Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 124 III 30



124 III 30

5. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 6. November 1997
i.S. S. gegen Schweizerische Ärzte-Krankenkasse (Berufung) Regeste

    Art. 841 Abs. 1 OR und Art. 832 Ziff. 3 OR; Rechtsverhältnis mit
einer nichtkonzessionierten Versicherungsgenossenschaft.

    Bei nichtkonzessionierten Versicherungsgenossenschaften kann das
Versicherungsverhältnis auf mitgliedschaftlicher Grundlage beruhen oder
vertraglicher Natur sein. Dies hängt davon ab, ob die Versicherung in
die Mitgliedschaft einbezogen ist oder auf einem besonderen Vertrag beruht.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Zunächst ist zu prüfen, ob das Versicherungsverhältnis zwischen
den Parteien vertraglicher oder körperschaftlicher Natur ist. Sollte das
Versicherungsverhältnis dem Versicherungsvertragsgesetz unterstehen,
wäre für die Frage der Zulässigkeit einer Rückversetzung in die
Taggeldklasse Fr. 30.-- auf die bei der Vertragsänderung im Jahr
1976 geltenden Allgemeine Bedingungen und Prämientarife (ABP) in der
Fassung vom 1. Januar 1974 abzustellen, deren Art. 14 Ziff. 1 zwar die
Rückversetzung generell vorsieht, aber keine ausdrückliche Regelung für den
- hier zu beurteilenden - Fall von laufenden Taggeldleistungen enthält;
sollte das Versicherungsverhältnis demgegenüber dem Genossenschaftsrecht
unterstehen, wäre für die Frage der Rückversetzung in die Taggeldklasse
Fr. 30.-- auf die ABP in der Fassung vom 1. Januar 1993 abzustellen,
deren Art. 14 Ziff. 5 ausdrücklich die Rückversetzung auch bei laufenden
Taggeldleistungen vorsieht.

    a) Die Schweizerische Ärzte-Krankenkasse ist eine Genossenschaft im
Sinne der Art. 828 ff. OR. Gemäss Art. 841 Abs. 2 OR unterstehen die von
einer konzessionierten Versicherungsgenossenschaft mit ihren Mitgliedern
abgeschlossenen Versicherungsverträge stets den Bestimmungen des
Versicherungsvertragsgesetzes. Da es sich bei der beklagten Genossenschaft
unbestrittenermassen nicht um eine konzessionierte Versicherungseinrichtung
handelt, kann nicht bereits unter Hinweis auf Art. 841 Abs. 2 OR
davon ausgegangen werden, dass das Verhältnis zwischen den Parteien dem
Versicherungsvertragsrecht untersteht. Handelt es sich wie im vorliegenden
Fall um eine nichtkonzessionierte Versicherungsgenossenschaft, wird
von einem Teil der Lehre aus Art. 841 Abs. 1 OR abgeleitet, dass das
Versicherungsverhältnis immer vertraglich sei, während andere Autoren das
Versicherungsverhältnis bei den nicht konzessionierten Genossenschaften
stets als mitgliedschaftlich betrachten (vgl. PETER FORSTMOSER, Berner
Kommentar, N. 26 zu Art. 841 OR mit Hinweis auf die Literatur). Die
herrschende Lehre lehnt solche schematischen Lösungen zu Recht ab; vielmehr
ist bei nicht konzessionierten Versicherungsgenossenschaften jeweils zu
untersuchen, ob die Versicherung in die Mitgliedschaft einbezogen ist, oder
ob die Versicherung auf einem besonderen Vertrag beruht (FORSTMOSER, aaO,
N. 27 zu Art. 841 OR, mit Hinweisen; RUTH BERNHEIMER, Die Gleichbehandlung
der Genossenschafter im schweizerischen Obligationenrecht, Diss. Zürich
1949, S. 144; PETER EHRET, Das besondere Mitgliedschaftsverhältnis der
Versicherungsgenossenschaft, Diss. Bern 1933, S. 54).

    c) Aufgrund der Statuten vom 1. Juli 1973 und der ABP in der Fassung
vom 1. Januar 1974 ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht auf
eine genossenschaftsrechtliche, sondern eine vertragliche Ausgestaltung des
Versicherungsverhältnisses zu schliessen. Von einer mitgliedschaftlichen
Grundlage des Versicherungsverhältnisses ist etwa dann auszugehen, wenn das
Rechtsverhältnis seine Regelung in den Statuten erfährt, so insbesondere
hinsichtlich der Pflicht zur Prämienentrichtung als Beitrag im Sinn von
Art. 832 Ziff. 3 OR, und wenn insoweit die Versicherungsbedingungen als
Statutenbestandteil im Handelsregister eingetragen sind; umgekehrt ist das
Versicherungsverhältnis auch beim Fehlen eines ausdrücklichen Hinweises auf
allfällige Versicherungsverträge vertraglicher Natur, wenn die Statuten
keine Vorschriften über Art und Höhe der Prämien oder zumindest über die
Grundsätze ihrer Berechnung enthalten (EHRET, aaO, S. 48 ff.; BERNHEIMER,
aaO, S. 144 f.; FORSTMOSER, aaO, N. 27 zu Art. 841 OR).

    Im vorliegenden Fall ist den Statuten vom 1. Juli 1973 zwar kein
ausdrücklicher Hinweis auf allfällige mit den Mitgliedern abzuschliessende
Versicherungsverhältnisse zu entnehmen; umgekehrt wird das Rechtsverhältnis
mit den Versicherten aber auch nicht als mitgliedschaftliches
Versicherungsverhältnis bezeichnet. Bedeutsam für die Qualifikation des
Rechtsverhältnisses ist indessen, dass die Statuten keine Vorschriften
über Art und Höhe der Prämien enthalten; den Statuten sind nicht einmal
Angaben über die Grundsätze ihrer Berechnung zu entnehmen. Vielmehr
verweisen die Statuten hinsichtlich der Prämien pauschal auf die
"Allgemeinen Bedingungen und Prämientarife" (Art. 29 Ziff. 1 Statuten),
deren Erlass ausschliesslich dem Verwaltungsrat obliegt (Art. 6 und Art. 39
Ziff. 10 Statuten). Hinsichtlich der vom einzelnen Mitglied geschuldeten
Prämien verweisen die Statuten auf die jeweilige Police (Art. 25 Abs. 2
Statuten). Enthalten aber die Statuten keine Bestimmungen über die
Verpflichtung der Genossenschafter zu Prämienleistungen sowie deren Art
und Höhe, kann das Versicherungsverhältnis zwischen den Parteien nur als
vertragliches - und nicht als mitgliedschaftliches - Rechtsverhältnis
verstanden werden.

    An diesem Ergebnis vermag auch der Hinweis des Kantonsgerichtes nichts
zu ändern, dass die Mitgliedschaft bei der Genossenschaft standesgebunden
sei; das Erfordernis der Mitgliedschaft bei einem Berufsverband besagt
nur, dass Dritte sich bei der Beklagten nicht versichern können,
spricht sich aber nicht darüber aus, ob das Versicherungsverhältnis
mitgliedschaftlich oder vertraglich begründet wird. Unerheblich ist
ferner, dass Mitgliedschaftserklärung und Versicherungsantrag im
selben Dokument abgegeben werden und die Police gleichzeitig auch als
Mitgliedschaftsausweis dient (siehe Art. 25 Ziff. 1 Statuten in der
Fassung vom 1. Januar 1973); die Police gilt nicht nur als Ausweis über
die Mitgliedschaft, sondern gibt auch Auskunft über die zwischen den
Parteien individuell - d.h. auf vertraglicher Basis - getroffene Absprache
betreffend den Leistungsumfang.

    d) Aus diesen Gründen ist der Auffassung des Klägers beizupflichten,
dass das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien als vertragliches
Versicherungsverhältnis zu interpretieren ist. Wie sich zeigen wird,
ist indessen entgegen der Auffassung des Klägers auch in diesem Fall
gestützt auf Art. 14 Ziff. 1 ABP in der Fassung vom 1. Januar 1974
eine Rückversetzung in die Taggeldklasse Fr. 30.-- nach Vollendung des
73. Altersjahres nicht zu beanstanden ist.