Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 124 IV 193



124 IV 193

34. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 29. September
1998 i.S. S. gegen Kantonsgericht des Kantons Wallis
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 38 StGB; bedingte Entlassung.Die bedingte Entlassung ist die
Regel, von der nur aus guten Gründen abgewichen werden kann (E. 4d;
Bestätigung der Rechtsprechung).

    Bei zeitlich befristeten Freiheitsstrafen ist die Gefährlichkeit des
Täters zu beurteilen und ob diese bei einer allfälligen Vollverbüssung der
Strafe abnehmen, gleich bleiben oder zunehmen wird. Zudem ist zu prüfen, ob
die bedingte Entlassung mit der Möglichkeit von Auflagen und Schutzaufsicht
eher zu einer Resozialisierung des Täters führt als die Vollverbüssung
der Strafe (E. 4d/aa/bb; Weiterentwicklung der Rechtsprechung).Anwendung
dieser Grundsätze auf den konkreten Fall und Einzelfragen (E. 5b).

Sachverhalt

    A.- S. befindet sich im Vollzug einer 101/2-jährigen Zuchthausstrafe
wegen qualifizierten Raubes, qualifizierten Diebstahls usw., die das
Kantonsgericht des Kantons Wallis am 1. Juni 1994 ausgesprochen hat. Am
23. April 1998 waren zwei Drittel der Strafe verbüsst.

    B.- Die Kommission für bedingte Entlassung des Kantons Wallis lehnte
am 16. März 1998 die bedingte Entlassung des S. aus dem Strafvollzug
ab. Eine Verwaltungsbeschwerde des Betroffenen wies der Staatsrat des
Kantons Wallis mit Entscheid vom 20. Mai 1998 ab. Die dagegen erhobene
Verwaltungsgerichtsbeschwerde wies das Kantonsgericht am 16. Juli 1998 ab,
soweit es darauf eintrat.

    C.- S. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt, das
angefochtene Urteil sei aufzuheben und er sei unverzüglich bedingt zu
entlassen; eventualiter sei anstelle einer Rückweisung an die Vorinstanz
eine mündliche Parteiverhandlung anzuordnen.

    Während sich das Kantonsgericht vernehmen liess, verzichtete
das EJPD auf eine Stellungnahme.Das Bundesgericht hat die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde teilweise gutgeheissen

Auszug aus den Erwägungen:

                  aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Hat der zu Zuchthaus oder Gefängnis Verurteilte zwei Drittel der
Strafe verbüsst, so kann ihn die zuständige Behörde bedingt entlassen,
wenn sein Verhalten während des Strafvollzuges nicht dagegen spricht und
anzunehmen ist, er werde sich in der Freiheit bewähren (Art. 38 Ziff. 1
Abs. 1 StGB).

    Die bedingte Entlassung ist die vierte Stufe des Strafvollzugs
und deshalb in der Regel anzuordnen. Davon darf nur aus guten Gründen
abgewichen werden. Wie bei der Zubilligung des bedingten Strafvollzuges
ist auch bei der bedingten Entlassung für die Beurteilung des künftigen
Wohlverhaltens eine Gesamtwürdigung durchzuführen, um eine möglichst
zuverlässige Grundlage für die Prognose zu erhalten. Es sind somit das
gesamte Vorleben, die Täterpersönlichkeit, das deliktische und sonstige
Verhalten des Täters zu untersuchen.Es genügt, dass das Verhalten des
Verurteilten während des Strafvollzuges nicht gegen die vorzeitige
Entlassung spricht. Man kann sich fragen, ob das Verhalten während des
Vollzuges überhaupt noch ein selbständiges Entscheidungskriterium oder
nicht vielmehr bloss ein Umstand ist, der bei der Gesamtwürdigung zu
berücksichtigen ist (BGE 119 IV 5 E. 1a/aa mit Hinweisen).

    Welche Art von Delikt zur Freiheitsstrafe geführt hat, ist an sich für
die Prognose nicht entscheidend. Die Entlassung darf nicht für gewisse
Tatkategorien erschwert werden. Dagegen sind die Umstände der Straftat
insoweit beachtlich, als sie Rückschlüsse auf die Täterpersönlichkeit und
damit auf das künftige Verhalten erlauben. Ob die mit einer bedingten
Entlassung in gewissem Masse stets verbundene Gefahr neuer Delikte
(BGE 98 Ib 106 E. 1b; 119 IV 5 E. 1b) zu verantworten ist, hängt im
Übrigen nicht nur davon ab, wie wahrscheinlich ein neuer Fehltritt ist,
sondern auch von der Bedeutung des eventuell bedrohten Rechtsgutes. Hat
z.B. ein Strafgefangener früher nur unbedeutende Eigentumsdelikte
begangen, so darf ein höheres Risiko übernommen werden als bei einem
Gewaltverbrecher, der sich in schwerer Weise gegen hochwertige Rechtsgüter
(Leib, Leben usw.) vergangen hat. Die mit der bedingten Entlassung
verfolgte Wiedereingliederung des Rechtsbrechers ist nicht Selbstzweck,
sondern auch ein Mittel, um die Allgemeinheit vor neuen Straftaten zu
schützen. Deswegen rechtfertigt es sich auch, im Rahmen der Prognose
der Art des möglicherweise weiterhin gefährdeten Rechtsgutes Rechnung
zu tragen.Im Rahmen der Gesamtwürdigung sind neben dem Vorleben und
der Persönlichkeit vor allem die neuere Einstellung, der Grad der Reife
einer allfälligen Besserung und die nach der Entlassung zu erwartenden
Lebensverhältnisse des Täters zu prüfen.

    Bei Würdigung der Bewährungsaussichten ist freilich allgemein ein
vernünftiges Mittelmass zu halten in dem Sinne, dass nicht jede noch
so entfernte Gefahr neuer Straftaten eine Verweigerung der bedingten
Entlassung zu begründen vermag, ansonst dieses Institut seines Sinnes
beraubt würde. Anderseits darf aber auch nicht aufgrund einzelner
günstiger Faktoren die bedingte Entlassung bewilligt werden, obwohl
gewichtigere Anhaltspunkte für die Gefahr neuer Rechtsbrüche sprechen
(BGE 103 Ib 27; 104 IV 281; 119 IV 5 E. 1 und 2 mit Hinweisen).

Erwägung 4

    4.- a) In der Literatur besteht Einigkeit über die Schwierigkeit,
im Einzelfall eine verlässliche Prognose zu stellen (STRATENWERTH,
Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil II, S. 88 N. 49 und S. 93
N. 61; SCHULTZ, Einführung in den Allgemeinen Teil des Strafrechts
II, 4. Auflage, S. 61; REHBERG, Strafrecht II, 6. Auflage, S.44 lit. c;
TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, Art. 38 N. 6;
LOGOZ, Commentaire du Code Pénal Suisse, S. 217 f.; MICHEL GRABER, La
libération conditionelle à l'épreuve du fédéralisme, Kriminologisches
Bulletin 13/1987, S. 12; FRANÇOIS STRASSER, La libération conditionnelle
entre le rite et l'innovation, in: La libération conditionnelle: risque ou
chance?, Bâle et Francfort-sur-le-Main 1994, S. 154 ff.; WOLFGANG FRISCH,
Dogmatische Grundfragen der bedingten Entlassung und der Lockerungen des
Vollzugs von Strafen und Massregeln, ZStrW 102/1990, S. 708). Dies gilt
insbesondere für den weitaus grössten Teil der Strafgefangenen, bei denen
nicht sämtliche möglichen Beurteilungsmerkmale klarerweise entweder für
oder gegen eine günstige Prognose sprechen.

    Der Grund für diese Schwierigkeit liegt - abgesehen von der jeder
Prognose anhaftenden Ungenauigkeit - einerseits in der gesetzlichen
Formulierung, die den Regelungsinhalt mit unbestimmten Gesetzesbegriffen
umschreibt (wenn das Verhalten des Verurteilten während des Strafvollzuges
nicht gegen die bedingte Entlassung spricht und anzunehmen ist, er
werde sich in der Freiheit bewähren), und anderseits in der spärlichen
dogmatischen Durchdringung dieser Problematik in der Literatur. FRISCH
(aaO, S. 707 ff.) leuchtet - für das deutsche Recht (insbesondere § 57
Abs. 1 StGB) und z.T. unter Hinweis auf die Schweizer Rechtsprechung
und Lehre - die Problematik von Prognoseentscheiden aus und zeigt
Leitlinien, die den Entscheidungsvorgang versachlichen können. Seine
Darlegungen haben im Wesentlichen auch für die Schweiz ihre Gültigkeit.
Besonders prüfenswert ist sein Vorschlag, im Sinne einer umfassenden
risikoorientierten Sicht seien die Vorzüge und Nachteile der
Vollverbüssung der Strafe denjenigen einer Aussetzung eines Strafrestes
gegenüberzustellen.

    b) Die empirische Untersuchung in den französisch-sprachigen
Kantonen (mit Ausnahme des Kantons Wallis) über die bedingte Entlassung
von Strafgefangenen und ihre allfällige Rückversetzung im Jahr 1990 (La
libération conditionnelle: risque ou chance?, Bâle et Francfort-sur-le-Main
1994) zeitigte unter anderem folgende Ergebnisse:

    Im Kanton Genf sei die bedingte Entlassung im Sinne des
Stufenstrafvollzuges konsequent als vierte und letzte Stufe
ausgestaltet. Die Strafgefangenen kämen praktisch automatisch in den Genuss
einer positiven Vormeinung und damit auch der bedingten Entlassung. Nur
in schwerwiegenden Fällen (bei früherer Rückversetzung) oder besonders
komplexen werde eine eingehendere Prognoseabklärung vorgenommen
mit der Möglichkeit, dass die bedingte Entlassung verweigert werde
(9%). Demgegenüber erscheine die bedingte Entlassung im Kanton Waadt
als eine vom Stufenstrafvollzug unabhängige Einrichtung. Insbesondere
Rückfälligen werde die bedingte Entlassung nur sehr zurückhaltend gewährt
(35%). Diese Praxis diene damit vor allem der Generalprävention: Der
Entscheid der kantonalen Behörde orientiere sich am «Risiko», und die
Gewährung oder Verweigerung der bedingten Entlassung erscheine einerseits
als Disziplinarinstrument gegenüber den Strafgefangenen und anderseits
als Mittel, um die öffentliche Sicherheit zu wahren (MASSIMO SARDI,
Pratique de la libération conditionelle, in: La libération ..., S. 134
ff; vergleichbar wie im Kanton Genf sei die Situation in den Kantonen
Neuenburg, Freiburg und Jura, aaO, S. 133 Fn 32).

    Dieselbe Untersuchung förderte aber nicht nur massive kantonale
Unterschiede in der Zweckausrichtung der bedingten Entlassung zu Tage,
sondern teilweise auch Praktiken, welche entweder die heute gültigen
gesetzlichen Voraussetzungen gar nicht prüften oder sich auf Bedingungen
des alten Rechts wie auch auf solche des Revisionsentwurfs stützten
(FRANÇOIS STRASSER, aaO, S. 137 ff., insbesondere S. 140 f.). Abschliessend
wird - im Sinne einer Wiederaufwertung der bedingten Entlassung -
gefordert: eine wirksame gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit im Kanton,
eine signifikante Herabsetzung der unterschiedlichen Beurteilungen durch
die Kantone sowie eine Verbesserung der Begründung der Entscheide (ROBERT
ROTH, Perspectives, in: La libération ..., S. 203 ff., insbesondere
S. 208).

    c) Diese Forderungen sind zwischenzeitlich zumindest teilweise
erfüllt. Durch Art. 98a OG sind die Kantone verpflichtet worden, bis
spätestens zum 15. Februar 1997 (Ziff. 1 Abs. 1 SchlB der Änderung vom
4. Oktober 1991) unter anderem im Verfahren der bedingten Entlassung und
der Rückversetzung als letzte kantonale Beschwerdeinstanzen richterliche
Behörden zu bestellen. Zudem hat das Bundesgericht die Waadtländer Praxis
mehrmals als bundesrechtswidrig beanstandet, unter anderem auch wegen
der unzureichenden Begründung (BGE 119 IV 5).

    d) Wie oben erwähnt und wie das Bundesgericht in BGE 119 IV 5 E. 2
bestätigt hat, stellt die bedingte Entlassung in der Ausgestaltung des
Art. 38 StGB die vierte und letzte Etappe des Stufenstrafvollzugs dar,
worüber auch in der Schweizer Literatur Einigkeit besteht (SCHULTZ, aaO,
S. 58; LOGOZ, aaO, S. 214; STRATENWERTH, aaO, S. 87 N. 46; TRECHSEL, aaO,
Art. 38 N. 1; GRABER, aaO, S. 9 f.). Sie erfüllt rein spezialpräventive
Zwecke (BGE 103 Ib 23 E. 1; STRATENWERTH, aaO, S. 88 N. 49) und bildet die
Regel, von der nur aus guten Gründen abgewichen werden darf (BGE 119 IV
5 E. 2). Welches sind nun aber diese «guten Gründe»? Betrachtet man die
vom Bundesgericht in verschiedenen Entscheiden aufgestellten Kriterien
(E. 3), so erhält man eine Liste von Merkmalen, die entweder eher für
oder gegen die bedingte Entlassung sprechen. Der Entscheid darüber, welche
Seite überwiegt, bleibt jedoch spekulativ. Wenn dieser aus naheliegenden
Gründen (Prognose) schliesslich immer auch auf unsicheren Annahmen beruhen
wird, muss er doch im Beurteilungsvorgang von sachlichen Anhaltspunkten
getragen sein.

    aa) Die beiden gesetzlichen Voraussetzungen «das nicht gegen die
bedingte Entlassung sprechende Verhalten des Verurteilten während des
Strafvollzugs» und «die Annahme, er werde sich in Freiheit bewähren»,
können kurz als «günstige Prognose» umschrieben werden. Diese
günstige Prognose steht aber im Spannungsfeld zwischen einerseits dem
spezialpräventiven Imperativ der bedingten Entlassung als letzter Stufe
des Strafvollzugs, da die Freiheit nur «in Freiheit» erlernt werden kann
(STRASSER, aaO, S. 155 f), und anderseits dem Anspruch der Allgemeinheit
auf Rechtsgüterschutz (FRANZ STRENG, Strafrechtliche Folgenorientierung
und Kriminalprognose, in: Die Täter-Individualprognose, Hrsg. Dieter
Dölling, Heidelberg 1995, S. 116 f.).Bei realistischer Betrachtung muss
man in den meisten Fällen der Entscheidung über die bedingte Entlassung bei
zeitlich befristeten Freiheitsstrafen (d.h. dort, wo der Sachrichter keine
Verwahrung angeordnet hat) annehmen, dass sich am Zustand, in dem sich der
Täter jetzt, nach Zwei-Drittel-Verbüssung, befindet, während des restlichen
Drittels im Vollzug nicht mehr allzu viel ändern wird. Der vagen
Hoffnung eines Fortfalls der Gefährlichkeit in dieser Zeit aus Gründen,
die nicht sichtbar sind, steht mindestens gleichrangig die Verschärfung
der Gefahr durch die Situation des Vollzugs und die Fernhaltung des
Täters vom Leben in Freiheit gegenüber. Die weitere Verbüssung der Strafe
taugt damit nicht zur Vermeidung etwaiger Straftaten. Sie taugt zwar
allenfalls zur Vermeidung während der (restlichen) Zeit der Verbüssung,
verschiebt im Übrigen das Problem möglicher Straftatenbegehung bloss auf
einen späteren Zeitpunkt (FRISCH, aaO, S. 736) und schneidet zudem unter
dem spezialpräventiven Aspekt späterer Legalbewährung am schlechtesten ab
(KARL-LUDWIG KUNZ, Kriminologie, 2. Auflage, Bern 1998, § 31 N. 18). Zwar
spielen auch bei dieser Überlegung gewisse prognostische und damit
unsichere Elemente eine Rolle. Doch wird die konkrete Beantwortung wohl
in den meisten Fällen relativ einfach sein, weil die Frage nach der
Gefährlichkeit des Strafgefangenen nun nicht mehr mit derjenigen nach
dessen Resozialisierung vermengt wird.

    bb) Anschliessend ist folgende Frage zu prüfen: Sollte die bedingte
Entlassung in spezialpräventiver Hinsicht Vorteile in Gestalt einer
möglichen dauerhaften Problemlösung oder -entschärfung bieten, die die
Vollstreckung nicht bietet und deren man sich bei der Vollstreckung
begibt, so ist die bedingte Entlassung gegenüber der ja in Wahrheit
nicht problemlösenden, sondern das Problem nur zeitlich verschiebenden
Verweigerung der bedingten Entlassung in all den Fällen vorzugswürdig, in
denen diese Vorteile bestehen und ihre Wahrnehmung sinnvoll erscheint. In
den Fällen, in denen die weitere Vollstreckung die Unfähigkeit des Täters
zu einem normkonformen Leben in Freiheit nur noch zu verstärken droht,
bietet die bedingte Entlassung in ihrer Verbindung mit sachgerechten
Weisungen und der Stellung unter Schutzaufsicht die Möglichkeit, durch
eine rechtzeitige, schrittweise Anpassung an das Leben in Freiheit solche
Schäden zu vermeiden. Unabhängig davon bietet die bedingte Entlassung zwei
andere allgemeine Vorteile. Da der bedingt Entlassene damit rechnen muss,
bei bestimmtem Fehlverhalten (neuerlichen Taten, symptomatischen Verstössen
gegen Weisungen) auch noch den ausgesetzten Strafrest verbüssen zu müssen,
wird er bei dieser Lösung eher bereit sein, die ihm erteilten Weisungen
einzuhalten und sich damit normkonform zu verhalten, als er dies nach
verbüsster Strafe wäre. Zudem besteht in Fällen, in denen im Rahmen
der bedingten Entlassung Probleme des Verurteilten im Umgang mit der
Freiheit sichtbar werden, die Möglichkeit einer Krisenintervention durch
die Rückversetzung und durch gezielte sozialtherapeutische Angebote zur
Behebung oder Entschärfung dieser Probleme. Vergleichbare Möglichkeiten
gibt es im Falle der Vollverbüssung weder in rein zeitlicher noch in
verfahrensmässiger Hinsicht (FRISCH, aaO, S. 737 ff.; HANS-ULRICH MEIER,
Strafvollzug im Spannungsfeld der öffentlichen Meinung, in: Recht, Macht
und Gesellschaft, Zürich 1995, S. 99 f.; teilweise ebenso: STRATENWERTH,
aaO, S. 95 N. 64).

    cc) Diese kurz dargestellten Leitlinien führen ganz allgemein zu einer
Aufgliederung der Prognoseproblematik in verschiedene besser überschaubare
Bestandteile, wodurch der spekulative Teil des Entscheidungsvorgangs
eingeschränkt und damit auch vereinfacht wird. Eine derartige
Versachlichung wird der zuständigen Behörde vermehrt Anhaltspunkte für
ihren Entscheid und damit auch für die Begründung liefern, was sich
in einer erhöhten Akzeptanz bei den Betroffenen, aber auch in einer
leichteren Überprüfbarkeit bei einem allfälligen Weiterzug positiv
niederschlagen wird. Die aufgezeigten Leitlinien werden zudem auf eine
Vereinheitlichung der Praxis in den verschiedenen Kantonen hinwirken und
so einen wichtigen Beitrag zur Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit im
Bereich der bedingten Entlassung leisten. Durch die aufgezeigte Handhabung
erfährt die bedingte Entlassung gleichzeitig eine Aufwertung und Stärkung
als vierte und letzte Etappe des Stufenstrafvollzugs, welche Aufgabe sie
im Schweizer Recht unbestritten zu erfüllen hat.

Erwägung 5

    5.- a) Die Vorinstanz verweist zunächst auf die Ausführungen der
Kommission für bedingte Entlassung und des Staatsrats, wonach aufgrund
des Vorlebens des Beschwerdeführers keine günstige Prognose gestellt
werden könne. Nach ihnen handle es sich beim Beschwerdeführer um einen
Berufsverbrecher, der seit 1972 keiner geregelten Arbeit mehr nachgehe,
seinen Lebensunterhalt durch Straftaten bestreite und der seine Delikte
jeweils rücksichtslos und ohne etwelche moralische Hemmungen begangen
habe. Sie verwiesen auch auf die erneute deliktische Tätigkeit, die er an
den Tag gelegt habe, nachdem er am 30. Mai 1995 von einem Urlaub nicht mehr
in die Strafanstalt zurückgekehrt sei und die darauf schliessen lasse,
dass er seinen Hang zum Delinquieren noch nicht aufgegeben habe. In
gleichem Sinne werde auch das Verhalten des Beschwerdeführers gedeutet,
der nach wie vor die Täterschaft und die persönliche Verantwortung für
die Straftaten, für welche er im Strafvollzug stehe, leugne.

    Weiter führt die Vorinstanz aus, die Sachverhalte, die dieser
Beurteilung zugrunde lägen, seien durch die lange Serie von Verurteilungen
aktenmässig belegt und die Art und Weise, wie der Beschwerdeführer
seine Verbrechen verübt habe, gehe aus den entsprechenden Urteilen
hervor. Während der relativ kurzen Zeit, die er in den letzten dreissig
Jahren in Freiheit verbracht habe, sei er nie einer geregelten Arbeit
nachgegangen. Die Begründung des Staatsrats, dass der Beschwerdeführer
nach jedem Strafvollzug wieder rückfällig geworden sei, und dass jemandem,
der erstmals eine Strafe verbüsse, eher eine günstige Prognose gestellt
werden könne als jemandem, der immer wieder rückfällig geworden sei,
sei keineswegs abwegig.Wie die Einsichtigkeit bei der Strafzumessung als
Kriterium berücksichtigt werden könne, sei es durchaus sinnvoll, dieselbe
auch als Indiz für eine eingetretene Änderung der inneren Lebenseinstellung
zu betrachten und deren Fehlen als mangelnde innere Änderung zu deuten. Da
das Urteil des Walliser Kantonsgerichts vom 1. Juni 1994 in Rechtskraft
erwachsen sei, sei die Täterschaft des Beschwerdeführers als erwiesen
anzusehen. Wenn er nun einerseits ausführe, die Taten zu bereuen, wenn er
sie tatsächlich begangen habe, anderseits aber bestreite, die fraglichen
Taten begangen zu haben, so sei das nicht als Charakterfestigkeit
auszulegen, sondern spreche gegen seine Einsichtigkeit. Auf eine fehlende
Änderung seiner Lebenseinstellung weise auch die Nichtrückkehr in die
Strafanstalt am 30. Mai 1995 hin.

    Zwar habe die Verteidigerin des Beschwerdeführers zugesichert, ihn
in ihrer Anwaltskanzlei zu beschäftigen. Eine solche Abmachung müsse
jedoch im Gesamtzusammenhang betrachtet werden. Der heute 56-jährige
Beschwerdeführer sei gelernter Carrossier ohne kaufmännische oder
weitergehende Ausbildung. Die Kenntnis einiger einschlägiger, ihn
persönlich betreffender Rechtsnormen und das Abfassen von entsprechenden
Rechtsschriften in der Haft, wo die Zeit unter dem Gesichtspunkt des
Arbeitsaufwandes eine untergeordnete Rolle spiele, dürften nicht genügen,
um die Arbeit als juristischer oder kaufmännischer Mitarbeiter in einer
Anwaltskanzlei erfolgversprechend auszuüben. Dies mit der Folge, dass
der Beschwerdeführer sich wohl eher als ein von seiner Rechtsvertreterin
Unterstützter denn als vollwertiger Mitarbeiter fühlen müsste, was der
Persönlichkeit des Beschwerdeführers - wie sie vom Gericht eingeschätzt
werde - durchaus entgegenstehen könnte. Die gleichen Überlegungen
gälten für die Wohngelegenheit bei seiner Cousine. Die beiden ersten
Instanzen hätten deshalb nicht ohne Grund die Zusicherungen hinsichtlich
Arbeitsplatz und Wohnung als zu vage beurteilt.An sich könnten das Alter
des Beschwerdeführers und dessen gesundheitliche Probleme zu einer inneren
Wandlung geführt haben und damit eine positive Prognose begünstigen. Neben
den Zusicherungen seiner Vertreterin könne den Akten jedoch nichts
entnommen werden, was auf eine Änderung der inneren Einstellung des
Beschwerdeführers schliessen liesse. Selbst sein Schreiben vom 16. März
1998 an die Kommission stelle eine einzige Anklage dar, ohne auch nur
ansatzweise einen Anhaltspunkt für die Einsicht in das Unrecht seiner Taten
oder für ein künftig geändertes Verhalten zu liefern. Bei dieser Sach-
und Rechtslage und im Hinblick auf die beschränkte Kognitionsbefugnis
des Gerichts bleibe kein Raum, um den angefochtenen Entscheid aufzuheben
und die bedingte Entlassung anzuordnen. Denn es genüge nicht, dass
eine andere Lösung möglicherweise auch vertretbar wäre, um auf einen
Ermessensmissbrauch oder ein Überschreiten des Ermessens zu schliessen. Die
Beschwerde sei deshalb abzuweisen.

    b) Diese Begründung zur Verweigerung der bedingten Entlassung trägt
den in Erwägung 4 hievor dargelegten Leitlinien nicht Rechnung und
bedarf hinsichtlich der Gewichtung einzelner Beurteilungsmerkmale der
Präzisierung. Deshalb ist der angefochtene Entscheid aufzuheben, um der
Vorinstanz Gelegenheit zu geben, die Frage der bedingten Entlassung neu
zu beurteilen.

    aa) Dabei wird die Vorinstanz davon ausgehen, dass die bedingte
Entlassung als vierte und letzte Stufe des Strafvollzugs in der Regel
anzuordnen ist, und sie wird berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer
eine zeitlich befristete Strafe verbüsst und, falls ihm die bedingte
Entlassung verweigert wird, in etwas mehr als drei Jahren bedingungslos
in die Freiheit entlassen werden muss.

    bb) Konkret wird die Vorinstanz die Gefährlichkeit, die heute
vom Beschwerdeführer ausgeht, ihrem Ausmass nach zu beurteilen haben
und ob diese Gefährlichkeit bei einer allfälligen Vollverbüssung der
Strafe abnehmen, gleich bleiben oder zunehmen wird. Anschliessend sind
Überlegungen darüber anzustellen, ob es zweckmässig ist, eine allfällige
bedingte Entlassung mit Weisungen und/oder Schutzaufsicht zu verbinden,
und ob eine so auf den Beschwerdeführer zugeschnittene bedingte Entlassung
im Vergleich zur Vollverbüssung der Strafe spezialpräventiv vorzugswürdiger
ist oder nicht. Zu den Einzelheiten kann auf Erwägung 4 und die dortigen
Literaturstellen verwiesen werden.

    cc) Bei der Neubeurteilung wird die Vorinstanz von demjenigen
Sachverhalt auszugehen haben, wie er sich dannzumal präsentieren
wird. Insbesondere wird sie zu überprüfen haben, ob der Beschwerdeführer,
wie er geltend macht, seit anfangs Juli 1998 zweimal wöchentlich
alleine und unbeaufsichtigt für mehrere Stunden in die Stadt zur
Therapie geht und inwieweit dies für den Prognoseentscheid von Bedeutung
sei. Einer Abklärung bedürfen auch die Angaben des Beschwerdeführers,
er sei zwar gelernter Carrossier aber mit fundierter kaufmännischer und
weitergehender Ausbildung: 1961 habe er die Abendschule für Buchhaltung
und Betriebsorganisation im Institut Avor-Ammann in Rorschach besucht
und diese Ausbildung mit Diplom abgeschlossen; 1962 habe er einen
Schreibmaschinenkurs besucht; 1967 bis 1969 habe er einen Kurs
in Betriebsorganisation und Personalführung belegt und mit Diplom
abgeschlossen; in der Zwischenzeit habe er gelernt, den Computer zu
beherrschen, was aufgrund seiner zahlreichen selbstverfassten Eingaben
bewiesen sei, und zudem habe er nicht nur ihn persönlich betreffende
Eingaben verfasst. Falls sich diese Angaben bewahrheiten - das Verfassen
von Rechtsschriften für Mitgefangene ist übrigens gerichtsnotorisch -,
dürfte wohl auch die diesbezügliche vorinstanzliche Einschätzung anders
ausfallen, da sie vom Gegenteil ausging. In diesem Zusammenhang ist zu
erwähnen, dass die Kantonsgerichte Wallis und Jura in ihren Strafurteilen
dem Beschwerdeführer angesichts seiner verschiedenen Rechtsschriften
«bei weitem eine mittlere Intelligenz», «wenn nicht mehr» zubilligen. Der
Beschwerdeführer legt weiter dar, er werde nach der bedingten Entlassung
bei seiner Cousine wohnen, die ihn seit Jahren regelmässig besuche.
Allenfalls hat die Vorinstanz auch insoweit Näheres abzuklären.

    dd) Die Vorinstanz nennt als erste gesetzliche Voraussetzung
der bedingten Entlassung das Wohlverhalten in der Anstalt, das die
beiden ersten Instanzen - so scheine es - beim Beschwerdeführer als
erfüllt erachtet hätten; doch komme diesem Element keine selbständige
Bedeutung mehr zu, sondern stelle vielmehr ein Beurteilungsmerkmal
im Rahmen der Prognose dar. In der Folge wird das Wohlverhalten des
Beschwerdeführers in der Anstalt nicht mehr erwähnt. Bei der Neubeurteilung
wird sich die Vorinstanz darüber auszusprechen haben, ob dieses Element
hinsichtlich der Frage der bedingten Entlassung etwas hergibt oder nicht
(vgl. GÜNTER GRIBBOHM, StGB, Leipziger Kommentar, 11. Auflage, § 57 N.
19). Prognostisch wichtige Erkenntnisse lassen sich aus dem Verhalten
des Verurteilten in Situationen entnehmen, die dem normalen Leben ähnlich
sind; dazu gehört häufig das Verhalten bei der Arbeit. Indessen gilt auch
im Zusammenhang mit Vollzugslockerungen und mit Fluchtversuchen, dass
die atypische Situation, in der sich der «Untergebrachte» hier befindet,
selbst erhebliche rechtswidrige Taten nicht notwendig als Anhaltspunkte für
eine schlechte Prognose im Falle einer geordneten Entlassung erscheinen
lässt (ders., aaO, 10. Auflage, § 67d N. 37). Diese Überlegung wird die
Vorinstanz bei der Einschätzung der Nichtrückkehr des Beschwerdeführers
vom 27. Februar 1995 in die Anstalt Bochuz zu bedenken haben. Ebenfalls
von Bedeutung ist, dass es auf jener Flucht «nur» zu Taten wie Gebrauch
und Hehlerei von falschen Ausweispapieren sowie Hehlerei von gestohlenen
Autoschildern kam, nicht aber zu Raub und Diebstahl wie früher.

    ee) In der Literatur wird die Ansicht vertreten, eine innere Wandlung
könne nur aus Erfahrungssätzen hergeleitet werden; von besonderer
Bedeutung sei dabei die Erfahrung, dass die Neigung zu Gewalttaten
mit fortschreitendem Alter zurückgehe. Weiter wird es als fehlerhaft
bezeichnet, aus fortdauerndem Leugnen der früheren Tat auf eine schlechte
Prognose zu schliessen; eine Pflicht, sich zur begangenen Tat zu bekennen,
bestehe auch nach der Verurteilung nicht, und das Bestreiten der Tat könne
vielerlei, auch prognostisch indifferente Gründe haben. Schuldeinsicht
sei nicht notwendige Voraussetzung für ein künftiges Leben ohne Straftaten
(GRIBBOHM, aaO, 10. Auflage, § 67c N. 70 mit Hinweisen; ders. 11. Auflage,
§ 57 N. 21). Deshalb ist insoweit ein Fragezeichen gerechtfertigt,
wenn die Vorinstanz von der Uneinsichtigkeit des Beschwerdeführers
auf eine ungünstige Prognose schliessen sollte und auch dem Alter
des Beschwerdeführers nichts Positives abzugewinnen vermag. Dasselbe
gilt, soweit die Vorinstanz aus der Eingabe vom 16. März 1998 dem
Beschwerdeführer vorhält, dieses Schreiben stelle eine einzige Anklage dar.
Abgesehen von den kurzen Ausführungen über sein Rückenleiden sowie die ins
Auge gefasste Arbeits- und Wohnsituation bei einer bedingten Entlassung
trifft dies zwar zu; doch gilt es zu bedenken, dass es sich dabei um eine
Parteischrift handelt, die Europäische Kommission für Menschenrechte
am 16. Januar 1996 das Untersuchungsverfahren sowie dasjenige bis zur
Aburteilung des Beschwerdeführers als ungebührlich lang beurteilt hat und
der Beschwerdeführer angesichts der noch hängigen Beschwerden in Strassburg
an eine Revision des Walliser Urteils glaubt. Damit erscheint die Eingabe
des Beschwerdeführers und mithin dessen Uneinsichtigkeit in einem anderen
Licht. Da bei langdauernder Haft und Untersuchungshaft aus medizinischer
Sicht mit Schädigungen des Betroffenen zu rechnen ist (RALF BINSWANGER,
Zum Problem langdauernder Untersuchungshaft, ZStrR 91/1975, S. 406 ff.,
insbesondere S. 409 ff.) und der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben
während mehr als sechs Jahren in Einzelhaft gehalten worden war, sollte
auch von daher die Strafverbüssung nicht unnötig verlängert werden.

    ff) Schliesslich stellt sich im Nachgang zu den
konsiliar-psychiatrischen Berichten vom 10. Juni und 2./4. Dezember
1992 die Frage, ob die Vorinstanz nicht allenfalls die Persönlichkeit
des Beschwerdeführers näher abklären sollte (Hans Wiprächtiger, Die
Abklärung der Persönlichkeit des Beschuldigten - Die Sicht des Richters,
ZStrR 111/1993, S. 175 ff., insbesondere S. 192 Ziff. 7). Dies nicht
zuletzt auch im Hinblick auf ihre Einschätzung der Persönlichkeit des
Beschwerdeführers, wonach er sich in der Anwaltskanzlei wohl eher als
ein von seiner Rechtsvertreterin Unterstützter denn als vollwertiger
Mitarbeiter fühlen müsste.