Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 124 IV 5



124 IV 5

2. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 7. November 1997 i.S. B.
gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 71 Abs. 2 StGB und Art. 140 Ziff. 1 aStGB; Zusammenfassung
mehrerer Veruntreuungen zu einer verjährungsrechtlichen Einheit.

    Ob ein andauerndes pflichtwidriges Verhalten anzunehmen ist, kann
nur im konkreten Fall beurteilt werden. Dabei kommt auch den konkreten
Umständen des Sachverhalts Bedeutung zu (E. 2b).

    Wer als Finanzverantwortlicher in regelmässigen Abständen über
lange Zeit hinweg ihm von seinem Arbeitgeber zur Verwaltung anvertraute
Geldbeträge veruntreut, handelt andauernd pflichtwidrig. Seine Straftaten
bilden eine verjährungsrechtliche Einheit (E. 3a).

Sachverhalt

    Das Obergericht des Kantons Bern erklärte B. mit Urteil vom 19. März
1997 in zweiter Instanz der mehrfachen Veruntreuung, begangen von 1977
bis zum 5. Mai 1993 zum Nachteil des Privatklägers X. im Deliktsbetrag von
1,6 Millionen Franken, sowie der mehrfachen Urkundenfälschung, begangen im
selben Zeitraum, schuldig und verurteilte ihn zu 2 1/2 Jahren Gefängnis mit
vorzeitigem Strafantritt am 6. Mai 1996. Im Zivilpunkt verurteilte es ihn
zur Bezahlung der Interventionskosten der ersten Instanz von Fr. 19'007.45
an die Privatklägerschaft sowie zur Leistung von Schadenersatz in der
Höhe von 1,6 Millionen Franken an X., zuzüglich Zins zu 5% ab dem Tag der
jeweils unrechtmässig erhobenen Beträge, abzüglich die bereits bezahlten
Fr. 31'001.--. Ferner stellte es fest, dass dem Grundsatz nach weiterer
Schadenersatz für Betriebseinbussen geschuldet sei, und verwies die
Privatklägerschaft zur Geltendmachung desselben an den Zivilrichter.

    Gegen diesen Entscheid führt B. eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde
mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Schuld-, Straf- und Zivilpunkt
aufzuheben. Ferner stellt er die Gesuche, es sei ihm die unentgeltliche
Rechtspflege zu bewilligen und es sei seiner Beschwerde die aufschiebende
Wirkung zu verleihen.

    Der Generalprokurator des Kantons Bern sowie X. beantragen in ihren
Vernehmlassungen Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde. Das Obergericht
des Kantons Bern hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe Bundesrecht in
bezug auf die strafrechtliche Verjährung verletzt. Für den Fall, dass
das Bundesgericht dieser Auffassung folgen sollte, stellt er sich auf den
Standpunkt, dass auch die geltend gemachte Schadenersatzforderung teilweise
verjährt sei und die Strafzumessung überprüft werden müsse. Somit ist
zunächst zu prüfen, ob die Annahme der Vorinstanz, die dem Beschwerdeführer
vorgeworfenen Handlungen seien auch nicht teilweise verjährt, Bundesrecht
verletzt.

Erwägung 2

    2.- a) Der Beschwerdeführer wurde wegen einfacher Veruntreuung gemäss
Art. 140 aStGB schuldig erklärt. Nach der früheren Fassung des Gesetzes
stellte die Veruntreuung ein Vergehen dar. Die relative Verjährungsfrist
für die Strafverfolgung betrug danach gemäss Art. 70 Abs. 3 aStGB 5 Jahre;
die absolute Verjährung trat nach Ablauf von 7 1/2 Jahren ein (Art. 72
Ziff. 2 Abs. 2 StGB). Mit der Gesetzesänderung vom 17. Juni 1994, in
Kraft seit 1. Januar 1995, wurden sowohl Art. 70 Abs. 2 StGB wie auch
der Strafrahmen der Veruntreuung geändert. Nach der neuen Fassung des
Gesetzes verjährt die Strafverfolgung für den Tatbestand der Veruntreuung
gemäss Art. 138 Ziff. 1 StGB neu nach Ablauf einer relativen Frist von 10
Jahren, in jedem Fall aber nach Ablauf einer solchen von 15 Jahren (Art. 70
Abs. 2, Art. 72 Ziff. 2 Abs. 2). Der Tatbestand der Urkundenfälschung ist
sowohl nach der alten wie auch nach der neuen Fassung des Gesetzes stets
ein Verbrechen mit den entsprechenden verjährungsrechtlichen Konsequenzen.

    b) Gemäss Art. 71 Abs. 2 StGB beginnt die Verjährung, wenn der
Täter die strafbare Tätigkeit zu verschiedenen Zeiten ausführt,
mit dem Tag, an dem er die letzte Tätigkeit ausführt. Die frühere
Rechtsprechung entschied die Frage, wann die zu verschiedenen Zeiten
ausgeführte strafbare Tätigkeit als Einheit zu betrachten sei, bei der
die Verjährung für alle Einzelhandlungen erst mit der letzten Tat zu
laufen beginnt, nach den Voraussetzungen des fortgesetzten, aber auch
des gewerbsmässigen Delikts (BGE 117 IV 408 E. 2f/aa mit Hinweisen).
Danach wurden mehrere gleichartige oder ähnliche strafbare Handlungen
rechtlich zu einer Tateinheit zusammengefasst, wenn sie gegen dasselbe
Rechtsgut gerichtet und auf ein und denselben Willensentschluss
zurückzuführen waren (BGE 102 IV 77 E. 2a mit Hinweisen). Nach Aufgabe
der Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts mit BGE 117 IV 408 hat
sich das Bundesgericht verschiedentlich dazu geäussert, unter welchen
Voraussetzungen eine Mehrzahl selbständiger strafbarer Handlungen unter
dem Gesichtspunkt des Verjährungsbeginns nach Art. 71 Abs. 2 StGB als
ein Ganzes betrachtet und somit zu einer verjährungsrechtlichen Einheit
zusammengefasst werden darf. Nach der neueren Rechtsprechung ist dies
in den Sachbereichen, in denen das fortgesetzte Delikt bisher Anwendung
gefunden hat, gesondert und ausschliesslich nach objektiven Kriterien
zu beurteilen. Der subjektive Gesichtspunkt des Gesamtvorsatzes fällt
mithin ausser Betracht (BGE 117 IV 408 E. 2f/bb). Verschiedene strafbare
Handlungen bilden danach gemäss Art. 71 Abs. 2 StGB dann eine Einheit,
wenn sie gleichartig und gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet sind und
- ohne dass bereits ein Dauerdelikt im Sinne von Art. 71 Abs. 3 StGB
gegeben wäre - ein andauerndes pflichtwidriges Verhalten bilden. Unter
welchen Voraussetzungen ein solches andauernd pflichtwidriges Verhalten
anzunehmen ist, lässt sich indes nicht abschliessend in einer abstrakten
Formel umschreiben, sondern kann nur im konkreten Fall beurteilt werden,
wobei sich der Richter von Sinn und Zweck der Verjährung leiten zu lassen
hat. Dabei können auch die konkreten Umstände des Sachverhalts Bedeutung
erlangen (PIETH, Die verjährungsrechtliche Einheit gemäss Art. 71 Abs. 2
StGB bei Bestechungsdelikten, BJM 1996, S. 63 f. mit Bezug auf BGE 120 IV
6 E. 2c/cc, S. 10). In jedem Fall muss die andauernde Pflichtverletzung
aber vom in Frage stehenden gesetzlichen Straftatbestand ausdrücklich
oder sinngemäss mitumfasst sein (BGE 117 IV 408 E. 2f/bb, 120 IV 6 E. 2b
und c mit Nachweisen). In seiner bisherigen Rechtsprechung bejahte das
Bundesgericht die Verbindung mehrerer strafbarer Einzelhandlungen zu einer
verjährungsrechtlichen Einheit bei der ungetreuen Geschäftsführung (BGE
117 IV 408), bei gewohnheitsmässiger Widerhandlung gegen das Zollgesetz
(BGE 119 IV 73) und bei sexuellen Handlungen mit Kindern (BGE 120 IV 6),
verneinte eine solche hingegen bei der Annahme von Geschenken (BGE 118 IV
309) sowie bei der üblen Nachrede (BGE 119 IV 199 E. 2). In bezug auf den
Beginn der Strafantragsfrist bei Vernachlässigung von Unterhaltspflichten
nahm es an, wenn der Pflichtige während einer gewissen Zeit und ohne
Unterbrechung schuldhaft die Zahlung der Unterhaltsbeiträge unterlasse,
beginne die Antragsfrist erst mit der letzten schuldhaften Unterlassung
zu laufen (BGE 118 IV 325 E. 2b).

Erwägung 3

    3.- a) Die strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers erfüllen
alle den gleichen gesetzlichen Tatbestand der Veruntreuung und sind damit
gleichartig. Die Veruntreuungen betrafen zudem ausnahmslos Geldbeträge, die
dem Beschwerdeführer vom Beschwerdegegner zur Verwaltung anvertraut waren,
und richteten sich somit gegen dasselbe Rechtsgut. Der Beschwerdeführer
macht jedoch geltend, sein Verhalten sei mangels Verletzung einer
besonderen strafrechtlichen Fürsorgepflicht nicht andauernd pflichtwidrig
gewesen.

    Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers hat die Vorinstanz
ein andauerndes pflichtwidriges Verhalten zu Recht bejaht. Sie nahm
in dieser Hinsicht zutreffend an, der Beschwerdeführer habe als
Finanzverantwortlicher die andauernde Pflicht gehabt, die pekuniären
Interessen des Beschwerdegegners zu wahren, und sei damit auch für
die Verhinderung oder jedenfalls Begrenzung einer Schädigung derselben
verantwortlich gewesen. Es habe ihn daher eine erhöhte Sorgfaltspflicht
getroffen. In Übereinstimmung mit der Vorinstanz ergibt sich das andauernde
pflichtwidrige Verhalten zudem auch aus der Regelmässigkeit und Konstanz,
mit der er von 1977 bis 1993 jährlich ein bis zweimal delinquierte. Da
der Beschwerdeführer nach den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen
der Vorinstanz (Art. 277bis Abs. 1 BStP) die letzte strafbare Handlung
am 5.5.1993 ausführte, war diese somit im Zeitpunkt der Ausfällung
des angefochtenen Urteils, mit dem die Strafverfolgung beendet wurde
(BGE 121 IV 64 E. 2 mit Hinweisen), noch nicht verjährt. Bei dieser
Sachlage hat die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt, wenn sie die vom
Beschwerdeführer begangenen Veruntreuungen und Urkundenfälschungen zu
einer verjährungsrechtlichen Einheit zusammenfasste und die Strafverfolgung
hinsichtlich sämtlicher strafbaren Handlungen als nicht verjährt ansah.

    b) Bei dieser Sachlage besteht kein Anlass, die Frage der teilweisen
Verjährung der Schadenersatzforderung sowie die Strafzumessung der
Vorinstanz zu überprüfen, da der Beschwerdeführer dies nur eventualiter
für den Fall beantragt, dass er mit seinem Hauptantrag durchdringt. Die
Beschwerde erweist sich somit als unbegründet.

Erwägung 4

    4.- (Kosten- und Entschädigungsfolgen)