Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 124 V 285



124 V 285

47. Urteil vom 13. Juli 1998 i.S. T. gegen Stiftung Auffangeinrichtung
BVG und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen Regeste

    Art. 73 Abs. 2 BVG: Mutwillige Prozessführung. Im Zusammenhang mit
Prämienstreitigkeiten im Bereich der beruflichen Vorsorge ist aufgrund
der besonderen Natur des Verfahrens bei der Beurteilung der Mutwilligkeit
nicht nur auf das Verhalten des Zahlungspflichtigen im gerichtlichen
Verfahren abzustellen, sondern auch dessen Verhalten im vorprozessualen
Stadium mitzuberücksichtigen.

Sachverhalt

    A.- T., welcher als Inhaber eines Carrosseriebetriebes Arbeitnehmer
beschäftigte, wurde durch rechtskräftige Verfügung vom 18. Januar 1994
der Stiftung Auffangeinrichtung BVG (nachfolgend: Auffangeinrichtung)
angeschlossen. Am 1. Dezember 1995 forderte ihn die Auffangeinrichtung
auf, ihr Fr. 1'173.80 zu bezahlen. Nachdem er dieser Aufforderung nicht
gefolgt war, wurde er am 3. Oktober 1996 gemahnt. In der anschliessenden
Betreibung erhob er Rechtsvorschlag.

    B.- Am 6. Dezember 1996 klagte die Auffangeinrichtung beim
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen gegen T. auf Bezahlung
von Fr. 1'493.80 nebst Zins zu 5% ab 3. Oktober 1996 auf dem Betrag
von Fr. 1'273.80. Das kantonale Gericht hiess die Klage mit Entscheid
vom 23. Mai 1997 gut, indem es T. verpflichtete, der Auffangeinrichtung
den Betrag von Fr. 1'273.80 zuzüglich Zins zu 5% von Fr. 1'173.80 ab
3. Oktober 1996 zu bezahlen; überdies überband es ihm die Gerichtskosten
von insgesamt 1'200 Franken und eine Prozessentschädigung zugunsten der
Auffangeinrichtung von 600 Franken.

    C.- T. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem sinngemässen
Antrag, der vorinstanzliche Entscheid sei bezüglich Gerichtskosten und
Prozessentschädigung aufzuheben; zudem ersucht er um Bewilligung der
unentgeltlichen Rechtspflege.

    Während sich die Auffangeinrichtung nicht vernehmen lässt, verzichten
das kantonale Gericht und das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine
Vernehmlassung.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Gemäss Art. 128 OG beurteilt das Eidg.
Versicherungsgericht letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden
gegen Verfügungen im Sinne von Art. 97, 98 lit. b-h und 98a OG auf
dem Gebiet der Sozialversicherung. Hinsichtlich des Begriffs der mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbaren Verfügungen verweist Art. 97 OG
auf Art. 5 VwVG. Nach Art. 5 Abs. 1 VwVG gelten als Verfügungen Anordnungen
der Behörden im Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes
stützen (und im übrigen noch weitere, nach dem Verfügungsgegenstand näher
umschriebene Voraussetzungen erfüllen).

    b) Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die
Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat
das Eidg. Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob der vorinstanzliche
Richter Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder
Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt
offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung
mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

Erwägung 2

    2.- In Anwendung von Art. 128 OG in Verbindung mit Art. 97 OG
und Art. 5 VwVG hat das Eidg. Versicherungsgericht erkannt, dass die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Entscheide, die sich auf kantonales
Verfahrensrecht stützen, nicht zulässig ist (BGE 112 V 110 Erw. 2c). Dies
ist namentlich bei Entscheiden der Fall, mit denen eine Partei in
Streitigkeiten - für welche die Bundesgesetzgebung keinen Anspruch auf
Parteientschädigung vorsieht - von der kantonalen Instanz zur Bezahlung
einer Entschädigung verpflichtet wird (SZS 1992 S. 296 Erw. 2a mit
Hinweisen). Auch im Bereich der beruflichen Vorsorge existiert keine
bundesrechtliche Regelung der Parteientschädigung. Art. 73 Abs. 2 BVG
verlangt lediglich im Sinne von Mindestanforderungen, denen das kantonale
richterliche Verfahren zu genügen hat, dass dieses einfach, schnell und in
der Regel kostenlos sein muss. Daraus hat das Eidg. Versicherungsgericht
abgeleitet, dass es - vorbehältlich einer hier nicht zutreffenden Ausnahme
(vgl. Art. 159 Abs. 6 OG) - nicht befugt ist, kantonale Entscheide in
BVG-Streitigkeiten bezüglich der Parteientschädigung zu überprüfen (BGE 118
V 238 Erw. 8a, 112 V 112; SZS 1992 S. 297 Erw. 2b; ZAK 1987 S. 384 Erw. 2b;
MARTIN WIRTHLIN, Zur letztinstanzlichen Überprüfung der Verlegung von
Verfahrenskosten und Parteientschädigungen im Sozialversicherungsprozess,
in: ZBJV 128/1992 S. 639 f.).

    Soweit sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die im
vorinstanzlichen Verfahren verlegte Parteientschädigung richtet, kann
somit darauf nicht eingetreten werden.

Erwägung 3

    3.- a) Mit Bezug auf die Verfahrenskosten sieht das Bundesgesetz
über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge -
im Gegensatz zu andern Erlassen im Bereich der Sozialversicherung
- die Möglichkeit eines Abgehens von der Regel des kostenfreien
kantonalen Prozesses (Art. 73 Abs. 2 BVG) nicht ausdrücklich vor. Wie
das Eidg. Versicherungsgericht in BGE 118 V 319 Erw. 3c erkannt hat,
rechtfertigt es sich indes, die Einschränkung der Kostenfreiheit im
Falle mutwilliger oder leichtsinniger Prozessführung als allgemeinen
prozessualen Grundsatz des Bundessozialversicherungsrechts anzuerkennen
(RÜEDI, Allgemeine Rechtsgrundsätze des Sozialversicherungsprozesses,
in: Walter R. Schluep [Hrsg.], Recht, Staat und Politik am Ende des
zweiten Jahrtausends, Festschrift zum 60. Geburtstag von Bundesrat
Arnold Koller, in: St. Galler Studien zum Privat-, Handels- und
Wirtschaftsrecht 34/1993, S. 466 ff.). Ein entsprechender kantonaler
Kostenentscheid beruht demnach nicht auf kantonalem Recht, sondern auf
Bundesrecht, weshalb er mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbar ist.
Das Eidg. Versicherungsgericht prüft dabei die grundsätzliche Frage, ob das
kantonale Gericht zu Recht auf Mutwilligkeit oder Leichtsinnigkeit erkannt
hat, mit umfassender Kognition. Soweit hingegen die dem kantonalen Recht
vorbehaltene Kostenbemessung angefochten wird, ist diese nur daraufhin zu
hinterfragen, ob die Anwendung der betreffenden kantonalen Bestimmungen
oder - bei Fehlen solcher Vorschriften - die Ermessensausübung durch das
kantonale Gericht zu einer Verletzung von Bundesrecht (Art. 104 lit. a OG)
geführt hat, wobei in diesem Bereich als Beschwerdegrund praktisch nur das
Willkürverbot des Art. 4 Abs. 1 BV verbleibt (BGE 118 V 319 Erw. 3c und d).

    b) Nach der Rechtsprechung kann leichtsinnige oder mutwillige
Prozessführung vorliegen, wenn die Partei ihre Stellungnahme auf
einen Sachverhalt abstützt, von dem sie weiss oder bei der ihr
zumutbaren Sorgfalt wissen müsste, dass er unrichtig ist. Mutwillige
Prozessführung kann unter anderem auch angenommen werden, wenn eine
Partei vor der Rekursbehörde an einer offensichtlich gesetzwidrigen
Auffassung festhält. Leichtsinnige oder mutwillige Prozessführung liegt
aber solange nicht vor, als es der Partei darum geht, einen bestimmten,
nicht als willkürlich erscheinenden Standpunkt durch den Richter beurteilen
zu lassen. Dies gilt auch dann, wenn der Richter die Partei im Laufe
des Verfahrens von der Unrichtigkeit ihres Standpunktes überzeugen und
zu einem entsprechenden Verhalten (Beschwerderückzug) veranlassen will
(BGE 112 V 334 Erw. 5a mit Hinweisen). Die Erhebung einer aussichtslosen
Beschwerde darf einer leichtsinnigen oder mutwilligen Beschwerdeführung
nicht gleichgesetzt werden. Das Merkmal der Aussichtslosigkeit für sich
allein lässt einen Prozess noch nicht als leichtsinnig oder mutwillig
erscheinen. Vielmehr bedarf es zusätzlich des subjektiven - tadelnswerten -
Elements, dass die Partei die Aussichtslosigkeit bei der ihr zumutbaren
vernunftgemässen Überlegung ohne weiteres erkennen konnte, den Prozess
aber trotzdem führt (AHI 1998 S. 189 Erw. 2c; SZS 1995 S. 386 Erw. 3a;
RKUV 1992 Nr. K 891 S. 73 Erw. 3a mit Hinweisen).

Erwägung 4

    4.- a) Aus den Akten ergibt sich, dass der Beschwerdeführer mit
Verfügung vom 18. Januar 1994 der Beschwerdegegnerin angeschlossen worden
ist. Diese machte mit Rechnung vom 1. Dezember 1995 eine Forderung von Fr.
1'173.80 für ausstehende Prämien und Verfügungsgebühren geltend. Diesen
Betrag mahnte sie mit Schreiben vom 3. Oktober 1996 unter Androhung,
dass bei Ausbleiben der Zahlung ohne weiteren Verzug der Rechtsweg
beschritten werde. Da der Beschwerdeführer keine Folge leistete,
leitete sie die Betreibung ein, worauf dieser Rechtsvorschlag erhob. Am
6. Dezember 1996 reichte die Beschwerdegegnerin beim kantonalen Gericht
Klage ein. Der Beschwerdeführer liess sich in diesem Verfahren trotz
Ansetzen einer Nachfrist und ausdrücklichem Hinweis auf die Säumnisfolgen
nicht vernehmen. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung sah die
Vorinstanz ab, nachdem er auf ein entsprechendes Schreiben vom 18. Februar
1997 ebenfalls nicht reagiert hatte. Am 23. Mai 1997 erliess diese sodann
den angefochtenen Entscheid.

    b) Mutwillige Prozessführung kann darin begründet liegen,
dass eine Partei eine ihr in dieser Eigenschaft obliegende Pflicht
(z.B. Mitwirkungs-, Unterlassungspflicht) verletzt (BGE 112 V 335
Erw. 5a). Das Verhalten des Beschwerdeführers im vorinstanzlichen Prozess
zeichnete sich im wesentlichen dadurch aus, dass er trotz Mahnung auf
eine Stellungnahme zu den Vorbringen in der Klageschrift verzichtet
hat. Dieses Verhalten allein vermag einen Vorwurf der Mutwilligkeit nicht
zu begründen. Mit Bezug auf Prämienstreitigkeiten in der beruflichen
Vorsorge gilt es indessen auf die besondere Natur des Verfahrens
hinzuweisen. In der in BGE 118 V 316 nicht veröffentlichten Erwägung 4b
führte das Eidg. Versicherungsgericht aus, beim (kantonalen) Prozess nach
Art. 73 BVG handle es sich um ein Klageverfahren (BGE 115 V 379 Erw. 3b,
114 V 244 Erw. 3d) mit der Folge, dass der nunmehrige Beschwerdeführer
nicht verfügungs-, sondern unmittelbar klageweise belangt wurde und er
sich auf das entsprechende Verfahren zwangsläufig einzulassen hatte. Wenn
er sich dabei untätig verhalte, möge sich dies zu seinem Nachteil auf
die materielle Beurteilung auswirken; doch könne einzig darin - wie im
Falle objektiv ungerechtfertigten Widerstandes - kein Grund zur Annahme
leichtsinnigen oder mutwilligen Prozessierens erblickt werden. Diese
Rechtsprechung bedarf insofern einer Präzisierung, als im Zusammenhang mit
Prämienstreitigkeiten das prozessuale Verhalten des Zahlungspflichtigen
nicht für sich allein, sondern in Verbindung mit seinem vorprozessualen
Verhalten zu würdigen und unter dem Gesichtswinkel der Mutwilligkeit
zu qualifizieren ist. Denn in Fällen wie dem vorliegenden geht es dem
Arbeitgeber nicht darum, einen richterlichen Entscheid zur Klärung der
Sach- und Rechtslage zu erhalten. Vielmehr zielt er darauf ab, die
Zahlungspflicht durch Passivität möglichst lange hinauszuschieben. Dies
wird ihm insofern erleichtert, als die Vorsorgeeinrichtungen
Beitragsstreitigkeiten nicht verfügungsweise regeln können, sondern für
die Rechtsverbindlichkeit ihrer Forderungen den Klageweg nach Art. 73 BVG
beschreiten müssen (BGE 119 V 296 Erw. 3, 115 V 224, 239, 375; SVR 1995
BVG Nr. 40 S. 118 Erw. 2b). Im Gegensatz zu den verfügungsberechtigten
Verwaltungsbehörden (BGE 109 V 46, 107 III 60; ZAK 1984 S. 190) können sie
daher auch nicht selber über die Aufhebung des Rechtsvorschlages befinden
(vgl. BGE 115 V 382 Erw. 5c). Dieser besonderen prozessualen Situation im
Bereich von Art. 73 BVG ist Rechnung zu tragen. Wer als Arbeitgeber oder
Versicherter Rechnungen und Mahnungen nicht beachtet, sich deswegen von der
Vorsorgeeinrichtung betreiben lässt, diese - bei materiell offensichtlich
unbegründetem Standpunkt - mittels Rechtsvorschlag zwingt, den Rechtsweg
zu beschreiten, in eben diesem selber veranlassten Prozess nichts von sich
hören lässt und somit nicht das geringste zur Klärung des Sachverhalts
beiträgt, handelt mutwillig. Eine solche Prozessverursachung verbunden
mit der durch Untätigkeit geprägten Haltung im Gerichtsverfahren, welche
insgesamt auf eine Verzögerungstaktik des Zahlungspflichtigen hinausläuft,
darf - ohne dass darin eine Bundesrechtswidrigkeit zu erblicken wäre -
durch Auferlegung von Gerichtskosten sanktioniert werden.

    c) Wenn die Vorinstanz das Verhalten des Beschwerdeführers, welcher
der Rechnungsstellung durch die Auffangeinrichtung keine Folge leistete,
in der anschliessenden Betreibung Rechtsvorschlag erhob und sich zudem
im dadurch veranlassten Gerichtsverfahren nicht vernehmen liess, als
mutwillig betrachtet und ihm deswegen Gerichtskosten auferlegt hat, lässt
sich dies aus bundesrechtlicher Sicht nicht beanstanden (vgl. SZS 1992
S. 295). Sämtliche Einwendungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
vermögen an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Insbesondere kann
der Beschwerdeführer seine Vorgehensweise nicht mit dem Einwand der
Zahlungsunfähigkeit rechtfertigen.

Erwägung 5

    5.- (Kosten; unentgeltliche Prozessführung)