Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 124 III 44



124 III 44

9. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. November 1997
i.S. D. gegen X. Versicherung (Berufung) Regeste

    Zusatzversicherung zur Krankenversicherung nach KVG.

    Bei der Streitigkeit über die Frage, ob die von einer
Krankenversicherung angebotene Zusatzversicherung zur Krankenversicherung
den nach Art. 102 Abs. 2 KVG garantierten Versicherungsschutz gewähre,
handelt es sich um eine vermögensrechtliche Zivilstreitigkeit gemäss den
Art. 44 ff. OG (E. 1). Ihre Beurteilung fällt in die Zuständigkeit des
Richters (Art. 47 Abs. 1 VAG) (E. 2).

Sachverhalt

    D. (nachfolgend Versicherte) war bis Ende 1995 bei der X.  Versicherung
(nachfolgend X.) u.a. durch eine Privatpatientenversicherung (PPV)
versichert. Auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes vom 18.
März 1994 über die Krankenversicherung (KVG; SR 832.10) am 1. Januar
1996 teilte die X. die Versicherte in die Versicherung "Nova" um. Nach
Auffassung der Versicherten verletzte die X. damit die Bestandesgarantie
gemäss Art. 102 Abs. 2 KVG. Danach sind die Krankenkassen im Rahmen
der dem neuen Recht anzupassenden Bestimmungen betreffend statutarische
Leistungen und Zusatzversicherungen verpflichtet, "ihren Versicherten
Versicherungsverträge anzubieten, die mindestens den bisherigen Umfang
des Versicherungsschutzes gewähren".

    Am 19. Februar 1996 erliess die X. eine Verfügung des Inhalts,
dass der bisherige Versicherungsschutz gewährleistet sei, und auf
Einsprache der Versicherten hin am 27. März 1996 einen abweisenden
Einspracheentscheid. Dagegen erhob die Versicherte am 29. April 1996
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
die am 11. Juli 1997 ebenfalls abgewiesen wurde. Diesen Entscheid hat
die Versicherte an das Eidgenössische Versicherungsgericht weitergezogen,
dessen Entscheid noch aussteht.

    Zudem klagte die Versicherte am 21. Januar 1997 gegen die
X. beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich nach Massgabe
von Art. 47 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Aufsicht über die
privaten Versicherungseinrichtungen (VAG; SR 961.01). In ihrer
Eingabe schloss sie dahin, die Beklagte sei zu verpflichten, ihr einen
Versicherungsvertrag anzubieten, welcher mindestens den bisherigen Umfang
des Versicherungsschutzes gewähre, insbesondere die bisherigen sogenannten
Privatpatientzuschläge einschliesse.

    Die X. beantragte, auf die Klage nicht einzutreten, eventuell sie
abzuweisen. Den Nichteintretensantrag begründete sie einerseits damit,
vor dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern sei ein Verfahren mit einem
identischen Streitgegenstand hängig; andererseits berief sie sich auf die
fehlende Zuständigkeit des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich,
weil der in Art. 85 ff. KVG vorgezeichnete Rechtsmittelweg (d.h. die
Einsprache gegen die Verfügung bzw. Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen
den Einspracheentscheid) einzuschlagen gewesen sei.

    Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich trat mit Beschluss
vom 13. Mai 1997 auf die Klage nicht ein.

    Dagegen legte D. beim Bundesgericht Berufung ein mit dem Antrag,
den Beschluss aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen,
damit diese über das gestellte Rechtsbegehren entscheide. Dabei macht
sie im wesentlichen geltend, das Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich habe Art. 47 Abs. 2 VAG verletzt. In ihrer Antwort beantragt die
X. die Abweisung der Berufung und erhebt ihrerseits Anschlussberufung
wegen der ihr verweigerten Parteientschädigung.

    Über die Frage, welcher Rechtsweg für die Streitigkeit zwischen den
Parteien einzuschlagen ist, haben das Eidgenössische Versicherungsgericht
und das Bundesgericht einen Meinungsaustausch durchgeführt.

    Das Bundesgericht heisst die Berufung gut und weist die Sache zum
materiellen Entscheid an die Vorinstanz zurück

Auszug aus den Erwägungen:

                   aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition,
ob eine Rechtsmittel zulässig ist (BGE 120 II 270 E. 1 S. 271, je mit
Hinweisen).

    a) Als erstes fragt sich, ob überhaupt eine berufungsfähige
Zivilrechtsstreitigkeit im Sinne von Art. 46 OG vorliegt. Darunter versteht
die Rechtsprechung ein kontradiktorisches Verfahren zwischen zwei oder
mehreren natürlichen oder juristischen Personen in ihrer Eigenschaft
als Trägerinnen privater Rechte oder zwischen solchen Personen und einer
Behörde, die nach Bundesrecht die Stellung einer Partei einnimmt. Dieses
Verfahren bezweckt die endgültige Regelung zivilrechtlicher Verhältnisse;
dabei ist nicht entscheidend, welchen Rechtsweg die kantonale Behörde
eingeschlagen hat; Voraussetzung bildet lediglich, dass die Parteien
Ansprüche des Bundeszivilrechts erhoben haben und ebensolche objektiv
streitig sind (BGE 120 II 11 E. 2a S. 12 f.).

    aa) Das KVG regelt die soziale Krankenversicherung, welche die
obligatorische Kranken- und eine freiwillige Taggeldversicherung umfasst
(Art. 1 Abs. 1); das Versicherungsverhältnis untersteht dem öffentlichen
Recht. Dies galt unter der Herrschaft des Bundesgesetzes vom 13. Juni 1911
über die Krankenversicherung auch für die von den Krankenkassen angebotenen
Zusatzversicherungen. Nach dem neuen Recht hingegen unterstehen diese
Versicherungen dem Privatrecht, womit auf sie nunmehr das Bundesgesetz
vom 2. April 1908 über den Versicherungsvertrag (VVG; SR 221.229.1)
anwendbar ist (Art. 12 Abs. 3 KVG). Von daher gelten Streitigkeiten aus
Zusatzversicherungen als privatrechtlich.

    bb) Nicht zu teilen vermag das Bundesgericht die Auffassung des
Sozialversicherungsgerichts, wonach die Streitigkeit infolge ihrer Nähe
zur Sozialversicherung dem öffentlichen Recht zuzuordnen sei.

    Wie sich den Akten entnehmen lässt, stellt die der Klägerin angebotene
"Nova" eine Versicherung nach "Versicherungsvertragsgesetz VVG" dar
und beinhaltet damit eine Zusatzversicherung zur Krankenversicherung
nach KVG. Diesbezüglich statuiert Art. 102 Abs. 2 KVG die Garantie
zur Gewährleistung des bisherigen Versicherungsschutzes, indem die
Krankenkassen verpflichtet werden, die bisher über das gesetzliche
Minimum hinaus gewährten Leistungen auf vertraglicher Basis ungeschmälert
weiterzuführen (Botschaft über die Revision der Krankenversicherung,
BBl 1992 I, S. 214). Damit wird zwar die Vertragsfreiheit für die
Krankenkasse als Vertragskontrahentin eingeschränkt. Dies ist jedoch
für die Frage der Qualifikation des Rechtsverhältnisses nicht von
entscheidender Bedeutung. Die Rechtsordnung kennt zahlreiche Schranken,
welche diese Freiheit in dieser oder jener Hinsicht beschränken
(GAUCH/SCHLUEP, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, Band
I, 6. Aufl. Zürich 1995, N. 619 ff.); so gibt es namentlich gesetzliche
Kontrahierungspflichten, die auch den Inhalt des abzuschliessenden
Vertrages beschlagen können, ohne dass der unter Kontrahierungspflicht
abgeschlossene bzw. abzuschliessende Vertrag zu einem "Nichtvertrag" würde
und das Rechtsverhältnis als öffentlichrechtliches erscheinen liesse (aaO,
N. 1104 ff.). Nichts anderes gilt für die im vorliegenden Fall umstrittene
Frage, ob die von der X. der Versicherten angebotene Zusatzversicherung den
nach Art. 102 Abs. 2 KVG garantierten Versicherungsschutz gewährt. Nicht
von Belang ist, dass die umstrittene Bestandesgarantie im KVG geregelt und
das Bundesamt für Sozialversicherung für die vorfrageweise Feststellung
zuständig ist, ob die Versicherungsprodukte einer Krankenkasse der
Vorschrift des Art. 102 Abs. 2 KVG entsprechen; denn dabei handelt es
sich um formale Kriterien, die über die Natur des Rechtsverhältnisses
nichts aussagen.

    cc) Nach Art. 102 Abs. 2 KVG haben die Krankenkassen ihre Bestimmungen
"über Leistungen bei Krankenpflege, die über den Leistungsumfang
nach Art. 34 Absatz 1 KVG hinausgehen (statutarische Leistungen,
Zusatzversicherungen)... innert eines Jahres nach Inkrafttreten dieses
Gesetzes dem neuen Recht anzupassen. Bis zur Anpassung richten sich
Rechte und Pflichten der Versicherten nach dem bisherigen Recht". Danach
gilt jedoch entgegen der in der Berufungsschrift anscheinend vertretenen
Ansicht uneingeschränkt das neue Recht. Die Vorschrift, die in Frage
stehenden Bestimmungen "innert eines Jahres nach Inkrafttreten dem
neuen Recht anzupassen", bezeichnet bloss den spätesten Zeitpunkt der
Anpassung, verbietet jedoch den Krankenkassen nicht, die erforderlichen
Angleichungen schon auf einen früheren Zeitpunkt vorzunehmen. Im konkreten
Fall haben die Abklärungen des Bundesgerichts ergeben, dass die X. die
hier interessierenden Bestimmungen über die Zusatzversicherung bereits per
1. Januar 1996 dem neuen Recht angepasst hat. Seither richten sich Rechte
und Pflichten der Versicherten in diesem Bereich demnach ausschliesslich
nach dem neuen Recht.

    dd) Da die Parteien somit Ansprüche des Bundeszivilrechts
erhoben haben und auch solche streitig sind, ist folglich von einer
Zivilrechtsstreitigkeit im Sinne von Art. 46 OG auszugehen.

    b) Abgesehen davon übersteigt der Streitwert nach den unwidersprochenen
Ausführungen in der Berufung den Betrag von Fr. 8'000.--, so dass auf die
im übrigen frist- und formgerecht eingereichte Berufung einzutreten ist
(Art. 46 OG).

Erwägung 2

    2.- a) Handelt es sich bei der Streitigkeit über den (Mindest-)
Inhalt der der Klägerin angebotenen Zusatzversicherung um eine solche
privatrechtlicher Natur und hat die Beklagte ihre einschlägigen
Bestimmungen bereits auf den 1. Januar 1996 angepasst, so entscheidet
gemäss Art. 47 Abs. 1 VAG der Richter über privatrechtliche
Streitigkeiten zwischen Versicherungseinrichtungen oder zwischen
solchen und den Versicherten. Zudem haben die Kantone nach der auf
den 1. Januar 1996 in Kraft getretenen Fassung von Art. 47 Abs. 2 VAG
(Anhang Ziff. 2 des KVG) für Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen
zur sozialen Krankenversicherung nach KVG ein einfaches und rasches
Verfahren vorzusehen, in dem der Richter den Sachverhalt von Amtes
wegen festzustellen und die Beweise nach freiem Ermessen zu würdigen
hat (siehe dazu statt vieler: RAYMOND SPIRA, Die Rechtspflege in der
neuen Krankenversicherung, in: Soziale Sicherheit 1995, S. 258). Indem
das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich auf die Klage nicht
eingetreten ist, hat es demnach Bundesrecht verletzt.

    b) Daran ändert auch die Auffassung der X. nichts, das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich habe auch deshalb auf
die Klage nicht eintreten dürfen, weil bei deren Einreichung beim
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern bereits ein Prozess über die gleiche
Sache hängig gewesen sei. Zwar trifft zu, dass es in beiden Verfahren
um die Frage geht, ob die X. mit dem der Versicherten angebotenen neuen
Vertrag der Verpflichtung gemäss Art. 102 Abs. 2 KVG nachgekommen ist,
dieser mindestens den bisherigen Umfang des Versicherungsschutzes zu
gewähren. Dies kann jedoch der Versicherten nicht entgegengehalten werden,
zumal auch die Frage der sachlichen Zuständigkeit bzw. des zulässigen
Rechtsweges umstritten ist.