Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 124 V 118



124 V 118

20. Auszug aus dem Urteil vom 12. März 1998 i. S. X gegen Krankenkasse
Y und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden Regeste

    Art. 2 Abs. 1 KVG; Art. 5 Abs. 3, Art. 11 KUVG: Krankheitswert der
HIV-Infektion; Kassenausschluss wegen Anzeigepflichtverletzung. Bestätigung
der Rechtsprechung (BGE 116 V 239), wonach der HIV-Infektion Krankheitswert
im Rechtssinne zukommt.

Sachverhalt

    A.- X arbeitet seit 6. April 1993 bei der Firma A. Zwischen
dieser Firma und der Krankenkasse Y bestand ein Kollektivvertrag für
Krankengeldversicherung. Am 19. Mai 1993 reichte X bei der Krankenkasse das
Eintrittsformular ein und gab an, Diabetiker zu sein und deswegen dauernd
in ärztlicher Behandlung zu stehen; die Frage, ob er augenblicklich gesund
sei, bejahte er. Im Versicherungsantrag vom 4. Juni 1993 wurden die Fragen
zum Gesundheitszustand nicht mehr beantwortet, sondern es wurde auf die
Eintrittsmeldung verwiesen. Die Aufnahme in die Versicherung erfolgte
mit einem Vorbehalt für Diabetes.

    Die Arbeitgeberin teilte der Krankenkasse mit Taggeldkarte vom
26. April 1994 mit, der Versicherte sei vom 18. bis 23. April 1994
arbeitsunfähig gewesen. Der behandelnde Arzt gab als Ursache eine
"Infektion" als vorbestandenes Leiden an. Hierauf ersuchte ihn die
Krankenkasse um genauere Angaben hinsichtlich seiner Diagnose oder um
einen Bericht an ihren Vertrauensarzt. Am 26. Juli 1994 berichtete
der Vertrauensarzt der Kasse, dass sich die ärztlichen Behandlungen
des Versicherten in letzter Zeit tatsächlich in erster Linie auf diese
Infektion und weniger auf den Diabetes bezogen hätten.

    Am 27. Juli 1994 teilte die Krankenkasse X mit, es bestehe der Verdacht
auf HIV-Seropositivität. Unter Hinweis auf seine Mitwirkungspflicht
wurde er aufgefordert, zu diesem Verdacht Stellung zu nehmen oder
die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Nach
(unbestrittener) Aussage der Kasse kam der Versicherte dieser
Aufforderung nicht nach, worauf die Geschäftsleiterin telefonisch bei ihm
nachfragte. Anlässlich dieses Telefongesprächs bestätigte der Versicherte
seine Seropositivität hinsichtlich HIV und gab zu, dass er schon seit 1986
von dieser Infektion wisse. Der Aufforderung seitens der Krankenkasse,
diese Aussage schriftlich zu bestätigen, kam X jedoch nicht nach.

    Mit Verfügung vom 14. September 1994 schloss die Kasse X rückwirkend
aus der Krankentaggeldversicherung aus. Als Gründe für den Ausschluss
wurden unvollständige Angaben über den Gesundheitszustand im
Versicherungsantrag und die Verletzung der Mitwirkungspflicht angegeben.

    B.- Beschwerdeweise beantragte X, die Verfügung sei aufzuheben und
die Kasse habe ihn in die Kollektiv-Krankengeldversicherung der Firma
A aufzunehmen.

    Das kantonale Gericht bejahte das Vorliegen einer schuldhaften
Anzeigepflichtverletzung, hielt jedoch fest, dass ein rückwirkender
Ausschluss nicht zulässig sei. Demzufolge hiess das Gericht die
Beschwerde teilweise gut, hob die Kassenverfügung auf und wies die
Sache zum Erlass einer neuen Verfügung (Ausschluss nur pro futuro mit
rückwirkendem Vorbehalt hinsichtlich HIV-Infektion und deren Folgen)
an die Krankenkasse zurück (Entscheid vom 10. Februar 1995).

    C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt X die Anträge stellen,
in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei er vorbehaltlos in die
Kollektiv-Krankengeldversicherung der Firma A bei der Krankenkasse
aufzunehmen; es sei ein Gutachten betreffend die Frage zu erstellen,
ob HIV-Positivität mit der Aids-Krankheit gleichzusetzen sei.

    Die Krankenkasse schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung hat
keine Vernehmlassung eingereicht.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Der Streit um die Mitgliedschaft (Kassenausschluss) oder einen
Versicherungsvorbehalt betrifft nicht die Bewilligung oder Verweigerung
von Versicherungsleistungen im Sinne des Art. 132 OG, weshalb das
Eidg. Versicherungsgericht nur zu prüfen hat, ob der vorinstanzliche
Richter Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder
Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt
offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung
mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG; BGE 108 V 247 Erw. 1b;
RKUV 1986 Nr. K 687 S. 312 f. Erw. 1).

    b) Die Beurteilung der hier relevanten Rechtsfragen erfolgt nach den
Bestimmungen des bis Ende 1995 gültig gewesenen KUVG.

Erwägung 3

    3.- a) Gemäss Art. 5bis Abs. 2 KUVG sind die Krankenkassen befugt,
in Kollektiv-Versicherungsverträgen Versicherungsbedingungen zu
vereinbaren, die von denjenigen der Einzelversicherung abweichen. Die
Mitgliedschaftsrechte der Kollektivversicherten richten sich nach den
Statuten der Kasse.

    Laut Ziffer (...) der Statuten der Krankenkasse sind die für
die Vertragsparteien und die Versicherten gültigen Bestimmungen im
Kollektivvertrag geregelt. Enthalten diese keine Regelungen, gelten die
Statuten und die Allgemeinen Versicherungs-Bestimmungen (AVB).

    Ziffer (...) der AVB verpflichtet denjenigen, der ein Aufnahmegesuch
stellt, die auf dem Formular gestellten Fragen vollständig und
wahrheitsgemäss zu beantworten.

    b) Schuldhaft verletzt ein Aufnahmebewerber oder ein Versicherter
die Anzeigepflicht, wenn er der Kasse auf deren Frage hin eine bestehende
Krankheit oder eine vorher bestandene, zu Rückfällen neigende Krankheit
nicht anzeigt, obwohl er darum wusste oder bei der ihm zumutbaren
Aufmerksamkeit darum hätte wissen müssen (BGE 111 V 28 Erw. 1b, 110 V
310 Erw. 1 in fine).

    Nach der Rechtsprechung lässt sich der Krankheitsbegriff angesichts
der Vielfalt möglicher krankhafter Erscheinungen schwerlich in eine genaue
Definition fassen. Daher wird man die Frage, ob ein Versicherter an einer
Krankheit im Sinne des KUVG leidet oder nicht, nach den Besonderheiten
des Einzelfalles beantworten. Zu betonen ist, dass es sich beim Begriff
Krankheit um einen Rechtsbegriff handelt und dass er sich somit nicht
notwendigerweise mit dem medizinischen Krankheitsbegriff deckt (BGE 116
V 240 Erw. 3a mit Hinweisen; vgl. auch BGE 121 V 293 Erw. 2b, 304 Erw. 3,
116 IV 128 Erw. 2a).

Erwägung 4

    4.- Gemäss den für das Eidg. Versicherungsgericht verbindlichen
(Erw. 1a) und im übrigen unbestrittenen Feststellungen des kantonalen
Gerichts weiss der Beschwerdeführer seit 1986 von seiner HIV-Infektion. Zu
prüfen ist, ob er zu einer entsprechenden Anzeige verpflichtet war,
was davon abhängt, ob die HIV-Infektion sozialversicherungsrechtlich als
Krankheit zu werten ist.

    Die Vorinstanz hat dies unter Hinweis auf die Rechtsprechung (BGE
116 V 239) bejaht und erwogen, der Beschwerdeführer habe die Frage
nach bestehenden Krankheiten im Beitrittsformular nicht wahrheitsgemäss
beantwortet; unter den gegebenen Umständen sei von einer schuldhaften
Verletzung der Anzeigepflicht auszugehen. Demgegenüber wird in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde festgehalten, die HIV-Infektion verursache
an sich keine gesundheitlichen Störungen, die eine medizinische Behandlung
erforderten oder zu einer Arbeitsunfähigkeit führten. Es sei nach den
heutigen medizinischen Erkenntnissen überholt, die HIV-Infektion als
Krankheit zu bezeichnen.

Erwägung 5

    5.- a) Das Eidg. Versicherungsgericht ist im bereits erwähnten
Urteil vom 5. September 1990 (BGE 116 V 239) - nach Beschreibung der
verschiedenen Stadien von der HIV-Infektion bis zum Vollbild Aids und
einer zusammenfassenden Darstellung der widerstreitenden Standpunkte
- zum Schluss gelangt, dass der HIV-Infektion (positiver HIV-Befund)
Krankheitswert im Rechtssinne zukommt. Ausschlaggebend waren zur Hauptsache
folgende Gesichtspunkte:

    "Der im AIDS-Konzept FMH vertretenen Auffassung ist insofern
   beizupflichten, als kein Anlass besteht, die HIV-Erkrankung rechtlich
   anders zu bewerten als andere Infektionskrankheiten, die unmittelbar
   nach erfolgter Infektion behandlungsbedürftig sind und zu Leistungen der

    Krankenkassen Anlass geben. Die Besonderheit der HIV-Erkrankung besteht
   darin, dass die Infektion in der überwiegenden Zahl der Fälle
   asymptomatisch verläuft und auch im Falle einer akuten Infektion die

    Erkrankung nach den heute zur Verfügung stehenden diagnostischen
Methoden
   (Antikörper-Test) erst Wochen bis Monate nach erfolgter Infektion
   festgestellt werden kann (vgl. AIDS in der Schweiz, S. 48). Zudem
   folgt auf die akute Erkrankung in der Regel eine längerdauernde
   symptomlose Zeit.

    Dies ändert indessen nichts daran, dass unmittelbar nach erfolgter

    Infektion eine behandlungsbedürftige Krankheit (und nicht eine blosse

    Krankheitsdisposition) besteht. Zwar gilt die Krankheit nach dem
   gegenwärtigen Stand der Medizin als unheilbar. Es bestehen indessen
   bereits heute therapeutische Möglichkeiten, wobei die Bestrebungen
   der Medizin dahin gehen, Therapien zu entwickeln, die unmittelbar
   nach festgestellter

    HIV-Infektion einsetzen (vgl. AIDS in der Schweiz, S. 53/54;
AIDS-Konzept

    FMH, aaO, S. 1996). Auch im Hinblick auf bestehende bzw. künftige

    Behandlungsmöglichkeiten und entsprechende Leistungen der Krankenkassen
   rechtfertigt es sich daher, die HIV-Infektion
   sozialversicherungsrechtlich als Krankheit zu werten." (Erw. 3c/bb).

    Weiter hat das Gericht im gleichen Entscheid erkannt, dass ein
Vorbehalt "HIV-Erkrankung mit Folgen" oder "Immunschwäche und Folgen"
zulässig ist (Erw. 4).

    b) Diese Rechtsprechung ist im Schrifttum auf nachhaltige Kritik
gestossen, und zwar einerseits hinsichtlich der hier interessierenden
Frage, ob einer HIV-Infektion Krankheitswert zukommt, und anderseits in
bezug auf die im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter zu verfolgende
Vorbehaltsproblematik (vgl. Erw. 7 hernach). Die wesentlichsten
Kritikpunkte lassen sich wie folgt zusammenfassen:

    MAX KELLER (Rechtliche Bedeutung des Status "HIV-positiv", Basel
1993) gelangte auf der Grundlage von Gutachten, welche die kausale Rolle
von HIV für die Entstehung von Aids ablehnen, zum Ergebnis, dass der
Status "HIV-positiv" noch nicht als Krankheit betrachtet werden dürfe
(vgl. dazu die kritische Besprechung von Oberrichter CHRISTIAN HUBER in
Zusammenarbeit mit Prof. Dr. med. RUEDI LÜTHY als medizinischem Konsiliar,
in: SZS 90/1994 S. 33 f.). In einer Kurzfassung seines Standpunktes
(Plädoyer 2/1994 S. 20) gab er zu bedenken, dass der fragliche Entscheid
des Eidg. Versicherungsgerichts zahlreiche, teils schwerwiegende negative
Auswirkungen, etwa bei der Aufnahme in die Grund- und Zusatzversicherung
sowie im Bereich des Arbeitsrechts, zur Folge habe; ferner bringe die
rechtliche Qualifikation der HIV-Infektion als Krankheit psychische und
soziale Belastungen mit sich. Diese Nachteile würden durch die einzige
positive Auswirkung, nämlich die grundsätzliche Leistungspflicht der
Sozialversicherung, nicht aufgewogen, zumal die Arbeitsfähigkeit eines
HIV-positiven Menschen im Normalfall nicht beeinträchtigt und der Nutzen
(präventiver) medizinischer Massnahmen nach heutigem Erkenntnisstand
höchst fraglich sei. BRIGITTE PFIFFNER (Plädoyer 6/1990 S. 30 f.) hielt
fest, dass HIV-Infizierte in vielen Fällen während Jahren gesund blieben
und somit von einer behandlungsbedürftigen Krankheit unmittelbar nach
der Ansteckung nicht die Rede sein könne. Wie MAX KELLER (aaO) ist die
Autorin der Auffassung, der Vorteil einer Übernahme der Behandlungskosten
durch die Krankenkassen vermöge die Nachteile (beim Eintritt in die
Grundversicherung, beim Antrag auf Höherversicherung sowie bei der
Suche und beim Antritt einer Arbeitsstelle) nicht auszugleichen. SUSANNE
LEUZINGER-NAEF ("HIV-Infektion und Folgen" als vorbehaltsfähige Krankheit,
in: SZS 1992 S. 65 ff.) konstatierte eine Abkehr der Rechtsprechung
von den bisher für den Krankheitsbegriff herangezogenen Kriterien. Bei
der Beschreibung des Verlaufs der HIV-Infektion stelle das Eidg.
Versicherungsgericht zwar fest, dass nach dem Abheilen der akuten
Infektion eine Latenzphase ohne Krankheitssymptome von in der Regel zwei
bis fünf Jahren folge. Aus der Tatsache, dass abgesehen vom Vorhandensein
des HI-Virus und der damit verbundenen Ansteckungsgefahr der Körper in
der Latenzphase nicht geschädigt und in seiner Funktion nicht gestört
sei, ziehe das Gericht jedoch keine rechtlichen Schlüsse. Während die
Rechtsprechung früher erst bei Störungen oder Schädigungen von einer
Krankheit gesprochen habe, werde nun der Krankheitsbeginn unter Hinweis
auf die Behandlungsbedürftigkeit auf den Zeitpunkt des Eintritts
des Krankheitserregers in den Körper verlegt, auf einen Zeitpunkt
also, in dem weder eine Störung vorliege noch - aufgrund des Standes
der medizinischen Wissenschaft - die Krankheitsursache behandelbar
sei. In ihrer Dissertation (Vorbestehender Gesundheitszustand und
Versicherungsschutz in der Sozialversicherung, Zürich 1994) hielt die
Autorin weiter fest, die Störungen im Stadium der Neuinfektion gingen
ohne medizinische Behandlung vorüber, und eine solche werde in der Regel
auch nicht in Anspruch genommen, weshalb das Stadium I nicht mit einem
Krankheitsausbruch gleichgesetzt werden könne, ebensowenig die symptomlose
Phase (II). Im Stadium III seien die Betroffenen noch voll leistungsfähig
und bedürften regelmässig keiner medizinischen Behandlung, so dass auch
in dieser Phase - wie zu Beginn des Stadiums IV - die Krankheit noch
nicht ausgebrochen sei. Im übrigen werde durch die Charakterisierung
der HIV-Infektion als Krankheit die soziale und psychische Situation
der betroffenen Personen erschwert. Nach dem heutigen Wissensstand sei
fraglich, ob der Ausbruch der Krankheit medikamentös hinausgezögert
werden könne; die frühe Erkennung der Infektion sei deshalb kaum von
therapeutischem Nutzen. OLIVIER GUILLOD (Tests génétiques et protection de
la personnalité, in: Festschrift für JACQUES-MICHEL GROSSEN, Basel 1992,
S. 58 Fn. 15), bezeichnete den Entscheid des Eidg. Versicherungsgerichts
ohne nähere Begründung als unrichtig und bedauerte ihn. Auch THOMAS LOCHER
erachtete das fragliche Urteil für den Bereich der Krankenversicherung als
"wohl nicht richtig"; denn ein positives HIV-Testergebnis bedeute für sich
allein während der Latenzzeit noch keine aktuelle Beeinträchtigung des
Gesundheitszustandes, welche eine medizinische Behandlung erfordere oder
zur Arbeitsunfähigkeit führe (Grundriss des Sozialversicherungsrechts,
1. Aufl., Bern 1994, S. 110). THOMAS MEILI (Falscher Stempel für
HIV-Positive, Schweizer Versicherung 1995, S. 11 ff.) hielt das Urteil
aufgrund neuer medizinischer Erkenntnisse und gesetzlicher Regelungen
(KVG) für überholt und wies auf die psychosozialen Auswirkungen der
rechtlichen Bewertung der HIV-Positivität als Krankheit hin.

Erwägung 6

    6.- a) Angesichts der beschwerdeweisen Vorbringen gegen die
Qualifikation der HIV-Infektion als Krankheit und vor dem Hintergrund
der an BGE 116 V 239 geübten Kritik stellt sich die Frage, ob an dieser
Rechtsprechung festzuhalten ist.

    Gegenüber dem Postulat der Rechtssicherheit lässt sich eine
Praxisänderung grundsätzlich nur begründen, wenn die neue Lösung besserer
Erkenntnis der ratio legis, veränderten äusseren Verhältnissen oder
gewandelten Rechtsanschauungen entspricht (BGE 122 V 129 Erw. 4, 121 V
85 f. Erw. 6a, 92 Erw. 5b, 119 V 260 f. Erw. 4a).

    b) Im Zentrum der Argumentation von BGE 116 V 239 stand die
Feststellung, es rechtfertige sich im Hinblick auf bestehende und künftige
Behandlungsmöglichkeiten, die HIV-Infektion sozialversicherungsrechtlich
als Krankheit zu werten. Diese Auffassung wird durch die Ergebnisse
der jüngeren Aids-Forschung keineswegs widerlegt, sondern vielmehr noch
unterstrichen. Von wesentlicher Bedeutung ist zum einen die therapeutische
Verfügbarkeit neuer antiretroviraler Kombinationstherapien. Zum anderen
führte die Erkenntnis, dass während der klinisch stummen Phase eine rasche
HIV-Replikation stattfindet und eine grosse Menge von Mutationen entsteht,
welche für das spätere Auftreten von Resistenzen verantwortlich sind, sowie
die Beobachtung, dass sich die HIV-Replikation unterdrücken lässt, zur
breit akzeptierten Haltung, dass HIV möglichst früh und mit kombinierten
Medikamenten angegangen werden muss. In diesem Zusammenhang sind die
neuen Empfehlungen zur Behandlung der HIV-Infektion bei Erwachsenen der
Subkommission Klinik der Eidg. Kommission für Aids-Fragen zu erwähnen,
wonach es das erklärte Ziel einer antiretroviralen Therapie ist, die
HIV-Replikation in allen Kompartimenten des Organismus anhaltend und
möglichst vollständig zu unterdrücken, und wonach die Indikation für
eine entsprechende Behandlung grundsätzlich bereits beim Nachweis
einer HIV-Infektion gegeben ist (Bulletin des Bundesamtes für
Gesundheit Nr. 20/1997 S. 9 f.). Damit lassen sich die im Schrifttum
verschiedentlich erhobenen Einwendungen, wonach eine (frühe) Behandlung
der HIV-Infektion weder möglich noch geboten sei, nach dem heutigen Stand
der Wissenschaft nicht halten, auch wenn noch unklar ist, ob die Wirkung
der Kombinationsbehandlungen anhält und ob sie sich auch in grösseren
Kollektiven bestätigen lässt.

    Die Qualifikation der HIV-Infektion als Krankheit erscheint auch
insoweit folgerichtig, als nach der Rechtsprechung nicht nur die
bereits vorhandene Störung der Gesundheit als Krankheit gilt, sondern
auch ein Zustand, der den Eintritt eines drohenden Gesundheitsschadens
mit Wahrscheinlichkeit voraussehen lässt (BGE 118 V 117 Erw. 7c mit
Hinweisen). Diese Betrachtungsweise findet im übrigen ihre Fortsetzung im
neuen Krankenversicherungsrecht. Danach ist Krankheit jede Beeinträchtigung
der körperlichen oder geistigen Gesundheit, die nicht Folge eines
Unfalles ist und die eine medizinische Untersuchung oder Behandlung
erfordert oder eine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (Art. 2 Abs. 1 KVG;
Maurer, Das neue Krankenversicherungsrecht, S. 29; LOCHER, Grundriss des
Sozialversicherungsrechts, 2. Aufl., Bern 1997, S. 67).

    Schliesslich sei hervorgehoben, dass mit der hier in Frage stehenden
Rechtspraxis den spezifischen Besonderheiten der HIV-Infektion durch
die Wertung als Krankheit und die damit verknüpfte grundsätzliche
Leistungspflicht der Krankenkassen Rechnung getragen werden sollte (zum
funktionalen Charakter des Krankheitsbegriffs vgl. LOCHER, aaO, S. 67). Der
Umstand, dass diese Rechtsprechung darüber hinaus in anderen Bereichen
(negative) Reflexwirkungen entfalten kann, wie sie verschiedentlich
beschrieben wurden, vermag eine Praxisänderung nicht zu begründen.

Erwägung 7

    7.- Ohne dass es der beantragten Einholung eines Gutachtens bedürfte,
steht nach dem Gesagten fest, dass der HIV-Infektion (bzw. einem positiven
HIV-Befund) Krankheitswert zukommt. Somit beging der Beschwerdeführer
eine Anzeigepflichtverletzung, wie Krankenkasse und Vorinstanz mit Recht
dargelegt haben. Es fragt sich, welche Sanktion damit zu verbinden ist.

    Die Vorinstanz hat im Gegensatz zur Krankenkasse erkannt, dass laut
Ziffer (...) AVB ein rückwirkender Ausschluss nicht möglich ist, die
Krankenkasse den Beschwerdeführer jedoch pro futuro hätte ausschliessen und
ihm gestützt auf Ziffer (...) AVB rückwirkend einen Vorbehalt hinsichtlich
der HIV-Infektion und deren Folgen hätte auferlegen müssen.

    Der Beschwerdeführer beantragt vor dem Eidg. Versicherungsgericht
vorbehaltlose Aufnahme in die Kollektiv-Taggeldversicherung. Nachdem eine
Anzeigepflichtverletzung vorliegt, kann diesem Antrag nicht entsprochen
werden. Der Beschwerdeführer macht im übrigen nicht geltend, es sei statt
des Ausschlusses eine mildere Sanktion anzuordnen oder der Vorbehalt sei
unpräzis umschrieben. Es erübrigt sich somit, auf die in der Literatur
erhobene Kritik hinsichtlich der Formulierung des Vorbehalts näher
einzugehen.

    Hingegen ist von Amtes wegen zu prüfen, ob und unter welchen
Voraussetzungen aufgrund der statutarischen Ordnung und der Rechtsprechung
ein Kassenausschluss überhaupt verfügt werden kann.

Erwägung 8

    8.- a) Nach Ziffer (...) AVB kann ein Mitglied aus einem
Versicherungszweig oder aus der Kasse ausgeschlossen werden, wenn sich
sein Verhalten als missbräuchlich oder sonstwie als unentschuldbar
erweist und der Kasse die Weiterführung der Mitgliedschaft nicht mehr
zugemutet werden kann. Dies ist nach Ziffer (...) AVB insbesondere dann
der Fall, wenn ein Mitglied eine statutarische oder reglementarische
Anzeigepflicht unentschuldbar verletzt hat. Der Ausschluss wird nach
vorgängiger Androhung dem Mitglied oder seinem gesetzlichen Vertreter mit
eingeschriebenem Brief als Verfügung unter Angabe der Ausschlussgründe
und mit Rechtsmittelbelehrung eröffnet.

    b) Statutarische Vorschriften einer Krankenkasse, wonach ein Mitglied
bei Verletzung der Anzeigepflicht aus der Kasse ausgeschlossen werden kann,
sind grundsätzlich nicht bundesrechtswidrig. Da es sich indessen um eine
Sanktion handelt, ist im Einzelfall der allgemeine verwaltungsrechtliche
Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu beachten, welcher verlangt, dass die
Sanktion in einem angemessenen Verhältnis zu dem von der Kasse verfolgten
Zweck und zum Verschulden des Versicherten steht (BGE 108 V 248 Erw. 2a,
106 V 173 Erw. 2; RKUV 1986 Nr. K 687 S. 315 Erw. 3a; siehe auch BGE 111
V 319 Erw. 2).

    Der Kassenausschluss ist die strengste Sanktion und für den
Betroffenen meist mit einschneidenden Folgen verbunden. Daher setzt er ein
besonders schweres Verschulden bzw. Umstände voraus, welche die fragliche
Mitgliedschaft für die Kasse schlechthin als unzumutbar erscheinen lassen
(BGE 118 V 267 Erw. 3a mit Hinweisen).

    c) Der Ausschluss eines Mitgliedes aus der Kasse darf praxisgemäss erst
nach schriftlicher Androhung dieser Sanktion verfügt werden, es sei denn,
eine solche Vorkehr könne vernünftigerweise nicht vorausgesetzt werden. Der
Aufnahmebewerber ist auf dem Beitrittsformular an gut sichtbarer Stelle
mit einem ausdrücklichen, von den andern Bestimmungen deutlich abgehobenen
Hinweis auf die im Fall einer Anzeigepflichtverletzung möglichen schwersten
Sanktionen, den Ausschluss aus der Kasse und den Entzug der Leistungen,
aufmerksam zu machen (BGE 111 V 322 Erw. 2a mit Hinweisen). Bezüglich
des Inhalts der Androhung hat die Rechtsprechung klargestellt, dass die
betreffende Sanktion unmissverständlich anzudrohen ist und der blosse
Hinweis auf einen Statutenartikel nicht ausreicht (BGE 118 V 267 Erw. 3a
mit Hinweisen).

    d) Auf dem Beitritts- und dem Versicherungsantragsformular der
Beschwerdegegnerin ist folgender, deutlich abgehobener Hinweis angebracht:
"Für die Folgen bereits bestehender oder überstandener Krankheiten wird
die Krankenkasse ausdrücklich aller Verpflichtungen enthoben, wenn das
Mitglied sich bei der Ausfüllung dieses Formulars bewusst einer Unwahrheit
schuldig gemacht hat."

    Damit steht einmal fest, dass der Hinweis auf die im Falle
einer Anzeigepflichtverletzung mögliche schwerste Sanktion, den
Kassenausschluss, fehlt. Den Akten kann im übrigen kein Hinweis
entnommen werden, dass dem Beschwerdeführer der Ausschluss sonstwie
schriftlich und unmissverständlich angedroht worden wäre. Fehlt es
somit an einer vorgängigen rechtsgenüglichen Androhung des verfügten
Kassenausschlusses, vermag das Vorgehen der Beschwerdegegnerin den
formellen Erfordernissen nicht zu genügen. Nach dem Gesagten fällt die
Beendigung der Kassenzugehörigkeit infolge Ausschlusses, wie sie die
Vorinstanz in ihrem Entscheid pro futuro angedroht hat, ausser Betracht.

    e) Hingegen steht ohne weiteres fest, dass die Krankenkasse berechtigt
ist, die statutarische Ordnung durch einen rückwirkenden Vorbehalt
wiederherzustellen. Mit Recht hat die Vorinstanz die Krankenkasse
diesbezüglich angewiesen, hierüber neu zu verfügen. In dieser Hinsicht
ist der kantonale Entscheid richtig.