Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 124 IV 280



124 IV 280

47. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 14. Oktober 1998 i.S.
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen B. (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 13e ANAG und Art. 23a ANAG.

    Die Missachtung einer fremdenpolizeilichen Verfügung betreffend
Ausgrenzung oder Eingrenzung ist nur dann strafbar, wenn sich der
Vollzug der Weg- oder Ausweisung des Ausländers als undurchführbar
erweist. Massgebend sind insoweit die Verhältnisse nicht zur Zeit der Tat,
sondern im Zeitpunkt des Urteils (E. 2).

    Verzicht auf die Anordnung des Vollzugs von einschlägigen Vorstrafen
(E. 3).

Sachverhalt

    A.- Mit Verfügung der Fremdenpolizei des Kantons Zürich vom 22. Juli
1997 wurde B. das Betreten der Stadt Zürich verboten. Am Abend des 16.
Januar 1998 begab sich B. nach Zürich, um mit einem Kollegen eine Diskothek
aufzusuchen.

    B.- Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Zürich verurteilte
B. am 19. Januar 1998 wegen Widerhandlung gegen das Bundesgesetz
über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer im Sinne von Art. 23a
i.V.m. Art. 13e ANAG zu vier Monaten Gefängnis (unbedingt). Er ordnete
zudem den Vollzug der Gefängnisstrafen von 30 Tagen und von 90 Tagen
gemäss den Strafbefehlen der Bezirksanwaltschaft Zürich vom 4. September
1997 und vom 25. Dezember 1997 an.

    Das Obergericht des Kantons Zürich sprach B. auf dessen Berufung hin
am 2. März 1998 vom Vorwurf der Widerhandlung gegen das Bundesgesetz
über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer frei und hob die Verfügung
betreffend Widerruf des bedingten Strafvollzugs auf.

    C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts
sei aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab

Auszug aus den Erwägungen:

                    aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Durch das Bundesgesetz über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht
vom 18. März 1994, in Kraft seit 1. Februar 1995, sind dem Bundesgesetz
über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR 142.20) mehrere
neue Bestimmungen beigefügt worden, nämlich Art. 13a-13e und Art. 23a.

    Um die Durchführung eines Wegweisungsverfahrens sicherzustellen, kann
die zuständige kantonale Behörde einen Ausländer, der keine Aufenthalts-
oder Niederlassungsbewilligung besitzt, während der Vorbereitung des
Entscheides über seine Aufenthaltsberechtigung gemäss Art. 13a ANAG
für höchstens drei Monate in Haft nehmen, und zwar unter anderem dann,
wenn er ein nach Art. 13e ANAG ihm zugewiesenes Gebiet verlässt oder ihm
verbotenes Gebiet betritt (Art. 13a Buchstabe b). Diese Haft im Sinne von
Art. 13a ANAG ist die sogenannte Vorbereitungshaft (siehe die Botschaft
des Bundesrates, BBl 1994 I 305 ff., 321 f.). Wurde ein erstinstanzlicher
Weg- oder Ausweisungsentscheid eröffnet, so kann die zuständige kantonale
Behörde den Ausländer gemäss Art. 13b Abs. 1 ANAG zur Sicherstellung des
Vollzugs in Haft belassen, wenn er sich gestützt auf Art. 13a bereits in
Haft befindet, beziehungsweise in Haft nehmen, wenn Gründe nach Art. 13a
Buchstabe b, c oder e vorliegen. Diese Haft im Sinne von Art. 13b ANAG
ist die Ausschaffungshaft (Botschaft S. 323 f.). Sie darf höchstens drei
Monate dauern; stehen dem Vollzug der Weg- oder Ausweisung besondere
Hindernisse entgegen, kann die Haft mit Zustimmung der kantonalen
richterlichen Behörde um höchstens sechs Monate verlängert werden
(Art. 13b Abs. 2 ANAG). Die Haft, und zwar sowohl die Vorbereitungs- wie
auch die Ausschaffungshaft, wird gemäss Art. 13c Abs. 5 Buchstabe a ANAG
unter anderem dann beendet, wenn "sich erweist, dass der Vollzug der Weg-
oder Ausweisung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen undurchführbar
ist". Unter derselben Voraussetzung ist die Missachtung einer Aus- oder
Eingrenzungsverfügung gemäss Art. 23a ANAG strafbar.

    b) Ob ein Ausländer ausgeschafft werden kann, steht im Zeitpunkt, in
dem er eine Auflage gemäss Art. 13e ANAG (betreffend Ein- oder Ausgrenzung)
missachtet, häufig noch nicht fest. Solange unklar ist, ob der Ausländer
ausgeschafft werden kann, kommt grundsätzlich die Vorbereitungs- bzw.
Ausschaffungshaft in Betracht und ist jedenfalls eine Bestrafung wegen
Missachtung einer Ein- bzw. Ausgrenzungsverfügung ausgeschlossen. Wenn
im Sinne des Gesetzes und der diesbezüglichen Rechtsprechung (siehe etwa
BGE 122 II 148 E. 3 S. 152 f.) "sich erweist, dass der Vollzug der Weg-
oder Ausweisung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen undurchführbar
ist", fallen einerseits die Vorbereitungs- und die Ausschaffungshaft,
welche ja die Sicherstellung der Ausschaffung bezwecken, ausser Betracht
und ist andererseits eine Bestrafung wegen Missachtung einer Aus-
bzw. Eingrenzungsverfügung zulässig. Die Strafbarkeit hängt nicht etwa
davon ab, ob der Ausländer wegen der Missachtung der Auflage sich zu
irgendeiner Zeit in Vorbereitungs- und/oder Ausschaffungshaft befunden
hat, sondern allein davon, ob der Vollzug der Weg- oder Ausweisung
undurchführbar ist.

    Kann der Ausländer ausgeschafft werden, so ist es aus der Sicht
des Gesetzgebers nicht opportun, vorerst noch eine Freiheitsstrafe
wegen Missachtung einer Aus- bzw. Eingrenzungsverfügung gemäss Art. 23a
i.V.m. Art. 13e ANAG auszusprechen und allenfalls zu vollstrecken. Kann
der Ausländer aber nicht ausgeschafft werden, so soll er wegen der
Missachtung der Aus- oder Eingrenzungsverfügung bestraft werden, womit
auch erreicht werden kann, dass er sich in der Zukunft an solche
Auflagen hält. Die Strafe ist damit insoweit subsidiär gegenüber
den fremdenpolizeilichen Massnahmen der Ausschaffung sowie der diese
sicherstellenden Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft. In Anbetracht
des sich aus dem Gesetz ergebenden Vorrangs der Ausschaffung vor einer
Bestrafung muss der Strafrichter bei der Beurteilung der Missachtung einer
Aus- bzw. Eingrenzungsverfügung auf die (ihm bekannten) Verhältnisse
zur Zeit des Urteils abstellen.

    Dies gilt auch dann, wenn, wie offenbar im vorliegenden Fall, zur
Zeit der Tat eine Ausschaffung des Ausländers und daher auch die Anordnung
einer fremdenpolizeilichen Haft in Anbetracht der damaligen (den Behörden
bekannten) Verhältnisse ausser Betracht fiel, diese Verhältnisse bzw. der
Kenntnisstand der Behörden sich in der Folge, und sei es auch erst kurz
vor der Ausfällung des letztinstanzlichen kantonalen Urteils, dergestalt
geändert haben, dass eine Ausschaffung möglich geworden ist. Auch in
diesem Fall sind allein die den Behörden bekannten Verhältnisse zur Zeit
des Urteils massgebend. Dass der Ausländer trotz Missachtung einer Aus-
bzw. Eingrenzungsverfügung im Sinne von Art. 13e ANAG nicht in Anwendung
von Art. 13a Buchstabe b respektive Art. 13b Abs. 1 Buchstabe b ANAG in
Vorbereitungs- resp. Ausschaffungshaft genommen werden konnte, da eine
Ausschaffung damals unmöglich schien, bedeutet nicht, dass der Ausländer
ungeachtet der Änderung der Verhältnisse zu bestrafen sei.

    Die in Art. 23a ANAG vorausgesetzte erwiesene Undurchführbarkeit
des Wegweisungsvollzugs ist nicht eine persönliche Sondereigenschaft des
Täters, die im Zeitpunkt der Tat vorliegen muss, sondern eine objektive
Strafbarkeitsbedingung oder allenfalls eine Prozessvoraussetzung aus
Opportunitätsgründen, die zur Zeit der Urteilsfällung erfüllt sein muss.

    c) Allerdings können sich die Verhältnisse auch noch nach Eintritt der
Rechtskraft des Strafurteils ändern. So ist es möglich, dass einerseits ein
rechtskräftig gemäss Art. 23a i.V.m. Art. 13e ANAG verurteilter Ausländer
zufolge nachträglicher Änderung der Verhältnisse doch noch ausgeschafft
und dass andererseits ein rechtskräftig freigesprochener Ausländer
zufolge nachträglicher Änderung der Verhältnisse nicht mehr ausgeschafft
werden kann. Wie in diesen Fällen vorzugehen wäre, kann hier mit der
Vorinstanz offen gelassen werden. Im Übrigen ergeben sich bei Änderung der
für die Ausschaffung relevanten Verhältnisse Schwierigkeiten unabhängig
davon, ob die Verhältnisse zur Zeit der Tat oder die Verhältnisse im
Zeitpunkt der Urteilsfällung als massgebend erachtet werden. Die Probleme
resultieren aus Art. 23a ANAG selbst, der entscheidend darauf abstellt,
ob der Vollzug der Weg- oder Ausweisung durchführbar ist, was aber von
rechtlichen und tatsächlichen Umständen abhängt, die sich im Laufe der
Zeit, sowohl zwischen der Tat und der Urteilsfällung als auch noch nach
dem Eintritt der Rechtskraft des Urteils, ändern können.

    d) Im Zeitpunkt der Ausfällung des angefochtenen Berufungsurteils
vom 2. März 1998 war der Vollzug der Wegweisung des Beschwerdegegners
durchführbar, da die jugoslawischen Behörden mit Schreiben vom 6. Januar
1998 ihre Zustimmung für die Ausstellung eines "Laissez-passer" für
den Beschwerdegegner erteilt haben, wie das Bundesamt für Flüchtlinge
mit Schreiben vom 20. Januar 1998 der Fremdenpolizei des Kantons Zürich
mitteilte. Damit waren im Zeitpunkt der Urteilsfällung, der massgebend
ist, die Voraussetzungen für eine Bestrafung des Beschwerdegegners
gemäss Art. 23a i.V.m. Art. 13e ANAG nicht (mehr) erfüllt. Entgegen dem
Eventualstandpunkt der Beschwerdeführerin fällt eine Bestrafung eines
Ausländers gemäss Art. 23a i.V.m. Art. 13e ANAG nicht erst dann ausser
Betracht, wenn dieser tatsächlich aus der Schweiz ausgeschafft, der
Vollzug der Wegweisung also durchgeführt worden ist; es genügt, dass der
Vollzug der Wegweisung durchführbar, mit andern Worten die Ausschaffung
möglich ist.

    Die Vorinstanz hat den Beschwerdegegner daher zu Recht vom Vorwurf
der Missachtung der Ausgrenzungsverfügung der Fremdenpolizei des Kantons
Zürich vom 22. Juli 1997 freigesprochen.

    Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ist somit in diesem Punkt
abzuweisen.

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer ist durch Strafbefehle der Bezirksanwaltschaft
Zürich vom 4. September 1997 und vom 25. Dezember 1997 zu bedingt
vollziehbaren Gefängnisstrafen von 30 Tagen beziehungsweise 90 Tagen
verurteilt worden, weil er sich am 3. September 1997 bzw. am 24. Dezember
1997 in Missachtung der Ausgrenzungsverfügung der Fremdenpolizei des
Kantons Zürich vom 22. Juli 1997 in der Stadt Zürich aufgehalten hatte.

    a) Die 1. Instanz, die den Beschwerdegegner wegen  Widerhandlung
im Sinne von Art. 23a i.V.m. Art. 13e ANAG zu vier Monaten Gefängnis
(unbedingt) verurteilte, da er die Ausgrenzungsverfügung am 16. Januar
1998 erneut missachtet hatte, ordnete den Vollzug der beiden Vorstrafen
an. Die Vorinstanz hat die Verfügung betreffend Widerruf des bedingten
Strafvollzugs unter Hinweis auf den Ausgang des Verfahrens (Freispruch)
aufgehoben.

    Die Beschwerdeführerin macht geltend, auch im Falle der Bestätigung
des vorinstanzlichen Freispruchs sei der Vollzug der beiden einschlägigen
Vorstrafen anzuordnen. Der Beschwerdegegner habe durch die erneute
Missachtung der Ausgrenzungsverfügung während den Probezeiten jedenfalls im
Sinne von Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1 StGB in anderer Weise das auf ihn gesetzte
Vertrauen getäuscht. Die Vorinstanz habe Bundesrecht verletzt, indem sie
nicht zumindest aus diesem Grunde den Vollzug der beiden einschlägigen
Vorstrafen angeordnet habe. Eventuell sei der angefochtene Entscheid
insoweit gemäss Art. 277 BStP aufzuheben, da er mangels hinreichender
diesbezüglicher Begründung nicht auf seine Vereinbarkeit mit Bundesrecht
überprüft werden könne.

    b) Ein bestimmtes Verhalten, das etwa wegen Fehlens eines
Tatbestandsmerkmales, einer objektiven Strafbarkeitsbedingung oder
einer Prozessvoraussetzung nicht strafbar ist, soll nicht kurzerhand
als Täuschung des Vertrauens in anderer Weise im Sinne von Art. 41
Ziff. 3 Abs. 1 StGB zum Widerruf des bedingten Strafvollzugs führen. Die
Vorinstanz hat dem Anschein nach in dieser Überlegung ohne ausdrückliche
Begründung von einem Widerruf abgesehen. Im Übrigen betreffen die
beiden Vorstrafen ebenfalls Widerhandlungen des Beschwerdegegners gegen
die Ausgrenzungsverfügung vom 22. Juli 1997. Es ist fraglich, ob eine
Anordnung des Vollzugs dieser Strafen in Anwendung von Art. 41 Ziff. 3
Abs. 1 StGB mit Sinn und Zweck des Bundesgesetzes über Zwangsmassnahmen
im Ausländerrecht vereinbar wäre, nachdem in Anbetracht der zur Zeit
der Ausfällung des Berufungsurteils bekannten Sachlage die Ausschaffung
des Beschwerdegegners möglich war und gerade aus diesem Grunde die
erneute Missachtung der Ausgrenzungsverfügung, die nach Meinung der
Beschwerdeführerin Anlass zum Widerruf des bedingten Strafvollzugs sein
soll, nicht strafbar ist.

    Die Beschwerde ist daher auch in diesem Punkt abzuweisen.