Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 124 I 101



124 I 101

14. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
25. März 1998 i.S. Otto Windler, Willi Rüegg und Mieterinnen- und
Mieterverband Schaffhausen und Umgebung gegen Grosser Rat des Kantons
Schaffhausen (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 85 lit. a OG. Art. 7, 9 und 72 Abs. 1 Steuerharmonisierungsgesetz
(StHG). Ungültigerklärung der kantonalen Volksinitiative für die
"steuerliche Gleichbehandlung für Mieterinnen und Mieter".

    Rechtslage während der achtjährigen Frist, welche den Kantonen
von Art. 72 Abs. 1 StHG zur Harmonisierung ihrer Steuerrechtsordnungen
eingeräumt wurde. Den Kantonen ist es während dieser Anpassungsfrist
verwehrt, ihre Steuerrechtsordnungen in einer den Vorschriften des StHG
klar widersprechenden Weise zu ändern (E. 3, 4).

    Eine Initiative, welche die Mieten in dem Umfang für
steuerlich abzugsfähig erklären will, in welchem den selbstnutzenden
Liegenschaftseigentümern bei der Festsetzung des Eigenmietwerts ein
Einschlag auf dem Marktmietwert zugestanden wird, ist mit Art. 7 und 9
StHG nicht vereinbar (E. 5).

Sachverhalt

    Am 16. September 1996 wurde dem Regierungsrat des Kantons Schaffhausen
eine Kantonale Volksinitiative mit dem Titel "Steuerliche Gleichbehandlung
für Mieterinnen und Mieter" mit 1'072 gültigen Unterschriften und folgendem
Initiativbegehren eingereicht:
                             "I.

    Das Gesetz über die direkten Steuern des Kantons Schaffhausen vom

    17. Dezember 1956 ist durch Einfügung der nachfolgenden Bestimmung zu
   ergänzen:

    Art. 23 Abs. 1 Ziff. IV

    Vom rohen Einkommen werden abgezogen

    IV. Bei den Mieterinnen und Mietern

    der Anteil des Mietzinses, welcher der durchschnittlichen prozentualen

    Differenz zwischen den versteuerten Eigenmietwerten der
Wohnungseigentümer
   und den tatsächlichen Marktmieten entspricht.
                             II.

    Das Gesetz tritt mit der Annahme durch das Volk in Kraft und findet
   spätestens Anwendung auf die nächste Neuveranlagung. Es ist im Amtsblatt
   zu veröffentlichen und in die kantonale Gesetzessammlung aufzunehmen."

    Mit Beschluss Nr. 4363 vom 16. Dezember 1996 nahm der Grosse Rat des
Kantons Schaffhausen vom formellen Zustandekommen der Initiative Kenntnis,
erklärte sie aber ungültig.

    Mit Eingabe vom 24. Januar 1997 erheben Otto Windler, Willi Rüegg
sowie der Mieterinnen- und Mieterverband des Kantons Schaffhausen
staatsrechtliche Beschwerde gegen die Ungültigerklärung der Volksinitiative
"Steuerliche Gleichbehandlung für Mieterinnen und Mieter" mit dem Antrag,
der Beschluss Nr. 4363 des Grossen Rates vom 16. Dezember 1996 sei
vollumfänglich aufzuheben und der Kanton Schaffhausen anzuweisen, die
Volksinitiative zur Abstimmung zu bringen.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Nach Auffassung des Grossen Rates verstösst die Initiative gegen
das Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone
und der Gemeinden vom 14. Dezember 1990 (Steuerharmonisierungsgesetz, StHG;
SR 642.14). Gestützt auf ein Gutachten von Peter Böckli vom 4. November
1993 zuhanden des Regierungsrates des Kantons Basel-Landschaft (im
folgenden: Böckli, Gutachten BL) hält er dafür, die Kantone dürften seit
dem Inkrafttreten des StHG keine Bestimmungen mehr erlassen, welche die
"Diskrepanz des geltenden kantonalen Rechts zum StHG vergrössern", mithin
"entharmonisierend" wirken.

    Die Beschwerdeführer rügen, Art. 72 Abs. 1 StHG verpflichte die
Kantone, ihre Gesetzgebung innert acht Jahren ab dem am 1. Januar 1993
erfolgten Inkrafttreten des StHG an dessen Vorschriften anzupassen. Die
Kantone seien daher bis zum Ende des Jahres 2000 in der Ausgestaltung
ihres Steuerrechts frei.

    b) "Der Bund sorgt" nach dem 1977 auf Betreiben der Kantone in die
Verfassung aufgenommenen Art. 42quinquies BV (näher zur Entstehung
Francis Cagianut, Kommentar zur Bundesverfassung, Entstehungsgeschichte
und Rz. 11 f. zu Art. 42quinquies) "in Zusammenarbeit mit den Kantonen
für die Harmonisierung der direkten Steuern von Bund, Kantonen und
Gemeinden" (Abs. 1). Er stellt "Grundsätze für die Gesetzgebung der
Kantone und Gemeinden über Steuerpflicht, Gegenstand und zeitliche
Bemessung der Steuern, Verfahrensrecht und Steuerstrafrecht" auf und
"überwacht ihre Einhaltung"; die Bestimmung der Steuertarife, -sätze
und -freibeträge bleibt demgegenüber Sache der Kantone (Abs. 2). Bei
dieser Grundsatzgesetzgebung wie auch bei der Gesetzgebung über die
direkte Bundessteuer "hat der Bund auf die Bestrebungen der Kantone zur
Steuerharmonisierung Rücksicht zu nehmen" und ihnen "eine angemessene
Frist für die Anpassung ihres Steuerrechts einzuräumen" (Abs. 3). Gemäss
Abs. 4 wirken die Kantone bei der Vorbereitung der Bundesgesetze mit.

    Diesem Auftrag der Verfassung entsprechend erliess der Bund unter
qualifizierter Mitwirkung der Kantone und unter Rücksichtnahme auf deren
eigene Harmonisierungsbestrebungen am 14. Dezember 1990 das StHG als
Grundsatzgesetz (dazu näher: CAGIANUT, aaO, Entstehungsgeschichte und
Rz. 8; KLAUS A. VALLENDER, Steuerharmonisierung: Verfassungsmässiger
Rahmen und allgemeine Bestimmungen, ASA 61 1992/93, S. 270 ff.). Dessen
Art. 72 Abs. 1 verpflichtet die Kantone unter Vorbehalt von Art. 16,
ihre Gesetzgebung innert acht Jahren nach dem Inkrafttreten des Gesetzes
den Titeln 2-6 anzupassen und es damit dem Bund gleichzutun, der sein
Steuerrecht mit dem ebenfalls am 14. Dezember 1990 erlassenen DBG bereits
auf diese Grundsätze ausgerichtet und damit harmonisiert hat.

    Der Bundesrat setzte das StHG auf den 1. Januar 1993 in Kraft, so dass
die Frist am 31. Dezember 2000 abläuft. Nach Ablauf dieser Frist findet
das Bundesrecht direkte Anwendung, wenn ihm das kantonale Steuerrecht
widerspricht (Abs. 2 von Art. 72). Die Kantonsregierung erlässt in diesem
Fall nach Abs. 3 der gleichen Bestimmung die erforderlichen vorläufigen
Vorschriften.

    c) Unbestritten ist, dass die Kantone die Anpassungsfrist nach
Art. 72 Abs. 1 StHG ausschöpfen können. Sie sind nicht zur stufenweisen
Harmonisierung ihrer Steuergesetzgebungen schon während dieser Frist
verpflichtet (Bericht der Expertengruppe CAGIANUT zur Steuerharmonisierung,
Schriftenreihe der Treuhandkammer Nr. 128, Zürich 1994, S. 34 f.).

    Kontrovers ist in der Literatur dagegen die Frage, ob die Kantone
während dieser Frist auf den Erlass von steuerrechtlichen Vorschriften
beschränkt sind, die dem StHG entsprechen oder sich diesem zumindest
annähern - d.h. harmonisierend wirken -, oder ob sie frei sind, auch
entharmonisierende Bestimmungen zu erlassen.

    d) Die eine Meinung steht auf dem Standpunkt, Art. 42quinquies
Abs. 3 BV und Art. 72 Abs. 1 StHG würden den Kantonen bedingungslos
eine angemessene Anpassungsfrist einräumen; es stehe allein in deren
Verantwortung, von ihr sachgerecht Gebrauch zu machen. Es sei unzulässig,
an diese den Kantonen direkt von der Bundesverfassung zugestandene Frist
irgendwelche Bedingungen und Einschränkungen zu knüpfen. Das StHG sehe denn
auch weder eine inhaltliche Zwischenstufe vor, welche die Kantone zwischen
dem 1. Januar 1993 und dem 1. Januar 2001 zu erreichen hätten, noch eine
mit Art. 72 Abs. 2 StHG vergleichbare Sanktion, wenn sie in dieser Zeit
entharmonisierende Bestimmungen erliessen. Ausserdem sei es unter Umständen
schwierig zu entscheiden, ob neue kantonale Vorschriften als harmonisierend
oder entharmonisierend einzustufen seien. Es sei im übrigen auch keineswegs
sicher, dass das StHG bis zum Ablauf der Frist keine Änderungen erfahre. Es
sei daher davon auszugehen, dass die Gesetzgebungskompetenz der Kantone in
Steuersachen bis zum Ablauf der Frist nicht angetastet würde, es diesen
freistehe, während der Übergangsfrist entharmonisierende Bestimmungen zu
erlassen (DANIELLE YERSIN, Harmonisation fiscale et droit cantonal, RDAF 50
1994 S. 169 ff., insbes. S. 176 f.; deutsche Fassung: Steuerharmonisierung
und kantonales Recht, ASA 64 1995/96 S. 97 ff., insbes. S. 106 f.;
vgl. auch THOMAS MEISTER, Rechtsmittelsystem der Steuerharmonisierung -
Der Rechtsschutz nach StHG und DBG, Diss. St. Gallen 1995, S. 77 ff.,
der zwar ein Entharmonisierungsverbot bejaht, dieses aber als rechtlich
nicht durchsetzbar betrachtet).

    Der gegenteilige, vom Grossen Rat des Kantons Schaffhausen eingenommene
Standpunkt wird, ausser von dem von ihm zitierten Autor (PETER BÖCKLI,
Gutachten BL, S. 52 ff.), namentlich von der von der Konferenz der
kantonalen Finanzdirektoren eingesetzten Expertengruppe CAGIANUT (aaO,
S. 34 f.) vertreten. Das Entharmonisierungsverbot wird im wesentlichen
damit begründet, dass die Grundsätze des StHG mit dessen Inkrafttreten
wirksam geworden seien. Für die kantonalen Gesetzgeber gelte daher seit
dem 1. Januar 1993 ein Anpassungsgebot; Art. 72 Abs. 1 StHG werde verletzt,
wenn während der achtjährigen Anpassungsfrist Steuerrechtsnormen erlassen
würden, die den Grundsätzen der Steuerharmonisierung zuwiderliefen
(vgl. BGE 123 I 313 E. 3b, c, S. 318 f.; in gleichem Sinne für
die Übergangsfrist von Art. 98a OG: CLAUDE ROUILLER, La protection
juridique en matière d'aménagement du territoire par la combinaison des
art. 6 par. 1 CEDH, 33 LAT et 98a OJ: complémentarité ou plénitude?,
SJZ 90/1994 S. 29 f., sowie für jene des Binnenmarktgesetzes: PETER
GALLI/DANIEL LEHMANN/PETER RECHSTEINER, Das öffentliche Beschaffungswesen
in der Schweiz, Zürich 1996, S. 20). Für MARKUS REICH (Gedanken zur
Umsetzung des Steuerharmonisierungsgesetzes, ASA 62 1993/94 S. 577 ff.,
insbes. S. 598) verstösst ein Kanton mit dem Erlass solcher nicht mit dem
StHG zu vereinbarenden Normen dann gegen Bundesrecht, wenn er damit die
"Harmonisierungskonformität" seiner Steuerordnung per 1. Januar 2001 klar
gefährdet; dies wäre beispielsweise bei der Einführung eines Bausparabzuges
während der Übergangsfrist der Fall (im gleichen Sinn BERNHARD GREMINGER,
in: Zweifel/Athanas, Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht I/1, StHG,
Basel 1997, N. 9 ff. zu Art. 72).

Erwägung 4

    4.- Form und Ziel der Harmonisierung der direkten Steuern von Bund,
Kantonen und Gemeinden sind in Art. 42quinquies BV und im StHG zu einem
Regelungsauftrag konkretisiert worden. Als Weg und Form zur Erreichung
der Steuerharmonisierung wurde ein Grundsatzgesetz des Bundes (dazu
näher: CAGIANUT, aaO, Rz. 8; VALLENDER, aaO, S. 270 ff.) gewählt, das in
Zusammenarbeit mit den Kantonen und mit deren qualifizierter Mitwirkung
sowie unter Rücksichtnahme auf ihre eigenen Bestrebungen zur Harmonisierung
der Steuern zu erlassen war und verabschiedet wurde. Die kantonalen
Gesetzgeber haben zwar einen erheblichen Ermessensspielraum, wie sie das
Harmonisierungsziel anstreben wollen, sie können etappenweise vorgehen
oder, wenigstens zu Beginn der Anpassungsfrist, gar einen gesetzgeberischen
Umweg einschlagen. Untersagt sind ihnen aber Gesetzesrevisionen, die
sich auch nicht in diesem weit verstandenen Sinn als Schritt in Richtung
Harmonisierungsziel auffassen lassen sondern den bundesrechtlichen
Harmonisierungsbestrebungen klar und gezielt zuwiderlaufen (vgl. allgemein
zum Verbot der Vereitelung von Bundesrecht PETER SALADIN, Kommentar zur
Bundesverfassung, N. 216 zu Art. 3 BV).

    Ein Kanton verletzt seine spezifische bundesstaatliche Treuepflicht
(vgl. BGE 118 Ia 195 E. 5a mit Hinweisen) daher jedenfalls dann, wenn er
während der Anpassungsfrist von Art. 72 Abs. 1 StHG seine Gesetzgebung
gezielt in einer den Vorschriften des StHG klar widersprechenden
Weise ändert. Das gleiche gilt um so mehr, wenn er durch eine derartige
entharmonisierende Gesetzesänderung kurz vor dem Ablauf der Anpassungsfrist
deren Einhaltung ernsthaft gefährdet oder gar illusorisch werden lässt.

Erwägung 5

    5.- Nach Art. 7 Abs. 1 StHG unterliegen alle wiederkehrenden
und einmaligen Einnahmen, die Eigennutzung von Grundstücken
eingeschlossen, uneingeschränkt der Einkommenssteuer. Die zulässigen
Abzüge sind in Art. 9 Abs. 2 und 3 StHG abschliessend aufgezählt;
der kantonale Regelungsspielraum beschränkt sich auf die Sozialabzüge
bzw. Steuerfreibeträge (Art. 9 Abs. 4 StHG; Expertenbericht CAGIANUT,
S. 22). Ein Abzug des Mietzinses oder des Anteils des Mietzinses, welcher
der durchschnittlichen prozentualen Differenz zwischen den versteuerten
Eigenmietwerten und der Marktmiete entspricht, wie dies die Initiative
anstrebt, sind darin nicht vorgesehen. Die Initianten anerkennen denn auch,
dass Mietzinsabzüge dem StHG widersprechen.

    Die Einführung eines neuen, vom StHG nicht vorgesehenen und damit von
ihm ausgeschlossenen Abzuges verstösst klar gegen die seit dem 1. Januar
1993 geltenden Steuerharmonisierungsgrundsätze und ist deshalb und weil sie
zudem gegen Ende der Anpassungsfrist erfolgen soll, bundesrechtswidrig. Der
Grosse Rat hat die Initiative daher zu Recht ungültig erklärt.