Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 124 III 489



124 III 489

85. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 22. September 1998 i.S.
Joe's Videothek AG gegen SUISA (Berufung) Regeste

    Art. 13 URG. Vermietvergütungen.

    Die Verwertungsgesellschaften sind befugt, die Vergütungen
für sämtliche vergütungspflichtigen Vermietungen urheberrechtlich
geschützter Werke einzufordern, ohne sich für jedes einzelne Werk über
einen entsprechenden Auftrag des Rechtsinhabers ausweisen zu müssen
(E. 2a und 2b).

    Die Vergütungspflicht besteht auch dann, wenn der Vermieter nicht nur
Eigentümer der vermieteten Werkexemplare ist, sondern darüber hinaus von
den Urhebern auch Urheberrechte erworben hat (E. 2c).

Sachverhalt

    A.- Die SUISA (Schweizerische Gesellschaft für die Rechte der
Urheber musikalischer Werke) ist eine Genossenschaft mit Sitz in Zürich,
die sich als Verwertungsgesellschaft mit der Wahrung der Rechte der
Urheber von nicht-theatralischen musikalischen Werken befasst. Sie
hat mit vier weiteren Verwertungsgesellschaften, nämlich der PRO
LITTERIS (Schweizerische Urheberrechtsgesellschaft für Literatur und
bildende Kunst), der SSA (Société Suisse des Auteurs), der SUISSIMAGE
(Schweizerische Gesellschaft für die Urheberrechte an audiovisuellen
Werken) und der SWISSPERFORM (Schweizerische Gesellschaft für die
verwandten Schutzrechte) per 1. Juli 1993 den "gemeinsamen Tarif 5"
betreffend das Vermieten von Werkexemplaren vereinbart. Dieser Tarif
galt ursprünglich bis 31. Dezember 1996. Inzwischen ist seine Geltung mit
einer geringfügigen Änderung bis 31. Dezember 1997 verlängert worden. Die
genannten Verwertungsgesellschaften haben sodann, ebenfalls mit Wirkung
seit 1. Juli 1993, eine Vereinbarung zur Durchführung des Inkassos
der Vermietvergütungen getroffen. Darin haben sie die SUISA mit dem
für den Einzug der Vergütungen notwendigen und zweckmässigen Vorgehen,
einschliesslich Betreibungen und Prozessführung, betraut und ihr zu diesem
Zweck sämtliche bestehenden und künftigen Ansprüche auf tarifmässige
Vergütungen zur Geltendmachung in eigenem Namen abgetreten. Schliesslich
haben die SUISA und die übrigen Verwertungsgesellschaften mit ihren
Mitgliedern und Auftraggebern sogenannte Wahrnehmungsverträge sowie mit
ausländischen Schwestergesellschaften Gegenseitigkeitsverträge und zum
Teil noch mit anderen Rechtsinhabern Inkassoverträge abgeschlossen.

    Die Joe's Videothek AG betreibt eine Kette von Videotheken in der
ganzen Schweiz, in denen unter anderem Tonbildträger (Video-Kassetten)
vermietet werden. Mit Schreiben vom 23. Juni 1994 wandte sich die SUISA
an die Joe's Videothek AG, wies auf die seit dem 1. Juli 1993 geltende
Vergütungspflicht der Vermietung von Ton- und Tonbildträgern hin und schlug
eine vertragliche Regelung der Vermietvergütungen vor. Als sich die Joe's
Videothek AG weder zum Abschluss eines Vertrags entschliessen konnte,
noch die zur Berechnung der Vergütungen notwendigen Angaben machte,
stellte ihr die SUISA folgende Akontozahlungen in Rechnung:

    - für November 1994 Fr. 18'500.--, zahlbar bis 4. Dezember 1994;

    - für Dezember 1994 Fr. 18'500.--, zahlbar bis 31. Dezember 1994;

    - für Januar 1995 Fr. 19'702.50 (Fr. 18'500.-- zuzüglich 6,5%

    Mehrwertsteuer), zahlbar bis 31. Januar 1995.

    Nach Erhalt gewisser Angaben stellte sie zusätzlich die folgenden
Beträge definitiv in Rechnung:

    - für die Zeit von Juli bis Dezember 1993 den Betrag von Fr. 68'250.--,

    zahlbar bis 10. März 1995;

    - für das Jahr 1994 unter Berücksichtigung der Akontorechnungen über je

    Fr. 18'500.-- für die Monate November und Dezember einen Restbetrag von

    Fr. 98'927.75, zahlbar bis 10. März 1995.

    Am 3. März 1995 setzte die SUISA ihre Forderungen gemäss den drei
Akontorechnungen und am 27. März 1995 jene gemäss den beiden definitiven
Rechnungen in Betreibung, worauf die Joe's Videothek AG Rechtsvorschlag
erhob.

    B.- Mit Klage vom 11. Februar 1996 verlangte die SUISA beim
Kantonsgericht St. Gallen die Verpflichtung der Joe's Videothek AG zur
Bezahlung der in Betreibung gesetzten Beträge nebst Zins und Kosten sowie
die Beseitigung der Rechtsvorschläge. Das Kantonsgericht schützte die
Klageforderungen im Umfang von Fr. 204'177.-- nebst Zinsen und erteilte
der Klägerin definitive Rechtsöffnung für die zugesprochenen Beträge und
Zinsen sowie für Zahlungsbefehlskosten von Fr. 65.-- und Fr. 198.--.

    C.- Das Bundesgericht weist die Berufung der Beklagten ab, soweit es
darauf eintritt, und bestätigt das kantonsgerichtliche Urteil.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Nach dem in Art. 12 des Bundesgesetzes betreffend das
Urheberrecht an Werken der Literatur und Kunst (URG; SR 231.1) verankerten
Erschöpfungsgrundsatz darf ein Werkexemplar, das der Urheber veräussert
oder dessen Veräusserung er zugestimmt hat, weiterveräussert oder
sonst wie verbreitet werden. Wer Werkexemplare der Literatur und Kunst
vermietet oder sonst wie gegen Entgelt zur Verfügung stellt, schuldet
hiefür jedoch nach Art. 13 Abs. 1 URG dem Urheber oder der Urheberin eine
Vergütung. Das Recht auf solche Vermietvergütungen gehört - wie dasjenige
auf Vergütungen aus Art. 20 Abs. 2 URG (Fotokopien), aus Art. 20 Abs. 3
URG (Leerkassetten) oder aus Art. 35 URG (Sendung, Weitersendung oder
Vorführung von Aufzeichnungen der Darbietungen ausübender Künstler) - zu
den Vergütungsansprüchen, die das am 1. Juli 1993 in Kraft getretene neue
Urheberrechtsgesetz eingeführt hat, um Urheber und ausübende Künstler an
den Erträgen von Massennutzungen ihrer Werke und Darbietungen teilhaben
zu lassen. Für diese Ansprüche sieht das Gesetz zwingend die kollektive
Verwertung vor: Sie können nur von zugelassenen Verwertungsgesellschaften
(Art. 40 ff. URG) geltend gemacht werden (Art. 13 Abs. 3, Art. 20 Abs. 4,
Art. 35 Abs. 3 URG), wobei die entsprechende Bewilligung pro Werkkategorie
grundsätzlich nur einer Gesellschaft erteilt wird (Art. 42 Abs. 2 URG).
Eine individuelle Geltendmachung durch die Rechtsinhaber ist ausgeschlossen
(DENIS BARRELET/WILLI EGLOFF, Das neue Urheberrecht, Kommentar, N. 6
zu Art. 13 und N. 17 zu Art. 40). Die Verwertungsgesellschaften, die
für diesen Aufgabenbereich unter Bundesaufsicht stehen (Art. 40 Abs. 1
lit. b und Art. 52 ff. URG), sind verpflichtet, gestützt auf entsprechende
Tarife (Art. 46 f. und 55 ff. URG) die Vergütungsansprüche wahrzunehmen
(Art. 44 URG) und ihre Verwertung nach festen Regeln und nach dem Gebot der
Gleichbehandlung zu besorgen (Art. 45 Abs. 2 URG). Den Verwertungserlös
haben sie nach Massgabe des Ertrags der einzelnen Werke und Darbietungen
zu verteilen, wobei sie zur Feststellung der Berechtigten alle ihnen
zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen haben (Art. 49 Abs. 1 URG).

Erwägung 2

    2.- Aus der umschriebenen Regelung leitet das Kantonsgericht
ab, dass die Verwertungsgesellschaften kraft ihrer gesetzlichen
Monopolstellung befugt sind, sämtliche den jeweiligen Urhebern zustehenden
Vermietvergütungen gemäss Art. 13 Abs. 1 und 3 URG in eigenem Namen
geltend zu machen, unbekümmert darum, ob ihnen die Urheber ihre
Ansprüche abgetreten haben oder nicht. Gestützt darauf erachtet das
Kantonsgericht die Aktivlegitimation der Klägerin, der die übrigen
Verwertungsgesellschaften die in ihre Wahrnehmungsbereiche fallenden
Ansprüche aus Art. 13 URG zediert haben, bezüglich aller eingeklagten
Vermietvergütungen als gegeben. Diese Auffassung rügt die Beklagte als
bundesrechtswidrig.

    a) Das System der kollektiven Verwertung über Verwertungsgesellschaften
mit Monopolcharakter trägt den praktischen Schwierigkeiten Rechnung,
mit denen die Erfassung von Massennutzungen urheberrechtlich geschützter
Werke verbunden ist. Da sich diese Nutzungen der Kontrolle des Urhebers
weitestgehend entziehen, wäre für ihn eine individuelle Geltendmachung kaum
durchführbar. Umgekehrt wäre es auch für die Werknutzer kaum tragbar, die
Vergütungsleistungen mit den einzelnen Rechtsinhabern je separat abwickeln
zu müssen (Botschaft vom 19. Juni 1989, BBl 1989 III 555; Botschaft vom 29.
August 1984, BBl 1984 III 233). Die ausschliessliche Zuständigkeit der
zugelassenen Verwertungsgesellschaften führt nach beiden Richtungen hin
die nötige Vereinfachung herbei. Die kollektive Verwertung soll einerseits
eine möglichst vollständige Erfassung der vergütungspflichtigen Nutzungen
gewährleisten und anderseits eine einfache, praktikable und berechenbare
Einziehung der Vergütungen ermöglichen, was nicht zuletzt auch im Interesse
der Werknutzer liegt (KASPAR SPOENDLIN, Zur Rechtsnatur und Bemessung der
urheberrechtlichen Vergütung, in: FS 100 Jahre URG, S. 390 f.; CHRISTOPH
GASSER, Der Eigengebrauch im Urheberrecht, Diss. Bern 1997, S. 153; vgl.
auch CARLO GOVONI, Die Bundesaufsicht über die kollektive Verwertung von
Urheberrechten, in: Schweizerisches Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht,
Basel, Bd. II/1, S. 383; BERNHARD WITTWEILER, Der Geltungsbereich der
schweizerischen Verwertungsgesetzgebung, Diss. Zürich 1988, S. 80 ff.,
insbes. 81 f.).

    Diesen Zielen kann die kollektive Verwertung der Vergütungsansprüche
aus Massennutzungen nur gerecht werden, wenn sie grundsätzlich die
Gesamtheit der einschlägig genutzten urheberrechtlich geschützten Werke
einbezieht. Die gesetzliche Regelung ist deshalb dahin zu verstehen,
dass die Verwertungsgesellschaften befugt - und verpflichtet (Art. 44
URG) - sind, die Vergütungsansprüche für sämtliche vergütungspflichtigen
Massennutzungen urheberrechtlich geschützter Werke einzufordern, ohne
sich für jedes einzelne Werk über einen entsprechenden Auftrag des
Rechtsinhabers ausweisen zu müssen. Dabei ergibt sich ihre Befugnis zur
Geltendmachung der Vergütungen unmittelbar aus dem Gesetz (Art. 13
Abs. 3, Art. 20 Abs. 4, Art. 35 Abs. 3 URG); sie bedarf keiner
rechtsgeschäftlichen Grundlage in Verträgen mit den Rechtsinhabern
(RETO A. DÜRLER, Die relativ und die absolut zwingende kollektive
Verwertung von Urheberrechten, Diss. Basel 1989, S. 42 ff.). Solche
Verträge schliessen die Verwertungsgesellschaften zwar im Hinblick auf
die Verteilung des Verwertungserlöses. Die Befugnis zur Geltendmachung
der Vergütungen kann jedoch nicht davon abhängen, dass für jedes einzelne
Werk ein Vertragsverhältnis zwischen der Verwertungsgesellschaft und dem
jeweiligen Rechtsinhaber besteht. Andernfalls wäre die vom Gesetzgeber
angestrebte Effizienz der kollektiven Verwertung in Frage gestellt. Die
Vergütungen könnten nur unvollständig geltend gemacht werden, ihre
Einziehung wäre kompliziert und die Werknutzer müssten damit rechnen,
dass die Verwertungsgesellschaften sie für den gleichen Zeitabschnitt
immer wieder von neuem belangen würden, sobald weitere Verträge mit
Rechtsinhabern geschlossen sind (GOVONI, aaO, S. 411; SLVADÉ, Les droits
à rémunération instaurés par la loi fédérale sur le droit d'auteur et
les droits voisins, sic! 1997, S. 452). All dies wäre mit der vom Gesetz
vorausgesetzten "geordneten und wirtschaftlichen Verwaltung" (Art. 45
Abs. 1 URG) nicht zu vereinbaren.

    Die Rechtsinhaber können allerdings auf Vergütungen aus Massennutzungen
ganz oder teilweise verzichten. Das Gesetz zwingt niemanden, für die
Nutzung geschützter Werke eine Entschädigung zu verlangen. Vergütungen
dürfen nicht gegen den Willen der Rechtsinhaber eingezogen werden. Ein
Verzicht ist den Verwertungsgesellschaften mitzuteilen, damit diese ihm
beim Einzug der Vergütungen - soweit möglich und zumutbar - Rechnung
tragen können (BARRELET/EGLOFF, aaO, N. 17 zu Art. 40; GOVONI, aaO,
S. 410; vgl. auch BBl 1989 III 557).

    b) Im Lichte dieser Erwägungen erweist sich die Kritik der Beklagten
am angefochtenen Urteil als unbegründet. Die Befugnis der - auch für die
anderen Verwertungsgesellschaften handelnden - Klägerin zur Geltendmachung
aller eingeklagten Vermietvergütungen lässt sich nicht in Abrede stellen.
Da sich diese Befugnis unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, braucht auch
nicht geprüft zu werden, ob für diejenige Werke, für deren Verwertung keine
Verträge zwischen den Verwertungsgesellschaften und den Rechtsinhabern
bestehen, die Voraussetzungen der Geschäftsführung ohne Auftrag (Art. 419
ff. OR) gegeben sind; die entsprechenden Berufungsvorbringen stossen
ins Leere. An die Verwertungsgesellschaften gerichtete Mitteilungen, aus
denen bezüglich bestimmter von der Beklagten zur Miete angebotener Werke
hervorgehen würde, dass die jeweiligen Rechtsinhaber auf Vermietvergütungen
verzichtet hätten, liegen nicht vor; jedenfalls sind im angefochtenen
Urteil entsprechende Erklärungen nicht festgestellt, und die Beklagte
macht auch nicht geltend, dass die vorinstanzlichen Feststellungen in
dieser Hinsicht unvollständig wären (vgl. Art. 64 OG).

    c) Daraus, dass die Beklagte - wie sie behauptet - aufgrund
lückenloser vertraglicher Beziehungen zu den Urhebern angeblich Inhaberin
der Urheberrechte an den von ihr vermieteten Werken ist, lässt sich
ebenfalls nichts zu ihren Gunsten ableiten. Vermietvergütungen schuldet ein
Werknutzer nach Art. 13 Abs. 1 URG, sobald er Exemplare urheberrechtlich
geschützter Werke an Dritte vermietet. Die Vergütungspflicht knüpft
einzig an die Tatsache der Vermietung an. Der Vermieter bleibt deshalb
auch dann zur Leistung der Vergütungen an die Verwertungsgesellschaft
verpflichtet, wenn er nicht nur Eigentümer der vermieteten Werkexemplare
ist, sondern darüber hinaus von den Urhebern auch Urheberrechte erworben
hat. Die Verwertungsgesellschaften brauchen sich bei der Einziehung der
Vermietvergütungen nicht um die Rechtsbeziehungen zwischen Vermietern
und Urhebern zu kümmern. Allfällige von den Nutzern vertraglich erworbene
Urheberrechte sind erst im Rahmen der Verteilung des Verwertungserlöses
von Bedeutung (vgl. Art. 49 URG). Wer sowohl Vermieter und damit
Nutzer als auch Rechtsinhaber ist, hat einerseits Vermietvergütungen
an die Verwertungsgesellschaft zu leisten, ist anderseits aber
auch am Verwertungserlös beteiligt. Die Pflicht zur Leistung von
Vermietvergütungen entfällt nur insoweit, als die Rechtsinhaber gegenüber
den Verwertungsgesellschaften erklärt haben, bezüglich bestimmter Werke auf
Vermietvergütungen zu verzichten, was vorliegend jedoch weder festgestellt
noch auch nur behauptet ist (E. b hievor). Es bleibt deshalb dabei, dass
die Beklagte für alle von ihr vermieteten urheberrechtlich geschützten
Tonbildträger Vermietvergütungen an die Klägerin zu leisten hat. Das
Kantonsgericht hat die entsprechenden Forderungen zu Recht geschützt.