Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 124 II 511



124 II 511

48. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 20.
August 1998 i.S. Einwohnergemeinde Buchrain gegen Aare-Tessin AG für
Elektrizität (ATEL) und Eidgenössische Schätzungskommission, Kreis 9
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 53bis des Bundesgesetzes betreffend die elektrischen Schwach-
und Starkstromanlagen (EleG); Erneuerung befristeter Durchleitungsrechte
für eine Hochspannungsleitung.

    Einleitung des Enteignungsverfahrens für elektrische Anlagen;
Besonderheit des vereinfachten Verfahrens gemäss Art. 53bis EleG (E. 2).

    Voraussetzung für die Durchführung eines Verfahrens nach Art. 53bis
EleG ist, dass Durchleitungsrechte für eine bestehende Leitung zu erneuern
sind, dass die bisherigen Rechte erneuert werden sollen und einzig die
Entschädigungshöhe streitig ist (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Die Aare-Tessin AG für Elektrizität (ATEL) betreibt seit 1948
die 220/380 kV-Leitung Amsteg-Mettlen. Die Hochspannungsleitung führt
in der Gemeinde Buchrain unter anderem über die Parzelle Nr. 73, die
heute im Eigentum der Einwohnergemeinde steht. Für die Leitung, welche
das Grundstück auf einer Länge von rund 440 m überspannt, wurden auf
der Parzelle Nr. 73 zwei Gittermasten mit Betonsockel (Nrn. 9553 und
9554) errichtet. Die hiefür erforderlichen Bau- und Durchleitungsrechte
erwarb die ATEL vom damaligen Grundeigentümer Xaver Schwendimann mit
Grunddienstbarkeitsverträgen vom 18. Januar 1939 und 10. Januar 1945,
welche am 31. Dezember 1994 ausgelaufen sind.

    Mit Eingabe vom 1. April 1993 ersuchte die ATEL das Eidgenössische
Starkstrominspektorat um Genehmigung eines Leitungsumbaus auf dem
Abschnitt Root-Mettlen. Geplant wurde, die bisherigen Masten (Nrn. 9546
bis 9556) durch erhöhte Tragwerke zu ersetzen. Zudem sollten auf Wunsch der
Einwohnergemeinde Buchrain das Leitungs-Trassee auf dem Grundstück Nr. 73
um 15 bis 20 m nach Norden verschoben und der Mast-Standort Nr. 9553 um 44
m versetzt werden. Das Eidgenössische Starkstrominspektorat genehmigte das
Änderungsprojekt mit Verfügung vom 13. Februar 1995. Mit Einwilligung der
Gemeinde wurde der Leitungsumbau anfangs November 1996 in Angriff genommen.

    Nach Ablauf der die Parzelle Nr. 73 belastenden Servituten nahmen
die ATEL und die Gemeinde Buchrain als Grundeigentümerin Gespräche im
Hinblick auf eine Erneuerung der Rechte auf, konnten sich jedoch über
die Entschädigungshöhe nicht einigen. Die Parteien wandten sich hierauf
mit gemeinsamer Eingabe vom 27. August 1996 an die Eidgenössische
Schätzungskommission, Kreis 9. Sie ersuchten diese gestützt auf
Art. 53bis des Bundesgesetzes betreffend die elektrischen Schwach- und
Starkstromanlagen, die Entschädigung für den Erwerb der für den Leitungsbau
und -betrieb erforderlichen Rechte gemäss Vertragsentwurf festzusetzen. Die
Schätzungskommission gab diesem Begehren statt und legte mit Urteil vom
2. Mai 1998 die Entschädigung für die Durchleitungsrechte sowie die Bau-
und Pflanzbeschränkungen auf dem Leitungs-Trassee fest. Diesen Entscheid
hat die Einwohnergemeinde Buchrain mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde
angefochten und Erhöhung der Entschädigung verlangt. Im Übrigen macht
sie geltend, dass die der ATEL einzuräumenden Rechte hätten befristet
werden müssen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Entscheide der Eidgenössischen Schätzungskommissionen unterliegen
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht (Art. 77 Abs. 1
des Bundesgesetzes über die Enteignung vom 30. Juni 1930 [EntG, SR 711];
für den vorliegenden Fall s. auch Art. 53bis Satz 2 des Bundesgesetzes
betreffend die elektrischen Schwach- und Starkstromanlagen vom
24. Juni 1902 [Elektrizitätsgesetz, EleG, SR 734.0]). Dieses wendet
auf Verwaltungsgerichtsbeschwerde hin das Recht von Amtes wegen
an, wobei es grundsätzlich an die Parteibegehren, nicht aber an die
vorgebrachten Begründungen gebunden ist (vgl. Art. 114 Abs. 1 OG). In
Enteignungssachen kann das Bundesgericht indes als Aufsichtsbehörde über
die Schätzungskommissionen (Art. 63 EntG) unter gewissen Umständen auch
korrigierend in die Rechtsprechung der Kommissionen eingreifen, ohne an
die Anträge der Parteien gebunden zu sein (BGE 115 Ib 13 E. 1; 111 Ib
15 E. 9 S. 25, je mit Hinweisen). Solche Umstände liegen - wie sich im
Folgenden zeigt - hier vor.

Erwägung 2

    2.- Das in Art. 1 EntG umschriebene Enteignungsrecht kann entweder
vom Bunde selbst ausgeübt oder an Dritte übertragen werden, und zwar -
je nach Bedeutung des Werkes - durch Bundesbeschluss oder Bundesgesetz
(Art. 2 und Art. 3 Abs. 2 EntG). Ermächtigt der Bundesbeschluss oder das
Bundesgesetz den Dritten nicht generell zur Enteignung, sondern muss das
Enteignungsrecht in jedem Einzelfall noch ausdrücklich eingeräumt werden,
so entscheidet darüber nach Art. 3 Abs. 3 EntG, sofern es sich nicht um
Konzessionen handelt, das in der Sache zuständige Departement.

    Gemäss den Bestimmungen des Elektrizitätsgesetzes steht den
Eigentümern von elektrischen Stromanlagen und den Bezügern elektrischer
Energie das Enteignungsrecht in der Regel nicht schon von vornherein
zu. Die Ermächtigung zur Enteignung für Einrichtungen zur Fortleitung
und Verteilung der elektrischen Energie ist vielmehr in jedem Einzelfall
durch das zuständige Departement - heute das Departement für Umwelt,
Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) bzw. dessen Generalsekretariat
- zu erteilen. Hiefür ist im Elektrizitätsgesetz ein etwas sonderbares
Verfahren vorgesehen. Das Enteignungsverfahren wird vom Präsidenten
der Schätzungskommission eröffnet, noch bevor der Gesuchsteller mit dem
Enteignungsrecht ausgestattet ist. Können sich Grund- und Werkeigentümer
nach Ablauf der Einsprachefrist an der Einigungsverhandlung in allen
Punkten verständigen, so wird das Verfahren abgeschlossen. Andernfalls sind
die Akten dem Departement zur Gewährung des Enteignungsrechts zuzustellen,
und zwar auch dann, wenn keine Einsprachen oder Planänderungsbegehren
erhoben worden, sondern nur Entschädigungsfragen offengeblieben sind
(Art. 43 und Art. 50 Abs. 2 EleG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 EntG
und Art. 23 der Verordnung über die Zuständigkeit der Departemente und
der ihnen unterstellten Amtsstellen zur selbständigen Erledigung von
Geschäften vom 28. März 1990 [SR 172.011]; BGE 105 Ib 197 E. 1c, 115 Ib
13 E. 3 S. 18 f., je mit Hinweisen; FRITZ HESS, Das Enteignungsrecht
des Bundes, N. 11-14 zu Art. 50 EleG, HEINZ HESS/HEINRICH WEIBEL, Das
Enteignungsrecht des Bundes, Bd. II, S. 230 N. 86 und S. 233f.).

    Dieses Verfahren ist grundsätzlich auch dann einzuschlagen, wenn
nichts Neues gebaut, sondern nur der Fortbestand einer bereits vorhandenen
Anlage auf dem Enteignungsweg gesichert werden soll (vgl. Art. 43 Abs. 2
EleG, BGE 115 Ib 13 E. 3 S. 19). Allerdings sieht Art. 53bis EleG ein
vereinfachtes Verfahren für die Erneuerung befristeter Durchleitungsrechte
vor. Danach können die Grundeigentümer und der Eigentümer der Anlage
den Entscheid über die Entschädigung für die zu erneuernden Rechte
auch ohne Einleitung eines Expropriationsverfahrens durch gemeinsame
Eingabe der Schätzungskommission oder ihrem Präsidenten übertragen. Die
Tragweite dieser Bestimmung, die beim Erlass des Enteignungsgesetzes
ins Elektrizitätsgesetz eingefügt worden ist, ist jedoch nicht völlig
klar. In der Literatur ist umstritten, ob damit die Schätzungskommission
den Parteien als Schiedsgericht ausserhalb des Enteignungsverfahrens
zur Verfügung gestellt werde (FRITZ HESS, aaO, N. 6 zu Art. 53bis EleG)
oder ob es sich dabei um eine lex specialis für die Erneuerung des
Enteignungsrechts für Durchleitungsrechte handle, die ihre Berechtigung
darin finde, dass das öffentliche Interesse an der Anlage seinerzeit
überprüft wurde und nach übereinstimmender Auffassung der Parteien
weiterbesteht (HEINZ HESS/HEINRICH WEIBEL, aaO, Bd. II S. 250). Wäre diese
zweite Auffassung zutreffend, fiele aber ein Vorgehen nach Art. 53bis
EntG nur in Betracht, wenn die zu erneuernden Durchleitungsrechte ehemals
auf dem Enteignungsweg erworben wurden. Wurden sie dagegen - wie im
vorliegenden Fall - durch einen freihändig abgeschlossenen Vertrag dem
Leitungseigentümer eingeräumt, so wäre nach dieser Meinung eine Anwendung
von Art. 53bis EntG ausgeschlossen. Wie dem sei, braucht hier jedoch
nicht näher untersucht zu werden, da das eingeschlagene Verfahren aus
anderen Gründen als unzulässig erscheint.

Erwägung 3

    3.- Voraussetzung für die Durchführung eines Verfahrens gemäss
Art. 53bis EleG ist, dass Durchleitungsrechte für eine bestehende Leitung
erneuert werden müssen, dass die bisherigen Rechte erneuert werden sollen,
das heisst inhaltlich gleiche Belastungen für das Grundstück weiterbestehen
sollen, und dass nur die Entschädigungshöhe umstritten ist und sich die
Parteien insbesondere über die Dauer der zu erneuernden Servitute einig
sind (vgl. HEINZ HESS/HEINRICH WEIBEL, a.a. O., Bd. II S. 248f., MARGRIT
BUGMANN, Die Enteignung für die Fortleitung und Verteilung elektrischer
Energie, Diss. Zürich 1942, S. 190 f.). Diese Voraussetzungen sind hier
nicht gegeben.

    a) Wie aus der Sachverhalts-Darstellung hervorgeht, ist die 220/380
kV-Leitung Amsteg-Mettlen auf dem Grundstück Nr. 73 in Buchrain nach Ablauf
der ihren Bestand sichernden Durchleitungsrechte umgebaut worden. Die
ursprünglichen Masten sind durch höhere Tragwerke ersetzt worden, das
Leitungs-Trassee ist leicht verschoben und der Standort eines Mastes
um 44 m versetzt worden. Unter diesen Umständen kann nicht mehr davon
ausgegangen werden, dass die Erneuerung der Durchleitungsrechte die gleiche
"bestehende" Leitung betreffe.

    b) Mit den Grunddienstbarkeitsverträgen vom 18. Januar 1939 und
10. Januar 1945 wurden der ATEL nur eigentliche Durchleitungsrechte
sowie Baurechte für die Leitungsmasten übertragen. Bauverbots-
oder Baubeschränkungsservitute wurden nicht begründet. Vielmehr
verpflichtete sich die Elektrizitätsgesellschaft für den Fall, dass
das Grundstück überbaut werden solle, die Leitung zu verlegen oder ein
neues Enteignungsverfahren einzuleiten. Die seinerzeit eingeräumten
Dienstbarkeiten schränkten daher die Baufreiheit des Grundeigentümers
in keiner Weise ein. Dagegen sollen nun gemäss Vertragsentwurf
nicht nur Durchleitungsrechte und Pflanzbeschränkungen, sondern auch
Baubeschränkungen auf einer Fläche von 40 m Breite und 440 m Länge unter
der Leitung begründet werden. Es kann daher nicht die Rede davon sein,
dass die bisherigen Rechte "erneuert" würden. Sollen aber dem Eigentümer
der Anlage zusätzliche, neue Rechte eingeräumt werden, so sprengt dies
den Rahmen von Art. 53bis EleG.

    c) Wie aus der Verwaltungsgerichtsbeschwerde der Einwohnergemeinde
Buchrain hervorgeht, sind sich die Parteien nicht nur über die Höhe der
Entschädigung, sondern auch über die Dauer der der ATEL zu übertragenden
Rechte uneinig. Die ATEL beansprucht gemäss Vertragsentwurf eine
dauernde und übertragbare Baubeschränkung sowie ein auf den Bestand der
Leitungsanlage ausgerichtetes und übertragbares Recht zum Bau und Betrieb
der Hochspannungsleitung, während die Gemeinde offenbar nur zur Einräumung
befristeter Rechte bereit ist. Auch in dieser Hinsicht fehlt es somit
an den Voraussetzungen für die Durchführung eines Verfahrens gemäss Art.
53bis EleG.

    Entgegen der Meinung der Gemeinde Buchrain wäre es auch nicht Aufgabe
der Schätzungskommission gewesen, Inhalt und Dauer der abzutretenden Rechte
festzulegen. Über die Natur, den Umfang und den Inhalt der zu enteignenden
Rechte entscheidet - abgesehen von den Ausdehnungsbegehren - nicht die
Schätzungskommission, sondern die Einsprachebehörde bzw. die Behörde,
die die Enteignungsermächtigung erteilt, hier also das UVEK als in der
Sache zuständiges Departement (vgl. Art. 35 und 55 EntG; BGE 116 Ib 241
E. 3a S. 246; 103 Ib 91 E. 2a, je mit zahlreichen Hinweisen). Besteht
hinsichtlich des Umfangs des Enteignungsgegenstandes Uneinigkeit, kann
daher wie dargelegt die Schätzungskommission auch nicht sofort zur
Festsetzung der Entschädigung aufgefordert werden.

Erwägung 4

    4.- Sind die Voraussetzungen für die Durchführung eines Verfahrens
gemäss Art. 53bis EleG nicht erfüllt, so muss der Eigentümer der
elektrischen Anlage, wenn die deren Weiterbestand sichernden Rechte
abgelaufen sind, das gewöhnliche Verfahren einleiten und sich vom
Departement das Enteignungsrecht übertragen lassen (vgl. Art. 43 Abs. 2
EleG).

    Die vor der Verleihung in Fortsetzung des Enteignungsverfahrens
gefällten Entscheide der Schätzungskommission sind nichtig (BGE 115 Ib
13 E. 3 S. 19; 105 Ib 197 E. 1e in fine S. 201 f.; 104 Ib 337 E. 3d; 96
I 189 E. 3; s.a. BGE 109 Ib 130 E. 2b). Der angefochtene Entscheid der
Eidgenössischen Schätzungskommission 9. Kreis ist daher - der Klarheit
halber - aufsichtsrechtlich aufzuheben.

    Das heisst nun im vorliegenden Fall nicht, dass zunächst noch ein
förmliches Auflage- und Einspracheverfahren durchzuführen wäre. Die
Voraussetzungen zur Durchführung eines abgekürzten Verfahrens scheinen
ohnehin gegeben (vgl. Art. 33 EntG) und die Grundeigentümerin ist sich
darüber, was die ATEL von ihr verlangt, im Klaren und hat sich hiezu
äussern können. Ihre Forderung nach Einräumung bloss befristeter Rechte
kann als Einsprachebegehren verstanden werden. Die Akten können daher
vom Schätzungskommissions-Präsidenten direkt dem UVEK zum Entscheid über
diese Einsprache und die Erteilung des Enteignungsrechts überwiesen werden.