Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 124 I 267



124 I 267

33. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 26.
August 1998 i.S. Verein gegen Tierfabriken Schweiz gegen Bezirksrat
Einsiedeln, Regierungsrat und Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit; Verbot von
Demonstrationen auf dem Klosterplatz Einsiedeln.

    Bedeutung der Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit bei der
Bewilligung von Kundgebungen auf öffentlichem Grund (E. 3a). Kein Anspruch
auf Durchführung einer Kundgebung auf einem bestimmten öffentlichen Platz
(E. 3d).

    Zulässigkeit eines generellen Demonstrationsverbots auf dem Platz
vor dem Kloster Einsiedeln im Blick auf seine besondere Funktion als
störungsfreie Zone für Pilger und andere Klosterbesucher; angemessener
Ersatzstandort für die Durchführung öffentlicher Kundgebungen (E. 3b-e).

Sachverhalt

    A.- Der Verein gegen Tierfabriken Schweiz teilte der Kantonspolizei
Schwyz am 30. Januar 1997 mit, er plane am Sonntag, dem 23. Februar
1997, von 14.00 bis 16.00 Uhr vor dem Brunnen auf dem Klosterplatz
Einsiedeln eine Kundgebung durchzuführen, mit der gegen die Tierhaltung
im Kloster Fahr, einer Stiftung des Klosters Einsiedeln, protestiert
werden solle. Zugleich ersuchte er die Kantonspolizei, für einen
ungestörten Verlauf der Kundgebung zu sorgen. Der Bezirksammann von
Einsiedeln teilte am 13. Februar 1997 dem Präsidenten des Vereins gegen
Tierfabriken Schweiz mit, die Durchführung der vorgesehenen Kundgebung
sei bewilligungspflichtig. Das darauf eingereichte Bewilligungsgesuch
wies der Bezirksammann am 18. Februar 1997 ab. Sein Entscheid wurde vom
Bezirksrat Einsiedeln am 20. Februar 1997 genehmigt.

    Die gegen den Entscheid des Bezirksrats ergriffene Beschwerde des
Vereins gegen Tierfabriken Schweiz wies der Regierungsrat des Kantons
Schwyz am 2. September 1997 ab. Ebenfalls ohne Erfolg blieb die dagegen
erhobene Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz.

    Der Verein gegen Tierfabriken Schweiz hat gegen den Entscheid des
Verwaltungsgerichts vom 24. Oktober 1997 eine staatsrechtliche Beschwerde
erhoben. Das Bundesgericht weist das Rechtsmittel ab, soweit es darauf
eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Mit Nachdruck kritisiert der Beschwerdeführer, die angefochtene
Bewilligungsverweigerung sei unverhältnismässig und diene allein dazu,
das im Kanton Schwyz einflussreiche Kloster Einsiedeln vor unwillkommener
Kritik abzuschirmen.

    a) Kundgebungen auf öffentlichem Grund stellen eine Form des
gesteigerten Gemeingebrauchs dar und dürfen daher weitergehenden
Beschränkungen unterworfen werden als Versammlungen auf privatem Boden und
andere Formen der Meinungsäusserung. Die Behörde, welcher die Aufsicht und
die Verfügung über den öffentlichen Boden zusteht, darf beim Entscheid über
die Bewilligung einer Demonstration neben den polizeilichen auch andere
öffentliche Interessen berücksichtigen und namentlich dem Gesichtspunkt der
zweckmässigen Nutzung der vorhandenen öffentlichen Anlagen im Interesse der
Allgemeinheit und der Anwohner Beachtung schenken. Doch ist die Behörde
bei ihrem Entscheid nicht nur an das Willkürverbot und an den Grundsatz
der Rechtsgleichheit gebunden. Sie hat überdies den besonderen ideellen
Gehalt der Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit, um deren Ausübung
es geht, in die Interessenabwägung einzubeziehen. Insoweit entfalten diese
Freiheitsrechte ihre Wirkungen auch bei Betätigungsformen, die mit einem
gesteigerten Gemeingebrauch des öffentlichen Grundes verbunden sind (BGE
107 Ia 226 E. 3b/bb S. 230; 107 Ia 64 E. 2a S. 66; 105 Ia 91 E. 3 S. 94).

    Auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte kommt der Versammlungsfreiheit gemäss Art. 11 EMRK nicht
bloss eine rein negative Funktion zu. Vielmehr sind die staatlichen
Behörden verpflichtet, durch geeignete Massnahmen - namentlich durch
Gewährleistung eines ausreichenden Polizeischutzes - dafür zu sorgen,
dass öffentliche Kundgebungen stattfinden können und sie nicht durch
gegnerische Kreise gestört oder verhindert werden. Allerdings steht den
örtlichen Behörden bei der Wahl der zu treffenden Massnahmen ein weiter
Ermessensspielraum zu (Entscheid des EGMR i.S. Plattform "Ärzte für das
Leben" c. Österreich vom 21. Juni 1988, Serie A, Band 139, Ziff. 32, 34).

    b) Beim Entscheid über die Benützung des öffentlichen Grunds für
Kundgebungen hat die zuständige Behörde die verschiedenen Interessen nach
objektiven Kriterien gegeneinander abzuwägen. Ob die Auffassungen, die
durch die fragliche Veranstaltung verbreitet werden sollen, der Behörde
wertvoll erscheinen oder nicht, darf beim Entscheid über eine nachgesuchte
Bewilligung für eine Kundgebung nicht ausschlaggebend sein (BGE 108 Ia
300 E. 3 S. 303; 107 Ia 64 E. 2a S. 66). Dem Beschwerdeführer ist daher
darin zuzustimmen, dass die Schwyzer Behörden die Bewilligung für die
Demonstration vom 23. Februar 1997 nicht deswegen verweigern durften,
weil ihnen die dabei propagierten Ansichten missfielen. So ist die
Verfügung des Bezirksammanns vom 18. Februar 1997 insoweit nicht haltbar,
als darin die Bewilligungsverweigerung damit begründet wird, das vom
Beschwerdeführer vertretene Anliegen betreffe nicht Einsiedeln, sondern
das Kloster Fahr. Diese Verfügung ist im vorliegenden Verfahren indessen
nicht Anfechtungsgegenstand. Im hier allein zu überprüfenden Entscheid des
Verwaltungsgerichts wurde das fragliche Kundgebungsverbot nicht deshalb
geschützt, weil ihm der Zweck der Veranstaltung missfiel, sondern aufgrund
einer eingehenden Prüfung anhand der oben dargestellten Grundsätze. Der
Beschwerdeführer hält jedoch die vom Verwaltungsgericht genannten Gründe
für die Bewilligungsverweigerung bloss für vorgeschoben. Hintergründig
sei es dem Gericht allein um den Schutz des Klosters Einsiedeln vor
unerwünschter Kritik gegangen. Es ist daher im Folgenden zu prüfen, ob
die vom Verwaltungsgericht angeführten Gründe für das Kundgebungsverbot
einer objektiven Prüfung standzuhalten vermögen.

    c) Im angefochtenen Entscheid wird das fragliche Kundgebungsverbot
auf dem Klosterplatz einerseits mit der besonderen Zweckbestimmung dieses
Platzes und anderseits mit polizeilichen Erwägungen begründet. Nach
der dargestellten Rechtsprechung (E. 3a) sind aus solchen Motiven
Einschränkungen von Versammlungen auf öffentlichem Boden grundsätzlich
zulässig. Wie sich aus dem Nachstehenden ergibt, finden diese Gründe
vorliegend auch eine Stütze in den tatsächlichen Gegebenheiten und sind
entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers nicht bloss vorgeschoben.

    Zunächst kommt dem Platz vor dem Kloster Einsiedeln aufgrund seiner
Funktion und Lage ein besonderer Stellenwert zu. Er dient nicht nur
als Zugang zur Klosterkirche als sakraler Stätte und Wallfahrtsort für
viele Pilger, weshalb er sich als auf Störungen besonders empfindlich
erweist. Der Klosterplatz lädt auch zum Verweilen und Betrachten der
gesamten kunsthistorisch wertvollen Klosteranlage ein. Es steht den lokalen
Behörden ohne weiteres zu, diese Zweckbestimmung des Klosterplatzes durch
den Ausschluss einzelner Aktivitäten wie namentlich von Demonstrationen
auf diesem Gelände zu unterstreichen (vgl. BGE 105 Ia 91 E. 4a S. 95). Sie
brauchen dabei das diesem Zweck dienende Areal nicht auf den eigentlichen
Vorplatz - der ohnehin im Eigentum des Klosters steht - zu beschränken,
sondern können auch den angrenzenden öffentlichen Grund einbeziehen,
soweit er noch in einem engen Zusammenhang mit der Klosteranlage
steht. Den vom Beschwerdeführer erneut vorgebrachten Einwand, der
von ihm für die fragliche Kundgebung beanspruchte Ort vor dem Brunnen
könne wegen des dort herrschenden Verkehrs nicht mehr zum Klosterplatz
gerechnet werden, hat bereits das Verwaltungsgericht in überzeugender
Weise entkräftet. Die besondere Zweckbestimmung der Klosterplatzes liegt
in der Tat nicht darin, dass es sich dabei um einen besonders ruhigen
Ort handelt und dass bereits hier eine besondere religiöse Atmosphäre
herrscht. Entscheidend ist vielmehr, dass dem Platz aufgrund seiner Nähe
zur Klosteranlage eine besondere Funktion und ein besonderer Charakter
zukommt, der ihn von anderen öffentlichen Plätzen unterscheidet und der
Einschränkungen politischer Kundgebungen rechtfertigt; denn damit soll vor
allem verhindert werden, dass die Pilger unmittelbar vor dem Besuch der
Marienwallfahrtsstätte in ihrer Ruhe und Besinnung durch Demonstrationen
der Art, wie sie der Beschwerdeführer durchführen will, in empfindlicher
Weise gestört werden.

    Es ist ausserdem unbestritten, dass die Veranstaltungen des
Beschwerdeführers - auch wenn daran nur wenige Menschen teilnehmen
- Emotionen wecken und in der Vergangenheit immer wieder zu
Auseinandersetzungen führten, die ein Einschreiten der Polizei
erforderten. Der Beschwerdeführer hat denn auch selber die Behörden
am 30. Januar 1997 um Polizeischutz für die fragliche Kundgebung
vom 23. Februar 1997 gebeten, da aufgrund früherer Erfahrungen
mit Störungen, Tätlichkeiten, Ehrverletzungen und Drohungen gegen
die Kundgebungsteilnehmer sowie allenfalls mit Sachbeschädigungen zu
rechnen sei. Diese von der Demonstration vom 23. Februar 1997 ausgehenden
polizeilichen Gefahren durften, ja mussten die Behörden bei der Prüfung
des Bewilligungsgesuchs des Beschwerdeführers berücksichtigen. Sie
rechtfertigen grundsätzlich eine Einschränkung von Kundgebungen der
vorgesehenen Art auf dem Klosterplatz.

    Die Gründe, auf die das Verwaltungsgericht das angefochtene
Kundgebungsverbot stützt, erweisen sich somit entgegen der Ansicht
des Beschwerdeführers keineswegs als bloss vorgeschoben. Sie finden
eine Grundlage in den tatsächlichen Gegebenheiten und stellen zudem
sachliche Motive dar für eine Einschränkung des Rechts auf Benützung des
Klosterplatzes zur Durchführung von Kundgebungen.

    d) Nach Ansicht des Beschwerdeführers sind aus den genannten
Gründen höchstens gewisse Einschränkungen der Kundgebungen auf dem
Klosterplatz zulässig, aber keinesfalls ein vollständiges Verbot von
Demonstrationen. Der angefochtene Entscheid verletze deshalb den Grundsatz
der Verhältnismässigkeit.

    Wie bereits dargelegt wurde (E. 3a), können Veranstaltungen, die
den öffentlichen Grund in einer den Gemeingebrauch übersteigenden Weise
beanspruchen, in einem weitergehenden Umfange eingeschränkt werden als
solche auf privatem Grund oder andere Formen der Meinungsäusserung. Der
Beschwerdeführer hat zwar einen Anspruch darauf, dass ihm zur Durchführung
seiner Kundgebung ein öffentliches Areal zur Verfügung gestellt wird,
das dem Publizitätsbedürfnis seiner Veranstaltung angemessen Rechnung
trägt. Er hat jedoch kein Recht auf Durchführung seiner Kundgebung an
einem ganz bestimmten Ort. Die zuständigen Behörden verfügen vielmehr bei
der Konkretisierung der Zweckbestimmung der öffentlichen Sachen und beim
Entscheid über deren Benützung über einen gewissen Ermessensspielraum. Sie
können einzelne öffentliche Plätze bestimmten Verwendungen (Markt,
Konzerte, Erholungsraum usw.) vorbehalten und dort andere Aktivitäten
einschränken oder ganz untersagen. Insbesondere muss nicht der gesamte
öffentliche Grund für Demonstrationen zur Verfügung gestellt werden
(BGE 100 Ia 392 E. 6b S. 403 f.; 105 Ia 91 E. 2 S. 95 f.).

    Im vorliegenden Fall rechtfertigen die zuvor genannten polizeilichen
Motive allein ein Verbot der Kundgebung vom 23. Februar 1997 zwar
nicht, da die öffentliche Ordnung auch bei deren Durchführung hätte
aufrechterhalten können. Hingegen steht einer Bewilligung der Kundgebung
die besondere Zweckbestimmung des Klosterplatzes entgegen. Die kantonalen
Behörden erklären, auf diesem Platz grundsätzlich keine politischen
Kundgebungen zulassen zu wollen, um ihn ganz seiner Funktion als Zugang zur
Klosterkirche und Marienwallfahrtsstätte zu erhalten. Diese Einschränkung
der Verwendung des Klosterplatzes erscheint sachlich ohne weiteres
vertretbar und überschreitet den Ermessensspielraum der lokalen Behörden
nicht. Ein lediglich teilweises Kundgebungsverbot, das nur grössere
Demonstrationen erfassen oder nur zu bestimmten Zeiten gelten würde,
vermöchte die beabsichtigte Funktion des Klosterplatzes als störungsfreie
Zone für die Pilger und die übrigen Klosterbesucher nicht sicherzustellen.

    Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des gänzlichen
Kundgebungsverbots auf dem Klosterplatz setzt nach der erwähnten
Rechtsprechung allerdings voraus, dass dem Beschwerdeführer anstelle
des Klosterplatzes ein anderer angemessener Ort zur Durchführung seiner
Kundgebung zur Verfügung gestellt wird. Der Bezirksrat Einsiedeln
hat mehrfach erklärt, er würde Kundgebungen des Beschwerdeführers auf
einem anderen zentral gelegenen Platz von Einsiedeln bewilligen. Der
Beschwerdeführer wendet dagegen ein, dass seine Kundgebung auf einen
Standort in der Nähe des Klosters Einsiedeln angewiesen sei, da sie
sich gegen die Einstellung von dessen leitenden Organen zum Tierschutz
richte. Auch wenn es zweifellos zutrifft, dass der Klosterplatz
für die Kundgebung des Beschwerdeführers besonders ideal wäre, so
erscheint doch der ihm von den lokalen Behörden zur Verfügung gestellte
Platz ("Dorfplatz") an einer zentralen Lage von Einsiedeln keineswegs
ungeeignet. Es handelt sich dabei um einen Ort direkt an der Hauptstrasse,
die zum Kloster führt. Zudem liegt der Platz in unmittelbarer Nähe des
Bahnhofs und der Verkaufsgeschäfte. Da der grösste Teil der Besucher
des Klosters Einsiedeln daran vorbeikommt, kann die Kundgebung des
Beschwerdeführers auch hier die gewünschte Publizität erlangen.

    Unter diesen Umständen bewirkt das Verbot, die fragliche Kundgebung
auf dem Klosterplatz durchzuführen, für den Beschwerdeführer keine
unverhältnismässige Einschränkung seiner Meinungsäusserungs- und
Versammlungsfreiheit.

    e) Gesamthaft betrachtet hält das angefochtene Kundgebungsverbot
daher vor den angerufenen Garantien der Bundesverfassung und der EMRK
stand. Die Beschwerde ist daher abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.