Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 124 IV 9



124 IV 9

3. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 12. November 1997 i.S. M.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 aStGB, Art. 312 ff. OR; Veruntreuung,
Verwendung eines Darlehens entgegen dem vereinbarten Zweck,
Werterhaltungspflicht des Borgers.

    Wird ein Darlehen ausgerichtet für einen bestimmten Zweck, so kann sich
aus der vertraglichen Vereinbarung eine Werterhaltungspflicht des Borgers
ergeben (E. 1d; Bestätigung der Rechtsprechung). Werterhaltungspflicht
des Baukreditnehmers bejaht, welcher sich der Bank verpflichtet hatte,
die bezogenen Gelder in das Bauwerk zu investieren (E. 1e).

Sachverhalt

    Ende der 80er-Jahre schlossen die Bank X. und die von M.  beherrschte
O. AG Baukreditverträge ab für die Überbauung von Landparzellen in A. und
F. Dabei wurden der Bank Grundpfandrechte eingeräumt. In den Verträgen
übernahm die O. AG die Verantwortung für die vertragsgemässe Verwendung der
auszuzahlenden Beträge. Wörtlich wurde unter anderem folgendes vereinbart:
       "Soweit nicht im Einzelfalle gestattet wird, für die Auslösung des

    Unterpfandes aus bisherigen Hypotheken oder zur Bezahlung des
Kaufpreises
   für das Terrain einen bestimmten Betrag der Baukreditrechnung zu
   belasten, dürfen die auf Rechnung des Baukredites bezogenen Gelder zu
   keinen anderen

    Zwecken verwendet werden als zur Zahlung von Forderungen für Arbeit
oder

    Material und Arbeit zusammen. Die Bezüge haben möglichst gleichmässig,
d.h.
   entsprechend dem Verhältnis der Gesamtforderung zur Baukreditsumme,
   zu geschehen. Die Inanspruchnahme des Kredites erfolgt nach dem
   Fortschreiten der Bauarbeiten gemäss einem Auszahlungsschema. In der
   Stellung eines

    Auszahlungsbegehrens durch den/die Kreditnehmer/in an die Bank
liegt daher
   die stillschweigende Erklärung, dass der Stand der Arbeiten am Bau
   soweit gefördert sei, um die begehrte Inanspruchnahme des Kredites zu
   gestatten und der Empfänger eine entsprechende Wertvermehrung am Bau
   bewirkt habe."

    Entgegen diesen Abmachungen liess M. vom Baukredit A. Fr. 11'550'849.--
und vom Baukredit F. Fr. 3'285'853.90 an Firmen seiner Gruppe sowie
vom Baukredit A. Fr. 1'842'611.40 an seine Gläubiger überweisen. Diese
Zahlungen hatten mit den Bauprojekten keinen Zusammenhang.

    Am 5. März 1997 verurteilte das Appellationsgericht Basel-Stadt M.
zweitinstanzlich wegen mehrfacher Veruntreuung und weiterer Delikte zu
3 Jahren Gefängnis.

    M. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag,
das Urteil des Appellationsgerichtes aufzuheben; die Sache sei an die
Vorinstanz zurückzuweisen zum Freispruch vom Vorwurf der mehrfachen
Veruntreuung und zur neuen Festsetzung der Strafe.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB in seiner hier massgeblichen
alten Fassung ist strafbar, wer anvertrautes Gut, namentlich Geld,
unrechtmässig in seinem oder eines andern Nutzen verwendet.

    a) Nach der Rechtsprechung kommt eine unrechtmässige Verwendung
anvertrauten Gutes nur in Betracht, wenn der Treuhänder verpflichtet ist,
dem Treugeber den Wert des Empfangenen ständig zu erhalten (BGE 120 IV
117 E. 2e).

    Bei einem Darlehen, bei dem kein bestimmter Verwendungszweck
verabredet ist, ist eine Pflicht des Borgers zur ständigen Werterhaltung
zu verneinen. Der Borger darf mit dem Darlehen nach seinem Belieben
wirtschaften. Er ist einzig verpflichtet, es zum vertraglichen oder
gesetzlichen Termin zurückzuerstatten (vgl. Art. 318 OR). Die Annahme
einer Veruntreuung fällt deshalb ausser Betracht.

    Anders kann es sich dagegen verhalten, wenn das Darlehen ausgerichtet
wurde für einen bestimmten Zweck. Hier ist im Einzelfall zu prüfen,
ob sich aus der vertraglichen Abmachung eine Werterhaltungspflicht des
Borgers ergibt (BGE 120 IV 117 E. 2f).

    b) In BGE 120 IV 117 bejahte das Bundesgericht eine
Werterhaltungspflicht: Das Darlehen von Fr. 30'000.-- wurde dem Borger
ausgerichtet, damit er es für den Erwerb einer Liegenschaft verwende
und nach dem in Aussicht gestellten gewinnbringenden Weiterverkauf der
Liegenschaft zurückzahle. Dabei handelte es sich um einen wesentlichen
Vertragsbestandteil. Der Darleiher konnte davon ausgehen, dass der
Borger bei einer vertragsgemässen Verwendung des Geldes über die
Mittel zur Rückzahlung des Darlehens verfügen werde. Die Festlegung des
Verwendungszwecks war für den Darleiher somit entscheidend im Hinblick auf
die Begrenzung seines Verlustrisikos. Offensichtlich hätte er das Darlehen
nicht gewährt, wenn er gewusst hätte, dass der stark überschuldete und über
kein regelmässiges Einkommen verfügende Borger das Geld zur Bestreitung
seines Lebensunterhalts verwenden würde; diesfalls wäre der gänzliche
Verlust der Fr. 30'000.-- absehbar gewesen. War der Borger aufgrund der
getroffenen Vereinbarung gehalten, das Geld für den Kauf der Liegenschaft
und für nichts anderes zu verwenden, so war er aber auch verpflichtet, es
bis zum Erwerb der Liegenschaft treuhänderisch zu verwalten. Zum Darlehen
trat insoweit ein Auftrag hinzu. Aufgrund dieses Auftrags war der Borger
zur Werterhaltung verpflichtet. Indem er diese Pflicht missachtete und
das Geld abmachungswidrig für eigene Bedürfnisse ausgab, verwendete er
anvertrautes Gut unrechtmässig im Sinne von Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 aStGB.

    c) In einem Teil des Schrifttums hat BGE 120 IV 117 Zustimmung
gefunden (STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I,
5. Aufl., § 13 N. 56 am Schluss; vgl. auch REHBERG/SCHMID, Strafrecht
III, 7. Aufl., S. 100 f., insb. Fn. 171). Der Entscheid ist aber auch auf
Kritik gestossen. Schultz führt aus, die Lehre warne seit langem davor,
die Einbeziehung von Forderungen in das von Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 aStGB
geschützte Gut dürfe nicht dazu führen, dass jemand wegen Veruntreuung
bestraft werde, nur weil er eine Forderung nicht erfülle. Art. 59 Abs. 3
BV schliesse es aus, mit Strafe anstatt durch Zwangsvollstreckung die
Erfüllung gewöhnlicher Schuldpflichten zu erwirken. Nicht jede beliebige
vertragliche Bezugnahme auf die Verwendung des Darlehens genüge, um
Anvertrauen zu begründen. Es müsse sich um eine Vereinbarung handeln,
die ihrer Art nach auf ein gemeinschaftliches Wirken der Parteien
ziele. Es müsse eine zumindest in Ansätzen - wie wenigstens geringe
Gewinnbeteiligung, Vermittlung von Aufträgen oder Arbeit - greifbar
gewordene gemeinsame Verwirklichung von Interessen in Frage stehen,
ohne dass geradezu eine einfache Gesellschaft gegründet werden müsse
(Darlehen als anvertraute Vermögenswerte?, in: Le droit pénal et ses liens
avec les autres branches du droit, Mélanges en l'honneur du Professeur
Jean Gauthier, Bern 1996, S. 81 ff., insb. 85 ff.; vgl. auch derselbe,
Die strafrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 1994, ZBJV
131/1995, S. 838 ff.; kritisch unter Hinweis auf SCHULTZ ebenso TRECHSEL,
Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl., Art. 138 N. 13a).

    d) Nach BGE 120 IV 117 genügt nicht jede beliebige vertragliche
Bezugnahme auf die Verwendung des Darlehens, um Anvertrauen zu
begründen. Vielmehr kann, wie dargelegt, eine Werterhaltungspflicht des
Borgers zu bejahen sein, wenn das Darlehen ausgerichtet wurde für einen
bestimmten Zweck. Zu prüfen ist hier jeweils im Einzelfall, ob sich
aus der vertraglichen Abmachung eine Werterhaltungspflicht des Borgers
ergibt. Eine Werterhaltungspflicht hat das Bundesgericht in BGE 120 IV
117 in Würdigung der vertraglichen Abmachung bejaht. Im dort beurteilten
Fall war auch - wie Schultz verlangt - eine zumindest in Ansätzen greifbar
gewordene gemeinsame Verwirklichung von Interessen jedenfalls insofern
gegeben, als der Erwerb der Liegenschaft und ihr Weiterverkauf mit Gewinn
nicht nur im Interesse des Borgers lag, sondern auch im Interesse des
Darleihers im Hinblick auf die Begrenzung seines Verlustrisikos. Die
Annahme einer Veruntreuung kommt in Betracht, wenn ein solches Interesse
des Darleihers gegeben ist und sich der Borger ihm verpflichtet hat, über
das ausbezahlte Geld in bestimmter Weise zu verfügen (vgl. BERNARD CORBOZ,
Les principales infractions, Bern 1997, S. 104 f.). Daran ist festzuhalten.

    e) Der vorliegende Fall ist mit dem in BGE 120 IV 117 beurteilten
weitgehend vergleichbar. Auch hier wurde der Verwendungszweck der
auszuzahlenden Gelder festgelegt zur Begrenzung des Verlustrisikos des
Darleihers. Nach den Baukreditverträgen durften die auf Rechnung des
Baukredits bezogenen Gelder grundsätzlich nur verwendet werden zur Zahlung
von Forderungen für Arbeit oder Material und Arbeit zusammen. Diese
Vereinbarung wurde getroffen zur Sicherung der Kreditforderung der
Bank. Beim Baukredit stellt die Bank dem Kreditnehmer regelmässig hohe
Beträge zur Verfügung, die durch den Wert des Grundstücks allein nicht
gedeckt sind. Die Sicherung des Kredits, die mit seiner fortschreitenden
Inanspruchnahme jeweils entsprechend erhöht werden muss, wird nur dann
erreicht, wenn die ausbezahlten Gelder in das Bauwerk investiert werden,
das damit an Wert gewinnt. Verwendet der Kreditnehmer die Gelder für
andere Zwecke, so wird die Sicherung des Kredits vereitelt.

    Bei dieser Sachlage ist eine Werterhaltungspflicht auch hier zu
bejahen. Die Verurteilung wegen mehrfacher Veruntreuung verletzt deshalb
Bundesrecht nicht.