Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 125 III 263



125 III 263

46. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. April 1999 i.S.
Lobos Informatik AG gegen Debita AG (Berufung) Regeste

    Software-Lizenzvertrag.

    Das in den allgemeinen Vertragsbedingungen vorgesehene Recht, die
lizenzierte Software zu ändern, gilt nur insoweit, als die Abänderbarkeit
der Software durch die individuellen Vertragsergänzungen nicht
eingeschränkt wird. Tragweite der Aufklärungspflicht der Lizenzgeberin
als Verfasserin des Lizenzvertrages über darin verwendete EDV-technische
Begriffe (E. 4b).

    Wurde vertraglich vereinbart, dass die Installation der Software im
Object Code erfolge, in der Folge aber auch der Source Code installiert,
darf die Lizenznehmerin darin nach Treu und Glauben keine Offerte zur
Vertragsänderung, mit der ihr ein unentgeltliches Nutzungsrecht am Source
Code eingeräumt werden soll, erblicken (E. 4c).

Sachverhalt

    A.- Die Lobos Informatik AG und die Debita AG sind Parteien eines
Lizenzvertrages vom 19. Dezember 1988 über Buchhaltungs-Software. Im
Nachtrag zu diesem Vertrag wurde festgehalten, die Installation erfolge
im Object Code; die Programme wurden dann aber sowohl im Object Code als
auch im Source Code installiert.

    Am 25. Januar 1996 ersuchte die Debita AG die Lobos Informatik AG
um Support per Modem. Letztere stellte bei dieser Gelegenheit fest, dass
das Programmmaterial seit dem 3. Mai 1993, d.h. seit der letzten von ihr
selbst vorgenommenen Änderung, modifiziert worden war. Sie remonstrierte
dagegen bei der Debita AG, doch kam es in der Folge zu keiner Einigung.

    B.- Mit Klage vom 6. November 1996 beantragte die Lobos Informatik
AG dem Kantonsgericht des Kantons Schwyz unter anderem, die Debita AG zur
Herausgabe der im Source Code abgespeicherten Programme und Programmteile
sowie zur Rückgängigmachung der seit 4. Mai 1993 vorgenommenen Änderungen
an diesen, eventuell zu deren ausschliesslicher Verwendung im Zustand
vom 3. Mai 1993 zu verpflichten. Das Kantonsgericht wies die Klage mit
Urteil vom 4. August 1998 ab.

    C.- Die Klägerin hat gegen das Urteil des Kantonsgerichts sowohl
Berufung als auch staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Das Bundesgericht
heisst die Berufung teilweise gut, hebt das Urteil des Kantonsgerichts
des Kantons Schwyz vom 4. August 1998 insoweit auf, als es die genannten
Begehren der Klägerin abweist, und weist die Streitsache insoweit zu
neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an das Kantonsgericht zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Die Vorinstanz nahm an, da die Beklagte die Bedeutung der im
Nachtrag zum Lizenzvertrag verwendeten Formulierung «Die Installation
erfolgt im Object-Code» nicht habe kennen müssen, habe sie aufgrund
des in Ziff. 5.4 des Lizenzvertrages statuierten umfassenden Rechts auf
Abänderung des Lizenzmaterials davon ausgehen dürfen, ihr werde auch das
Recht eingeräumt, über den Source Code zu verfügen. Diese Auffassung
werde durch die Tatsache gestützt, dass die Klägerin den Source Code
während Jahren bei der Beklagten beliess. Diese sei daher berechtigt,
daran Änderungen vorzunehmen, und sei nicht zur Herausgabe verpflichtet.

    Die Klägerin macht geltend, der Source Code werde weder im
Lizenzvertrag noch im Nachtrag je erwähnt und sei damit nicht Gegenstand
der der Beklagten eingeräumten Rechte. Entgegen der Annahme der Vorinstanz
hätte die Beklagte die Einschränkung ihres Änderungsrechts aufgrund
der Formulierung «Die Installation erfolgt im Object-Code» auch ohne
entsprechende Aufklärung seitens der Klägerin erkennen müssen. Zudem
seien Lizenzverträge nach einer allgemeinen Regel in dem Sinne restriktiv
auszulegen, als im Zweifel die Nichtübertragung einzelner Teilrechte
anzunehmen sei; dies gelte vorliegend bezogen auf den Source Code umso
mehr, als dieser allgemein nur ausnahmsweise an Dritte weitergegeben werde.
Da gemäss Ziff. 5.1, 10.1 und 10.5 des Lizenzvertrages alle nachträglichen
Vertragsänderungen der Schriftlichkeit bedürften, dürfe auch nicht von
einer stillschweigenden Ausdehnung des Lizenzvertrages auf den Source
Code ausgegangen werden. Dieser Auffassung stehe das im Lizenzvertrag
statuierte Änderungsrecht nicht entgegen, weil Programmänderungen auch
dann möglich seien, wenn das Programm allein in Form des Object Code zur
Verfügung stehe. Es bestehe demnach kein Rechtsgrund für die Verweigerung
der Herausgabe des Source Code an die Klägerin; allein die Tatsache,
dass die Klägerin den Source Code bei der Beklagten beliess, vermöge
keinen Rechtsübergang zu bewirken.

    a) Ein Nutzungsrecht an Software kann auf verschiedenen
Rechtsgrundlagen erworben werden. In der Regel wird entweder ein -
durch die vertraglichen Bestimmungen eingeschränktes - Eigentumsrecht
an einer Programmkopie übertragen oder aber, im Falle eines echten
Lizenzvertrages, die Software unter Einräumung eines Nutzungsrechts
bloss leihweise überlassen (THOMANN, Grundriss des Softwareschutzes,
Zürich 1992, S. 51 f.). Der Umfang des Nutzungsrechtes des Nehmers
ergibt sich aus den Parteivereinbarungen, welche grundsätzlich nicht
formpflichtig sind (Rehbinder, Schweizerisches Urheberrecht, 2. Auflage,
Bern 1996, S. 132). Dies gilt auch für die Frage, ob dem Lizenznehmer
der Source Code zur Verfügung gestellt wird oder nicht (BLICKENSTORFER,
Der Sourcecode-Escrow, in: Thomann/Rauber (Hrsg.), Softwareschutz, Bern
1998, S. 213 f.).

    Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz ist bezüglich
der Frage, ob die Beklagte aufgrund des Lizenzvertrages auch den Source
Code nutzen, insbesondere diesen verändern dürfe, kein übereinstimmender
tatsächlicher Parteiwille festzustellen. In diesem Fall sind zur Ermittlung
des mutmasslichen Parteiwillens die Erklärungen der Parteien aufgrund
des Vertrauensprinzipes so auszulegen, wie sie nach ihrem Wortlaut und
Zusammenhang sowie den gesamten Umständen verstanden werden durften und
mussten. Das Bundesgericht prüft diese objektivierte Vertragsauslegung
im Berufungsverfahren als Rechtsfrage (BGE 123 III 165 E. 3a S. 168;
121 III 118 E. 4b/aa S. 123 mit Hinweisen).

    b) aa) Die massgebliche Parteivereinbarung besteht aus einem
«Lizenzvertrag für Programmprodukte» vom 19. Dezember 1988 und einem
irrtümlich mit 13. Dezember 1988 datierten Nachtrag dazu. Der
Lizenzvertrag sieht in Ziff. 1.3 und 6.1 vor, dass der Beklagten
das Lizenzmaterial leihweise zur Verfügung gestellt wird, während
das Eigentum daran bei der Klägerin verbleibt. Die Nutzungsdauer ist
gemäss Ziff. 7 Abs. 1 des Nachtrages unbeschränkt, doch wurde die im
Lizenzvertrag (Ziff. 2.6) vorgesehene Möglichkeit der Vertragskündigung
beibehalten. Ein Anspruch der Beklagten auf Übertragung des Eigentums am
Source Code, wie auch am Object Code, lässt sich demnach aus Lizenzvertrag
und Nachtrag nicht ableiten. bb) Der Lizenzvertrag enthält allgemeine
Vertragsbestimmungen, welche durch die Vereinbarungen im Nachtrag
individuell konkretisiert werden. Ziff. 1.2 des Lizenzvertrages statuiert
bei Widersprüchlichkeiten den Vorrang ausdrücklich anderslautender
Bestimmungen des Nachtrages, was den allgemeinen Grundsätzen über das
Verhältnis von individuellen zu allgemeinen Vertragsbedingungen entspricht
(BGE 123 III 35 E. 2c/bb S. 44 mit Hinweis; KRAMER, Berner Kommentar,
N. 210 f. zu Art. 1 OR; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/REY, Schweizerisches
Obligationenrecht Allgemeiner Teil, Bd. I, 7. Auflage, Zürich 1998, S. 235
Rz. 1139; BUCHER, Basler Kommentar, N. 54 zu Art. 1 OR). Die Beklagte hat
gemäss Ziff. 5.4 des Lizenzvertrages das Recht, das Lizenzmaterial ganz
oder teilweise zu ändern und an ihre Bedürfnisse anzupassen. Demgegenüber
sieht Ziff. 2 Abs. 2 des Nachtrages vor, die Installation der Programme
erfolge im Object Code. Da ein im Object Code geschriebenes Programm
nur unter stark erschwerten Bedingungen lesbar ist, was eine Abänderung
praktisch verunmöglicht, wird damit das im Lizenzvertrag vorgesehene
Abänderungsrecht der Beklagten stark eingeschränkt. Entgegen der Ansicht
der Vorinstanz handelt es sich dabei um eine «ausdrückliche» Andersregelung
im Sinne von Ziff. 1.2 des Lizenzvertrages, ist doch die Einschränkung
des Abänderungsrechtes durch die Installation im Object Code für jeden
ohne weiteres einsichtig, dem die Bedeutung des Begriffes «Object Code»
geläufig ist. Auch sonst sind keine Umstände erkennbar, aufgrund derer
die grundsätzliche Einräumung eines Abänderungsrechts als Zusicherung der
Anpassungsfähigkeit des im Nachtrag zu konkretisierenden Lizenzmaterials
zu verstehen sein und damit den individuellen Bestimmungen des Nachtrages
vorgehen sollte. Vielmehr hatte die Beklagte aufgrund von Ziff. 1.2 des
Lizenzvertrages zu gewärtigen, dass die allgemeinen Vertragsbestimmungen
durch die individuellen Abreden im Nachtrag modifiziert würden. Entgegen
der Ansicht der Vorinstanz wäre die Klägerin nach Treu und Glauben nicht
verpflichtet gewesen, die Beklagte von sich aus auf die Bedeutung der
Nachtragsbestimmung, wonach die Installation im Object Code erfolge,
hinzuweisen. Es oblag vielmehr der Beklagten selbst, sich über die
Tragweite der von ihr unterzeichneten Vertragsbestimmungen kundig zu
machen. Selbst wenn diesbezüglich ein grosses Wissensgefälle zwischen
den Parteien bestand, war es doch der Beklagten bzw. deren Organen ohne
weiteres möglich und zumutbar, die Bedeutung des Begriffes «Object Code»
herauszufinden. So hätten sie sich z.B. vor der Unterzeichnung bei der
Klägerin darüber erkundigen können. Die Klägerin durfte nach Treu und
Glauben davon ausgehen, dass der Beklagten, soweit sie keine Fragen
stellte, die im Vertrag verwendeten EDV-technischen Begriffe vertraut
waren, und dass sie demnach die Einschränkung ihres Abänderungsrechts
erkannte und dieser zustimmte. Damit ist der Vertrag in diesem
Sinne für beide Parteien bindend; ob sich die Beklagte allenfalls in
einem Erklärungsirrtum befand, ist vorliegend nicht zu prüfen. Aus dem
Lizenzvertrag und Nachtrag vom 19. Dezember 1988 kann demnach die Beklagte
kein Recht auf Nutzung und Abänderung des Source Code ableiten.

    c) Nach dem Gesagten erbrachte die Klägerin mit der Installation des
Source Code eine Leistung, zu der sie nicht verpflichtet war. Ob die
Beklagte dies als Offerte zu einer Vertragsänderung verstehen durfte,
mit welcher ihr ein Nutzungsrecht auch am Source Code eingeräumt werden
sollte, ist, da die Vorinstanz keine tatsächliche Willensübereinstimmung
feststellen konnte, wiederum nach Treu und Glauben zu beurteilen. Der im
Lizenzvertrag vorgesehene Schriftlichkeitsvorbehalt steht der Annahme
einer entsprechenden Vertragsänderung nicht von vornherein entgegen,
kann doch namentlich auch durch konkludentes Handeln nachträglich auf die
vorbehaltene Form verzichtet werden (BGE 105 II 75 E. 1 S. 78; SCHMIDLIN,
Berner Kommentar, N. 45 zu Art. 16 OR; MERZ, Vertrag und Vertragsschluss,
2. Auflage, Freiburg 1992, S. 225 N. 422). Ausser Betracht hat aber
entgegen der Ansicht der Vorinstanz zu bleiben, dass die Klägerin den
Source Code während Jahren bei der Beklagten belassen hatte, denn für die
Vertrauensauslegung sind lediglich Umstände zu berücksichtigen, welche
den Parteien beim Vertragsschluss - bzw. hier bei der Vertragsänderung -
bekannt oder erkennbar waren (BGE 107 II 417 E. 6 S. 418).

    Die Überlassung des Source Code vereinfacht die Abänderung der
Programme in massgeblicher Weise und ermöglicht die Verwertung des
im Programm enthaltenen Know-How. Sie würde gegenüber den anfänglich
vereinbarten Vertragsleistungen der Klägerin eine substanzielle
Mehrleistung darstellen, welche im Allgemeinen gar nicht, höchstens aber
gegen Bezahlung eines diese zusätzlichen Möglichkeiten abgeltenden Preises
gewährt wird (BLICKENSTORFER, aaO, S. 213 unten f.; FREI, Softwareschutz
durch das Patentrecht, in: THOMANN/RAUBER, Softwareschutz, Bern 1998,
S. 105). Die Beklagte durfte unter diesen Umständen nicht davon ausgehen,
dass die Klägerin ihr diese Leistung freiwillig und ohne entsprechende
Gegenleistung zusätzlich zum vertraglich Geschuldeten erbringen wollte. Zu
welchem anderen Zweck die Klägerin den Source Code bei der Beklagten
installierte, kann dabei offen bleiben, vermöchte doch angesichts
des Nachteils, den die Nutzung und Änderung des Source Code durch die
Beklagte für die Klägerin bedeutet, selbst die aus einem der Beklagten
nicht verständlichen Grund erfolgte Installation deren Annahme, sie sei
hierzu berechtigt, nicht zu rechtfertigen.

    d) Nach dem Gesagten ist die Beklagte nicht berechtigt, über den Source
Code zu verfügen. Die Klägerin kann demnach die Herausgabe der im Source
Code gespeicherten Programme sowie die Beseitigung bestehender bzw. das
Verbot künftiger Schutzrechtsverletzungen verlangen, sofern sie für die
Programme urheberrechtlichen Schutz beanspruchen kann. Computerprogramme
gelten als Werke im Sinne des Urheberrechtsgesetzes (Art. 2 Abs. 3 URG)
und sind damit durch dieses geschützt, sofern sie individuellen Charakter
haben (Art. 2 Abs. 1 URG; BBl 1989 III 522; Thomann, Softwareschutz durch
das Urheberrecht, in: Thomann/Rauber, Softwareschutz, Bern 1998, S. 13). Da
die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil zur Beurteilung
dieser Frage durch das Bundesgericht nicht ausreichen, ist die Streitsache
insoweit zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.