Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 124 IV 49



124 IV 49

8. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 5. Dezember 1997 i.S. X.
gegen Staatsanwaltschaft des Oberwallis (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 60 Abs. 2 OR, Art. 72 Ziff. 2 Abs. 1 StGB; Unterbrechung der
zivilrechtlichen Verjährung.

    Hat sich der Geschädigte im Strafprozess als Prozesspartei
konstituiert, bewirkt die Unterbrechung der strafrechtlichen
Verfolgungsverjährung auch die Unterbrechung der Verjährung für die
Zivilforderung (E. 4).

Sachverhalt

    Das Bezirksgericht Leuk und Westlich-Raron sprach X. mit Urteil
vom 17. April 1997 der fahrlässigen Tötung nach Art. 117 StGB und der
fahrlässigen Störung des öffentlichen Verkehrs nach Art. 237 Ziff. 2 StGB
schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 60
Tagen, mit bedingtem Strafvollzug und einer Probezeit von 2 Jahren, sowie
zu einer Busse von Fr. 2'000.--, bedingt löschbar nach Ablauf derselben
Probezeit. Die Zivilbegehren verwies es auf den Zivilweg.

    Das Kreisgericht Oberwallis für den Bezirk Visp wies in der
Sitzung vom 26. Juni 1997 eine Berufung von X. ab und bestätigte das
erstinstanzliche Urteil im Schuld- und Strafpunkt. Hingegen hiess es eine
von den Erben von C. geführte Berufung gut und verurteilte X. zur Zahlung
von Fr. 19'032.15 Schadenersatz sowie zur Leistung einer Genugtuung von
insgesamt Fr. 55'000.-- unter solidarischer Haftbarkeit mit den übrigen
Verurteilten.

    Gegen diesen Entscheid führt X. eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde
mit dem Antrag, das Urteil des Kreisgerichts Oberwallis vom 26. Juni 1996
sei, soweit es ihn betreffe aufzuheben und die Vorinstanz sei anzuweisen,
ihn von Schuld und Strafe freizusprechen und die Zivilklage gegen ihn
abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- a) Der Beschwerdeführer rügt schliesslich die Zusprechung von
Schadenersatz und Genugtuung an die Geschädigten. Er macht geltend,
die Zivilforderungen der Geschädigten seien verjährt. Die subsidiäre
strafrechtliche Verjährungsfrist im Sinne von Art. 60 Abs. 2 OR betrage
gemäss Art. 70 StGB fünf Jahre. Wenn der Geschädigte vor Ablauf dieser
Frist keine unterbrechende Handlung vornehme, sei der Zivilanspruch
verjährt. Eine solche verjährungsunterbrechende Handlung der Geschädigten
sei im zu beurteilenden Fall nicht erfolgt. Die Vorinstanz habe diese Frage
jedoch gar nicht geprüft, weil sie von einem falschen Rechtsstandpunkt
ausgegangen sei. Dabei habe sie verkannt, dass die von ihr angeführte
Regel die absolute Verjährung betreffe, die jedoch nicht massgeblich sein
könne, wenn die relative Verjährungsfrist nicht rechtzeitig unterbrochen
worden sei.

    b/aa) Das Bezirksgericht Leuk und Westlich-Raron nahm hinsichtlich des
Schadenersatz- und Genugtuungsbegehrens der Erben des verunfallten C. an,
die Zivilpartei sei der strafprozessualen Pflicht von Art. 48 Ziff. 3
StPO/VS, ihre Begehren in einer begründeten Rechtsschrift innert 5 Tagen
vor der Hauptverhandlung zu hinterlegen, nur teilweise nachgekommen. Die
notwendigen Belege seien erst anlässlich der Schlussverhandlungen
ins Recht gelegt worden und die Einsprüche seien nicht rechtsgenüglich
nachgewiesen. Es verwies daher die Zivilbegehren mangels rechtsgenüglicher
Substantiierung auf den Zivilweg.

    bb) Die Vorinstanz hiess die Berufung der Zivilpartei gut und
sprach den Erben von C. unter solidarischer Haftbarkeit der Verurteilten
sowohl Schadenersatz wie Genugtuung zu. Sie erwog, nach Inkrafttreten
des Opferhilfegesetzes richte sich die adhäsionsweise Beurteilung
der Zivilforderung nach dessen Bestimmungen und sei Art. 48 Ziff. 3
StPO/VS nicht mehr anwendbar. Die Voraussetzungen für die Behandlung der
Zivilansprüche durch das Strafgericht seien hier erfüllt.

    Die Vorinstanz verwarf im Berufungsverfahren ferner die vom
Mitangeklagten Y. erhobene Einrede der Verjährung. Sie nahm an,
grundsätzlich gelange Art. 60 Abs. 2 OR und damit eine Verjährungsfrist von
5 Jahren zur Anwendung und erfolge die Unterbrechung der Verjährung nach
zivilrechtlichen Regeln. Wenn jedoch die strafrechtliche Verjährung gemäss
Art. 72 StGB unterbrochen werde, so gelte die verlängerte strafrechtliche
Verjährungsfrist auch für den Zivilanspruch, ansonsten der Zivilanspruch
vor dem Strafanspruch verjähren könne, was Art. 9 des Bundesgesetzes
über die Hilfe an Opfer von Straftaten (OHG; SR 312.5) zuwiderlaufe. Da
die Verfolgungsverjährung im zu beurteilenden Fall mehrmals unterbrochen
worden sei, stosse die Einrede der Verjährung ins Leere.

    c) Der gestützt auf Art. 41 ff. OR wegen unerlaubter Handlung geltend
gemachte Anspruch auf Schadenersatz oder Genugtuung verjährt in einem Jahr
von dem Tage hinweg, wo der Geschädigte Kenntnis vom Schaden und von der
Person des Ersatzpflichtigen erlangt hat, jedenfalls aber mit dem Ablaufe
von 10 Jahren, vom Tage der schädigenden Handlung an gerechnet (Art. 60
Abs. 1 OR). Wird die Klage aus einer strafbaren Handlung hergeleitet, für
die das Strafrecht eine längere Verjährung vorschreibt, so gilt diese auch
für den Zivilanspruch (Art. 60 Abs. 2 OR). Die längere strafrechtliche
Verjährungsfrist von Art. 60 Abs. 2 OR kommt nach der Rechtsprechung
auch für selbständige Genugtuungsansprüche von Angehörigen zur Anwendung
(BGE 122 III 5 E. 2).

    Die Vorinstanz und der Beschwerdeführer gehen übereinstimmend
davon aus, dass auf die zivilrechtlichen Ansprüche der Erben des
verunfallten Piloten die Verjährungsbestimmung von Art. 60 Abs. 2 OR zur
Anwendung gelangt. Streitig ist indessen die Frage, ob die massgebliche
Verjährungsfrist von 5 Jahren (Art. 60 Abs. 2 OR; Art. 117 i.V.m. Art. 70
StGB) unterbrochen worden ist.

    Solange sich der Geschädigte am Strafverfahren nicht durch
Geltendmachung seiner Zivilforderung beteiligt, liegt keine Zivilklage
vor. Die durch Untersuchungshandlungen der Strafverfolgungsbehörden
oder Verfügungen des Gerichts bewirkte Unterbrechung der
Strafverfolgungsverjährung (Art. 72 Ziff. 2 Abs. 1 StGB), kann sich somit
nicht auf die zivilrechtliche Verjährung auswirken. Dies ergibt sich
aus Art. 135 Ziff. 2 OR, nach welcher Bestimmung die Unterbrechung der
zivilrechtlichen Verjährung u.a. eine Klage oder Einrede vor einem Gericht
voraussetzt (OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Besonderer
Teil, Band II/1, 4. Aufl. 1987, S. 114 Rz. 380; BREHM, Berner Kommentar,
N. 93 zu Art. 60 OR je mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Damit die
strafrechtliche und zivilrechtliche Verjährung parallel zu laufen beginnen,
ist daher erforderlich, dass der Geschädigte innerhalb der strafrechtlichen
Verjährungsfrist im Strafverfahren als Prozesspartei in Erscheinung
tritt, d.h. seinen Willen manifestiert, im Rahmen des Strafprozesses
Zivilklage zu erheben. Von diesem Zeitpunkt an bewirkt die Unterbrechung
der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung auch die Unterbrechung der
Verjährung für die Zivilforderung. Ist die strafrechtliche Frist somit
gemäss Art. 72 Ziff. 2 StGB unterbrochen oder ruht sie, so tritt auch
für den Zivilanspruch die Verjährung erst nach Ablauf der verlängerten
strafrechtlichen Frist ein. Andernfalls könnte der Zivilanspruch vor dem
Strafanspruch verjähren (OFTINGER/STARK, aaO, S. 114 f. Rz. 381; vgl. auch
BERTI, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Obligationenrecht
I, 2. Aufl. 1996, N. 11 zu Art. 60 OR). Dies entspricht auch dem
Zweckgedanken des Opferhilfegesetzes, das in Art. 8 Abs. 1 lit. a
eine Pflicht zur Beurteilung der Zivilforderungen im Strafverfahren
festlegt. Solange der Täter nicht freigesprochen oder das Verfahren
nicht eingestellt ist, entscheidet danach grundsätzlich das Strafgericht
auch über die Zivilansprüche des Opfers (Art. 9 Abs. 1 OHG). Damit
wird dem Interesse des Opfers an einem Entscheid im Zivilpunkt ohne
Anstrengung eines zweiten Prozesses Rechnung getragen. Dieses soll nicht
zu selbständigen, zivilrechtlichen Prozesshandlungen gezwungen werden,
solange das Strafverfahren hängig ist. Handlungen der Straforgane,
welche zur Unterbrechung der Strafverfolgungsverjährung führen, sollen
daher dem Opfer der betreffenden Straftat bei der Geltendmachung seiner
zivilrechtlichen Ansprüche zugute kommen. Im zu beurteilenden Fall haben
sich die Hinterbliebenen des verunfallten Piloten nach den verbindlichen
Ausführungen der kantonalen Instanzen rechtzeitig als Zivilkläger
manifestiert, so dass die Verjährung für ihre Zivilforderung durch die
Untersuchungshandlungen ebenfalls unterbrochen worden ist. Die Beschwerde
erweist sich somit auch in diesem Punkt als unbegründet.