Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 124 IV 134



124 IV 134

24. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 2. Juni 1998 i.S.
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau gegen Staatsanwaltschaft des Kantons
Zürich Regeste

    Art. 172bis StGB und Art. 350 Ziff. 1 StGB. Bestimmung des
Gerichtsstandes; Schwere der Strafandrohung.

    Die generell für die strafbaren Handlungen gegen das Vermögen
durch Art. 172bis StGB neu geschaffene Möglichkeit, die ausschliesslich
angedrohte Freiheitsstrafe in jedem Fall mit einer Busse zu verbinden,
stellt keine schwerere Strafandrohung für die entsprechenden Delikte dar;
sie ist bei der Ermittlung der mit der schwersten Strafe bedrohten Tat
nicht zu berücksichtigen (E. 2).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Wird jemand wegen mehrerer, an verschiedenen Orten verübter
strafbarer Handlungen verfolgt, so sind die Behörden des Ortes, wo die
mit der schwersten Strafe bedrohte Tat verübt worden ist, auch für die
Verfolgung und Beurteilung der anderen Taten zuständig (Art. 350 Ziff. 1
Abs. 1 StGB). Sind diese strafbaren Handlungen mit der gleichen Strafe
bedroht, so sind die Behörden des Ortes zuständig, wo die Untersuchung
zuerst angehoben wird (Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2 StGB).

    b) Nach dem Gesuch wird dem Beschuldigten im Kanton Aargau
Veruntreuung, eventuell Betrug zur Last gelegt. Bei solchen
Alternativbeschuldigungen ist für die Gerichtsstandsbestimmung von der
mit der schwereren Strafe bedrohten Tat auszugehen (ERHARD SCHWERI,
Interkantonale Gerichtsstandsbestimmung in Strafsachen, Bern 1987,
N. 272). Auch nach den Gerichtsstandsakten kommt Betrug jedenfalls in Frage
(Mittäterschaft bei Versicherungsbetrug). Die Gesuchstellerin bestreitet
dies denn auch nicht. Im Kanton Zürich wird dem Beschuldigten ebenfalls
Betrug zur Last gelegt.

    Dem Beschuldigten wird demnach in beiden Kantonen als mit der
schwersten Strafe bedrohtes Delikt Betrug vorgeworfen. Dabei ist im
Falle des 1994 im Kanton Aargau verübten Delikts noch Art. 148 Abs. 1
aStGB anwendbar. Auf den im Jahre 1995 im Kanton Zürich verübten Betrug
ist hingegen bereits die neue Bestimmung des Art. 146 StGB anzuwenden,
die seit 1. Januar 1995 in Kraft ist.

    Für beide Straftatbestände gilt dieselbe Strafandrohung, nämlich von
Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis.

    c) Die Gesuchstellerin vertritt indessen die Auffassung, aufgrund
von Art. 172bis StGB, welcher die Strafandrohung jedes der von dieser
Bestimmung erfassten Deliktes ergänze, sei Art. 146 StGB gegenüber Art. 148
aStGB als schwererer Tatbestand zu qualifizieren.

    aa) Ist in den Art. 137 bis 172 StGB (2. Titel: Strafbare Handlungen
gegen das Vermögen) ausschliesslich Freiheitsstrafe angedroht, so kann
der Richter diese in jedem Fall mit Busse verbinden (Art. 172bis StGB).

    bb) Nach der Botschaft des Bundesrates über die Änderung des
Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes (Strafbare
Handlungen gegen das Vermögen und Urkundenfälschung) vom 24. April
1991 (BBl 1991 II S. 1075 f.) soll Art. 172bis StGB als allgemeine
Norm die bisher in einigen Straftatbeständen neben der Androhung einer
Freiheitsstrafe enthaltene obligatorische oder fakultative Bussenandrohung
ersetzen, da diese gesetzliche Regelung als zu starr empfunden wurde. Zur
Begründung wird als Beispiel angeführt, dass man heute einem Delinquenten
in gewissen Fällen noch den bedingten Vollzug gewähren, ihm aber dennoch
mit der Auferlegung einer zu bezahlenden Busse einen spürbaren Denkzettel
verabreichen möchte. Auf eine systematische Einordnung der Bestimmung
in den Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches wurde verzichtet, weil
das ganze System der Strafen und Massnahmen sowie deren gegenseitiges
Verhältnis Gegenstand der Revision des Allgemeinen Teils bildeten; es
sei daher nicht sinnvoll, eine Norm aus diesem Komplex herauszugreifen
und im Rahmen der Revision des Vermögensstrafrechts zu behandeln.

    Daraus ist, da dem in der parlamentarischen Beratung gefolgt wurde, zu
schliessen, dass auch der Gesetzgeber der Auffassung war, die Bestimmung
würde systematisch zwar in den Allgemeinen Teil des StGB gehören, doch
sollte dessen Revision in diesem Punkt nicht vorweggenommen werden (GÜNTER
STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, BT I, Bern 1995, S. 452). Es
wird denn auch verlangt, die Bestimmung de lege ferenda in den Allgemeinen
Teil einzugliedern (JÖRG REHBERG/NIKLAUS SCHMID, Strafrecht III, Zürich
1997, S. 66; STEFAN TRECHSEL, Kurzkommentar StGB, Art. 172bis N. 2).

    Auch das deutsche Strafgesetzbuch sieht in § 41, d.h. im Allgemeinen
Teil, eine ähnliche Regelung für den durch die Tat bereicherten Täter vor,
indem in bestimmten Fällen neben einer Freiheitsstrafe eine sonst nicht
oder nur wahlweise angedrohte Geldstrafe verhängt werden kann. Auch
diese Bestimmung erhöht lediglich die Flexibilität des Richters bei
der Auswahl der Strafart. Sie soll nicht etwa zu einer Strafschärfung
bzw. Erweiterung des Strafrahmens führen und eine eigentliche Zusatzstrafe
ermöglichen. Sie ermöglicht lediglich innerhalb der schuldangemessenen
Strafe eine täter- und tatangemessene Strafartreaktion, wobei die
an sich verwirkte Freiheitsstrafe und die Geldstrafe in ihrer Summe
schuldangemessen sein müssen (HERBERT TRÖNDLE, Strafgesetzbuch, § 41,
N. 2, 4 und 4a; ADOLF SCHÖNKE/HORST SCHRÖDER/WALTER STREE, Strafgesetzbuch,
Kommentar, § 41 N. 1 und 8).

    Dasselbe gilt auch für Art. 172bis StGB. Diese Bestimmung stellt
demnach keine schwerere Strafandrohung dar, sondern ermöglicht eine
flexiblere Auswahl der Strafart. Da sie im übrigen - schon weil sie nicht
nur für einzelne Straftatbestände, sondern für sämtliche Tatbestände des
Zweiten Titels des StGB gilt, in welchen ausschliesslich Freiheitsstrafe
angedroht wird - zweifellos grundsätzlich in den Allgemeinen Teil des StGB
gehört, ist sie wie die übrigen Bestimmungen desselben bei der Ermittlung
der mit der schwersten Strafe bedrohten Tat nicht zu berücksichtigen
(BGE 71 IV 160 E. 1; SCHWERI, aaO, N. 268).

    d) Ist somit davon auszugehen, dass die beiden in Frage kommenden
Tatbestände der Art. 148 Abs. 1 aStGB und Art. 146 Abs. 1 StGB mit
der gleichen Strafe bedroht sind, liegt der gesetzliche Gerichtsstand
im Kanton Aargau, wo unbestrittenermassen die Strafuntersuchung wegen
Betruges zuerst angehoben wurde.

    Das Bundesgericht hat das Gesuch der Staatsanwaltschaft des Kantons
Aargau abgewiesen.