Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 124 V 130



124 V 130

22. Auszug aus dem Urteil vom 7. April 1998 i.S. 24 Krankenkassen, alle
vertreten durch den Kantonalverband Zugerischer Krankenkassen gegen
Dr. med. W. und Verwaltungsgericht des Kantons Zug Regeste

    Art. 4 und Art. 58 Abs. 1 BV; Art. 6 Ziff. 1 EMRK; Art. 25
Abs. 1 KUVG; Art. 89 KVG: Intertemporalrechtliche Zuständigkeit. Zur
Weiterführung der bei Inkrafttreten des KVG und der entsprechenden
kantonalen Ausführungsbestimmungen beim Schiedsgericht nach Art. 25
Abs. 1 KUVG hängigen Prozesse ist das Schiedsgericht gemäss Art. 89 KVG
zuständig. Der 1996 ergangene Zwischenentscheid des nach neuem Recht
zuständigen Schiedsgerichts des Kantons Zug, mit welchem das Verfahren
zuständigkeitshalber an das seit 1. Januar 1996 nicht mehr bestehende
Schiedsgericht nach Art. 25 Abs. 1 KUVG überwiesen wurde, stellt eine
gegen Art. 4 BV verstossende Rechtsverweigerung dar und verletzt überdies
Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK.

Sachverhalt

    A.- Am 16. August 1995 liessen die CSS Versicherung und 23 weitere
Krankenkassen beim Präsidenten des Kantonsgerichts des Kantons
Zug als Obmann des Schiedsgerichts nach Art. 25 KUVG Klage gegen
Dr. med. W. einreichen mit dem Begehren, dieser habe ihnen einen Betrag
von insgesamt Fr. 103'986.05 zu bezahlen.

    Mit Verfügung vom 8. Mai 1996 überwies das Kantonsgerichtspräsidium
Zug die Klage zuständigkeitshalber an das Verwaltungsgericht des Kantons
Zug, dessen sozialversicherungsrechtliche Kammer, ergänzt durch je einen
Vertreter oder eine Vertreterin der beteiligten Parteien, nach neuem Recht
seit 1. Januar 1996 als Schiedsgericht amte. Mit Entscheid vom 12. Dezember
1996 trat das Verwaltungsgericht des Kantons Zug mangels Zuständigkeit auf
die am 16. August 1995 von den Krankenkassen eingereichte Klage nicht ein
und überwies diese zuständigkeitshalber an das Kantonsgerichtspräsidium
Zug zu Handen des Schiedsgerichts gemäss Art. 25 KUVG.

    B.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lassen die CSS Versicherung und
23 weitere Krankenversicherer beantragen, der vorinstanzliche Entscheid
sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass das Verwaltungsgericht des
Kantons Zug (als Schiedsgericht) für die Beurteilung der am 16. August
1995 gegen Dr. med. W. eingereichten Klage zuständig ist und diese zu
behandeln hat.

    Dr. med. W. verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- (Nach Art. 25 Abs. 1 KUVG waren Streitigkeiten zwischen
Kassen einerseits und Ärzten, Apothekern, Chiropraktoren, Hebammen,
medizinischen Hilfspersonen, Laboratorien oder Heilanstalten anderseits
durch ein für das ganze Kantonsgebiet zuständiges Schiedsgericht zu
entscheiden. Art. 89 des seit 1. Januar 1996 in Kraft stehenden KVG
bestimmt ebenfalls, dass ein Schiedsgericht Streitigkeiten zwischen
Versicherern und Leistungserbringern entscheidet. Gestützt auf diese
bundesrechtlichen Bestimmungen hat der Kanton Zug § 20 EG KUVG vom
19. November 1970 und § 8 EG KVG vom 29. Februar 1996, in Kraft getreten
auf den 1. Januar 1996, erlassen. Während das Schiedsgericht nach altem
Recht aus dem Kantonsgerichtspräsidenten als Obmann und je einem von
jeder Partei bezeichneten Schiedsrichter bestand [§ 20 Abs. 2 des EG
KUVG vom 19. November 1970], amtet gemäss § 8 EG KVG vom 29. Februar
1996 die sozialversicherungsrechtliche Kammer des Verwaltungsgerichts in
Dreierbesetzung, ergänzt durch je einen Vertreter oder eine Vertreterin
der beteiligten Parteien, als Schiedsgericht.)

    Streitig und zu prüfen ist, ob zur Beurteilung der von den
Krankenkassen am 16. August 1995 anhängig gemachten Klage das alte oder
das neue Schiedsgericht sachlich zuständig ist.

    a) Das EG KVG des Kantons Zug vom 29. Februar 1996 enthält
keine Übergangsbestimmung, welche regelt, ob das alte oder das neue
Schiedsgericht für die Weiterführung der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens
des neuen Rechts (1. Januar 1996) hängigen Fälle zuständig ist.

    b) Das altrechtliche Schiedsgericht hatte seine Rechtsgrundlage in §
20 des kantonalen EG KUVG vom 19. November 1970. Durch § 9 des EG KVG
vom 29. Februar 1996, in Kraft getreten auf den 1. Januar 1996, wurde das
altrechtliche Schiedsgericht aufgehoben und durch das neue Schiedsgericht
gemäss § 8 EG KVG des Kantons Zug ersetzt. Somit bestand bei Erlass
des angefochtenen Zwischenentscheides das altrechtliche Schiedsgericht
mangels Rechtsgrundlage nicht mehr. Nach (unbenütztem) Ablauf der
Referendumsfrist waren die Mitglieder des unter der Herrschaft des EG KUVG
bestellten Schiedsgerichts deshalb nicht mehr befugt, Streitigkeiten
zwischen Versicherern und Leistungserbringern im Sinne von Art. 89
KVG zu entscheiden. Der Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts,
wonach die einmal begründete Zuständigkeit eines Gerichts bei
Rechtsänderung fortbesteht (perpetuatio fori; HABSCHEID, Schweizerisches
Zivilprozess- und Gerichtsorganisationsrecht, 2. Aufl., Rz. 42; GYGI,
Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 75), bezieht sich in erster
Linie auf nach Prozesshängigkeit eintretende Änderungen des Sachverhalts,
soweit dieser für die Zuständigkeit von Bedeutung war (vgl. BGE 121 III
13 betreffend Zuständigkeit des Gerichts bei Wohnsitzwechsel der Partei;
VPB 1993 Nr. 65 S. 505 betreffend Zuständigkeit des Handelsgerichts trotz
Löschung im Handelsregister). Im Falle eines Rechtswechsels kann das im
Zeitpunkt der Klageeinreichung zuständig gewesene Gericht den Prozess
nur dann fortsetzen, wenn es nach Inkrafttreten der Rechtsänderung als
gerichtliche Behörde weiterbesteht (vgl. unveröffentlichtes Urteil des
Bundesgerichts in Sachen Y. vom 20. März 1992; vgl. auch BGE 116 II 211
f. Erw. 2b/bb). Dies trifft, wie dargelegt auf das Schiedsgericht nach §
20 EG KUVG nicht zu. Vielmehr ist das Schiedsgericht gemäss § 8 EG KVG des
Kantons Zug seit 1. Januar 1996 das (einzige) kantonale Schiedsgericht im
Sinne von Art. 89 KVG. Es ist damit seit diesem Zeitpunkt zur Beurteilung
der Klage der Beschwerdeführerinnen ohne weiteres zuständig, ungeachtet
des Umstandes, dass bei deren Einreichung noch die sachliche Zuständigkeit
des altrechtlichen Schiedsgerichts gegeben war.

Erwägung 4

    4.- Der angefochtene Zwischenentscheid verletzt Bundesrecht (Art. 104
lit. a OG) zunächst insoweit, als die Vorinstanz den Beschwerdeführerinnen
den bundesgesetzlich vorgesehenen Rechtsweg - den Zugang zum Schiedsgericht
gemäss Art. 89 KVG (in Kraft seit 1. Januar 1996) - verwehrt hat. Die
Entscheidung der Vorinstanz, sich nicht materiell mit der Streitsache
zu befassen, obwohl ihre sozialversicherungsrechtliche Kammer, ergänzt
durch je eine Vertretung der beteiligten Parteien, aufgrund der geänderten
Rechtslage seit 1. Januar 1996 zur Beurteilung der Klage allein sachlich
zuständig war, stellt überdies eine gegen Art. 4 BV verstossende
Rechtsverweigerung dar: Eine solche liegt vor, wenn es eine Behörde,
wie hier, ausdrücklich ablehnt, eine Entscheidung zu treffen, obwohl sie
dazu verpflichtet ist (BGE 107 Ib 164 Erw. 3b, 103 V 194 Erw. 3b; MÜLLER,
Kommentar BV, Rz. 89 zu Art. 4; GRISEL, Traité de droit administratif,
Bd. I, S. 369; HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich,
Bern 1985, S. 115).

    Des weiteren hat das kantonale Gericht Art. 58 Abs. 1 BV verletzt,
wonach niemand seinem verfassungsmässigen Richter entzogen werden
darf. Diese Bestimmung kann u.a. dann angerufen werden, wenn ein Gericht
entgegen seiner Zuständigkeit die Anhandnahme eines Falles verweigert,
wobei die diesen Schutz gewährenden Normen nicht auf Verfassungsstufe
niedergelegt sein müssen; es kann sich ebenso um in Gesetzen und
Verordnungen festgehaltene generell-abstrakte Zuständigkeitsregelungen
handeln. Art. 58 Abs. 1 BV gewährleistet also nicht nur den
verfassungsmässigen, sondern ganz allgemein den gesetzlichen Richter
(KÖLZ, Kommentar BV, Rz. 1 zu Art. 58 Abs. 1; MÜLLER, Die Garantie des
verfassungsmässigen Richters in der Bundesverfassung, in: ZBJV 1970 S. 253
und 258; vgl. auch BGE 100 Ib 147 f. Erw. II/1 und 89 I 68 Erw. 1). Im
nämlichen Zusammenhang als verletzt bezeichnet werden muss schliesslich
Art. 6 Ziff. 1 EMRK, der denjenigen, die eine Verletzung eines (zivilen)
Rechts geltend zu machen beabsichtigen, den Zugang zum (zuständigen)
Gericht gewährleistet, soweit die Streitsache nicht bereits rechtskräftig
entschieden wurde (Justizgewährleistung; vgl. BGE 118 Ia 214 f. Erw. 2d;
PEUKERT, EMRK-Kommentar, S. 196).

    Aus diesen Erwägungen ist der angefochtene Zwischenentscheid
in Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde aufzuheben, und ist
die Sache zur materiellen Beurteilung der Klage an die Vorinstanz als
Schiedsgericht gemäss Art. 89 KVG zurückzuweisen.