Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 125 III 149



125 III 149

28. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 16. Februar 1999 i.S.
Z. gegen Y. (Berufung) Regeste

    Zulässigkeit der Feststellungsklage nach Art. 85a SchKG.

    Als «Notbehelf» kann die Feststellungsklage des Art. 85a SchKG erst
nach rechtskräftiger Beseitigung des Rechtsvorschlages bis zur Verteilung
des Verwertungserlöses bzw. Konkurseröffnung angehoben werden.

Sachverhalt

    A.- Z. betrieb Y. für den Betrag von Fr. 1'300'000.--. Nachdem der
diesbezügliche Zahlungsbefehl des Betreibungsamtes Thalwil vom 5. März
1997 dem Schuldner zugestellt worden war, erhob dieser Rechtsvorschlag und
reichte am 19. März 1997 beim Bezirksgericht Horgen gestützt auf Art. 85a
SchKG Klage auf Feststellung ein, dass die in Betreibung gesetzte Forderung
nicht bestehe und die Betreibung ohne Schuldgrund angehoben worden sei.

    B.- Am 17. Juli 1997 verfügte der Einzelrichter im beschleunigten
Verfahren des Bezirksgerichtes Horgen, dass auf die Klage eingetreten und
das Verfahren nicht sistiert werde; auf die von der Beklagten im gleichen
Verfahren eingereichte Widerklage trat er hingegen nicht ein.

    Die Beklagte gelangte in der Folge an das Obergericht des Kantons
Zürich, das den Einzelrichter mit Beschluss vom 9. Dezember 1997 anwies,
auf die Widerklage einzutreten, im Übrigen aber dem Rekurs nicht stattgab.

    C.- Dagegen hat die Beklagte beim Bundesgericht Berufung
eingereicht. Damit beantragt sie im Wesentlichen, auf die Klage sei
nicht einzutreten. Der Kläger schliesst auf Abweisung der Berufung. Das
Bundesgericht heisst die Berufung gut, hebt das angefochtene Urteil im
beantragten Umfang auf und tritt auf die Klage nicht ein.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das Bundesgericht hat sich bisher noch nicht dazu geäussert,
ob die Feststellungsklage gemäss Art. 85a SchKG angehoben werden kann,
solange der vom Schuldner rechtzeitig erhobene Rechtsvorschlag noch nicht
rechtskräftig beseitigt worden ist.

    a) Es entspricht einer Besonderheit des schweizerischen
Vollstreckungsrechts, dass der Gläubiger eine Betreibung einleiten kann,
ohne den Bestand seiner Forderung nachweisen zu müssen. Der Zahlungsbefehl
als Grundlage des Vollstreckungsverfahrens kann grundsätzlich gegenüber
jedermann erwirkt werden, unabhängig davon, ob tatsächlich eine Schuld
besteht oder nicht (BGE 101 III 9 E. 3 S. 13; 113 III 2 E. 2b S. 3). In
der auf Geldzahlung gerichteten Zwangsvollstreckung gemäss Art. 38
Abs. 1 SchKG bildet denn auch weder die Forderung selbst noch der sie
allenfalls verkörpernde Titel den Vollstreckungstitel, sondern einzig der
in Rechtskraft erwachsene Zahlungsbefehl (BGE 113 III 2 E. 2b S. 3). Der
Schuldner hat daher gegen diesen etwas zu unternehmen, wenn er sich dem
weiteren Vollstreckungsverfahren widersetzen will. Unterlässt er den
Rechtsvorschlag oder ersucht er nicht mit Erfolg um Wiederherstellung der
Frist nach verpasstem Rechtsvorschlag (Art. 33 Abs. 4 SchKG), so läuft
er Gefahr, dass sein Vermögen gepfändet und anschliessend verwertet wird,
auch wenn die Forderung nicht mehr besteht oder gar nie bestanden hat.

    b) Vor der Revision vom 16. Dezember 1994 räumte das SchKG dem
Betriebenen in der beschriebenen Situation zwei Mittel ein, um sich gegen
Pfändung oder Konkurs zur Wehr zu setzen. Diese Rechtsbehelfe haben durch
die Revision des SchKG inhaltlich keine Änderung erfahren.

    aa) Der Schuldner verfügt einmal über die auf richterliche Aufhebung
oder Einstellung der Betreibung lautende Klage. In diesem Verfahren hat
der Betriebene allerdings den strikten Urkundenbeweis für die Tilgung
seiner Schuld zu erbringen (JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, Bundesgesetz
über Schuldbetreibung und Konkurs, 4. Aufl. Zürich 1997, N. 2 zu Art. 85
SchKG; RUEDIN, SJK Nr. 980 S. 4 Ziff. 3.2 mit Hinweisen). Sodann handelt es
sich um ein gerichtliches Zwischenverfahren in der Betreibung, wobei dem
gestützt auf Art. 85 SchKG ergangenen Entscheid in Bezug auf den Bestand
der strittigen Forderung keine materielle Rechtskraft zukommt (RUEDIN,
aaO, S. 2 Ziff. 2; AMONN/GASSER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und
Konkursrechts, 6. Aufl. Bern 1997, § 20 N. 11).

    bb) Ferner steht dem Schuldner die Rückforderungsklage gemäss Art. 86
SchKG offen, die jedoch die «Bezahlung» der Schuld durch den Betriebenen
voraussetzt (BGE 98 II 150 E. 1 S. 156/157; nach BRAND, SJK Nr. 981 S. 5
Ziff. 3 soll diese Klage bereits nach erfolgter Teilzahlung zulässig sein;
zur ratio legis der Klage: BGE 21, 717 E. 6 S. 724). Um sich vor der
Zahlungsunfähigkeit des Betreibenden zu schützen, kann der Betriebene
zwar den an das Betreibungsamt bezahlten Betrag zur Sicherung seines
betreibungsrechtlichen Rückforderungsanspruches mit Arrest belegen lassen
(BGE 58 III 32; 90 II 108 E. 5 S. 117, bestätigt in BGE 120 III 159 E. 3b
und 4b); diese Möglichkeit dürfte aber in der Regel lediglich dann von
Bedeutung sein, wenn der Gläubiger im Ausland wohnt (Art. 271 Abs. 1 Ziff.
4 SchKG).

    c) Mit der Klage des Art. 85a SchKG hat die Revision einen
zusätzlichen Rechtsbehelf geschaffen, mit dem der Schuldner durch den
Richter feststellen lassen kann, dass die Schuld nicht oder nicht mehr
besteht oder gestundet ist. Diese Klage weist eine Doppelnatur auf. Wie
die Aberkennungsklage bezweckt sie einerseits als materiellrechtliche
Klage die Feststellung der Nichtschuld bzw. der Stundung (Art. 85a Abs. 1
SchKG); anderseits hat sie aber, wie das Verfahren nach Art. 85 SchKG, auch
betreibungsrechtliche Wirkung, indem der Richter mit ihrer Gutheissung
die Betreibung einstellt oder aufhebt (BBl 1991 III 70; AMONN/GASSER,
aaO, § 20 N. 15 S. 140).

    Aus der Botschaft des Bundesrates über die Änderung des Bundesgesetzes
über Schuldbetreibung und Konkurs ergibt sich klar, welche Ziele mit
der Einführung dieser Bestimmung verfolgt worden sind: «Die Vorschrift
ist neu und soll korrigieren, was von den Betroffenen oftmals als
unverhältnismässige Härte empfunden wird und auch materiellrechtlich nicht
befriedigt. Denn nach den heutigen Bestimmungen nimmt eine Betreibung
auch dann ihren Lauf, wenn sie aufgrund einer nicht bestehenden oder
nicht fälligen Forderung eingeleitet worden ist, der Betriebene
es aber unterlassen hat, sich rechtzeitig zu verteidigen. Kann er
nämlich mangels entschuldbarer Säumnis weder die Rechtswohltat des
nachträglichen Rechtsvorschlages erlangen, noch - mangels entsprechender
Urkunden - mit Erfolg die rein betreibungsrechtliche Aufhebungsklage
des Artikels 85 SchKG anstrengen, bleibt ihm nichts anderes übrig,
als eine Nichtschuld oder vor Fälligkeit zu bezahlen, will er der
Vollstreckung in sein Vermögen entgehen. Erst danach kann er versuchen,
das zu Unrecht Bezahlte zurückzufordern. Dabei trägt er das Risiko,
dass der Betreibende unterdessen selbst zahlungsunfähig geworden ist. So
kann es nach geltendem Recht vorkommen, dass das Verfahrensrecht die
Verwirklichung des materiellen Rechts vereitelt. Daher ist angebracht,
dem Betriebenen ein zusätzliches Verteidigungsmittel in die Hand zu geben.»
(BBl 1991 III S. 69) Entsprechendes war bereits von der Expertenkommission
für die Gesamtüberprüfung des SchKG vorgeschlagen worden (Art. 85 Abs. 2
VE/SchKG; Bericht zum Vorentwurf des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung
und Konkurs, S. 38). Die in der Botschaft vertretene Auffassung ist denn
auch vom Parlament übernommen worden (vgl. AB 1993 N 19 ff; 1994 N 1414
f und 2121; AB 1993 S. 645 ff; 1994 S. 1092 f.).

    Der Gesetzgeber wollte mithin dem Betriebenen, der den
Rechtsvorschlag unterlassen hat, die Wiederherstellung der Frist
zur Erhebung des Rechtsvorschlages nicht verlangen und die Tilgung
der Schuld nicht durch Urkunden beweisen kann, als «Notbehelf» ein
zusätzliches Verteidigungsmittel zur Verfügung stellen, um ihm so den
Weg der Rückforderungsklage zu ersparen. Die neu geschaffene Klage soll
mit anderen Worten offen stehen, wenn der Zahlungsbefehl rechtskräftig
geworden ist (AMONN/GASSER, aaO, § 20 N. 16). Mit der Absicht des
Gesetzgebers und der Systematik des Gesetzes in Einklang steht daher die
Meinung von JAEGER/ WALDER/KULL/KOTTMANN, wonach die Feststellungsklage des
Art. 85a SchKG mangels Interesses nicht zulässig ist, wenn der Betriebene
bereits rechtzeitig Rechtsvorschlag erhoben hat (N. 7 zu Art. 85a SchKG;
gleicher Auffassung: WEINBERG, Richterliche Aufhebung oder Einstellung
der Betreibung im Verfahren nach Art. 85 SchKG, Diss. ZH 1990, S. 126
ff.; SIEGEN/BUSCHOR, Vom alten zum neuen SchKG, Zürich 1997, S. 55; KREN
KOSTKIEWICZ, Gerichtsstände im revidierten SchKG, AJP 1996, S. 1363 Ziff.
6; anderer Meinung: BRÖNNIMANN, Neuerungen bei ausgewählten Klagen des
SchKG, ZSR 115/1996 I S. 217; derselbe, Zur Klage nach Art. 85a SchKG,
AJP 1996 S. 1397 Fn. 29). Indem das Gesetz in Art. 85a Abs. 2 in fine
SchKG ausdrücklich die vorläufige Einstellung der Betreibung vorsieht,
geht es davon aus, dass der Zahlungsbefehl rechtskräftig ist; solange
nämlich der Rechtsvorschlag noch nicht definitiv beseitigt wurde,
bleibt die Betreibung von Gesetzes wegen eingestellt (Art. 78 Abs. 1
SchKG). Der im Gesetz verwendete Begriff «jederzeit» ist somit dahin
zu verstehen, dass die Feststellungsklage des Art. 85a SchKG erst nach
rechtskräftiger Beseitigung des Rechtsvorschlages bis zur Verteilung des
Verwertungserlöses bzw. Konkurseröffnung angehoben werden kann.

    d) Nun vertreten einige Autoren die Ansicht, der Betriebene habe auch
nach erhobenem Rechtsvorschlag ein Interesse an der Klage, welches darin
bestehe, das Einsichtsrecht Dritter in die Betreibung auszuschliessen
(Art. 8a SchKG; GASSER, Revidiertes SchKG - Hinweise auf kritische
Punkte, ZBJV 132/1996, S. 640; derselbe, Ein Jahr revidiertes SchKG oder:
Erst die Praxis bringt es an den Tag, in: Der Schweizer Treuhänder 1998,
S. 16 Ziff. 2.1 und Fn. 12; BODMER, in: Kommentar zum Bundesgesetz über
Schuldbetreibung und Konkurs, SchKG I, Basel 1998, N. 14 zu Art. 85a
SchKG). Anderer Meinung sind JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN (aaO, N. 7 in
fine zu Art. 85a SchKG).

    Die Botschaft enthält in den Erläuterungen zu Art. 85a SchKG keinen
Verweis auf Art. 8a SchKG, um daraus ein vom Nichtbestand der Schuld
unabhängiges, eigenes Interesse des Schuldners an der Klage herzuleiten
(BBl 1991 III 79-82). Im Rahmen der parlamentarischen Beratung wurde der
Bezug zu Art. 8a SchKG zwar durch Ständerat Gadient hergestellt (AB 1993
S. 646), doch wurde dieser Gedanke in der Folge im Rat nicht vertieft
diskutiert, so dass sich aus diesem vereinzelten Votum für die Lösung der
Frage nichts gewinnen lässt. Es genügt somit, darauf hinzuweisen, dass dem
Betriebenen auch nach der Einführung des Art. 85a SchKG die allgemeine
Klage auf Feststellung des Nichtbestehens der in Betreibung gesetzten
Forderung offen steht (BGE 120 II 20). Sofern sich aus dem Urteil über
diese Klage das Unrecht der Betreibung ergibt, führt dies zur Verweigerung
der Kenntnisgabe der Betreibung an Dritte (Art. 8a Abs. 3 lit. a SchKG),
womit kein Grund besteht, dem Betriebenen auch noch die Feststellungsklage
nach Art. 85a SchKG zur Verfügung zu stellen. Auch im Lichte des Art. 8a
SchKG rechtfertigt es sich somit, deren Anwendungsbereich auf den Schutz
des Schuldners zu reduzieren, gegen den Vollstreckungsmassnahmen möglich
sind; das ist jedoch nach Erhebung des Rechtsvorschlages nicht der Fall.