit - über die Schranken gemäss Art. 4 und
8 Abs. 2 Pakt I hinaus - beeinträchtigen. Den Vertragsstaaten bleibt
unbenommen, gewisse Einschränkungen des Streikrechts (z.B. Verbot von
wilden Streiks und von Sympathiestreiks etc.) vorzusehen, solange sie den
Arbeitnehmern die Möglichkeit zum Streik zwecks Verfolgung wirtschaftlicher
und sozialer Ziele nicht verunmöglichen oder dadurch vereiteln, dass
sie keinerlei Schutz vor Entlassung oder anderweitigen Sanktionen bei
rechtmässigen Streiks vorsehen (CRAVEN, aaO, S. 280).

    e) Ob Art. 8 Abs. 1 lit. d des Paktes I «self-executing» ist, kann
letztlich genauso offen bleiben, wie die Streitfrage, ob auch die in Art.
22 Abs. 1 des UNO-Paktes über bürgerliche und politische Rechte (SR
0.103.2, «UNO-Pakt II») vom 16. Dezember 1966, für die Schweiz ebenfalls
am 18. September 1992 in Kraft getreten, normierte Vereinigungs- und
Koalitionsfreiheit das Streikrecht schützt (ACHERMANN/CARONI/KÄLIN, in: Die
Schweiz und die UNO-Menschenrechtspakte, op.cit., S. 220 mit Hinweisen).
Nicht zu entscheiden ist auch, ob - wie dies der Sachverständigenausschuss
der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) tut -, aus dem Übereinkommen
Nr. 87 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechts
(BBl 1976 S. 689 f.) eine Streikgarantie abgeleitet werden kann (STÖCKLI,
aaO, S. 171 f.). Im Rahmen der vorliegend zu füllenden Lücke ist jedenfalls
klar, dass sowohl die herrschende Lehre ein Streikrecht anerkennt,
im geformten Recht mindestens Art. 8 Abs. 1 lit. d des Paktes I das
Streikrecht grundsätzlich bejaht und auch die bisherige Rechtsprechung des
Bundesgerichts ein solches Recht nicht ausschliesst. In der revidierten
Bundesverfassung, die im Wesentlichen das geltende Verfassungsrecht zum
Ausdruck bringen will, wird die Zulässigkeit des Streiks als Ausfluss der
Koalitionsfreiheit ebenfalls anerkannt (Art. 28 Abs. 3 nBV; BBl 1997 I 1
f., 29 und 179). Künftig anwendbaren Normen soll der Richter bei seiner
Rechtsfindung Rechnung tragen (MEIER-HAYOZ, aaO, N. 395 zu Art. 1 ZGB).

    f) Lückenfüllend ist somit auch im schweizerischen Arbeitsrecht ein
Streikrecht zu bejahen. Zu prüfen bleibt, wer sich darauf berufen kann,
welche Schranken seiner Ausübung entgegenstehen und inwieweit es in den
Beziehungen unter Privatpersonen durchsetzbar ist.

Erwägung 3

    3.- a) Der Streik - verstanden als kollektive Verweigerung
der geschuldeten Arbeitsleistung zum Zwecke der Durchsetzung von
Forderungen nach bestimmten Arbeitsbedingungen gegenüber einem
oder mehreren Arbeitgebern - wird in der Literatur als äusserstes
jedoch unentbehrliches Mittel des Arbeitskampfes zur Erzielung einer
kollektivvertraglichen Regelung anerkannt (Nachweise in BGE 111 II 245 4a;
VISCHER, Zürcher Kommentar, N. 25 zu Art. 357a OR; ders., recht 1987,
S. 139; MICHAEL HOHN, Streikrecht und Aussperrungsrecht, Diss. Bern
1978, S. 25 f.; GYGI/RICHLI, Wirtschaftsverfassungsrecht, 2. Aufl.,
Ziff. 9.4.2 S. 229 f.). Entsprechend kommt nur Trägern des kollektiven
Arbeitsrechts, mithin Arbeitnehmerorganisationen, das Recht zu, einen
Streik zu beschliessen. Der Einzelne ist bloss berechtigt, im Rahmen
des Kollektivs auf einen Streikbeschluss hinzuwirken. Damit soll
der Arbeitskampf auf der kollektivrechtlichen Ebene konzentriert und
beschränkt bleiben und der Streik als letztes Mittel der Gewerkschaft
als anerkanntem Verhandlungspartner im Arbeitskampf zur Verfügung stehen
(VISCHER, Zürcher Kommentar, N. 25 zu Art. 357a OR; ders., Streik und
Aussperrung in der Schweiz, in: Wirtschaft und Recht 1981, S. 7). Diese
Auffassung vertritt auch der Bundesrat in seinen Erläuterungen zum Entwurf
einer neuen Bundesverfassung (BBl 1997 I 179). Sie schliesst folgerichtig
- auch im Licht von Art. 8 Abs. 1 lid. d UNO-Pakt I - die Qualifikation
des Streiks als ein dem Arbeitnehmer individuell zustehendes Recht auf
Arbeitsniederlegung aus (VISCHER, Zürcher Kommentar, N. 25 zu Art. 357a
OR; PORTMANN, aaO, S. 489; GRAVEN, aaO, S. 278 und 281; vgl. auch
NOWAK, in: Kälin/Malinverni/Nowak, op.cit., S. 16 und 17; a.A. MORAND,
Le droit de grève dans tous ses états, Mélanges Alexandre Berenstein,
Genève 1989, S. 60). Auch Art. 28 Abs. 3 nBV normiert den Streik nicht
als verfassungsmässiges Individualrecht, sondern erklärt ihn unter den
dort genannten Voraussetzungen für «zulässig».

    b) Entsprechend den in der Lehre an die Rechtmässigkeit eines
Streiks geknüpften Voraussetzungen muss der Streik von einer tariffähigen
Organisation getragen werden und durch Gesamtarbeitsvertrag regelbare Ziele
verfolgen. Weiter darf er nicht gegen die Friedenspflicht verstossen und
auch nicht unverhältnismässig sein (BGE 111 II 245 E. 4c mit Hinweisen).
Damit sind «wilde» Streiks einzelner Arbeitnehmer und «politische» Streiks,
die ohne Bezug auf das Arbeitsverhältnis erfolgen, verboten. Untersagt sind
damit auch Kampfmassnahmen, die Gegenstände betreffen, welche in einem
Gesamtarbeitsvertrag geregelt sind (VISCHER, Zürcher Kommentar, N. 26 f.
und 34 f. zu Art. 357a OR; BBl 1997 I 179 und 180). Art. 28 Abs. 3 nBV
nennt den Verhältnismässigkeitsgrundsatz nicht ausdrücklich, doch leitet
sich aus der in Art. 28 Abs. 2 nBV normierten Auflage, Streitigkeiten
zwischen den Sozialpartnern primär durch Verhandlung oder Vermittlung
beizulegen, das Gebot eines verhältnismässigen Einsatzes des Streiks ab.

    c) Für die Auswirkung eines rechtmässigen Streiks auf
Arbeitsverhältnisse des Privatrechts ist das Verhältnis zwischen
staatlich als im System des kollektiven Arbeitsrechts anerkanntem
Streikrecht und privatrechtlicher Ordnung zu klären. Dabei erscheint als
Konsequenz einer ganzheitlichen Betrachtungsweise offensichtlich, dass die
Teilnahme an einem rechtmässigen Streik und die damit notwendig verbundene
vorübergehende Arbeitsniederlegung nicht gleichzeitig eine Verletzung der
vertraglichen Arbeitspflicht darstellen kann (REHBINDER, Berner Kommentar,
N. 14 zu Art. 337 OR; VISCHER, recht 1987, S. 140). Dem Arbeitnehmer kann
diesfalls nicht zugemutet werden, den in seinem Interesse ausgerufenen
Streik durch Erbringung der Arbeitsleistung zu vereiteln, selbst wenn er
nicht Mitglied des betreffenden Arbeitnehmerverbandes ist (REHBINDER,
aaO, N. 14 zu Art. 337 OR). Die an sich mögliche Arbeitsleistung ist
dem Arbeitnehmer aufgrund der Streiksituation nach Treu und Glauben
i.S.v. Art. 2 ZGB nicht zumutbar (GAUCH/SCHLUEP/REY, Schweizerisches
Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 7. Aufl., Ziff. 3301; PORTMANN,
aaO, S. 489). Umgekehrt ist der Arbeitgeber während des Streiks nicht zur
Lohnzahlung verpflichtet. Der Arbeitsvertrag ist in seinen Hauptpflichten
suspendiert (vgl. BGE 111 II 245 E. 4b S. 256 und 257 mit Hinweisen;
VISCHER, Zürcher Kommentar, N. 18 zu Art. 337 OR mit Hinweisen). Wird
der Arbeitsvertrag durch den rechtmässigen Streik nicht verletzt,
beinhaltet die befugte Teilnahme daran auch keinen Auflösungsgrund
nach Art. 337 OR. Spricht der Arbeitgeber die ordentliche Kündigung
aus und kann der Arbeitnehmer nachweisen, dass der rechtmässige Streik
mit hoher Wahrscheinlichkeit Anlass zur Kündigung gab, so ist diese
rechtsmissbräuchlich i.S.v. Art. 336 OR, weil sie dem Arbeitnehmer
die Ausübung des staatlich garantierten Streikrechts verunmöglichen
will (vgl. REHBINDER, aaO, N. 14 zu Art. 337 OR). Nicht entscheidend
ist dabei, ob es dem Arbeitgeber mit der Kündigung darum geht, den
«Streikwillen» zu brechen (so Rehbinder, aaO). Mit der Kündigung wird das
Arbeitsverhältnis aufgelöst und der Arbeitnehmer nicht bloss zum Abbruch
des Streiks gezwungen, weshalb unerheblich ist, ob der Arbeitgeber
mit der Entlassung bloss den Streikwillen des Arbeitnehmers treffen
wollte. Massgebend ist vielmehr, ob der Streik das ausschlaggebende
Motiv für die Kündigung ist. Muss dies bejaht werden, ist die Kündigung
missbräuchlich, weil andernfalls das Streikrecht illusorisch bliebe. Dieser
Missbrauchstatbestand ist als solcher eigener Art aufzufassen und fällt
nicht unmittelbar in die von Art. 336 OR nicht abschliessend aufgeführten
Fallgruppen (vgl. VISCHER, aaO, N. 7 zu Art. 336 OR).