Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 124 III 505



124 III 505

88. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 18.
November 1998 i.S. F. (Beschwerde) Regeste

    Art. 46 ff. SchKG (Betreibungsort); Lugano-Übereinkommen; IPRG.

    Unter welchen Voraussetzungen in einem Vertragsstaat
eine Zwangsvollstreckung durchgeführt werden kann, regelt das
Lugano-Übereinkommen nicht; ebenso wenig wird diese Frage vom IPRG
beantwortet. Allein das schweizerische Recht als lex fori bestimmt,
ob ein Vermögensgegenstand in der Schweiz belegen ist und hier verwertet
werden kann (E. 3a).

    Selbst wenn Grundstücke Bestandteil des gemeinschaftlichen Vermögens
bilden, begründet die Belegenheit von Nachlassvermögen in der Schweiz keine
Zuständigkeit der schweizerischen Vollstreckungsbehörden zur Verwertung
des Liquidationsanspruchs der Erben, wenn der Schuldner und seine Miterben
im Ausland wohnen und sich der letzte Wohnsitz des Erblassers im Ausland
befand (E. 3b).

Sachverhalt

    A.F. stellte beim Betreibungsamt Uzwil gegen den in Berlin wohnhaften
H.-M.T. ein Betreibungsbegehren. Er wollte damit - in Vollstreckung
eines vom Kammergericht Berlin gefällten Urteils -die Pfändung des
Liquidationsanteils von H.-M.T. an einem in Niederuzwil gelegenen
Grundstück erreichen. Indessen leistete das Betreibungsamt Uzwil dem
Betreibungsbegehren mangels örtlicher Zuständigkeit keine Folge.

    Dem Beschwerdeweg, den A.F. in der Folge beschritt, war weder vor
den kantonalen Aufsichtsbehörden noch vor der Schuldbetreibungs- und
Konkurskammer des Bundesgerichts Erfolg beschieden.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Die Weigerung des Betreibungsamtes Uzwil, im vorliegenden
Fall den Zahlungsbefehl auszustellen, und der angefochtene Entscheid
des Kantonsgerichts St. Gallen stützen sich auf Art. 2 der Verordnung
des Bundesgerichts über die Pfändung und Verwertung von Anteilen
an Gemeinschaftsvermögen (VVAG; SR 281.41) und die diesbezügliche
Rechtsprechung (BGE 118 III 62; 109 III 90). Danach kann der Anteil
eines im Ausland wohnenden Schuldners an einem im Ausland gelegenen
Gemeinschaftsvermögen in der Schweiz nicht gepfändet oder mit Arrest belegt
werden, auch wenn ein zum Gemeinschaftsvermögen gehörendes Grundstück
in der Schweiz liegt. Ist dem aber so - hat die Vorinstanz gefolgert -,
so ist das Betreibungsamt selbstredend auch nicht für die Einleitung der
Betreibung zuständig, womit Gemeinschaftsvermögen der Zwangsverwertung
zugeführt werden soll.

    b) Nach der Meinung des Beschwerdeführers hat das Kantonsgericht St.
Gallen, indem es die erwähnte Verordnung auf den vorliegenden Fall
anwandte, Art. 31, 32 und 34 des Lugano-Übereinkommens (LugÜ; SR 0.275.11)
verletzt. Zu dieser Rüge der Verletzung eines völkerrechtlichen Vertrages
ist er nach Art. 19 Abs. 1 SchKG (in der Fassung vom 16. Dezember 1994,
in Kraft seit 1. Januar 1997) befugt.

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 16 Ziff. 5 LugÜ sind für Verfahren, welche die
Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen zum Gegenstand haben, die
Gerichte des Vertragsstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet die
Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll oder durchgeführt worden ist.

    a) Ob das Lugano-Übereinkommen auf Verfahrensschritte der
Zwangsvollstreckung, in denen kein ordentlicher Richter mitwirkt, überhaupt
Anwendung finde, ist kontrovers (Yves Donzallaz, La Convention de Lugano,
Bern 1998, Ziff. 6398ff.; Gabrielle Kaufmann-Kohler, Commandement de
payer, mainlevée provisoire, action en libération de dette et Convention
de Lugano. Réflexions à l'occasion d'un arrêt du Tribunal Fédéral, in:
SJ 1995, 537f.). Einzelne Autoren halten das Lugano-Übereinkommen, das
gemäss seinem Titel die gerichtliche Zuständigkeit regelt, im Rahmen von
Einzelvollstreckungen für unanwendbar, soweit die Vollstreckungshandlungen
- wie dies bei dem vom Betreibungsamt auszustellenden Zahlungsbefehl
der Fall ist - nicht in einem kontradiktorischen Verfahren durch
den Richter angeordnet werden (DANIEL STAEHELIN, Internationale
Zuständigkeit der Schweiz im Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, in:
AJP/PJA 3/1995, S. 260; DONZALLAZ, aaO, Ziff. 6376, 6381f.; ALEXANDER
R. MARKUS, Lugano-Übereinkommen und SchKG-Zuständigkeiten: Provisorische
Rechtsöffnung, Aberkennungsklage und Zahlungsbefehl, Basel und Frankfurt
am Main 1997, S. 175, 177). Für andere Autoren fällt der Zahlungsbefehl
(teils mit Einschränkungen, welche für den vorliegenden Fall belanglos
sind) in den Anwendungsbereich von Art. 16 Ziff. 5 LugÜ (KAUFMANN-KOHLER,
aaO, S. 539; IVO SCHWANDER, Das Lugano-Übereinkommen, St. Gallen
1990, S. 93; WALTER A. STOFFEL, Ausschliessliche Gerichtsstände des
Lugano-Übereinkommens und SchKG-Verfahren, insbesondere Rechtsöffnung,
Widerspruchsklage und Arrest, in: Festschrift für Oscar Vogel, Freiburg
1991, S. 372, 386, 394; Das Lugano-Übereinkommen von 1988. Internationale
gerichtliche Zuständigkeit und Urteilsvollstreckung, in: Studientagung
zum internationalen Recht vom 27. und 28. Juni 1991 Freiburg, S. 96;
A. VOLKEN, Die örtliche Zuständigkeit gemäss Lugano-Übereinkommen, in:
ZWR 26/1992, S. 136).

    b) Die Frage, ob das Lugano-Übereinkommen durch den angefochtenen
Entscheid verletzt worden sei, wäre bloss zu beantworten, wenn der Meinung
der zuletzt genannten Autoren gefolgt würde. Es ist jedoch festzuhalten,
dass die vom Beschwerdeführer angerufenen Art. 31ff. LugÜ nur Regeln
über das Verfahren der Vollstreckbarerklärung aufstellen (Kropholler,
Europäisches Zivilprozessrecht, 5. Auflage Heidelberg 1996, Rz. 1 zu
Art. 31 LugÜ), also - unabhängig davon, ob die Zuständigkeit gemäss Art. 16
Ziff. 5 LugÜ gegeben ist - keine Vollstreckungsgarantie für Urteile in
den anderen Vertragsstaaten gewähren.

Erwägung 3

    3.- a) Unter welchen Voraussetzungen in einem Vertragsstaat
eine Zwangsvollstreckung durchgeführt werden kann, regelt
das Lugano-Übereinkommen nicht (STAEHELIN, aaO, S. 260;
JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und
Konkurs, N. 15 zu Art. 46 SchKG, S. 200) und lässt sich diesem auch im
Wege vertragsautonomer Begriffsauslegung (KROPHOLLER, aaO, Rz. 9 zu Art. 16
LugÜ) nicht entnehmen. Ebenso wenig regelt das IPRG, wann die Vollstreckung
für in ausländischen Urteilen festgestellte Geldforderungen in der Schweiz
verlangt werden kann (STAEHELIN, aaO, S. 260; JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN,
aaO, N. 15 zu Art. 46 SchKG, S. 200).

    Ob ein Vermögensgegenstand in der Schweiz belegen ist
und hier verwertet werden kann, bestimmt - als Konsequenz des
Territorialitätsprinzips - für die schweizerischen Vollstreckungsbehörden
allein das schweizerische Recht als lex fori (STAEHELIN, aaO,
S. 262). Mangels eigener Regelung im Lugano-Übereinkommen sagt zwangsläufig
auch das nationale Recht - für Geldforderungen somit das Bundesgesetz
über Schuldbetreibung und Konkurs -, ob der Ort der Zwangsvollstreckung
im Sinne von Art. 16 Ziff. 5 LugÜ im Hoheitsgebiet der Schweiz liegt.

    b) Ist bei einer Gemeinschaft zur gesamten Hand die Betreibung, wie
im vorliegenden Fall, nur gegen einen der Teilhaber eingeleitet worden,
so besteht der verwertbare Vermögensgegenstand bloss aus dem Anspruch
des Teilhabers auf den Liquidationsanteil (vgl. Art. 1 Abs. 1 VVAG;
SR 281.41). Dieser Anspruch richtet sich gegen die anderen Teilhaber
und ist daher vollstreckungsrechtlich als Forderung (und nicht etwa als
dingliches Recht) zu qualifizieren.

    Selbst wenn Grundstücke Bestandteil des gemeinschaftlichen Vermögens
bilden, begründet die Belegenheit von Nachlassvermögen in der Schweiz keine
Zuständigkeit der schweizerischen Vollstreckungsbehörden zur Verwertung
des Liquidationsanspruchs der Erben, wenn der Schuldner und seine Miterben
im Ausland wohnen und sich der letzte Wohnsitz des Erblassers im Ausland
befand (STAEHELIN, aaO, S. 267; BGE 118 III 62; 109 III 90). An der
Aussage des letzteren Entscheides hat sich durch das Inkrafttreten des
Lugano-Übereinkommens am 1. Januar 1992 nichts geändert, wenn der Ort der
Zwangsvollstreckung weiterhin nach Massgabe des schweizerischen Rechts zu
bestimmen ist; und ebenso wenig fällt ins Gewicht, dass sich der Wohnsitz
des Arrestschuldners in dem mit BGE 118 III 62 entschiedenen Fall in den
Vereinigten Staaten, die nicht Vertragsstaat des Lugano-Übereinkommens
sind, befand.

    c) Im vorliegenden Fall gibt es nach dem Gesagten keinen Betreibungsort
(Art. 46ff. SchKG) in der Schweiz. Zu Recht hat deshalb das Betreibungsamt
Uzwil dem Betreibungsbegehren des Beschwerdeführers nicht Folge geleistet.