Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 124 III 495



124 III 495

86. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 13. November 1998 i.S.
A. gegen B. (Berufung) Regeste

    Kartellgesetz. Übergangsrecht; sachlicher Anwendungsbereich.

    Wettbewerbsabreden sind, auch wenn sie vor dem 1. Juli 1996 getroffen
wurden, am neuen Kartellgesetz zu messen, soweit sie seit dessen
Inkrafttreten weiterhin wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen zeitigen
(E. 1).

    Begriff der Wettbewerbsabrede im Sinne von Art. 4 Abs. 1 und Art. 5
f. KG: Anwendbarkeit des Kartellrechts auf einseitige vertragliche
Konkurrenzverbote (E. 2)?

Sachverhalt

    A. und B. gründeten im Jahre 1981 eine einfache Gesellschaft zwecks
gemeinsamer Entwicklung und Herstellung von Kantenbrechgeräten. Aus
der Zusammenarbeit ging das Gerät "E." hervor, dessen Antriebssystem
patentiert wurde. Im Jahre 1984 zerstritten sich A. und B. Es kam zur
Auflösung des Gesellschaftsverhältnisses. Am 13. Dezember 1984 schlossen
A. und B. einen Vergleich, mit dem sie hängige Gerichtsverfahren beendeten
und die einfache Gesellschaft liquidierten. In diesem Vergleich überliess
A. B. gegen Bezahlung von Fr. 23'000.-- alle Rechte an der "E." und
verpflichtete sich unter anderem, B. "bei der Herstellung und beim Vertrieb
des Kantenbrechgeräts 'E.' in keiner Weise zu konkurrenzieren", wobei
für den Fall der Verletzung dieser Verpflichtung eine Konventionalstrafe
von Fr. 10'000.-- vereinbart wurde.

    Am 24. Juli 1995 reichte A. beim Handelsgericht des Kantons Zürich
Klage gegen B. ein, mit dem Hauptantrag, er sei von der Einhaltung
des Konkurrenzverbots gemäss der Vereinbarung vom 13. Dezember 1984 zu
befreien. Das Handelsgericht wies die Klage mit Urteil vom 29. September
1997 ab.

    Das Bundesgericht weist die Berufung des Klägers ab, soweit es darauf
eintritt, und bestätigt das angefochtene Urteil.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Kläger stellt sich auf den Standpunkt, das
Konkurrenzverbot gemäss der Vereinbarung vom 13. Dezember 1984 sei
zufolge kartellrechtlicher Unzulässigkeit untergegangen. Er wirft dem
Handelsgericht in diesem Zusammenhang zunächst vor, zu Unrecht nicht
das am 1. Juli 1996 in Kraft getretene neue Kartellgesetz (KG; SR 251)
angewendet zu haben. Das Handelsgericht verweist zur Begründung seiner
Auffassung, dass der vorliegende Fall noch nach dem alten Recht zu
beurteilen sei, auf das Rückwirkungsverbot von Art. 1 SchlT ZGB. Aus dem
Rückwirkungsverbot lässt sich indessen lediglich ableiten, dass das neue
Kartellgesetz auf Wettbewerbsbeschränkungen, die bei seinem Inkrafttreten
bereits abgeschlossen waren, nicht zur Anwendung kommt. Der Umstand, dass
eine Wettbewerbsabrede vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts getroffen
worden ist, bedeutet hingegen nicht, dass sie deswegen weiterhin dem alten
Recht unterstehen würde. Vielmehr sind auch bereits bestehende Abreden am
neuen Kartellgesetz zu messen, soweit sie seit dessen Inkrafttreten nach
wie vor wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen zeitigen (SCHMIDHAUSER,
in: Homburger et al., Kommentar zum schweizerischen Kartellgesetz,
N. 49 zu Art. 2; HOFFET, ibid., N. 46 zu Art. 5; JENS IVAR DROLSHAMMER,
Wettbewerbsrecht, Vom alten zum neuen Recht, S. 265). Das vorliegend
streitige Konkurrenzverbot beschränkt den Kläger, solange es besteht, in
seiner Freiheit, am Wettbewerb teilzunehmen. Seine Auswirkungen dauern
mithin an. Art. 1 SchlT ZGB steht daher der Anwendbarkeit des neuen
Kartellgesetzes nicht entgegen.

Erwägung 2

    2.- Das Kartellrecht richtet sich insbesondere gegen
Wettbewerbsabreden, die zu einer erheblichen Wettbewerbsbeschränkung
oder gar zur Beseitigung wirtschaftlichen Wettbewerbs führen (Art. 4
Abs. 1 und Art. 5 KG). Der Kläger sieht im Konkurrenzverbot gemäss der
Vereinbarung vom 13. Dezember 1984 eine Wettbewerbsabrede im Sinne des
Kartellgesetzes. Er ist der Ansicht, er werde durch eine nach Art. 5
KG unzulässige Wettbewerbsbeschränkung in der Aufnahme bzw. in der
Ausübung des Wettbewerbs behindert, weshalb er nach Art. 12 Abs. 1
lit. a KG Anspruch auf Beseitigung der Behinderung habe. Der Beklagte
hält demgegenüber dafür, dass das vereinbarte Konkurrenzverbot gar nicht
in den Anwendungsbereich des Kartellrechts fällt.

    a) Das neue Kartellgesetz enthält in Art. 4 Abs. 1 eine Legaldefinition
der Wettbewerbsabrede. Danach gelten als Wettbewerbsabreden rechtlich
erzwingbare oder nicht erzwingbare Vereinbarungen sowie aufeinander
abgestimmte Verhaltensweisen von Unternehmen gleicher oder verschiedener
Marktstufen, die eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken oder bewirken. Der
Kläger weist darauf hin, dass diese Definition - im Gegensatz zur
Umschreibung des Kartellbegriffs im früheren Recht (Art. 2 Abs. 1
aKG) - das Erfordernis einer gemeinsamen Beschränkung des Wettbewerbs
nicht mehr enthält. Seiner Auffassung nach sind deshalb auch einseitige
Konkurrenzverbote Wettbewerbsabreden im kartellrechtlichen Sinne. Diese
Ansicht wird zum Teil auch in der Literatur vertreten (MICHAEL LEUPOLD,
Die Beurteilung von Konkurrenzverboten bei Unternehmensverkäufen im Lichte
des neuen schweizerischen Kartellgesetzes, SZW 1998, S. 185; derselbe,
Wettbewerbsverbot bei der Unternehmensübertragung, Diss. Basel 1995, S. 205
f.). Für sie spricht namentlich, dass die Rechte anderer europäischer
Länder und insbesondere das Recht der Europäischen Union ebenfalls von
einem ausserordentlich weiten Begriff der kartellrechtlich relevanten
Wettbewerbsabrede ausgehen, wobei dieser grundsätzlich auch einseitige
Konkurrenzverbote erfasst, wie sie vor allem bei Unternehmensverkäufen
häufig vereinbart werden (siehe die rechtsvergleichenden Hinweise bei
LEUPOLD, aaO, Diss., S. 12 ff.; vgl. ferner auch LANGEN/BUNTE, Kommentar
zum deutschen und europäischen Kartellrecht, 7. Aufl. 1994, N. 32 ff. zu
§ 1 GWB). Um ein Ausufern zu verhindern, bedarf es dann allerdings
anderer Begrenzungen. Diesem Zweck dient namentlich die in Deutschland
entwickelte Immanenztheorie, nach der Konkurrenzverbote zum vornherein
nicht gegen kartellrechtliche Vorschriften verstossen können, wenn und
soweit sie einem erlaubten Privatrechtsverhältnis immanent, d.h. zur
Durchführung eines von der Rechtsordnung gebilligten Hauptvertrages und zur
Erreichung dessen kartellrechtlich neutralen Zwecks objektiv notwendig
sind (LEUPOLD, aaO, Diss., S. 28 ff.; KARSTEN SCHMIDT, Vertragliche
Wettbewerbsverbote im deutschen Kartellrecht, Gemeinsamer Zweck und
Immanenztheorie in der Praxis und Theorie zu § 1 GWB, Zeitschrift für das
gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht 149/1985, S. 1 ff., insbes. 10
ff.; ROGER ZÄCH, Wettbewerbsrecht der Europäischen Union, Praxis von
Kommission und Gerichtshof, München 1994, S. 50 f., unter Hinweis auf
ein unveröffentlichtes Urteil des EuGH; BGH in NJW 1994, S. 384 ff.).

    Die umschriebene Konzeption lässt sich indessen nicht ohne weiteres
auch auf das schweizerische Recht übertragen. Der Gesetzgeber hat bei der
Revision des Kartellgesetzes zwar eine gewisse Annäherung an das Recht
der Europäischen Union angestrebt, jedoch - namentlich mit Rücksicht
auf die andere verfassungsrechtliche Ausgangslage - bewusst auf eine
vollständige Angleichung verzichtet (vgl. BBl 1995 I 471 und 632 ff.). Der
Anwendungsbereich des schweizerischen Kartellgesetzes ist ausgehend von
der einschlägigen Kompetenznorm in der Bundesverfassung zu bestimmen (vgl.
HOFFET, aaO, N. 17 ff. zu Art. 1). Art. 31bis Abs. 3 lit. d BV trägt dem
Bundesgesetzgeber auf, Vorschriften gegen volkswirtschaftlich oder sozial
schädliche Auswirkungen von Kartellen und ähnlichen Organisationen zu
erlassen. Damit wird der Anwendungsbereich des Kartellgesetzes abgesteckt:
Wettbewerbsbeschränkungen anderen Ursprungs werden nicht erfasst. Die
Begriffe "Kartell" und "ähnliche Organisationen" sind allerdings darauf
angelegt, möglichst alle wettbewerbsbeschränkenden Gebilde einzufangen. Sie
sind weit zu verstehen: Es fallen unabhängig von der rechtlichen
oder wirtschaftlichen Organisationsform alle Absprachen oder auch nur
übereinstimmenden Verhaltensweisen mit potentieller oder tatsächlicher
Marktmacht darunter (RHINOW, in: Kommentar zur Bundesverfassung der
Schweizerischen Eidgenossenschaft, N. 204 zu Art. 31bis). Voraussetzung
ist jedoch stets, dass von einer "Organisation" gesprochen werden kann,
die von ihrer Wirkungsmöglichkeit und -weise her als Kartell oder als
einem Kartell ähnlich erscheint (HOFFET, aaO, N. 20 zu Art. 1).

    Für marktbeherrschende Unternehmen (vgl. Art. 4 Abs. 2 KG) geht
das Gesetz, indem es ihr Verhalten (Art. 7 KG) und ihre Entstehung
durch Unternehmenszusammenschluss (Art. 9 ff. KG) besonderen Regelungen
unterstellt, davon aus, dass sie das Erfordernis der Kartell-Ähnlichkeit
bereits für sich allein erfüllen (HOFFET, aaO, N. 20 zu Art. 1, Fn. 58).
Abgesehen davon setzt das Vorliegen einer kartellistischen oder wenigstens
kartellähnlichen Organisation aber immer ein bewusstes und gewolltes
Zusammenwirken mehrerer Unternehmen voraus (HOFFET, aaO, N. 20 und 60
zu Art. 1; vgl. auch BBl 1995 I 545). Die gegen wettbewerbsbeschränkende
oder -beseitigende Abreden gerichteten Vorschriften des Kartellgesetzes
(insbesondere Art. 5 f.) greifen nur, wenn diese Voraussetzung gegeben ist.
Aus den Materialien ergibt sich im Übrigen, dass es dem Gesetzgeber
vor allem darum ging, sowohl horizontale, d.h. zwischen Konkurrenten
bestehende als auch vertikale, von Unternehmen verschiedener Marktstufen
getroffene Wettbewerbsabreden zu erfassen; deshalb verzichtete er auf das
Gemeinsamkeitserfordernis, wie es das frühere Recht kannte (BBl 1995 I
544 f.). Das bedeutet indessen nicht, dass der Gesetzgeber im gleichen
Atemzug "jedes schlichte Konkurrenzverbot" (vgl. KUMMER, Der Begriff
des Kartells, S. 79) zum Kartell hätte erheben wollen. Ein Kartell oder
eine kartellähnliche Organisation liegt - abgesehen vom Spezialfall der
marktbeherrschenden Unternehmen - nur dort vor, wo zwei oder mehrere
Unternehmen im Hinblick auf die Ausübung von Marktmacht bewusst und
gewollt zusammenwirken. Ein derartiges Zusammenwirken fehlt bei einem
einseitigen Konkurrenzverbot, das als Nebenverpflichtung im Rahmen
eines Austauschvertrages zur Sicherung des Werts der vertraglichen
Hauptleistung vereinbart wird. Ein solches Konkurrenzverbot beruht
nicht auf gleichgerichteten Interessen an einer bestimmten Ausübung
von Marktmacht, sondern ist Ausfluss einer vertraglichen Regelung,
welche die Parteien zur Auflösung eines Interessengegensatzes treffen
und in den Schranken von Art. 27 Abs. 2 ZGB grundsätzlich auch beliebig
treffen können. Es liegt deshalb keine Wettbewerbsabrede im Sinne von
Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 f. KG vor. Damit ist allerdings nicht gesagt,
dass einseitige Konkurrenzverbote kartellrechtlich generell immer
unbedenklich wären. Zwingt etwa ein marktbeherrschendes Unternehmen
einem Geschäftspartner für einen bestimmten Geschäftsbereich ein
Konkurrenzverbot auf, so kann darin unter Umständen eine nach Art. 7 KG
unzulässige Verhaltensweise liegen (vgl. DALLAFIOR, in: Homburger et al.,
Kommentar zum schweizerischen Kartellgesetz, N. 122 f. zu Art. 7).

    b) Das zwischen den Parteien streitige Konkurrenzverbot ist Bestandteil
eines Vergleichs, mit welchem der Beklagte gegen Bezahlung die Rechte
an der gemeinsam entwickelten Entgratmaschine "E." erworben hat. Die vom
Kläger übernommene Verpflichtung, den Beklagten bei der Herstellung und
beim Vertrieb der "E." in keiner Weise zu konkurrenzieren, diente und dient
der Sicherung des Werts der Rechte, die der Kläger dem Beklagten überlassen
hat. Es handelt sich um ein im Rahmen eines Interessengegensatz-Vertrages
als Nebenpflicht eingegangenes Konkurrenzverbot. Die Parteien haben kein
Zusammenwirken im Hinblick auf die Ausübung von Marktmacht vereinbart,
sondern im Gegenteil ihre vorherige Zusammenarbeit beendet, wobei sich der
Kläger auszahlen liess und dem Beklagten dafür die alleinige Weiterführung
der gemeinsam begonnenen Tätigkeit vorbehalten bleiben sollte. Darin
kann weder ein Kartell noch eine kartellähnliche Organisation gesehen
werden. Es fehlt daher an einer Wettbewerbsabrede im Sinne von Art. 4
Abs. 1 und Art. 5 f. KG. Aber auch eine nach Art. 7 KG unzulässige
Verhaltensweise kommt nicht in Betracht, kann doch weder davon gesprochen
werden, dass der Beklagte das Konkurrenzverbot dem Kläger aufgezwungen
hätte, noch ist behauptet, geschweige denn bewiesen, dass der Beklagte auf
dem einschlägigen Markt eine beherrschende Stellung einnehmen würde. Das
Konkurrenzverbot, das die Parteien in ihrem Vergleich vereinbart haben,
fällt somit nicht in den Anwendungsbereich des Kartellgesetzes. Der
Kläger versucht vergeblich, mit Hilfe des Kartellrechts den Grundsatz,
dass Verträge zu halten sind, aus den Angeln zu heben.