Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 125 III 252



125 III 252

44. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 1.
Juni 1999 i.S. H. AG (Beschwerde) Regeste

    Art. 143b SchKG und Art. 135 Abs. 1 SchKG, Art. 68 Abs. 1 lit. b
VZG, Art. 69 VZG, Art. 110 Abs. 2 VZG und Art. 111 Abs. 1 VZG; Löschung
von Pfandrecht und Titel im Falle des Freihandverkaufs.

    Wird in einer Betreibung auf Pfandverwertung ein Grundstück
freihändig verkauft, so gilt - nicht anders als im Falle der öffentlichen
Versteigerung - der Grundsatz, dass bei auf dem Grundstück lastenden
Schuldbriefen Grundpfandrecht und Titel so weit gelöscht werden müssen,
als die persönliche Schuldpflicht nicht überbunden und der Gläubiger aus
dem Pfanderlös nicht befriedigt wird.

Sachverhalt

    A.- Die im Grundbuch Solothurn eingetragene Liegenschaft Nr. 1. ist
Pfandgegenstand in der Betreibung auf Pfandverwertung Nr. 10. des
Betreibungsamtes der Stadt Solothurn. Der Wert der Liegenschaft ist
von der Gebäudeversicherung mit Fr. 801'961.- geschätzt worden, und die
betreibungsamtliche Schätzung beträgt Fr. 450'000.-. Es bestehen fällige
pfandgesicherte Forderungen (inklusive Zinsen) im Gesamtbetrag von Fr.
1'276'152.85.

    Pfandgegenstand in der Betreibung auf Pfandverwertung Nr. 11. sodann
ist die im Grundbuch Solothurn eingetragene Liegenschaft Nr. 2. Der Wert
dieser Liegenschaft ist von der Gebäudeversicherung mit Fr. 832'000.-
geschätzt worden, während die betreibungsamtliche Schätzung Fr. 500'000.-
beträgt. Es bestehen fällige pfandgesicherte Forderungen (inklusive Zinsen)
im Umfang von Fr. 5'002'115.20.

    B.- Das Betreibungsamt Solothurn, welches die erwähnten Liegenschaften
freihändig der H. AG verkaufen möchte (Art. 143b SchKG), erliess am 17.
November 1998 zwei gleich lautende Verfügungen. Die Ziffern 1 und
2 dieser Verfügungen wurden indessen mit zwei weiteren Verfügungen
des Betreibungsamtes vom 29. Januar 1999 aufgehoben, nachdem die
H. AG Beschwerde bei der Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und
Konkurs des Kantons Solothurn erhoben hatte und eine Besprechung mit dem
Grundbuchinspektor stattgefunden hatte. Strittig blieb vor der kantonalen
Aufsichtsbehörde nur noch die folgende Ziffer 3:
      «Die Schuldbriefe werden nach Beschluss der Amtschreiberkonferenz
      vom 29.

    August 1996 auf den Zuschlagspreis gelöscht bzw. werden keine 'leeren'

    Pfandtitel herausgegeben. Die betreffenden Schuldbriefe sind alle

    vollständig im Gewahrsam des Betreibungsamtes Solothurn.»

    Mit Urteilen der kantonalen Aufsichtsbehörde vom 29. März 1998
bzw. 1. April 1999 wurden die Beschwerden abgewiesen, soweit noch darauf
einzutreten war.

    C.- Die H. AG hat die Sache mit Beschwerden vom 8. April 1999
und 16. April 1999 an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des
Bundesgerichts weitergezogen. Sie beantragt in beiden Fällen:
      «1. Die Beschwerde sei gutzuheissen, Ziff. 1 des angefochtenen
      Urteils

    vom 29. März 1999 (bzw. 1. April 1999) der Aufsichtsbehörde für

    Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons Solothurn sowie Ziff. 3 der

    Verfügung des Betreibungsamtes Solothurn vom 17.11.1998 (Löschung der

    Schuldbriefe über den Zuschlagspreis hinaus bzw. keine Herausgabe der

    entsprechenden 'leeren' Pfandtitel) seien aufzuheben, und es sei

    festzustellen, dass die über den Zuschlagspreis hinausgehenden
Schuldbriefe

    nicht zu löschen, sondern der Käuferin/Beschwerdeführerin oder
einem von

    ihr bestimmten Dritten unbelastet herauszugeben sind.
      2. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten des Kantons

    Solothurn.»

    Das Betreibungsamt Solothurn ist von der Schuldbetreibungs- und
Konkurskammer zur Vernehmlassung eingeladen worden, hat sich aber einer
Antwort enthalten.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Beschwerden der H. AG vom 8. April 1999 und 16. April 1999
beschlagen dieselbe Rechtsfrage, zu welcher die Beschwerdeführerin mit
identischen Rechtsschriften Stellung bezieht. Es ist daher zweckmässig,
sie zu vereinigen (BGE 124 III 382 E. 1a).

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerin ist der Meinung, eine Löschung der
Schuldbriefe, soweit sie den Erlös übersteigen, sei im vorliegenden Fall,
wo ein Freihandverkauf stattfinden soll, gesetzwidrig.

    a) Durch den Schuldbrief wird eine persönliche Forderung begründet,
die grundpfändlich sichergestellt ist (Art. 842 ZGB). Lässt der Gläubiger -
wozu ihn die zitierte Vorschrift ermächtigt - den Pfandgegenstand zwecks
Erfüllung seiner Forderung verwerten, so ist das Pfandrecht seinem Zweck
und Inhalt nach erschöpft; es geht unter, und der Gläubiger kann nicht
mehr darüber verfügen (BGE 122 III 432 E. 5; 121 III 432 E. 2a; 106 III
183 E. 2; LEEMANN, Kommentar Sachenrecht, N. 14 und 15 zu Art. 816 ZGB;
OFTINGER, Kommentar Fahrnispfand, N. 131 zum Systematischen Teil).

    Es ist deshalb folgerichtig und unumgänglich, im Falle der
Zwangsverwertung das Grundpfandrecht sowie den es verurkundenden Titel zu
löschen, soweit die persönliche Schuldpflicht dem Erwerber nicht überbunden
wird (Art. 135 Abs. 1 SchKG) und der Gläubiger aus dem Pfanderlös nicht
befriedigt werden kann (Art. 68 Abs. 1 lit. b, Art. 69, Art. 110 Abs. 2
und Art. 111 Abs. 1 VZG). Die Normen, welche das verlangen, sind demnach
nicht blosse Ordnungsvorschriften, und ebenso wenig erschöpft sich deren
Zweck darin, den Erwerber des Grundstücks vor Rechten Dritter zu schützen,
die ohne die verlangten Vorkehren gar nicht erkennbar untergegangen wären.

    Dem zu Verlust gekommenen betreibenden Pfandgläubiger ist ein
Pfandausfallschein, den übrigen Pfandgläubigern eine Bescheinigung darüber
auszustellen, dass ihre Forderung ungedeckt geblieben ist (Art. 158 Abs. 1
SchKG, Art. 120 VZG).

    b) Rechtsprechung (BGE 122 III 432 E. 5; 121 III 432 E. 2a; 106 III 183
E. 2, je mit Hinweisen) und Lehre sind sich bezüglich der aufgezeichneten
Rechtsfolgen einig. Aus BGE 99 Ib 430 E. 1 lässt sich nichts Gegenteiliges
ableiten; denn in jenem Fall sind die Pfandgläubiger vollständig befriedigt
worden (S. 433 letzter Absatz). Der Bescheid der Schuldbetreibungs- und
Konkurskammer des Bundesgerichts vom 2. Oktober 1979 ist nie anders als
dahingehend verstanden worden, dass eine Übertragung der Titel nur im
Umfang ihrer Deckung möglich sei (Kreisschreiben der Aufsichtsbehörde in
Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern, in: Insolvenz- und
Wirtschaftsrecht 1998, S. 87; Der bernische Notar 1980, S. 143 Ziff. 5;
1996, S. 318 Ziff. 48). Dass die Pfandgläubigerin im vorliegenden Fall mit
der Herausgabe sämtlicher Titel an die Beschwerdeführerin einverstanden
ist, bleibt somit belanglos.

    c) Eine analoge Anwendung von Art. 863 Abs. 1 ZGB ist
ausgeschlossen. Der Pfandtitel befindet sich nicht in den Händen des
Schuldners, und die Eigenschaften des Schuldners und des Gläubigers sind
nicht in einer Person vereinigt (LEEMANN, aaO, N. 1-3 zu Art. 863 ZGB;
STAEHELIN, Basler Kommentar, N. 2 zu Art. 863 ZGB).

    Sodann lässt sich im Freihandverkauf nicht etwas in jeder Hinsicht
anderes erblicken als in der Versteigerung; denn er tritt an deren Stelle
(Art. 143b Abs. 1 SchKG), bleibt also ein Institut der Zwangsvollstreckung
und wird von den Vorschriften des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts
beherrscht (BGE 106 III 79 E. 4, S. 82; HÄUSERMANN/STÖCKLI/FEUZ, Kommentar
zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, N. 5 zu Art. 143b
SchKG). Dass einem Freihandverkauf alle Beteiligten - also auch jene
Pfandgläubiger, die durch den angebotenen Erlös nicht gedeckt sind -
zustimmen müssen, kann ohnehin nicht entscheidend sein für die davon
unabhängige Frage der Löschung von Grundpfandrecht und Titel.

    d) Falls der Erwerber des Pfandgegenstandes die Titel wieder verwenden
möchte, kann eine Löschung nur unterbleiben, wenn er die persönliche
Schuldpflicht für die Schuldbriefforderung übernimmt (STAEHELIN, aaO, N.
6 zu Art. 864 ZGB). Diese Voraussetzung wird in der Beschwerdeschrift
übergangen und ist im vorliegenden Fall denn auch nicht gegeben.

Erwägung 3

    3.- Zusammenfassend ergibt sich, dass die Auffassung der kantonalen
Aufsichtsbehörde, wonach die auf dem Grundstück lastenden Schuldbriefe
so weit gelöscht werden müssen, als sie nicht durch den erzielten Erlös
gedeckt sind, einem bundesrechtskonformen Verständnis der einschlägigen
Vorschriften entspricht. Die gegen das vorinstanzliche Urteil gerichtete
Beschwerde erweist sich damit als unbegründet und wird abgewiesen.