Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 124 III 176



124 III 176

31. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 3. März 1998 i.S. A.
gegen B. (Berufung) Regeste

    Ergänzung eines ausländischen Scheidungsurteils; örtliche Zuständigkeit
(Art. 64 Abs. 1 IPRG, Art. 59 IPRG und Art. 85 Abs. 1 und 2 IPRG; Art. 1
des Haager Übereinkommens vom 5. Oktober 1961 über die Zuständigkeit
der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von
Minderjährigen).

    Hat ein Minderjähriger seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz,
so ist der Richter des Aufenthaltsortes zur Ergänzung des ausländischen
Scheidungsurteils in bezug auf den persönlichen Verkehr zwischen Eltern
und Minderjährigem zuständig. Dies ist selbst dann der Fall, wenn
das Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das
anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen (MSA)
für den Heimatstaat des Minderjährigen nicht gilt.

    Die internationale und örtliche Zuständigkeit zur Ergänzung eines
ausländischen Urteils in bezug auf den Kinderunterhalt richtet sich
ausschliesslich nach Art. 64 Abs. 1 bzw. Art. 59 IPRG (E. 2-6).

Sachverhalt

    A.- Die Parteien wurden 1994 in der Dominikanischen Republik
geschieden; die Obhut über die Tochter C. wurde A. anvertraut, über
ein Besuchsrecht des B. jedoch nicht entschieden; immerhin hielt das
Scheidungsurteil fest, dass B. einen Unterhaltsbeitrag für Arznei und
Ausbildung der Tochter leisten werde.

    Nachdem A. beim Bezirksgericht X. zunächst auf Scheidung geklagt,
die Scheidungsklage dann aber in eine solche auf Ergänzung des
Scheidungsurteils geändert hatte, hielt sie schliesslich lediglich
noch die Begehren aufrecht, B. sei ein Besuchsrecht für die Tochter zu
verweigern; überdies sei er zu angemessenen Unterhaltsbeiträgen an die
Tochter zu verpflichten.

    B.- Während das Bezirksgericht X. die von B. erhobene Einrede der
Unzuständigkeit abwies, hiess das Obergericht des Kantons Zürich den
von B. eingelegten Rekurs am 13. November 1996 gut und wies die Sache
an die Vorinstanz zurück, damit sie einen Nichteintretensbeschluss fasse.

    C.- A. hat Berufung eingelegt mit dem Antrag, in Abänderung des
angefochtenen Beschlusses festzustellen, dass das Bezirksgericht X. zur
Beurteilung der Klage örtlich zuständig sei.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das Obergericht erwog bezüglich des Besuchsrechts, das
Scheidungsurteil sei aus schweizerischer Sicht ergänzungsbedürftig;
insoweit liege eine Ergänzungsklage vor; auch sei ein internationales
Verhältnis im Sinne von Art. 1 des Bundesgesetzes über das Internationale
Privatrecht (IPRG; SR 291) zu bejahen, doch lasse sich die Frage der
innerstaatlichen Zuständigkeit aus dem IPRG nicht beantworten; nach BGE
113 II 102, der zwar noch vor dem Inkrafttreten des IPRG gefällt worden
sei, aber nach wie vor Geltung beanspruchen könne, wenn das IPRG die
innerstaatliche Zuständigkeit nicht regle, sei am Wohnsitz des Beklagten
zu klagen und das Bezirksgericht X. somit in bezug auf das Besuchsrecht
nicht zuständig. Das den Unterhalt betreffende Begehren betrachtete
das Obergericht als Abänderungsklage, für welche kein internationaler
Sachverhalt vorliege, zumal dem ausländischen Scheidungsurteil in diesem
Zusammenhang keine besondere Bedeutung zukomme; nachdem die Klägerin,
nicht das Kind klage, handle es sich um eine Klage gemäss Art. 157 ZGB,
für welche der Richter am Wohnsitz des Beklagten zuständig sei; auch
in dieser Hinsicht müsse daher die Zuständigkeit des Bezirksgerichts
X. verneint werden.

Erwägung 3

    3.- In bezug auf die Unterhaltspflicht hält das ausländische
Scheidungsurteil lediglich fest, dass der Beklagte einen
Unterhaltsbeitrag für Arznei und Ausbildung der Tochter entrichten
werde; aus schweizerischer Sicht ist es insoweit ergänzungsbedürftig,
wird doch die Unterhaltsverpflichtung weder der Höhe noch der
Dauer nach festgesetzt. Die Klägerin hat somit ihre Klage, die auf
betragsmässige Festsetzung des Unterhaltsbeitrages abzielt, zu Recht
stets und ausschliesslich als Ergänzungsklage bezeichnet und angebracht.
Wie es sich dabei angesichts der offenkundigen Unvollständigkeit des
ausländischen Scheidungsurteils um eine Abänderungsklage handeln könnte,
ist nicht einzusehen; das Obergericht stellt nicht fest, dass die Klägerin
damit mehr oder anderes, als ihr zuerkannt worden ist, also über die blosse
Lückenfüllung Hinausgehendes verlange. Auch wenn es hier um die Ergänzung
des ausländischen Scheidungsurteils geht, ist das für die Anwendbarkeit
des IPRG Voraussetzung bildende internationale Verhältnis ohne weiteres
gegeben (VOLKEN, in: IPRG Kommentar, Zürich 1993, N. 10 und 18 zu Art. 1;
BERTI, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Internationales
Privatrecht, Basel 1996, N. 5 und 11 der Vorbemerkungen zu Art. 2
IPRG). Das ergibt sich für den Fall der Ergänzung eines ausländischen
Scheidungsurteils unmittelbar durch die Konkretisierung in Art. 64 IPRG,
der als Zuständigkeitsvorschrift neben inländischen auch ausländische
Scheidungs- oder Trennungsurteile umfasst (VOLKEN, aaO, N. 8 zu Art. 64
IPRG; SIEHR, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Internationales
Privatrecht, N. 1 zu Art. 64 IPRG).

Erwägung 4

    4.- Gemäss Art. 64 Abs. 1 IPRG sind die schweizerischen Gerichte für
Klagen auf Ergänzung oder Abänderung von Entscheidungen über die Scheidung
oder die Trennung zuständig, wenn sie diese selber ausgesprochen haben
oder wenn sie nach Art. 59 oder 60 zuständig sind; vorbehalten bleiben die
Bestimmungen des Art. 85 IPRG über den Minderjährigenschutz. Art. 60 IPRG
regelt die hier nicht in Frage stehende Heimatzuständigkeit. Nach Art. 59
IPRG sind für Klagen auf Scheidung oder Trennung die schweizerischen
Gerichte am Wohnsitz des Beklagten (lit. a) oder jene am Wohnsitz des
Klägers zuständig, wenn dieser sich seit einem Jahr in der Schweiz aufhält
oder Schweizer Bürger ist (lit. b). Die im allgemeinen Teil und in den
einzelnen Sachkapiteln enthaltenen Gerichtsstandsbestimmungen des IPRG
regeln die schweizerische Zuständigkeit für international gelagerte
Sachverhalte international und örtlich abschliessend (BGE 116 II 622
E. 5b S. 624 mit Hinweisen; VOLKEN, aaO, N. 6 Vor Art. 2-12 IPRG; BERTI,
aaO, N. 27 Vorbemerkungen zu Art. 2 IPRG). Die Annahme des Obergerichts,
es fehle an einer innerstaatlichen Regelung des Gerichtsstands im IPRG,
entbehrt daher jeglicher Grundlage.

    Gemäss Art. 85 Abs. 1 IPRG gilt für den Schutz von Minderjährigen
namentlich in bezug auf die Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte
das Haager Übereinkommen vom 5. Oktober 1961 über die Zuständigkeit
der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von
Minderjährigen (MSA; SR 0.211.231.01). Unter die vom Abkommen beherrschten
Schutzmassnahmen fällt unter anderem die Regelung des persönlichen
Verkehrs zwischen Eltern und Kindern, also das Besuchsrecht (BGE 123 III
411 E. 2a/bb S. 413; VOLKEN, aaO, N. 4 zu Art. 63; SIEHR, aaO, N. 18
zu Art. 63; SCHWANDER, in: Kommentar zum schweizerischen Privatrecht,
Internationales Privatrecht, N. 24 zu Art. 85; KROPHOLLER, in: J. von
Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 13. Aufl. Berlin
1994, N. 51 der Vorbemerkungen zu Art. 19 EGBGB; BÖHMER, Das gesamte
Familienrecht, Das internationale Recht, Band 2, 7.5, N. 45 zu Art. 1
MSA); vom Anwendungsbereich ausgeschlossen ist dagegen die Zuerkennung von
Unterhaltsbeiträgen (SIEHR, aaO, N. 12 zu Art. 85; SCHWANDER, aaO, N. 24
zu Art. 85; KROPHOLLER, aaO, N. 107 der Vorbemerkungen zu Art. 19 EGBGB;
BÖHMER, aaO, N. 79 zu Art. 1 MSA), für welche das Haager Übereinkommen vom
24. Oktober 1956 über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern
anzuwendende Recht (SR 0.211.221.431) nur Regeln über das anzuwendende
Recht aufstellt. Die Schweiz hat von der Möglichkeit des Vorbehalts gemäss
Art. 13 Abs. 3 MSA, die Anwendbarkeit des Übereinkommens auf einen dem
Vertragsstaat angehörigen Minderjährigen zu beschränken, keinen Gebrauch
gemacht; in Art. 85 Abs. 2 IPRG wird somit über den Grundsatz von Abs. 1
hinaus das Übereinkommen auch bei Fehlen der persönlichen und räumlichen
Voraussetzungen des MSA als sinngemäss anwendbar erklärt. Es ist daher
ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit des Betroffenen und unabhängig
davon, ob dessen Heimatstaat Vertragspartei ist oder nicht, als nahezu erga
omnes wirkende loi uniforme unmittelbar und ausschliesslich anzuwenden
(BBl 1983 I S. 379/252; SCHNYDER, Das neue IPR-Gesetz, Zürich 1988,
S. 72; SIEHR, aaO, N. 5 und 6 zu Art. 85; SCHWANDER, aaO, N. 3 und 66
zu Art. 85; BGE 109 II 375 ff. mit Hinweisen; 117 II 334 E. 3 S. 336;
118 II 184 E. 3a S. 186). Gemäss Art. 1 MSA sind unter Vorbehalt
der hier nicht interessierenden Art. 3, 4 und 5 Abs. 3 die Gerichte
und Verwaltungsbehörden des Staates, in dem ein Minderjähriger seinen
gewöhnlichen Aufenthalt hat, zuständig, Massnahmen zum Schutz seiner
Person oder seines Vermögens zu treffen. Dass die Tochter der Parteien
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz am Wohnsitz der Klägerin in
Y. hat, wird zwar vom Obergericht nicht festgestellt, ergibt sich aber
zweifelsfrei aus den Akten. Entgegen der Auffassung des Obergerichts ist
demnach das Bezirksgericht X. aufgrund von Art. 1 MSA örtlich zuständig,
im Rahmen der von der Klägerin eingereichten Ergänzungsklage das
Besuchsrecht zu ordnen. Das Obergericht verweist denn auch zu Unrecht auf
die bundesgerichtliche Rechtsprechung vor Inkrafttreten des IPRG, wonach
die Klage auf Ergänzung eines ausländischen Scheidungsurteils bezüglich
der Zuweisung der elterlichen Gewalt am Wohnsitz der beklagten Partei
anzuheben ist, wenn beide geschiedenen Ehegatten in der Schweiz wohnen
und der ausländische Staat keinen Gerichtsstand gewährt (BGE 113 II 102
ff.); diese Rechtsprechung vermag keine Wirkung mehr zu entfalten, nachdem
das IPRG den Gerichtsstand insoweit, wie dargelegt, abschliessend anders
ordnet. Das Übereinkommen vom 16. September 1988 über die gerichtliche
Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil-
und Handelssachen (LugÜ; SR 0.275.11) hat im Verhältnis zur Dominikanischen
Republik als Nichtvertragsstaat keine Gültigkeit, und wäre im übrigen nach
Art. 1 Abs. 2 Ziffer 1 auf Statussachen ohnehin nicht anwendbar; zu diesen
zählt auch das Sorgerecht (KROPHOLLER, Europäisches Zivilprozessrecht:
Kommentar zu EuGVÜ und Lugano-Übereinkommen, 5. Aufl. Heidelberg 1996,
N. 21 und 22 zu Art. 1) und daraus folgend auch die das Besuchsrecht
betreffende Ergänzungsklage.

    Die Regelung des Unterhalts für Minderjährige fällt, wie ausgeführt,
nicht in den Anwendungsbereich des Übereinkommens über die Zuständigkeit
der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes
von Minderjährigen (MSA). Im Rahmen der Ergänzung eines ausländischen
Scheidungsurteils bleibt es deshalb in bezug auf den Kinderunterhalt bei
der durch Art. 64 IPRG vorgesehenen grundsätzlichen Zuständigkeitsordnung
des Art. 59 IPRG; danach sind wahlweise die schweizerischen Gerichte am
Wohnsitz des Beklagten oder die schweizerischen Gerichte am Wohnsitz des
Klägers zuständig, sofern sich dieser seit einem Jahr in der Schweiz
aufhält oder Schweizer Bürger ist. Beides trifft vorliegend zu: Die
unwidersprochen in Y. wohnhafte Klägerin hält sich nach Feststellung des
Bezirksgerichts X. seit weitaus mehr als einem Jahr in der Schweiz auf und
ist nach dem Personenstandsausweis übrigens anerkanntermassen Schweizer
Bürgerin. Das Bezirksgericht X. ist somit auch örtlich zuständig, soweit
die Ergänzungsklage den Kinderunterhalt zum Gegenstand hat.

    Die Rechtslage wäre keine andere, würde das Kind selber die
betragsmässige Festsetzung des Unterhalts begehren, treffen doch auf
dieses die genannten Voraussetzungen in gleicher Weise zu.

Erwägung 5

    5.- Verletzt die Verneinung der örtlichen Zuständigkeit des
Bezirksgerichts X. für die Behandlung der Klage auf Ergänzung des in der
Dominikanischen Republik gefällten Scheidungsurteils sowohl hinsichtlich
Besuchsrecht wie Unterhalt Bundesrecht, so ist der angefochtene Beschluss
aufzuheben und der vom Beklagten gegen den Beschluss des Bezirksgerichts X.
eingelegte Rekurs abzuweisen.

Erwägung 6

    6.- Einmal mehr gilt es darauf hinzuweisen, dass die parallele
Anwendbarkeit von Bestimmungen des IPRG und des MSA im Ergebnis des
öfteren nicht zu überzeugen vermag, da unter Umständen zwei verschiedene
Richter je über die persönliche Beziehung zwischen Eltern und Kindern
und den Kinderunterhalt zu befinden haben. Dass dies zu unbefriedigenden
Resultaten führen kann, liegt auf der Hand. Es fragt sich daher, ob nicht
der Scheidungsrichter für örtlich zuständig erklärt werden müsste, wenn
diese Belange nicht in einem Verfahren betreffend Minderjährigenschutz,
sondern im Rahmen einer Änderung bzw. Ergänzung des Scheidungsurteils
neu bzw. ergänzend geregelt werden sollen.