Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 124 V 239



124 V 239

39. Urteil vom 16. März 1998 i.S. H. & Co. gegen Kantonale Amtsstelle
für Arbeitslosenversicherung, Basel, und Kantonale Schiedskommission für
Arbeitslosenversicherung Basel-Stadt Regeste

    Art. 43a lit. a AVIG: Nicht anrechenbarer Arbeitsausfall im Bereich
der Schlechtwetterentschädigung. Auslegung des in dieser Bestimmung
verwendeten Begriffs des "nur mittelbar auf das Wetter zurückzuführenden
Arbeitsausfalls (Kundenausfälle, Terminverzögerungen)".

Sachverhalt

    A.- Das Baugeschäft H. & Co. meldete der Kantonalen Amtsstelle
für Arbeitslosenversicherung Basel-Stadt am 1. März und 3. April 1996
hinsichtlich zweier Baustellen wetterbedingten Arbeitsausfall für den
ganzen Monat Februar sowie für die Tage vom 1., 6.-8. und 11.-15. März
1996. In diesen Zeiten habe der mineralische Fassadenabrieb wegen zu
tiefer Temperaturen nicht aufgezogen werden können. Mit Verfügungen
vom 15. April und 7. Mai 1996 erhob die kantonale Amtsstelle Einspruch
gegen die Auszahlung von Schlechtwetterentschädigung, weil der gemeldete
Arbeitsausfall nicht ausschliesslich wetterbedingt und somit nicht
anrechenbar sei.

    B.- Die Kantonale Schiedskommission für Arbeitslosenversicherung
Basel-Stadt wies die gegen beide Verwaltungsverfügungen eingereichte
Beschwerde mit Entscheid vom 19. September 1996 ab.

    C.- Die Firma H. & Co. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem
Antrag auf Aufhebung der vorinstanzlich bestätigten Einspruchsverfügungen.

    Während die kantonale Amtsstelle auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, lässt sich das Bundesamt für
Industrie, Gewerbe und Arbeit (ab 1. Januar 1998: Bundesamt für Wirtschaft
und Arbeit, nachfolgend: BWA) ohne Antragstellung vernehmen.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Arbeitnehmer in Erwerbszweigen, welche der Bundesrat in die
Liste gemäss Art. 65 Abs. 1 AVIV aufgenommen hat, haben Anspruch auf
Schlechtwetterentschädigung, wenn u.a. ein anrechenbarer Arbeitsausfall
entstanden ist (Art. 42 Abs. 1 lit. b AVIG). Der Arbeitsausfall ist
nach Art. 43 Abs. 1 AVIG dann anrechenbar, wenn er - nebst einer
weiteren Anspruchsvoraussetzung - ausschliesslich durch das Wetter
verursacht wird (lit. a) und die Fortführung der Arbeiten trotz genügender
Schutzvorkehrungen technisch unmöglich oder wirtschaftlich unvertretbar ist
oder den Arbeitnehmern nicht zugemutet werden kann (lit. b der genannten
Gesetzesbestimmung in der vorliegend anwendbaren, seit 1. Januar 1996
gültigen Fassung). Der Arbeitsausfall ist u.a. insbesondere dann nicht
anrechenbar, wenn er nur mittelbar auf das Wetter zurückzuführen ist
(Kundenausfälle, Terminverzögerungen; Art. 43a lit. a AVIG).

    Laut Art. 65 Abs. 1 lit. a AVIV gehören der Hoch- und Tiefbau zu
den Erwerbszweigen, in denen grundsätzlich Schlechtwetterentschädigung
ausgerichtet werden kann.

Erwägung 2

    2.- Die kantonale Amtsstelle und die Schiedskommission stellen sich auf
den Standpunkt, dass der geltend gemachte Arbeitsausfall bloss mittelbar
auf das Wetter zurückzuführen sei: Die beschwerdeführende Baufirma
habe ihren eigenen Angaben zufolge ursprünglich geplant gehabt, die in
Frage stehenden Fassadensanierungen rechtzeitig vor der zu erwartenden
Kälteperiode zu beendigen. Dass das Aufziehen des mineralischen Abriebs
wegen dringender Zusatzarbeiten auf beiden Baustellen nicht wie vorgesehen
noch vor Dezember 1995 zum Abschluss gebracht worden sei, sondern sich
auch auf die hier streitigen Monate Februar und März 1996 erstreckt habe,
stelle eine die Anrechenbarkeit des Arbeitsausfalls ausschliessende
Terminverzögerung im Sinne des angeführten Art. 43a lit. a AVIG dar.

    Überdies vertreten Verwaltung und Vorinstanz die Auffassung,
die Arbeitgeberfirma hätte mittels geeigneter Organisation vermeiden
müssen, dass die Ausführung der fraglichen Fassadenarbeiten in
die Wintermonate Februar und März fiel, weil die Temperaturen in
dieser Periode erfahrungsgemäss unter den Gefrierpunkt sänken. Im
streitigen Zeitraum seien denn auch für die entsprechende Saison
keineswegs aussergewöhnliche Temperaturwerte gemessen worden. Das von der
Beschwerdeführerin eingegangene Risiko, ihre Fassadenarbeiten vorübergehend
einstellen zu müssen, sei vorhersehbar gewesen und könne nicht auf die
Arbeitslosenversicherung abgewälzt werden.

Erwägung 3

    3.- Vorab stellt sich die Frage nach der Auslegung des in
Art. 43a lit. a AVIG verwendeten Begriffs des "nur mittelbar
auf das Wetter zurückzuführenden Arbeitsausfalls (Kundenausfälle,
Terminverzögerungen)" ("perte de travail imputable qu'indirectement aux
conditions météorologiques [perte de clientèle, retard dans l'exécution
des travaux]"; "perdita di lavoro riconducibile soltanto indirettamente
alle condizioni meteorologiche [perdita di clienti, ritardo nei termini]").

    a) In der bundesrätlichen Botschaft zu einer Teilrevision des AVIG
vom 23. August 1989 wurde im Hinblick auf den vorgeschlagenen neuen
Art. 43a ausgeführt, im Kapitel über die Kurzarbeitsentschädigung
würden die hauptsächlichen Fälle, in denen die Anrechenbarkeit
eines Arbeitsausfalls ausgeschlossen sei, in einem separaten Artikel
aufgezählt. Der Entwurf befolge nun diese Gesetzestechnik auch bei der
Schlechtwetterentschädigung, womit die Anschaulichkeit des Gesetzes
erhöht und sein Vollzug erleichtert werden könne. Was die hier in Frage
stehende lit. a von Art. 43a AVIG betrifft, wonach die lediglich mittelbar
wetterbedingten Arbeitsausfälle von der Schlechtwetterentschädigung
ausgeschlossen bleiben, ist der genannten Botschaft weiter zu entnehmen,
dass Arbeitsausfälle, bei denen nicht der Arbeitsvorgang als solcher,
sondern die Nachfrage beeinträchtigt werde, systematisch in den Bereich
der Kurzarbeitsentschädigung gehörten und dort entschädigt werden könnten,
sofern kein diesbezüglicher Ausschlusstatbestand (z.B. saisontypische
Ausfälle) vorliege (zum Ganzen BBl 1989 III 398).

    Daraus ergibt sich, dass die auszulegende
Nichtanrechenbarkeitsregelung, welche in der Fassung des bundesrätlichen
Entwurfs von den eidgenössischen Räten (wie bereits zuvor in deren
vorberatenden Kommissionen) diskussionslos angenommen (Amtl.Bull. 1990
S 77 und N 1450) und im Rahmen der Gesetzesnovelle vom 5. Oktober
1990 auf den 1. Januar 1992 in Kraft gesetzt wurde, der Abgrenzung
zwischen Schlechtwetterentschädigung und Kurzarbeitsentschädigung
dient. GERHARDS (Kommentar zum AVIG, Bd. III, N 23 zu Art. 43a) erblickt
in der Nichtanrechenbarkeit des Arbeitsausfalls für den Bereich der
Schlechtwetterentschädigung gemäss Art. 43a lit. a AVIG "gewissermassen
die logische Folge" der Schaffung der Möglichkeit, bloss mittelbar auf
das Wetter zurückzuführende Arbeitsausfälle - wenigstens in Härtefällen -
nach der neuen Regelung der Kurzarbeitsentschädigung (Art. 32 Abs. 3 AVIG,
Art. 51a AVIV) anzurechnen und unter diesem Titel zu entschädigen.

    b) Unter dem Blickwinkel dieser grundsätzlichen systematischen
Abgrenzungsfunktion von Art. 43a lit. a AVIG stehen zwei verschiedene
Arten von nur mittelbar wetterbedingten Arbeitsausfällen im Vordergrund:

    Zum einen geht es hier um diejenigen Fälle, bei denen wegen ungünstiger
Wetterverhältnisse die Nachfrage nach einer angebotenen Dienstleistung
oder einem zum Verkauf stehenden Produkt beeinträchtigt wird, was der
Gesetzgeber mit dem Begriff "Kundenausfälle" ("perte de clientèle",
"perdita di clienti") umschrieben hat. Als Beispiele anzuführen sind
etwa ein schneearmer Winter, welcher in Wintersportgebieten mannigfache
Arbeitsausfälle verursacht, oder verregnete Frühlings- und Sommermonate,
die den Vertreibern von Gartenmöbeln entsprechende Ausfälle bescheren.

    Zum andern umfasst die streitige Nichtanrechenbarkeitsregelung
auch Arbeitsausfälle, welche auf eine durch Wettereinflüsse bewirkte
zeitliche Verzögerung ins Auge gefasster Arbeitsvorgänge zurückgehen. Der
diesbezüglich in der deutschen Fassung von Art. 43a lit. a AVIG
verwendete Begriff der "Terminverzögerungen" erweist sich - ebenso wie
derjenige der italienischen Version ("ritardo nei termini") - insofern
als missverständlich, als er zunächst an einen Termin im technischen Sinne
denken lässt. Der in der französischen Fassung verwendete Begriff "retard
dans l'exécution des travaux" bringt demgegenüber weit besser zum Ausdruck,
dass es in diesem Zusammenhang um bei der Ausführung einer geplanten
Arbeit eingetretene Verzögerungen geht, die ihrerseits unmittelbar auf
meteorologische Einflüsse zurückzuführen sind, während der Arbeitsvorgang
als solcher keiner Beeinträchtigung durch das Wetter unterliegt. Als
Beispiel bietet sich hier der Fall eines Konfitüreherstellers an, in dessen
Fabrikationsbetrieb es zu Arbeitsausfällen kommt, weil die Lieferung der zu
verarbeitenden Früchte zufolge eines wetterbedingten Rückstandes bei deren
Ernte auf sich warten lässt. Ferner ist etwa an die Ausfälle zu denken,
welche einem Malerbetrieb dadurch entstehen, dass der geplante Anstrich
von Zwischenwänden im Innern eines Neubaus noch nicht in Angriff genommen
werden kann, weil diese Wände wegen wetterbedingter Bauverzögerungen noch
gar nicht erstellt wurden.

Erwägung 4

    4.- Unter sämtlichen Verfahrensbeteiligten ist unbestritten, dass
die beschwerdeführende Baufirma im ganzen Monat Februar sowie am 1.,
6.-8. und 11.-15. März 1996 auf beiden in Frage stehenden Baustellen
den mineralischen Fassadenabrieb wegen zu grosser Kälte nicht aufziehen
konnte. An den genannten Daten herrschten überwiegend Tagestemperaturen von
0o Celsius oder tiefer, womit bereits die Verarbeitung des verwendeten
Abriebmaterials verunmöglicht wurde. Obwohl an einigen der fraglichen
Tage das Thermometer deutlich über die Nullgradmarke stieg, hätte zufolge
darunterliegender Nachttemperaturen weiterhin das Risiko bestanden, dass
der nur langsam trocknende Werkstoff nach dem Auftragen gefror. Ebenfalls
nicht streitig ist, dass diese Fassadenarbeiten nach ursprünglicher
Planung bereits im November 1995 hätten beendigt sein sollen. Verschiedene
Zusatzarbeiten führten zu einer Verzögerung beider Bauvorhaben, welche
schliesslich erst im März 1996 ihren Abschluss fanden.

Erwägung 5

    5.- Entgegen der Auffassung der kantonalen Amtsstelle
und der Schiedskommission liegt kein Anwendungsfall der
Nichtanrechenbarkeitsregelung gemäss Art. 43a lit. a AVIG vor. Die
Bauverzögerungen, welche die geplante Beendigung der Fassadenarbeiten
noch vor Eintritt der Kälteperiode verhinderten, wurden nicht durch
ungünstige Wettereinflüsse bewirkt, sondern beruhten einzig auf seitens
der jeweiligen Bauherrschaft verlangten zusätzlichen Sanierungs- und
Umbauarbeiten. Darin ist jedoch nach dem Gesagten (Erw. 3b hievor) kein die
Anrechenbarkeit der späteren Arbeitsausfälle ausschliessender Tatbestand
im Sinne der genannten Bestimmung zu erblicken. Die im vorinstanzlichen
Entscheid zum Ausdruck gebrachte gegenteilige Ansicht führte - wie in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu Recht geltend gemacht wird - letztlich
zur Konsequenz, dass bei einem durch Schneefall im August verursachten
Arbeitsausfall eines Bauunternehmens zu prüfen wäre, ob es zuvor in der
Abwicklung des fraglichen Bauvorhabens zu Terminverzögerungen gekommen ist,
bei deren Ausbleiben die Arbeiten noch vor dem sommerlichen Schneefall
hätten zum Abschluss gebracht werden können. Eine solche Betrachtungsweise
widerspricht indessen offenkundig dem dargelegten Sinn und Zweck von
Art. 43a lit. a AVIG. Wie das BWA in seiner Vernehmlassung zutreffend
ausführt, lässt sich die vorinstanzlich bestätigte Leistungsverweigerung
jedenfalls nicht auf diese Norm stützen.

Erwägung 6

    6.- a) Soweit Verwaltung und Vorinstanz unter dem Gesichtspunkt von
Art. 43 Abs. 1 lit. a AVIG von einer Obliegenheit der Arbeitgeberfirma
ausgehen, die streitigen Fassadensanierungsarbeiten generell nur
ausserhalb der erfahrungsgemäss kalten Wintermonate durchzuführen,
kann ihnen ebenfalls nicht gefolgt werden. Eine derartige Einschränkung
der entschädigungsfähigen Arbeiten im Baugewerbe besteht praxisgemäss
nicht (unveröffentlichte Urteile B. vom 2. Juli 1997 und B. vom
11. August 1987). Anders als im Falle verschiedener landwirtschaftlicher
Monokulturen (Art. 65 Abs. 3 AVIV) werden in den übrigen Branchen keine
aussergewöhnlichen Witterungsverhältnisse vorausgesetzt. Vielmehr
genügt es, dass der Arbeitsausfall witterungsbedingt eingetreten
ist (ARV 1990 Nr. 7 S. 49 Erw. 4b). Folglich ist vorliegend ohne
Belang, ob die Temperaturen an den in Frage stehenden Daten einer
Durchschnittstemperatur entsprachen oder nicht. Entscheidend ist, dass
das Ausführen der Fassadenarbeiten (Aufziehen des mineralischen Abriebs)
witterungsbedingt aus technischen Gründen verunmöglicht war (vgl. ARV
1986 Nr. 29 S. 112 Erw. 3). Damit liegt ein anrechenbarer Arbeitsausfall
im Sinne von Art. 43 Abs. 1 lit. a AVIG vor.

    b) Die weitere Anspruchsvoraussetzung, wonach die Fortführung der
Arbeiten trotz genügender Schutzvorkehrungen u.a. technisch unmöglich oder
wirtschaftlich unvertretbar sein muss (Art. 43 Abs. 1 lit. b AVIG in der
Fassung vom 23. Juni 1995, in Kraft seit 1. Januar 1996), ist aufgrund
der vorliegenden Akten ebenfalls als erfüllt zu betrachten. Angesichts
der zu bearbeitenden Fassadenfläche (insgesamt über 570 m2, verteilt auf
zwei Baustellen) muss eine der Arbeitgeberfirma offenstehende Möglichkeit
verneint werden, mittels geeigneter und vertretbarer technischer Massnahmen
die Fortführung der Fassadensanierungsarbeiten während der Kälteperiode
sicherzustellen (das Abriebmaterial hätte insbesondere auch nach dessen
Aufziehen vor dem Gefrieren geschützt werden müssen). Eine gegenteilige
Auffassung wird denn auch von keiner Seite geäussert.

    c) Schliesslich bleibt die Frage nach der Erfüllung der
Schadenminderungspflicht zu prüfen. Diese verhält den Arbeitgeber dazu, den
Arbeitsausfall durch zweckdienliche betriebsinterne Dispositionen möglichst
aufzufangen. Dabei ist an die Umteilung der betroffenen Arbeitnehmer auf
andere Arbeitsstellen oder an die Ausführung anfallender Unterhalts- und
ähnlicher Arbeiten in Lager oder Werkstatt zu denken (nicht publizierte
Urteile B. vom 2. Juli 1997 und B. vom 11. August 1987).

    In dieser Hinsicht erweisen sich die Akten als unvollständig. Der
Beschwerdeschrift an die Vorinstanz ist lediglich die Behauptung zu
entnehmen, dass die Arbeitgeberfirma als "Kleinbetrieb" im fraglichen
Zeitraum keine Möglichkeit besass, ihre vom Arbeitsausfall betroffenen
Arbeitnehmer auf einer anderen Baustelle einzusetzen. Die kantonale
Amtsstelle wird diesbezüglich die Akten zu ergänzen und hernach neu zu
verfügen haben.