Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 124 III 67



124 III 67

14. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 18. Dezember 1997 i.S.
A./B. gegen C./D. (Berufung) Regeste

    Herabsetzung des Mietzinses (Art. 270a OR).

    Nimmt der Mieter eine vermieterseits erklärte Herabsetzung des
Mietzinses stillschweigend an, so verzichtet er damit regelmässig nicht auf
den gesetzlichen Anspruch, gegebenenfalls eine weitergehende Herabsetzung
zu verlangen (E. 3a).

    Wird die Mietzinsherabsetzung dem Mieter mit amtlichem Formular
angezeigt, so ist er nicht gehalten, sie als ungenügend anzufechten, zumal
die begünstigende Anzeige als solche der Anfechtung nicht unterliegt und
der Mieter eine weitergehende Reduktion ausserhalb des Erhöhungsverfahrens
nur fordern kann, wenn er sie vorgängig unter Beachtung der Kündigungsfrist
auf einen Kündigungstermin hin verlangt hat (E. 3b).

Sachverhalt

    C. und D. sind seit dem 15. Oktober 1992 in der Liegenschaft von
A. und B. in einer 3 1/2-Zimmer-Wohnung an der E.strasse in Zürich
eingemietet. Zufolge jeweils gesunkenen Hypothekarzinssatzes wurde der
Anfangsmietzins von monatlich Fr. 1'798.-- vermieterseits per 1. April
1994 auf Fr. 1'777.-- und per 1. April 1996 auf Fr. 1'740.-- gesenkt,
beide Male unter Angabe eines Reservevorbehalts.

    Die Mieter, welche gegen die genannten, auf amtlichem Formular
mitgeteilten Mietzinsherabsetzungen als solche keine Einwände erhoben
oder Schlichtungsverfahren eingeleitet hatten, verlangten mit Schreiben
vom 28. Dezember 1995 eine zusätzliche Senkung des Mietzinses auf den
1. April 1996. Die Vermieter widersetzten sich, worauf die Mieter der
Schlichtungsbehörde ein Herabsetzungsbegehren stellten, welches sie nach
erfolgloser Einigungsverhandlung beim Mietgericht des Bezirks Zürich
prosequierten.

    Mit Urteil vom 6. Februar 1997 setzte das Mietgericht in
Teilgutheissung der Klage den Mietzins per 1. April 1996 auf netto
Fr. 1'725.-- herab. Darüber hinaus wies es die Klage mit der Begründung ab,
die unwidersprochen gebliebene und damit akzeptierte Mietzinsherabsetzung
per 1. April 1994 habe als konsensuale Vertragsänderung zu gelten, welche
dem streitigen Herabsetzungsbegehren aus den Prinzipien der relativen
Methode Schranken setze.

    Auf Berufung der Mieter setzte das Obergericht (II. Zivilkammer) des
Kantons Zürich mit Beschluss vom 3. Juni 1997 in Gutheissung der Klage
den ab 1. April 1996 zulässigen Mietzins auf Fr. 1'596.25 herab. Es erwog,
die per 1. April 1994 vermieterseits erklärte Herabsetzung des Mietzinses
habe keine die Mieter bindende konsensuale Vertragsänderung bewirkt, so
dass für die Beurteilung des streitigen Herabsetzungsbegehrens auf die
Kostenstände im Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen sei. Davon
ausgehend ermittelte es den per 1. April 1996 als zulässig erkannten
Mietzins ebenfalls nach der relativen Methode.

    Die Vermieter führen eidgenössische Berufung mit dem Hauptantrag, den
per 1. April 1996 zulässigen Nettomietzins auf Fr. 1'725.-- (entsprechend
dem Urteil des Bezirksgerichts) festzusetzen.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab

Auszug aus den Erwägungen:

                   aus folgender Erwägung:

Erwägung 3

    3.- Die relative Berechnungsmethode beruht auf den Prinzipien von Treu
und Glauben, der Verwirkung und der Rechtskraft. Der Vertrauensgrundsatz
bindet die Parteien an das eigene rechtsgeschäftliche Verhalten, untersagt
ihnen namentlich, einen frei vereinbarten und unangefochten gebliebenen
(Art. 270 OR) Mietzins oder eine vorbehaltlos verlangte und erreichte
Mietzinsanpassung nachträglich als missbräuchlich oder ungenügend
auszugeben (BGE 121 III 163 E. 2c und d). Der Verwirkungstatbestand
erlangt Bedeutung, wenn eine unangefochten gebliebene Mietzinserhöhung
des Vermieters mieterseits nicht mehr in Frage zu stellen ist und
die so bewirkte Anpassung als einseitige und nicht als konsensuale
verstanden wird (zum Meinungsstreit HIGI, Zürcher Kommentar, N. 19
f, zu Art. 257 OR; WEBER/ZIHLMANN, in: Kommentar zum Schweizerischen
Privatrecht, 2. Aufl., N. 1 zu Art. 269d OR; HONSELL, Schweizerisches
Obligationenrecht, Besonderer Teil, 4. Aufl., S. 219). Auf Gedanken
der materiellen Rechtskraft schliesslich gründet die relative Methode
insoweit, als gerichtliche Entscheidungen oder Vergleiche über einen
streitigen Mietzins im Umfang des Beurteilten oder Verglichenen auch
jedes mit einer späteren Zinsanpassung befasste Gericht binden.

    Geht es um Mietzinsherabsetzungen, beschränkt die relative Methode die
Forderung des Mieters insofern, als von vornherein nur solche Änderungen
der Berechnungsgrundlagen in Anschlag gebracht werden dürfen, die sich
seit der letzten Mietzinsfestsetzung verwirklicht haben (BGE 121 III 163
E. 2d). Daran ändert im Grundsatz auch die Bestimmung in Art. 13 Abs. 4
der Verordnung über die Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräume
(VMWG; SR 221.213.11) nichts. Einer rückwirkenden Berücksichtigung
von Änderungen des Hypothekarzinssatzes sind durch Konsens, Urteil,
Vergleich und unbestritten gebliebene Erhöhung nach Massgabe dieses
Kostenfaktors Schranken gesetzt (BGE 119 II 348 E. 4b). Im vorliegenden
Fall zu entscheiden ist die Frage, ob auch unbestritten gebliebene
Mietzinssenkungen durch den Vermieter als bindende Mietzinsfestsetzungen
in diesem Sinne zu gelten haben. Sie stellt sich unter den Aspekten des
Vertrauensschutzes und der Verwirkung.

    a) Vertrauensschutz beanspruchen die Vermieter aus dem Verhalten der
Mieter, welche die ihnen per 1. April 1994 angezeigte Mietzinsherabsetzung
stillschweigend annahmen und entsprechend den reduzierten Mietzins
bezahlten. Sie schliessen daraus vertrauenstheoretisch, die Mieter
hätten den neu offerierten Mietzins als nicht missbräuchlich anerkannt und
sich des Rechts begeben, ihn später wiederum in Frage zu stellen. Diese
Auffassung ist mit der Vorinstanz abzulehnen.

    Zeigt der Vermieter dem Mieter eine Mietzinsherabsetzung an, was er
formfrei tun kann (Art. 269d OR; HIGI, aaO, N. 20 zu Art. 257 OR), stellt
er ein begünstigendes Angebot, das der Mieter nach Art. 6 OR mangels
Widerspruchs annimmt. Die stillschweigende Annahme reicht indessen nicht
weiter als die angebotene Senkung, stellt mangels besonderer Umstände
namentlich keine konkludente Willensäusserung des Inhalts dar, dass
damit auf den gesetzlichen Anspruch, gegebenenfalls eine weitergehende
Herabsetzung zu beanspruchen, verzichtet werde. Diese Annahme widerspräche
bereits dem Grundsatz, dass nur das rein begünstigende Angebot durch
Stillschweigen als angenommen gilt (SCHMIDLIN, Berner Kommentar, N. 32
zu Art. 6 OR, mit Hinweisen), der fingierte Annahmewille sich in der
Zustimmung zum beantragten Vorteil erschöpft (SCHÖNENBERGER/JÄGGI, Zürcher
Kommentar, N. 28 zu Art. 6 OR). So wenig die Annahme einer Teilleistung als
solche die Restforderung berührt (WEBER, Berner Kommentar, N. 54 zu Art. 69
OR; SCHRANER, Zürcher Kommentar, N. 35 zu Art. 69 OR), so wenig verzichtet
der Mieter bei stillschweigender Annahme der bloss teilweise angebotenen
Reduktion eines missbräuchlichen Mietzinses fiktiv oder vermutungsweise
auf die Geltendmachung des gesetzlichen Restanspruchs. Dieser Schluss
verbietet sich im Mietrecht zusätzlich daraus, dass im Regelfall allein
der Vermieter über die einschlägigen Berechnungsgrundlagen verfügt und
der Mieter nicht das Risiko tragen soll, diese nur ungenügend offengelegt
erhalten zu haben (DAVID DÜRR, Mietzinsherabsetzung und Einrede des
nicht übersetzten Ertrags, SJZ 91/1995, S. 265 ff., 269). Von einer im
genannten Sinne bindenden Vertragsänderung wäre daher nur auszugehen, wenn
die Parteien sich einvernehmlich und freiwillig auf eine Neugestaltung des
Mietzinses, auch unter Missbrauchsgesichtspunkten, geeinigt hätten. Blosses
Stillschweigen auf eine angebotene Teilreduktion bedeutet dagegen keinen
Verzicht auf den weitergehenden Herabsetzungsanspruch (BRUNNER/STOLL,
Die Mietzinsherabsetzung, mp 1993, S. 99 ff., 127).

    b) Eine Anspruchsverwirkung sodann tritt ausserhalb des
Vertrauensgrundsatzes nur ein, wo das Gesetz sie anordnet. Dies gilt
beispielsweise für die unangefochtene Mietzinserhöhung (Art. 270b Abs. 1
OR) oder die nicht ausdrücklich vorbehaltene Mietzinsreserve (Art. 18
VMWG), nicht aber für den hier streitigen Herabsetzungsanspruch. Unbesehen
darum, ob die Mietzinsherabsetzung dem Mieter mit amtlichem Formular
angezeigt wird oder nicht, ist er nicht gehalten, sie als ungenügend
anzufechten, ist dazu in der Regel auch nicht in der Lage, weil die
begünstigende Anzeige als solche der Anfechtung nicht unterliegt und der
Mieter eine weitergehende Reduktion ausserhalb eines Erhöhungsverfahrens
(Art. 270a Abs. 3 OR) nur verlangen kann, wenn er sie vorgängig unter
Beachtung der Kündigungsfrist auf einen Kündigungstermin verlangt hat
(Art. 270a OR; BGE 122 III 20 E. 4b). Hatten die Kläger aber keine
Möglichkeit, die ihnen am 1. März 1994 auf den 1. April 1994 angezeigte
Mietzinssenkung als ungenügend anzufechten, weil sie selbst auf den
Anpassungszeitpunkt kein fristgerechtes Herabsetzungsbegehren gestellt
hatten, gingen sie ihres nunmehr zur Beurteilung stehenden Anspruchs
nicht dadurch verlustig, dass sie der Anzeige nicht opponierten.