Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 124 V 386



124 V 386

66. Auszug aus dem Urteil vom 18. August 1998 i.S. K. gegen Kantonales
Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit, Schwyz und Verwaltungsgericht des
Kantons Schwyz Regeste

    Art. 81 Abs. 2 AVIG. Die kantonale Amtsstelle ist im
Zweifelsfallverfahren auch für die Überprüfung laufender Leistungsansprüche
zuständig (Änderung der Rechtsprechung von ARV 1953 Nr. 32 S. 31).

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- a) Nach Art. 81 Abs. 2 lit. a AVIG unterbreitet die Kasse
einen Fall der kantonalen Amtsstelle zum Entscheid, wenn Zweifel
darüber bestehen, ob der Versicherte anspruchsberechtigt ist. Dieses
Zweifelsfallverfahren findet nach der Rechtsprechung (ARV 1953 Nr. 32
S. 31) nur dann Anwendung, wenn noch keine Leistungen ausgerichtet worden
sind. Hat der Versicherte hingegen bereits Arbeitslosenentschädigungen
empfangen, liegt es nach Art. 95 AVIG in der Kompetenz der Kasse, die zu
Unrecht erbrachten Betreffnisse zurückzufordern (STAUFFER, Rechtsprechung
des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Bundesgesetz über die
obligatorische Arbeitslosenversicherung und Insolvenzentschädigung, letzter
Absatz von Art. 81). Vorliegend hat die Kasse das Zweifelsfallverfahren
erst eingeleitet, nachdem sie bereits Leistungen ausgerichtet hatte und der
Leistungsanspruch des Versicherten weiterhin lief. Zumindest hinsichtlich
der bereits ausbezahlten Taggelder und Kurskosten hat sie somit dieser
Rechtsprechung nicht nachgelebt, als sie dennoch ein Zweifelsfallverfahren
eröffnete. Indessen stellt sich die Frage, ob an der Praxis gemäss ARV
1953 Nr. 32 S. 31 festzuhalten ist.

    b) In der (vom Eidg. Versicherungsgericht im vorliegenden Verfahren
eingeholten) Auskunft vom 22. Mai 1998 bestätigt das BWA, dass die auf
der erwähnten Rechtsprechung beruhende Konzeption einer Beschränkung des
Zweifelsfallverfahrens auf noch nicht zur Auszahlung gelangte Taggelder
der heutigen Verwaltungspraxis in den Kantonen nicht mehr entspreche. Es
könnten nämlich während der gesamten Dauer des Leistungsbezugs Zweifel an
der Anspruchsberechtigung eines Versicherten auftauchen. Oftmals erhielten
die Kassen während des laufenden Leistungsbezugs neue Informationen, welche
den vormals gefällten bejahenden (oder auch verneinenden) Entscheid über
die Bezugsberechtigung als falsch erscheinen liessen. So würden bei der
Anmeldung oft nicht alle notwendigen Dokumente vorgelegt. Zudem könne ein
Arbeitsloser während des Bezugs umdisponieren, ohne dies der Verwaltung
zu melden. Es sei notwendig, die Bezugsberechtigung monatlich neu zu
überprüfen, da die in der Anfangsdeklaration gemachten Angaben nicht
statisch und von Dauer sein müssten. Die Kantone seien daher schon vor
längerer Zeit dazu übergegangen, ein Zweifelsfallverfahren auch bei bereits
laufendem Leistungsbezug durchzuführen. Es sei erwünscht, dass das Eidg.
Versicherungsgericht seine Rechtsprechung dieser kantonalen Praxis anpasse.
Eine Mehrbelastung der Verwaltung ergebe sich daraus nicht.

    c) Sprechen keine entscheidenden Gründe zugunsten einer Praxisänderung,
ist die bisherige Praxis beizubehalten. Gegenüber dem Postulat der
Rechtssicherheit lässt sich eine Praxisänderung grundsätzlich nur
begründen, wenn die neue Lösung besserer Erkenntnis der ratio legis,
veränderten äusseren Verhältnissen oder gewandelten Rechtsanschauungen
entspricht (BGE 123 V 157 Erw. 3b, 122 V 129 Erw. 4, 121 V 85 f. Erw. 6a,
92 Erw. 5b, 119 V 260 Erw. 4a). Nach der Rechtsprechung ist eine
bisherige Praxis zu ändern, wenn sie als unrichtig erkannt oder wenn
deren Verschärfung wegen veränderter Verhältnisse oder zufolge zunehmender
Missbräuche für zweckmässig gehalten wird (BGE 123 V 157 Erw. 3b, 121 V
86 Erw. 6a, 119 V 260 f. Erw. 4a).

    d) Vorliegend sind ausreichend gewichtige Gründe für eine Änderung der
bisherigen Praxis gemäss ARV 1953 Nr. 32 S. 31 gegeben. Die Beschränkung
des Zweifelsfallverfahrens auf noch nicht ausgerichtete Leistungen vermag
der Vielfalt der im Verwaltungsalltag vorkommenden Sachverhalte nicht
gerecht zu werden. In der Tat können auf vielerlei Weise auch erst im
Laufe eines Leistungsbezugs Zweifel an der Anspruchsberechtigung eines
Versicherten auftauchen, sei es, dass der Verwaltung für den Anspruch
relevante Informationen bisher vorenthalten wurden, sei es, dass der
Versicherte umdisponiert, ohne dies der Kasse zu melden. Eine jederzeitige
Überprüfung der Anspruchsberechtigung durch die kantonale Amtsstelle muss
daher möglich bleiben. Es erscheint somit sachgerecht, die Durchführung
eines Zweifelsfallverfahrens auch bei laufendem Leistungsbezug zuzulassen.
Es sind keine stichhaltigen Gründe ersichtlich, weshalb dieses Verfahren
nur auf Fälle beschränkt werden müsste, in welchen noch keine Leistungen
ausgerichtet wurden. Die kantonale Praxis hat es denn auch schon seit
längerer Zeit auf Fälle laufender Leistungen ausgedehnt, was sich
gemäss Auskunft des BWA bewährt zu haben scheint. In Änderung der
bisherigen Rechtsprechung gemäss ARV 1953 Nr. 32 S. 31 ist daher das
Zweifelsfallverfahren auch bei laufendem Leistungsbezug zulässig. Damit
ist die kantonale Amtsstelle auch in diesen Fällen zum Erlass einer
entsprechenden Verfügung zuständig.