Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 124 III 253



124 III 253

47. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 14. Mai 1998 i.S. Linde
AG gegen Schweizerische Bankgesellschaft (Berufung) Regeste

    Art. 66, 97, 466 ff. OR; mehrgliedrige Geldüberweisung; vertraglicher
Anspruch der Erst- gegenüber der Empfängerbank auf weisungskonforme
Erfüllung des Überweisungsauftrages.

    Die mehrgliedrige Geldüberweisung charakterisiert sich als eine an die
Erstbank gerichtete Weisung des Überweisenden, die Empfängerbank zugunsten
des Begünstigten anzuweisen. Im Verhältnis zu den einzelnen Grundgeschäften
der am Zahlungsverkehr Beteiligten bleiben die Anweisungen abstrakt; der
Angewiesene kann nach vorbehaltloser Annahme der Anweisung die Erfüllung
nicht unter Hinweis auf Mängel aus dem Deckungs- oder Valutaverhältnis
verweigern (E. 3b).

    Eine allfällige Sittenwidrigkeit des Valutaverhältnisses schlägt
auf das Deckungsverhältnis zwischen Erst- und Empfängerbank nicht durch,
weshalb dieser gegen den vertraglichen Erfüllungsanspruch der Erstbank
die Einrede aus Art. 66 OR nicht offensteht (E. 3d).

Sachverhalt

    Die Linde AG (Klägerin), eine Aktiengesellschaft deutschen
Rechts, bemühte sich im Jahre 1990 um den Auftrag zur Erstellung eines
Äthylenwerks in José (Venezuela), welchen die Gesellschaft Petroleos
de Venezuela S.A. (PDVSA) zu vergeben hatte. Zu diesem Zweck versprach
die Klägerin anlässlich einer Besprechung mit José Trinidad Marquez
(Nebenintervenient), Provisionen in Höhe von insgesamt DM 10'750'000.--
in drei Raten zu bezahlen. Eine erste Rate lautete auf DM 1'750'000.--
und sollte vor Unterzeichnung des Vertrages mit der PDVSA bezahlt
werden. Vor dem Hintergrund eines von ca. US$ 100 Mio. auf ca. DM 600
Mio. erhöhten Gesamtpreises der Anlage einigten sich die Klägerin und
der Nebenintervenient am 7. November 1990 auf eine erste Rate von DM
2'250'000.--. Anfangs 1991 forderte der Nebenintervenient eine weitere
Provision von DM 500'000.--, um das Projekt voranzubringen. Die Klägerin
willigte ein; das in Aussicht gestellte Projekt wurde indes nie realisiert.

    Mit der Überweisung der Provisionen beauftragte die Klägerin
die Deutsche Bank AG. Diese sollte Beträge von DM 2'250'000.-- und DM
500'000.-- auf das Konto Nr. 702808 von Pablo Reimpell, Vizepräsident der
PDVSA, bei der Schweizerischen Bankgesellschaft (Beklagte) überweisen. Die
Deutsche Bank AG erteilte ihrerseits der Beklagten den Auftrag, diese
Gelder entsprechend gutzuschreiben. Diese schrieb die Beträge diesem
Nummernkonto gut, das allerdings nicht Pablo Reimpell, sondern den
Nebenintervenienten als Inhaber bzw. Berechtigten auswies. In der Folge
widerrief die Deutsche Bank AG den Zahlungsauftrag an die Beklagte und
forderte sie zur Rückvergütung der erhaltenen Beträge auf.

    Mit Eingabe vom 16. Mai 1994 belangte die Klägerin die Beklagte
vor Handelsgericht des Kantons Zürich auf DM 2'750'000.-- nebst Zins
und Kosten. Damit machte sie die ihr zedierten Rückvergütungsansprüche
der Deutschen Bank AG aus den beiden Zahlungsaufträgen an die Beklagte
geltend. Das Handelsgericht wies mit Urteil vom 5. November 1997 die
Klage ab.

    Das Bundesgericht heisst die Berufung der Klägerin gut, hebt das
Urteil des Handelsgerichts auf und weist die Streitsache zur Ergänzung
des Sachverhalts und neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Vorinstanz hat offengelassen, ob nach dem Parteiwillen Pablo
Reimpell oder der Nebenintervenient in den Genuss der Provisionen in Höhe
von DM 2'750'000.-- kommen sollten. Sie qualifizierte die streitbetroffenen
Provisionen als Schmiergeldzahlungen und hielt dafür, dass derartige
Abreden jedenfalls sittenwidrig seien und im internationalen Verhältnis
gegen den Ordre public verstiessen. Damit entfalle gemäss Art. 66
OR auch jeder Rückerstattungsanspruch der Klägerin, unbesehen darum,
dass vorliegend nicht der Überweisungsbegünstigte, sondern die mit der
Überweisung beauftragte Bank ins Recht gefasst werde. Entscheidend sei,
dass der Leistende für seine unsittliche Absicht gemassregelt und ihm
die Möglichkeit genommen werde, unsaubere Vermögensverschiebungen mittels
staatlicher Hilfe rückgängig zu machen. Dass die Beklagte für eine etwaige
Nichterfüllung ihres Überweisungsauftrages keinen Schadenersatz leisten
müsse, sei demgegenüber hinzunehmen. Art. 66 OR sei als allgemeine Norm
der Rechtsschutzversagung aufzufassen, die alle Ansprüche ausschliesse,
welchen ein eigenes sittenwidriges Verhalten zugrundeliege.

    Mit ihrer Berufung rügt die Klägerin als Verletzung von Bundesrecht,
dass die Vorinstanz nicht zwischen Valuta- und Deckungsverhältnis
unterschieden und insofern verkannt habe, dass eine allfällige Nichtigkeit
der Provisionsabrede mit Pablo Reimpell keinerlei Auswirkungen auf die
Gültigkeit der Überweisungsaufträge an die Deutsche Bank AG und die
Beklagte zeitigen könne. Da diese die Provisionen weisungswidrig dem
Streitberufenen statt Pablo Reimpell überwiesen habe, stehe der Klägerin
als Zessionarin der Deutschen Bank AG - bzw. gestützt auf Art. 399 Abs. 3
OR - ein vertraglicher Rückerstattungsanspruch gegen die Beklagte zu.

Erwägung 3

    3.- a) Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz wurde die
Deutsche Bank AG von der Klägerin am 8. November 1990 und 11. Februar
1991 angewiesen, zugunsten von Pablo Reimpell auf das Konto Nr. 702808
bei der Beklagten DM 2'250'000.-- bzw. DM 500'000.-- zu überweisen. Die
Deutsche Bank AG ihrerseits wies die Beklagte über das SWIFT-System an,
diese Summen dem vorerwähnten Konto gutzuschreiben.

    b) Diese Art der Abwicklung des Zahlungsverkehrs mittels
Kettenüberweisung ist in ein System mehrerer Grundverhältnisse eingebettet,
wobei die Relativität der jeweiligen Rechtsbeziehungen zu beachten ist. So
besteht zwischen dem Überweisenden und der Erstbank ein Girovertrag,
auf den die Bestimmungen über den Auftrag Anwendung finden. Weil
die Absenderbank bei der Kettenüberweisung keine Kontoverbindung zum
Begünstigten unterhält, kann sie nicht wie bei der Hausüberweisung
dem Begünstigten die Annahme durch Gutschrift erklären. Das Verhältnis
der Absenderbank zur Empfängerbank wird deshalb als zweite Anweisung
qualifiziert, welche die Absenderbank als Anweisende der Empfängerbank
als Angewiesener erteilt. Anweisungsempfänger bleibt wie bei der
Hausüberweisung der Begünstigte. Die Annahme der ersten Anweisung des
Überweisenden durch die Absenderbank erfolgt dabei nicht durch Erklärung
an den Begünstigten, sondern mittels einer zweiten Anweisung, welche die
Absender- der Empfängerbank erteilt. Die Überweisung charakterisiert
sich somit als eine an die Erstbank gerichtete Weisung (Art. 397 OR),
die Empfängerbank zugunsten des Begünstigten anzuweisen (BGE 121 III
310 E. 3a; MARTIN HESS, Rechtliche Aspekte der Banküberweisung, SZW
3/91, S. 101 f., 103; zum internationalen Bankzahlungsverkehr: JACQUES
BISCHOFF, Auslandszahlungsverkehr in der Schweiz, in: Rechtsprobleme der
Auslandsüberweisung, Berlin 1992, S. 343 f., 346 und 347).

    Die - als einheitliches Rechtsgeschäft aufzufassende -
mehrgliedrige Überweisung findet ihre Grundlage in selbständigen,
auftragsrechtlichen Regeln folgenden Giroverträgen, in welchen
sich die Banken verpflichten, für einen Kunden den bargeldlosen
Zahlungsverkehr zu besorgen und dabei insbesondere Überweisungen
auszuführen und entgegenzunehmen (BGE 111 II 447 E. 1; HESS, aaO,
S. 105; CANARIS, in: Grosskomm. HGB, 4. Aufl., Bankvertragsrecht,
Erster Teil, Rz. 315). Von den einzelnen Grundgeschäften bleiben die
Anweisungen unabhängig; das Zahlungsversprechen der Bank ist gegenüber
dem Deckungs- und Valutaverhältnis grundsätzlich abstrakt (CANARIS,
aaO, Rz. 397a S. 260; VON DER CRONE, Rechtliche Aspekte der direkten
Zahlung mit elektronischer Überweisung [EFTPOS], Diss. Zürich 1988,
S. 49). Entsprechend kann der Angewiesene, der dem Anweisungsempfänger
die vorbehaltlose Annahme der Anweisung erklärt hat, ihm gegenüber
die Erfüllung nicht verweigern, indem er sich auf Einwendungen und
Mängel aus dem Verhältnis mit dem Anweisenden (Deckungsverhältnis)
oder demjenigen zum Anweisungsempfänger (Valutaverhältnis) beruft (BGE
121 III 109 E. 3a). Erlaubt sind dem Angewiesenen einzig die Einreden,
welche sich aus dem persönlichen Verhältnis zum Anweisungsempfänger
oder aus dem Inhalt der Anweisung (Art. 468 Abs. 1 OR) ergeben (BGE 105
II 104 E. 2; HESS, aaO, S. 104 mit Hinweisen; CANARIS, aaO, Rz. 397a
S. 260). Dieses Ergebnis ist systemkonform und trägt dem Grundsatz
der Relativität von Forderungsrechten Rechnung (hierzu: KRAMER, Berner
Kommentar, Allg. Einleitung in das schweizerische OR, N. 44 f.). Der
Funktionsschutz durch Ausschluss der überweisungsfremden Einreden trennt
den mit der Annahme begründeten Anspruch nicht nur vom Deckungsverhältnis,
sondern genauso vom Valutaverhältnis. Erweist sich der Transfer aus der
Sicht des Valutaverhältnisses nachträglich als nicht gerechtfertigt, so
ändert dies nichts an seiner Gültigkeit im Leistungsverhältnis. Vielmehr
ist es Sache des Überweisenden und des Empfängers, nach den Regeln des
zwischen ihnen bestehenden Vertrages oder allenfalls nach den Grundsätzen
über den Ausgleich der ungerechtfertigten Bereicherung für Korrektur zu
sorgen (VON DER CRONE, aaO, S. 69).

    c) Ob der Angewiesene zur Annahme der Anweisung verpflichtet ist,
beurteilt sich aus dem Deckungsverhältnis (KOLLER, in: Kommentar
zum Schweizerischen Privatrecht, 2. Aufl., N. 2 und 9 zu Art. 468
OR). Auch hier gilt, dass die mit der Überweisung beauftragte Bank sich
um die zugrundeliegenden Rechtsbeziehungen zwischen dem Auftraggeber und
Begünstigtem grundsätzlich nicht zu kümmern braucht, zumal sie regelmässig
keinen hinreichenden Einblick in die Absichten und Dispositionen des
Auftraggebers hat (CANARIS, aaO, Rz. 327 und 429; SCHWINTOWSKI/SCHÄFER,
Bankrecht, Köln/Berlin/Bonn/München 1997, S. 263 Rz. 95). Soweit
der Auftraggeber allerdings erkennbar rechtswidrige oder unsittliche
Weisungen erteilt, muss sie die Bank nicht befolgen (vgl. FELLMANN, Berner
Kommentar, N. 97 zu Art. 397 OR; HOFSTETTER, SPR VII/2, S. 79; vgl. auch
BEAT KLEINER, Internationales Devisen-Schuldrecht, Zürich 1985, S. 125
f.). In diesem Zusammenhang sind etwa die Sorgfaltspflichtsvereinbarung
der Schweizer Banken (Fassung vom 1. Oktober 1992) und das per 1. April
1998 in Kraft getretene Geldwäscherei-Gesetz (AS 1998 S. 892 f.) zu
beachten, wo besondere Pflichten zur Identifikation des Bankkunden und
des allenfalls hinter ihm stehenden wirtschaftlich Berechtigten an einer
Geschäftsbeziehung statuiert werden. Die per 1. August 1990 in Kraft
getretenen Strafbestimmungen zur Geldwäscherei (Art. 305bis und 305ter
StGB) untermauern diese Sorgfaltspflichten zusätzlich strafrechtlich
(EMCH/RENZ/BÖSCH, Das schweizerische Bankgeschäft, 4. Aufl., S. 85
f.; IMOGEN BILLOTTE-TONGUE, Aspects juridiques du virement bancaire,
Diss. Genf, Zürich 1992, S. 48 f.).

    Dass die Beklagte Kenntnis vom Verwendungszweck der zu überweisenden
Gelder oder von den Verhandlungen der Klägerin mit den zuständigen
venezolanischen Stellen im Zusammenhang mit dem Projekt "Olefinas II"
hatte, geht aus den Feststellungen des Handelsgerichts nicht hervor. Nicht
ersichtlich ist sodann, aus welchem anderen Grund sie eine allfällige
Sittenwidrigkeit des Valutaverhältnisses hätte erkennen und gestützt
darauf die geforderte Überweisung hätte verweigern können (vgl. CANARIS,
aaO, Rz. 397a S. 260). Entscheidend bleibt aber, dass eine allenfalls
sittenwidrige causa im Valutaverhältnis die Gültigkeit der von den
Banken akzeptierten Überweisungsaufträge nicht tangiert und sie zur
weisungskonformen Erfüllung dieser "abstrakten" Schuld verpflichtet
bleiben. Zwar können die Banken unter Umständen die Überweisung unter
Verweis auf eine offensichtliche Gesetzes- oder Sittenwidrigkeit
des Valutaverhältnisses verweigern, ohne schadenersatzpflichtig zu
werden. Akzeptieren sie aber den Überweisungsauftrag und führen sie ihn
aus, muss dies vertrags- bzw. weisungskonform geschehen, andernfalls der
Auftraggeber fordern kann, dass ihm der dafür belastete Betrag erneut
gutgeschrieben oder die Überweisung entsprechend seiner Order vorgenommen
wird (FELLMANN, aaO, N. 124 zu Art. 400 OR; CANARIS, aaO, Rz. 347).

    d) Im Lichte dieser Grundsätze vermag eine allfällige Sittenwidrigkeit
im Valutaverhältnis zwischen der Klägerin und Pablo Reimpell auf das
Deckungsverhältnis nicht durchzuschlagen. Eine entsprechende Einrede der
überweisenden Bank bleibt als exceptio de iure tertii wirkungslos. Die vom
Handelsgericht vertretene Auffassung, wonach Art. 66 OR als "allgemeine
Norm der Rechtsschutzversagung" aufzufassen ist, die jegliche Ansprüche
"ausschliesst, denen ein eigenes sittenwidriges Verhalten zugrundeliegt",
findet im Gesetz keine Stütze. Art. 66 OR vermag vertraglich begründeten
Ansprüchen nicht zu derogieren. Andernfalls könnte eine mit der Überweisung
beauftragte Bank, die aus irgendwelchen Quellen von einem sitten- oder
rechtswidrigen Verwendungszweck des überwiesenen Geldes im Valutaverhältnis
erfährt, dieses entschädigungslos einbehalten bzw. darauf verzichten,
den dem Konto des Überweisenden belasteten Betrag trotz verweigerter
Auftragserfüllung wieder gutzuschreiben. Ihrem Auftraggeber könnte
sie Art. 66 OR entgegenhalten (BGE 99 Ia 417 E. 3c), der Begünstigte
hätte mangels Anweisungsakzepts (Art. 468 Abs. 1 OR) keinen Anspruch
auf das Geld. Der Anwendungsbereich von Art. 66 OR ist somit auf das
zufolge Rechts- oder Sittenwidrigkeit ungültige Kausalverhältnis zwischen
Anweisendem und Anweisungsempfänger beschränkt. Der Überweisende, dem -
wie dargelegt (E. 3c hievor) - gegen den Angewiesenen aus weisungswidriger
Auftragsausführung ein vertraglicher Anspruch auf Erstattung desjenigen
zusteht, was dieser zur weisungsgemässen Ausführung erhalten hat, braucht
nicht aus ungerechtfertigter Bereicherung zu klagen, weshalb ihm auch
nicht Art. 66 OR entgegengehalten werden kann (BGE 99 Ia 417 E. 3a).