Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 124 III 207



124 III 207

38. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 9. März 1998 i.S. A.
gegen B. AG (Berufung) Regeste

    Art. 83 Abs. 2 SchKG, Art. 59 BV; Aberkennungsklage, Gerichtsstand.

    Reicht der Schuldner gleichzeitig mit der Aberkennungsklage eine
Klage auf Schadenersatz gegen den Aberkennungsbeklagten ein, liegt trotz
der vertauschten Parteirollen Klagenhäufung vor (E. 3a).

    Eine Vereinigung der Aberkennungsklage mit einer zusätzlich erhobenen
Forderungsklage ist nur bei übereinstimmender sachlicher und örtlicher
Zuständigkeit möglich; Einreden des Aberkennungsklägers sind dagegen
grundsätzlich unbeschränkt zulässig (Bestätigung der Rechtsprechung;
E. 3b/bb).

Sachverhalt

    In zwei Betreibungen der B. AG gegen A. erhob dieser Aberkennungsklage;
überdies verlangte A. seinerseits von der Gläubigerin Schadenersatz. Auf
diese Schadenersatzklage trat das Obergericht des Kantons Solothurn mit
Entscheid vom 18. November 1997 nicht ein, weil die in Bern domizilierte
Gläubigerin sich gestützt auf Art. 59 BV dieser Klage widersetzte. A. hat
dagegen Berufung eingelegt und beantragt, dieses Urteil sei aufzuheben
und das Richteramt Olten-Gösgen anzuweisen, auf die Forderungsklage
einzutreten.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Der Kläger wirft dem Obergericht in verschiedener Hinsicht eine
Verletzung von Art. 83 Abs. 2 SchKG vor.

    a) Vorab unbegründet ist die Rüge, die Vorinstanz habe
bundesrechtswidrig angenommen, eine Widerklage sei allein dem
formell Beklagten vorbehalten. Die Widerklage ist weder Angriffs-
noch Verteidigungsmittel, sondern Klage wie die Vorklage, ein gegen
den Angriff geführter Gegenangriff, mit welchem die Beklagtenseite
ein selbständiges Ziel verfolgt, indem sie einen von der Vorklage
nicht erfassten, unabhängigen Anspruch ins Recht legt (BGE 123 III 35
E. 3c S. 47). Im Aberkennungsprozess wird über Bestand und Fälligkeit
der in Betreibung gesetzten Forderung gestritten, und das Urteil
entfaltet für die Parteien definitive Rechtskraft über die Zwecke
der Betreibung hinaus. Die Aberkennungsklage ist, obschon sie mit dem
Betreibungsverfahren im Zusammenhang steht, nicht betreibungsrechtlicher,
sondern materiellrechtlicher Natur (BGE 118 III 40 E. 2a S. 41/42). Als
negative Feststellungsklage materiellen Rechts stellt sie das Spiegelbild
der in Art. 79 SchKG geregelten Anerkennungsklage (Leistungsklage) dar,
mit welcher die Zahlung der durch Rechtsvorschlag bestrittenen Forderung
mit Hilfe des Richters durchgesetzt werden soll (HINDERLING, Fragen aus
dem Grenzbereich zwischen Privat- und Verfahrensrecht, in ZSR 83/1964,
Bd. I, S. 126/127; AMONN/GASSER, Grundriss des Schuldbetreibungs-
und Konkursrechts, 6. Aufl. 1997, § 19 Rz. 95, S. 134). Die vom
Schuldner gleichzeitig mit der Aberkennungsklage eingereichte Klage auf
Schadenersatz kann somit keine Widerklage darstellen. Verbindet - wie
vorliegend - der Aberkennungskläger mit dem Begehren um Aberkennung der
Forderung einen Anspruch gegenüber dem Aberkennungsbeklagten, handelt es
sich um Klagenhäufung, obwohl sich wegen der vertauschten Parteirollen
Forderung und Gegenforderung entgegenstehen (LEUCH/MARBACH/KELLERHALS,
Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 2. Aufl., 1995, N. 1b zu
Art. 170, die sich wie auch EICHENBERGER, Zivilrechtspflegegesetz des
Kantons Aargau, N. 2 zu § 180, ausdrücklich auf BGE 58 I 165 E. 3 beziehen;
gleicher Meinung: FRANK/STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur zürcherischen
Zivilprozessordnung, 3. Auflage 1997, N. 6b zu § 60, S. 276).

    b) Das Obergericht ist auf die Schadenersatzklage des
Aberkennungsklägers nicht eingetreten, weil eine objektive Klagenhäufung
vorliege; damit werde Art. 59 BV verletzt, da die Parteien nicht im
gleichen Kanton wohnten. Es hat sich dabei vorwiegend auf BGE 58 I
165 ff. abgestützt. Der Kläger erachtet dieses Urteil als nicht mehr
zeitgemäss.

    aa) Gemäss Art. 83 Abs. 2 SchKG hat der Betriebene eine
Aberkennungsklage beim Gericht des Betreibungsortes einzureichen. Der
Wohnsitz des Schuldners bildet den allgemeinen Betreibungsstand
(Art. 46 Abs. 1 SchKG), und dieser gilt immer, wo nicht das Gesetz in
beschränkter Zahl Sonderbetreibungsstände aufgestellt hat. Wie in der
Gerichtsstandsgarantie des Art. 59 BV, liegt darin in erster Linie eine
Schutzbestimmung für den Schuldner (FRITZSCHE, Schuldbetreibung und
Konkurs, Bd. I, 2. Auflage, Zürich 1967, S. 79). Art. 59 BV hat jedoch
im Verhältnis zu den bundesrechtlich geregelten Betreibungsorten keine
selbständige Bedeutung (JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, SchKG, 4. Auflage
1997, N. 7 zu Art. 46, S. 197). Auch im Vorentwurf zum Bundesgesetz über
den Gerichtsstand in Zivilsachen [GestG] (publiziert bei VOGEL, Grundriss
des Zivilprozessrechts, 5. Auflage 1997, Anhang, S. 413) werden in Art. 1
Abs. 2 lit. a GestG die Bestimmungen des SchKG ausdrücklich vorbehalten.

    bb) Das Bundesgericht hat in BGE 58 I 165 E. 2 befunden, der
Aberkennungskläger könne am Forum der Aberkennungsklage andere Begehren
als diejenigen auf Befreiung von der in Betreibung gesetzten Forderung
nur stellen, wenn sie zum Zwecke der Verrechnung erhoben würden oder
nur Akzessorien zur eigentlichen Aberkennungsklage darstellten; eine
zusätzliche Klage sei jedoch nur dann zulässig, wenn ihr Art. 59 BV
nicht entgegenstehe (BGE 58 I 165 E. 4 und 5; vgl. auch BGE 116 II
131 E. 2, 68 III 85). Art. 59 BV wird durch Einreden - insbesondere
die Verrechnungseinrede - in keiner Weise tangiert, da der Richter der
Klage immer auch über die gegen diese erhobenen Einreden entscheidet
("Le juge de l'action est le juge de l'exception"); denn Einreden dienen
nicht dazu, einen Anspruch selbständig und angriffsweise durchzusetzen,
sondern sie stellen lediglich ein Verteidigungsmittel gegenüber der
Klage dar, die damit zu Fall gebracht werden soll (BGE 63 II 133 E. 3c
S. 141/142). Und allein darin liegt der Grund für die grundsätzlich
unbeschränkte Zulassung von Einreden im Aberkennungsprozess, was vom
Kläger offensichtlich übersehen wird.

    Die Lehre äussert sich, soweit sie eine mögliche Ausweitung oder
Ergänzung des Aberkennungsverfahrens überhaupt in Betracht zieht, zum Teil
nur zur eigentlichen Widerklage des Gläubigers und Aberkennungsbeklagten,
über die hier nicht zu befinden ist (AMONN/GASSER, aaO, Rz. 101,
S. 136 und JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, aaO, N. 14 zu Art. 83). Jene
Autoren, die sich auch mit der objektiven Klagehäufung in der Form des
Hinzutritts einer Forderungsklage des Betreibungsschuldners zu seiner
Aberkennungsklage befassen, verhalten sich dazu reserviert. JAEGER/DAENIKER
(Schuldbetreibungs- und Konkurspraxis der Jahre 1911-1945, Zürich 1947,
Bd. I, N. 8 zu Art. 83 SchKG) schliessen in Anknüpfung an BGE 58 I 165
eine über die Kompensation mit der Betreibungsforderung hinausgehende
Forderungsklage schlechthin aus. Auch FAVRE (Schuldbetreibungs-
und Konkursrecht, Freiburg 1956, S. 140 f.) pflichtet jenem Entscheid
bei. Gleicher Meinung ist Syz (Aberkennungsklage und Aberkennungsprozess
gemäss Art. 83 Abs. 2 SchKG, Diss. Zürich 1971, S. 80 ff.). Selbst für
Fälle, in denen eine mit dem Aberkennungsprozess übereinstimmende örtliche
und sachliche Zuständigkeit besteht, meldet er gegen die Vereinigung der
beiden Klagen zu einem einzigen Verfahren Bedenken an, die in der Natur
des Aberkennungsverfahrens begründet sind: die mit der Aberkennungsklage
angestrebte Feststellung von Existenz oder Nichtexistenz der in Betreibung
gesetzten Forderung soll nicht durch die mit der Klagenhäufung verursachte
Weiterung erschwert oder verzögert werden (aaO, S. 82 f.).

    Dem ist beizupflichten und an der in BGE 58 I 165 zum Ausdruck
kommenden Meinung festzuhalten. Demnach bleibt von Bundesrechts wegen
die Aberkennungsklage als solche allein auf die in Betreibung gesetzte
Forderung bezogen. Eine Vereinigung dieser Aberkennungsklage mit einer
zusätzlich erhobenen Forderungsklage fällt nur bei übereinstimmender
sachlicher und örtlicher Zuständigkeit überhaupt in Betracht. Nach dem
angefochtenen Urteil ist nur die erste Voraussetzung - die Konnexität der
Forderungen - gegeben, die örtliche Zuständigkeit hingegen nicht. Das
Obergericht ist deshalb zu Recht auf die Schadenersatzklage nicht
eingetreten (vgl. dazu LEUCH/MARBACH/KELLERHALS, aaO, N. 1e zu Art. 33
ZPO/BE). Ob und wann das Bundesrecht die Klagenvereinigung und ihre
Fortdauer zum Schutz der Aberkennungsklage weiteren Einschränkungen
unterwirft, kann daher offen bleiben.