Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 124 V 62



124 V 62

9. Auszug aus dem Urteil vom 19. Januar 1998 i.S. M. gegen
Arbeitslosenkasse der Gewerkschaft Bau & Industrie GBI und Kantonale
Schiedskommission für Arbeitslosenversicherung Basel-Stadt Regeste

    Art. 30 Abs. 1 lit. a, Art. 16 Abs. 2 AVIG (in der seit 1.  Januar 1996
geltenden Fassung): Unzumutbare Arbeit. Nach Art. 16 Abs. 2 lit. a AVIG
ist eine Arbeit unzumutbar, wenn der Lohn nicht berufs- und ortsüblich
ist und insbesondere den gesamt- und normalarbeitsvertraglichen Ansätzen
nicht entspricht. Die Unzumutbarkeitstatbestände von Art. 16 Abs. 2 lit. a
bis i AVIG müssen kumulativ ausgeschlossen sein, damit eine Arbeit als
zumutbar qualifiziert werden kann.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Die kantonale Schiedskommission hat die Einstellung in der
Anspruchsberechtigung im wesentlichen mit der Begründung bestätigt,
der Beschwerdeführer sei verpflichtet gewesen, die zumutbare Offerte
der E. AG anzunehmen. Den Einwand, sein Basis-Stundenlohn wäre unter dem
Mindestlohn gemäss regionalem Gesamtarbeitsvertrag Bauhauptgewerbe für den
Kanton Basel-Stadt (Fr. 19.60) gelegen, hat die Vorinstanz mit dem Hinweis,
sollte der vereinbarte Lohn unter der Zumutbarkeitsgrenze von 70% liegen,
so werde dieser als Zwischenverdienst angerechnet und die Differenz zum
Taggeldanspruch als Kompensationsleistung ausgeglichen (Art. 16 Abs. 2
lit. i AVIG, in der bis 31. Dezember 1996 gültig gewesenen Fassung),
nicht näher abgeklärt und geprüft.

    b) In Art. 16 Abs. 1 AVIG in der seit 1. Januar 1996 in Kraft
stehenden und damit vorliegend anwendbaren Fassung (vgl. BGE 122
V 35 Erw. 1) hat der Gesetzgeber ausdrücklich festgelegt, dass der
Versicherte zur Schadensminderung grundsätzlich jede Arbeit unverzüglich
annehmen muss. Diese Regel gilt nicht absolut, da in Art. 16 Abs. 2 AVIG
verschiedene Ausnahmen stipuliert werden (lit. a - i). Galt bisher eine
Arbeit nur als zumutbar, wenn sie eine Reihe von Kriterien erfüllte,
so wird nunmehr die Definition umgekehrt: Jede Arbeit ist grundsätzlich
zumutbar; die Ausnahmen werden abschliessend geregelt (Botschaft des
Bundesrates zur zweiten Teilrevision des AVIG vom 29. November 1993;
BBl 1994 I 357). Aufgrund der gewählten Systematik ist bei der Auslegung
von Art. 16 Abs. 2 AVIG davon auszugehen, dass eine Unzumutbarkeit dann
vorliegt, wenn einer der in lit. a - i dieser Bestimmung angeführten
Tatbestände gegeben ist. Diese Unzumutbarkeitstatbestände müssen also
kumulativ ausgeschlossen werden können, damit eine zumutbare Arbeit
angenommen werden kann. Ist umgekehrt einer der in Art. 16 Abs. 1 lit. a -
i AVIG aufgezählten Tatbestände erfüllt, liegt keine zumutbare Arbeit vor,
selbst wenn die anderen Ausnahmetatbestände ausscheiden.

    Es kann somit unter dem Gesichtswinkel von Art. 16 Abs. 2 AVIG nicht
davon gesprochen werden, dass ein Versicherter verpflichtet ist, jede
Arbeit anzunehmen, wenn die lohnmässigen Voraussetzungen vor Art. 16 Abs. 2
lit. i AVIG standhalten. Selbst wenn kein Unzumutbarkeitstatbestand im
Sinne dieser Bestimmung vorliegt, muss ein Versicherter eine angebotene
Arbeit nicht annehmen, wenn diese aus einem anderen der in lit. a -
h von Art. 16 Abs. 2 AVIG angeführten Gründe unzumutbar ist.

    c) Im vorliegenden Fall beruft sich der Beschwerdeführer auf die
Unzumutbarkeitsbestimmung des Art. 16 Abs. 2 lit. a AVIG, wonach eine
Arbeit, die den berufs- und ortsüblichen, insbesondere den gesamt- oder
normalarbeitsvertraglichen Bedingungen nicht entspricht, unzumutbar und
somit von der Annahmepflicht ausgenommen ist. Ob der vom Beschwerdeführer
bemängelte Lohn für einen Bauarbeiter in der Region Basel-Stadt berufs- und
ortsüblich ist und dem einschlägigen Gesamtarbeitsvertrag entspricht, lässt
sich anhand der Akten nicht beurteilen. Weder Verwaltung noch Vorinstanz
sind dieser für die Erledigung der Streitsache wesentlichen Frage
nachgegangen. Insbesondere findet sich bei den Akten kein Arbeitsvertrag,
der das Angebot einer neuen Stelle bestätigen würde. Ebenso fehlen
irgendwelche konkreten Angaben über den dabei angebotenen Lohn. Der
rechtserhebliche Sachverhalt ist somit ungenügend ermittelt. Die Sache
ist deshalb an die Arbeitslosenkasse zurückzuweisen, welche die nötigen
Abklärungen treffen wird. Sollten diese ergeben, dass die Behauptungen
des Beschwerdeführers zutreffen und ihm ein Lohn angeboten wurde, der
nicht den gesamtarbeitsvertraglichen Bedingungen entsprach, wäre die
Stelle unzumutbar und er von der Annahmepflicht befreit gewesen, womit
eine Einstellung in der Anspruchsberechtigung selbstredend entfiele.