Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 124 III 350



124 III 350

62. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. April 1998
i.S. W. X. gegen X. AG (Berufung) Regeste

    Art. 401 Abs. 1 OR; Übergang von Forderungsrechten.

    Die Legalzession gemäss Art. 401 Abs. 1 OR umfasst auch
gesellschaftsrechtliche Mitwirkungsrechte (E. 2).

Sachverhalt

    Mit öffentlicher Urkunde vom 22. Juni 1964 gründeten die Brüder
V.X., H.X. und W.X. die X. AG (nachfolgend Beklagte), eine General- und
Bauunternehmung mit Sitz in Z. W.X. (nachfolgend Kläger) zeichnete eine
einzige Namenaktie zum Nominalwert von Fr. 1'000.-- und liberierte sie bar,
während V.X. 74 und H.X. 75 der insgesamt 150 Namenaktien übernahmen. Ihren
Kapitalanteil brachten sie auf, indem sie die Aktiven und Passiven ihres in
Form einer Kollektivgesellschaft betriebenen Baugeschäftes einbrachten,
an welchem der Kläger nicht beteiligt gewesen war. Im Verwaltungsrat
der Beklagten nahmen H.X. und V.X. Einsitz, letzterer als Präsident. Der
Kläger hatte nach eigenen Angaben in den sechziger Jahren als Aktionär
an Generalversammlungen der Gesellschaft teilgenommen, seit 1973 aber
nachweislich keinerlei Mitwirkungs-rechte mehr ausgeübt.

    Am 18. August 1995 wollte der Kläger an einer ausserordentlichen
Generalversammlung teilnehmen. Der Verwaltungsratspräsident der Beklagten
bestritt jedoch die Aktionärseigenschaft des Klägers und verwehrte ihm
die Teilnahme.

    Mit Klage vom 18. Oktober 1995 beantragte der Kläger dem
Handelsgericht des Kantons Aargau, die Beschlüsse der ausserordentlichen
Generalversammlung der Beklagten vom 18. August 1995 seien aufzuheben,
eventuell sei deren Nichtigkeit festzustellen. Ferner sei festzustellen,
dass der Kläger mit einer Aktie Aktionär der Beklagten sei, und die
ausserordentliche Generalversammlung sei korrekt zu wiederholen. Replicando
beantragte der Kläger zusätzlich, die Beklagte sei zu verpflichten, ihn
als Aktionär mit einer Namenaktie für nominal Fr. 1'000.-- im Aktienbuch
einzutragen. Das Handelsgericht wies die Klage mit Urteil vom 16. September
1997 ab.

    Die vom Kläger gegen diesen Entscheid erhobene Berufung weist das
Bundesgericht ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das Handelsgericht ist im angefochtenen Urteil zum Schluss
gekommen, dass der Kläger im Rahmen der Gründung der Beklagten zwar
eine einzige Aktie gezeichnet, dabei allerdings im Auftrag seines
Bruders V.X. als Strohmann gehandelt habe, damit das gesetzliche
Erfordernis der Mindestzahl von drei Aktionären erfüllt sei. Nach
Beendigung des Auftragsverhältnisses und Ersatz der für die Liberierung
getätigten Aufwendungen sei die Aktie und sämtliche aus ihr fliessenden
Rechte gemäss Art. 401 Abs. 1 OR an den Auftraggeber gefallen. Der
Kläger erblickt darin eine Bundesrechtsverletzung und macht geltend,
der Übergang von Forderungsrechten gemäss Art. 401 Abs. 1 OR erfasse
nur Rechte vermögensrechtlicher Natur. Die gesellschaftsrechtlichen
Mitwirkungsrechte würden von der Legalzession dagegen nicht erfasst,
so dass der Kläger berechtigt gewesen wäre, an der ausserordentlichen
Generalversammlung vom 18. August 1995 teilzunehmen.

    a) Gemäss Art. 401 Abs. 1 OR gehen Forderungsrechte, die der
Beauftragte für Rechnung des Auftraggebers in eigenem Namen gegen Dritte
erworben hat, auf den Mandanten über, sobald dieser seinerseits allen
Verbindlichkeiten aus dem Auftragsverhältnis nachgekommen ist. Art. 401 OR
ist nach der Rechtsprechung auf alle Arten des Auftrages anwendbar, wenn
die darin genannten Voraussetzungen erfüllt sind (BGE 122 III 361 E. 3a
S. 364; 115 II 468 E. 2b S. 471, je mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall
ist unbestritten, dass das Auftragsverhältnis spätestens mit Kündigung vom
6. Dezember 1995 beendigt wurde und der Auftraggeber seine Verpflichtungen
gegenüber dem Kläger am 14. Februar 1997 erfüllt hat. Die Voraussetzungen
von Art. 401 Abs. 1 OR sind damit grundsätzlich erfüllt. Zu prüfen bleibt
indes, ob die Legalzession alle Rechte aus der Aktie, insbesondere auch
die Mitgliedschaftsrechte oder bloss die Vermögensrechte erfasst. Das
Bundesgericht hat diese Frage bisher offengelassen (BGE 115 II 468 E. 2e
S. 472 f.).

    b) Dem Gesetzestext lässt sich eine eindeutige Antwort nicht entnehmen.
Lautet die Marginalie der Bestimmung "Übergang der erworbenen Rechte"
("Transfert des droits acquis par le mandataire", "Trasmissione dei diritti
acquistati"), spricht Absatz 1 enger von "Forderungsrechten" ("créances",
"crediti"). Die Gesetzesmaterialien scheinen eher auf eine engere Auslegung
hinzudeuten, wonach unter Forderungsrechten nur solche vermögensrechtlicher
Natur zu verstehen sind (vgl. MAX G. H. WOLFF, Wesen und Voraussetzungen
der Zession, Diss. Zürich 1917, S. 9). Das Gesetz muss aber in erster
Linie aus sich selbst heraus, d.h. nach Wortlaut, Sinn und Zweck und
den ihm zugrundeliegenden Wertungen ausgelegt werden. Eine historisch
orientierte Auslegung ist daher für sich allein nicht entscheidend. Die
Materialien fallen nach der Rechtsprechung nur ins Gewicht, wenn sie
angesichts einer unklaren gesetzlichen Bestimmung eine klare Antwort
geben und im Gesetzeswortlaut Niederschlag gefunden haben. Zu beachten
ist überdies, dass ihnen umso weniger Bedeutung zukommt, je weiter die
Entstehung des Gesetzes zeitlich zurückliegt (BGE 116 II 525 E. 2b S. 527).

    In der Literatur wird heute überwiegend die Ansicht vertreten, auch
Mitgliedschaftsrechte würden von der Legalzession gemäss Art. 401 Abs. 1
OR erfasst (FELLMANN, Berner Kommentar, Bern 1992, N. 22 zu Art. 401
OR; Weber, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, 2. Aufl.,
Basel 1996, N. 8 zu Art. 401 OR; ders., AJP 1992 S. 181 f.; BÄR, ZBJV
127/1991 S. 271; a.M. HEINI, Der treuhänderische Gesellschafter und
Art. 401 OR, in: FS 150 Jahre Obergericht Luzern, Bern 1991, S. 192
ff.). Begründet wird dies im allgemeinen mit dem Bestreben, weitere
Fälle einer Spaltung der Rechtsposition in Mitwirkungsrechte einerseits
und Vermögensrechte anderseits zu vermeiden (WEBER, aaO, S. 181; BÄR,
aaO, S. 271), wie sie vor der Revision des Aktienrechts namentlich bei
der Übertragung vinkulierter Namenaktien eintreten konnte, wenn die
Gesellschaft die Eintragung des Erwerbers ins Aktienbuch verweigerte
(vgl. Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, Schweizerisches Aktienrecht, Bern
1996, § 44 Rz. 107 ff., S. 571 f.). Bereits die damalige Rechtsprechung
des Bundesgerichts war geprägt von der Absicht, diese Spaltung nach
Möglichkeit einzuschränken (vgl. zuletzt BGE 114 II 57 E. 5 S. 59
ff.). Eine weitergehende Überwindung der unerwünschten Folge, dass
ein finanziell an der Gesellschaft nicht mehr Beteiligter immer noch
das Stimmrecht ausüben konnte, war denn auch eines der Anliegen der
am 1. Juli 1992 in Kraft getretenen Revision des Aktienrechts (BÖCKLI,
Schweizer Aktienrecht, 2. Aufl., Zürich 1996, Rz. 546, 552 und 762 ff.;
FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, aaO, § 44 Rz. 107 ff., S. 571 f.). Dem
ist auch im Rahmen der Auslegung von Art. 401 Abs. 1 OR Rechnung zu
tragen. Würde die Legalzession nicht sämtliche Rechte aus der Aktie
erfassen, hätte dies wiederum ein Auseinanderfallen von Mitwirkungs- und
Vermögensrechten gegenüber der Gesellschaft zur Folge, das der Gesetzgeber
im Rahmen der Revision des Aktienrechts gerade eindämmen wollte.

    c) Der Einwand Heinis, die Gesellschaft müsse jederzeit wissen,
wen sie als Mitglied zu behandeln habe, weshalb eine schriftliche
Abtretungserklärung im Interesse der Rechtssicherheit unerlässlich sei
(HEINI, aaO, S. 194 f.), überzeugt vor diesem Hintergrund nicht. Zunächst
darf die Gesellschaft selbst nach erfolgter Legalzession den Fiduziar
noch so lange als Aktionär betrachten, als ihr der Forderungsübergang
nicht angezeigt worden ist (Art. 167 OR; BGE 115 II 468 E. 2c S. 472). Im
Falle verbriefter Aktientitel ist ferner das Recht nur zusammen mit dem
Papier übertragbar (Art. 967 Abs. 1 OR). Bei Inhaberaktien ist deshalb
eine Legalzession von vornherein ausgeschlossen, weil der Besitz am Papier
für den Nachweis der Legitimation erforderlich ist, bis zum Beweis des
Gegenteils aber auch ausreicht (MEIER-HAYOZ/VON DER CRONE, Wertpapierrecht,
Bern 1985, § 5 Rz. 204 S. 114 f.; DU PASQUIER/OERTLE, in: Kommentar zum
Schweizerischen Privatrecht, Basel 1994, N. 7 zu Art. 683 OR). Verbriefte
Namenaktien, bei denen es sich in der Regel um Ordrepapiere handelt,
werden regelmässig durch Indossierung übertragen, können jedoch auch
zediert werden. Auch hier ist aber die Besitzverschaffung am Papier
Voraussetzung für den Übergang der Rechte (Art. 967 Abs. 2 OR; BGE 90 II
164 E. 6 S. 178 f., mit Hinweisen). Die Eintragung ins Aktienbuch setzt
sodann einen Ausweis über den Erwerb der Aktie voraus (Art. 686 Abs. 2
OR). Der Fiduziant, der sich auf den Rechtsübergang gemäss Art. 401 Abs. 1
OR beruft, hat mithin seine Legitimation nachzuweisen.

    Für die Rechtszuständigkeit an der Aktie ist aber in jedem Falle die
wahre Rechtslage massgeblich. Der Besitz des Papiers bei der Inhaberaktie
oder der Eintrag im Aktienbuch bei der Namenaktie begründet jeweils
nur eine widerlegbare Vermutung, dass der Betreffende auch tatsächlich
Rechtsträger ist (BGE 90 II 164 E. 3 S. 174; MEIER-HAYOZ/VON DER CRONE,
aaO, § 5 Rz. 204 S. 114 f.; WEBER, aaO, S. 181). Somit kann auch der
von HEINI geforderte leicht feststellbare Übertragungsausweis lediglich
Beweiszwecken dienen. Die Gesellschaft darf sich darauf nur so lange
verlassen, als sie nicht weiss, dass in Wirklichkeit eine andere Rechtslage
vorherrscht. Es rechtfertigt sich daher auch unter diesem Gesichtspunkt
nicht, die Mitgliedschaftsrechte von der Legalzession auszunehmen.

    d) Im vorliegenden Fall wurden anlässlich der Gründung der Beklagten
keine Aktientitel, sondern lediglich Zeichnungsscheine ausgestellt. Erst
am 24. Januar 1994 wurden die Aktien in Ordrepapieren verurkundet. Die
fragliche Aktie befindet sich seither bereits im Besitz von V.X. und
ist auch an dessen Ordre ausgestellt. Dass die Zustimmung der Beklagten
zur Übertragung von Aktien statutarisch erforderlich wäre, macht der
Kläger nicht geltend und ist von der Vorinstanz auch nicht festgestellt
worden. Unter diesen Umständen durfte das Handelsgericht aber von
einem Übergang der fraglichen Aktie unter Einschluss der zugehörigen
Mitgliedschaftsrechte gemäss Art. 401 Abs. 1 OR ausgehen, ohne Bundesrecht
zu verletzen.