Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 125 III 120



125 III 120

23. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 19. Januar 1999 i.S. Z.
gegen B.G. und U.G. (Berufung) Regeste

    Hinterlegung von Mietzinsen; ausserordentliche Kündigung wegen
Zahlungsverzugs des Mieters (Art. 257d OR und Art. 259g OR).

    Materielle Hinterlegungsvoraussetzungen: Geht der Mieter bei der
Hinterlegung gutgläubig davon aus, es liege ein Mangel der Mietsache vor,
den er weder zu vertreten noch zu beseitigen hat, gelten die Mietzinse
als bezahlt, und eine ausserordentliche Kündigung nach Art. 257d OR
ist ungültig.

Sachverhalt

    Am 19. Juni 1995 unterzeichneten U.G. und B.G. (Beklagte) einen
auf zehn Jahre befristeten Mietvertrag über eine 4-Zimmer-Wohnung der
zwischenzeitlich verstorbenen A. in Kaiserstuhl. Sie wohnten indessen
bereits seit November 1993 in der Liegenschaft. Diese erwarb Z. (Kläger)
am 29. Januar 1997 von der Erbengemeinschaft der A. In der Folge
kam es zu Unstimmigkeiten über die Nutzung von Keller, Estrich und
Garten. Ausserdem entfernte der Kläger gegen den Willen der Beklagten
deren Parabolantenne, welche an einem zur Liegenschaft gehörenden Schuppen
angebracht war. Im Juli 1997 leitete er ein Schlichtungsverfahren zur
«Durchsetzung der Bestimmungen des Mietvertrags und der Hausordnung»
ein. Als keine Einigung gefunden werden konnte, ersuchte der Kläger
das Gerichtspräsidium Zurzach um Feststellung der Rechte und Pflichten
der Beklagten. Diese hatten ihrerseits zuvor den Mietzins für den Monat
Oktober hinterlegt und entsprechend ein weiteres Schlichtungsverfahren
eingeleitet. Der Kläger hielt die Hinterlegung für ungerechtfertigt und
kündigte das Mietverhältnis am 13. November 1997 wegen Zahlungsverzugs auf
den 31. Dezember 1997. Die Beklagten fochten die Kündigung am 12. Dezember
1997 bei der Schlichtungsbehörde an.

    Darauf beantragte der Kläger dem Gerichtspräsidium Zurzach
festzustellen, dass die Mietsache keine Mängel aufweise und der Mietvertrag
rechtmässig aufgelöst worden sei. Ausserdem verlangte er die Ausweisung
der Beklagten. Das Gerichtspräsidium hiess die Klage am 16. Februar
1998 gut und wies die Beklagten an, die Liegenschaft zu verlassen. Auf
deren kantonale Beschwerde hin hob das Obergericht des Kantons Aargau
den erstinstanzlichen Entscheid am 1. Juli 1998 auf.

    Das Bundesgericht weist die vom Kläger dagegen erhobene eidgenössische
Berufung ab,

Auszug aus den Erwägungen:

                    aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Unbestritten ist, dass die Beklagten den formellen Anforderungen
an die Hinterlegung des Mietzinses entsprochen haben (Aufforderung zur
Mangelbehebung, Hinterlegungsandrohung und -anzeige; Art. 259g Abs. 1 OR).
Zu prüfen bleibt, welche materiellen Hinterlegungsvoraussetzungen ein
Mieter erfüllen muss, um den Zahlungsverzug und damit das Risiko einer
Kündigung nach Art. 257d OR zu verhindern.

    a) Die Hinterlegung ist als liberatorisches Rechtsgeschäft
grundsätzlich nur dann Erfüllungssurrogat, wenn objektiv ein
Hinterlegungsgrund vorliegt; andernfalls hindert sie den Schuldnerverzug
nicht (WEBER, Berner Kommentar, N. 140 zu Art. 92 OR). Nur die berechtigte
Hinterlegung bewirkt Erfüllung der Schuldpflicht.

    b) Im Mietrecht wird dieser Grundsatz in einem Teil der Lehre
differenziert gehandhabt und der Verzug sowie die Möglichkeit einer
wirksamen Verzugskündigung bei rechtzeitiger Hinterlegung des Mietzinses
nur unter besonderen Umständen bejaht (WEBER/ ZIHLMANN, Basler Kommentar,
N. 14 zu Art. 259g OR). Die ausserordentliche Kündigung soll unzulässig
oder jedenfalls unwirksam sein, wenn der Mieter in guten Treuen vom Bestand
eines Mangels ausging und ausgehen durfte (LACHAT, Die Hinterlegung des
Mietzinses, mp 1993 S. 14; TERRAPON, Les défauts de la chose louée et
la consignation du loyer, 8e séminaire sur le droit du bail, Neuchâtel
1994, S. 8 f.), zulässig dagegen, wenn die Hinterlegung offensichtlich
missbräuchlich erfolgte, weil augenscheinlich kein Mangel bestand (HIGI,
Zürcher Kommentar, N. 18 zu Art. 257d OR).

    Andere Autoren halten demgegenüber auch im Mietrecht am Grundsatz fest,
dass nur die sachlich gerechtfertigte Hinterlegung die Zahlungsfiktion
(Art. 259g Abs. 2 OR) bewirkt, mithin der hinterlegende Mieter das Risiko
der Wirksamkeit einer Verzugskündigung trägt, wenn im nachfolgenden
gerichtlichen Verfahren (Art. 259h Abs. 1 OR) ein Mangel verneint wird
(SVIT-Kommentar Mietrecht, N. 25 zu Art. 259g OR; MARTIN ZÜST, Die
Mängelrechte des Mieters von Wohn- und Geschäftsräumen, Diss. St. Gallen
1992, S. 304 Rz. 518; RENATE WEY, La consignation du loyer, Diss. Lausanne
1995, S. 109 Rz. 458).

    Dieser Betrachtungsweise ist nicht beizupflichten. Die Hinterlegung
dient der Verwirklichung des Anspruchs auf Mängelbeseitigung. Sie soll
dem Mieter ein Druckmittel zur Durchsetzung seines Beseitigungsanspruchs
in die Hand geben (BGE 124 III 201 E. 2d S. 203). Die Interessen des
Vermieters werden dadurch gewahrt, dass der Mieter innert 30 Tagen seine
Ansprüche bei der Schlichtungsbehörde geltend machen muss, ansonsten die
hinterlegte Summe dem Vermieter verfällt (Art. 259h Abs. 1 OR). Ausserdem
kann dieser nach erfolgter Hinterlegungsanzeige seitens des Mieters
jederzeit bei der Schlichtungsbehörde die Herausgabe der zu Unrecht
hinterlegten Mietzinse verlangen (Art. 259h Abs. 2 OR). Daher lässt
sich rechtfertigen, den Mieter das Risiko der materiell unberechtigten
Hinterlegung nur bei Bösglaubigkeit, d.h. bei treuwidrigem Vorgehen tragen
zu lassen. Geht er bei der Hinterlegung indessen gutgläubig davon aus,
es liege ein Mangel vor, den er weder zu vertreten noch zu beseitigen hat,
gelten die Mietzinse als bezahlt.

Erwägung 3

    3.- Mit der Vorinstanz ist ein treuwidriges Vorgehen der Beklagten
zu verneinen. Insbesondere geht aus dem angefochtenen Urteil hervor,
dass ihnen die ursprüngliche Vermieterin Nutzungsbefugnisse über
Estrich, Keller und Garten eingeräumt hatte, die nicht im schriftlichen
Mietvertrag geregelt waren. Wie weit diese Nutzungsbefugnisse durch
eine Vereinbarung zwischen den Parteien wieder beschränkt wurden, lässt
sich den Feststellungen im angefochtenen Urteil nicht mit hinreichender
Genauigkeit entnehmen. Wurden den Beklagten Nutzungsbefugnisse vorenthalten
oder entzogen, die sie in guten Treuen für weiterbestehend hielten,
kann ihnen nicht entgegengehalten werden, sie hätten darin treuwidrig
einen Mangel der Mietsache erblickt. Das gilt auch für die Entfernung
der Parabolantenne. So sprachen sich die Beklagten in der Erklärung vom
29. Januar 1997, worin sie auf die Nutzung des Schuppens verzichteten,
nicht explizit über das Schicksal dieser Installation aus. Jedenfalls
ist vertrauenstheoretisch unklar, ob nur die Raumnutzung oder auch die
Weiterbenutzung der das Innere des Schuppens nicht beeinträchtigenden bzw.
letztlich ihren Wohn- und nicht Lagerbedürfnissen dienenden Antenne gemeint
war. Angesichts dessen erscheint der Standpunkt der Beklagten vertretbar,
ihnen stehe das Recht, die Parabolantenne an dem Schuppen zu belassen,
auch noch nach dem Verzicht auf dessen sonstige Nutzung zu. Unter diesen
Umständen ist der Vorinstanz beizupflichten, dass die ausserordentliche
Kündigung infolge gültiger Hinterlegung nicht gerechtfertigt war.