Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 124 III 170



124 III 170

30. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 24.
März 1998 i.S. Betreibungsamt Zürich (Beschwerde) Regeste

    Auskunftspflicht von Behörden (Art. 91 Abs. 5 SchKG).

    Art. 91 Abs. 5 SchKG ermächtigt nicht nur das Betreibungsamt,
bei eidgenössischen, kantonalen und kommunalen Behörden die Auskünfte
einzuholen, welcher es für den Pfändungsvollzug bedarf; vielmehr
leitet sich unmittelbar aus dieser Norm auch die Pflicht der Behörden -
insbesondere auch der im Bereich des Sozialversicherungsrechts tätigen
Ämter - ab, dem Betreibungsamt Auskunft zu erteilen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Gemäss Art. 91 Abs. 5 SchKG sind Behörden in den Fällen,
wo beim Schuldner eine Pfändung vollzogen wird, im gleichen Umfang
auskunftspflichtig wie der Schuldner.

    a) Diese uneingeschränkte Auskunftspflicht von Behörden, welche -
wie jene von Dritten gemäss Art. 91 Abs. 4 SchKG - mit der Revision vom
16. Dezember 1994 Eingang im Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs
gefunden hat, war im Vernehmlassungsverfahren zum Teil heftig kritisiert
worden (BBl 1991 III 75). Sie gab jedoch in der parlamentarischen Beratung
keinen Anlass mehr zur Kritik; vielmehr wurde den Art. 89-91 SchKG,
auf Antrag der Kommissionen, in beiden Räten diskussionslos zugestimmt
(AB 1993 N 22, 1993 S 648). Man kann deshalb davon ausgehen, dass der
Gesetzgeber unterschiedslos alle Behörden vor Augen hatte, als er die
Auskunftspflicht verankerte, und dass er - in Kenntnis der vorausgegangenen
Kontroverse wie auch in Kenntnis der bereits bestehenden Vorschriften
insbesondere des Sozialversicherungsrechts zur Schweigepflicht (Art. 50
AHVG [SR 831.10], Art. 209bis AHVV [SR 831.101], Art. 97 AVIG [SR 837.0],
Art. 125 AVIV [SR 837.02] - die im Bereich der Sozialversicherung tätigen
Ämter von der Auskunftspflicht gegenüber Betreibungsämtern nicht ganz
oder teilweise ausgeschlossen wissen wollte.

    b) Der Widerstand, welcher jetzt von den Sozialversicherungsanstalten
den um Auskunft ersuchenden Betreibungsämtern entgegengesetzt wird,
scheint sich nicht zuletzt aus dem erwähnten Gutachten des Eidgenössischen
Datenschutzbeauftragten vom 9. April 1997 zu nähren. Obwohl jenes Gutachten
die Normenkollision zwischen dem Arbeitslosenversicherungsgesetz
und der dazugehörigen Verordnung zum Gegenstand hat, während in
dem vom Betreibungsamt Zürich 4 vorgelegten Fall die Alters- und
Hinterlassenenversicherung im Vordergrund steht, drängt sich daher eine
Auseinandersetzung mit den Argumenten des Datenschutzbeauftragten auf:

    Mit seinem Rechtsstandpunkt, dass Art. 91 Abs. 5 SchKG eine generelle
Norm sei, welche den vom Datenschutzrecht bei der Bekanntgabe von
besonders schützenswerten Personendaten und Persönlichkeitsprofilen
gestellten Anforderungen an die Normdichte nicht genüge, scheint der
Datenschutzbeauftragte zu übersehen, dass die Vorschrift nur im Rahmen
des Pfändungsvollzugs zur Anwendung gelangt - womit Zweck und Umfang der
Bearbeitung präzisiert sind, wie dies der Datenschutzbeauftragte verlangt -
und dass sich deshalb die von einer Sozialversicherungsanstalt verlangte
Auskunft in aller Regel auf die Höhe der Leistungen beschränkt, welche von
der Sozialversicherung an den Schuldner ausbezahlt werden. Die Tatsache
des Leistungsbezugs an sich, die man allenfalls als besonders schützenswert
im Sinne von Art. 17 Abs. 2 des Bundesgesetzes über den Datenschutz (DSG;
SR 235.1) betrachten mag, ist dem um Auskunft ersuchenden Betreibungsamt
bereits bekannt. Insoweit vermag daher der Datenschutz gar nichts mehr
auszurichten.

    Leistungen der Sozialversicherung sind in aller Regel
keine Massnahmen der sozialen Hilfe (MAURER/VOGT, Kommentar zum
schweizerischen Datenschutzgesetz, N. 16 zu Art. 3 DSG), welche einer
so rigorosen Schweigepflicht rufen, wie sie der Datenschutzbeauftragte
gestützt auf Art. 97 AVIG und Art. 125 AVIV für die Leistungen der
Arbeitslosenversicherung fordert. Umso weniger ist es der bei der Alters-
und Hinterlassenenversicherung versicherte Lohn, über den im vorliegenden
Fall das Betreibungsamt Auskunft haben wollte.

    Nicht zu überzeugen vermag schliesslich auch das Argument, die
Gesetzgebung zur Arbeitslosenversicherung - und zu der im vorliegenden Fall
betroffenen Alters- und Hinterlassenenversicherung - sei lex specialis
gegenüber Art. 91 Abs. 5 SchKG. Man könnte genausogut die umgekehrte
Auffassung vertreten (vgl. dazu Häfelin/Müller, Grundriss des Allgemeinen
Verwaltungsrechts, 2. Auflage Zürich 1993, Rz. 179, die erkannt haben,
dass die Feststellung in welchem Verhältnis zwei Rechtsnormen zueinander
stehen, oft nicht nur eine rein logisch feststellbare Beziehung betrifft,
sondern bereits Ausdruck einer Wertung ist).

Erwägung 4

    4.- a) Nachdrücklich ist nun aber auf Art. 19 Abs. 1 lit. a DSG
hinzuweisen, wonach Bundesorgane Personendaten nicht nur bekanntgeben
dürfen, wenn dafür Rechtsgrundlagen im Sinne von Art. 17 DSG bestehen,
sondern auch, wenn die Daten für den Empfänger im Einzelfall zur Erfüllung
seiner gesetzlichen Aufgabe unentbehrlich sind.

    Es liegt auf der Hand, dass der Betreibungsbeamte, der zum Vollzug
einer Pfändung schreitet, eine gesetzliche Aufgabe erfüllt. Er muss
die tatsächlichen Verhältnisse, die zur Ermittlung des pfändbaren
Erwerbseinkommens nötig sind, von Amtes wegen abklären (BGE 119 III 70
E. 1; 112 III 19 E. 2d, 79 E. 2, mit weiteren Hinweisen).

    Nicht verweigert werden kann die Auskunft mit dem Argument, die
Leistung der Sozialversicherung sei unpfändbar, wie dies insbesondere
hinsichtlich der Renten der Alters- und Hinterlassenenversicherung und
der Invalidenversicherung zutrifft (Art. 92 Abs. 1 Ziff. 9a SchKG). Zur
Bestimmung der pfändbaren Quote ist vom Gesamteinkommen des Schuldners
auszugehen; und das sind sowohl die Einkünfte, die nach Art. 92 SchKG
gänzlich unpfändbar sind, als auch diejenigen, die nach Art. 93 SchKG
beschränkt pfändbar sind (AMONN/GASSER, Grundriss des Schuldbetreibungs-
und Konkursrechts, 6. Auflage Bern 1997, § 23 N. 53; GILLIÉRON, Poursuite
pour dettes, faillites et concordat, 3. Auflage Lausanne 1993, S. 186,
II. A). - Siehe auch unten E. 5b.

    b) Vergeblich setzt die Sozialversicherungsanstalt des Kantons
Zürich Art. 19 Abs. 1 DSG die Bestimmung von Art. 19 Abs. 4 lit. b
DSG entgegen, wonach das Bundesorgan die Bekanntgabe von Personendaten
ablehnt, einschränkt oder sie mit Auflagen verbindet, wenn gesetzliche
Geheimhaltungspflichten oder besondere Datenschutzvorschriften es
verlangen.

    Schon unter altem Recht ist - hinsichtlich des Bankgeheimnisses
- festgestellt worden, dass Auskunft nicht unter Berufung auf die
Schweigepflicht verweigert werden kann, wenn der Schuldner selber
zur Auskunft gegenüber dem Betreibungsamt verpflichtet ist (BGE 109
III 22 E. 1; 104 III 42 E. 4c S. 50; 103 III 91 E. 1, mit weiteren
Hinweisen). Für die Literatur zum revidierten Bundesgesetz über
Schuldbetreibung und Konkurs besteht kein Zweifel, dass sich Dritte
nicht hinter einem Berufsgeheimnis verschanzen können und dass auch im
Bereich der Sozialversicherung tätige Ämter zur Auskunft gegenüber dem
Betreibungsamt verpflichtet sind (AMONN/GASSER, aaO, § 22 N. 35f.; PAUL
ANGST, Das revidierte Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz [SchKG],
in: Schriftenreihe SAV, Band 13, Bern 1995, S. 26; GUIDO NÜNLIST,
Wegleitung zum neuen Schuldbetreibungs- und Konkursrecht [SchKG),
4. Auflage Bern/Stuttgart/Wien 1997, S. 67).

    c) Wie die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich in ihrer
Vernehmlassung selber erklärt, hätte die von ihr verlangte Auskunft auch
beim Arbeitgeber oder beim Steueramt eingeholt werden können. Somit hätte
die Sozialversicherungsanstalt - wenn man ihrer Argumentation folgte -
Auskunft über Personendaten verweigert, die sich andernorts dem Datenschutz
entziehen. Der Arbeitgeber ist im vorliegenden Fall offenbar deshalb
nicht um Auskunft angegangen worden, weil wirtschaftliche Identität des
Arbeitgebers mit dem Schuldner besteht, dessen Angaben das Betreibungsamt
Zürich 4 misstraut.

    d) Schliesslich ist auch noch zu bedenken, dass die pfändbaren
Einkünfte des Schuldners nach Ermessen des Betreibungsamtes festgesetzt
werden, wenn weder er noch die angefragte Sozialversicherungsanstalt
Auskunft erteilt. Dem Schuldner, der die Einkommenspfändung als
zu hoch betrachtet, steht zwar der Beschwerdeweg gemäss Art. 17
ff. SchKG offen; aber er riskiert zu straucheln, weil ihm von den
Aufsichtsbehörden eine Verletzung der Mitwirkungspflicht (Art. 20a Abs. 2
Ziff. 2 SchKG) entgegengehalten wird. Überdies kann der Schuldner wegen
Auskunftsverweigerung mit den Verfahrenskosten oder gar einer Busse belegt
werden (Art. 20a Abs. 1 zweiter Satz SchKG; BGE 120 III 103). Im Bereich
des Sozialversicherungsrechts tätige Ämter, welche die Auskunft gegenüber
dem Betreibungsamt verweigern, handeln also damit keineswegs im Interesse
des Schuldners.

Erwägung 5

    5.- a) Aus dem Gesagten ergibt sich, dass Art. 91 Abs. 5 SchKG nicht
nur das Betreibungsamt ermächtigt, bei eidgenössischen, kantonalen
und kommunalen Behörden die Auskünfte einzuholen, welcher es für den
Pfändungsvollzug bedarf; vielmehr leitet sich unmittelbar aus dieser
Norm auch die Pflicht der Behörden - insbesondere auch der im Bereich
des Sozialversicherungsrechts tätigen Ämter - ab, dem Betreibungsamt
Auskunft zu erteilen. Es ist daher nicht erforderlich, dass zur Erlangung
der Auskunft noch ein zusätzlicher Verwaltungsweg durchschritten und
am Ende gar Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht erhoben
wird. Das Betreibungsamt Zürich 4 befürchtet nicht unbegründetermassen,
dass widerborstige Schuldner aus einer solchen arbeits- und zeitaufwendigen
Auseinandersetzung des Betreibungsamtes mit den Verwaltungsbehörden Nutzen
ziehen würden.

    b) Was den Umfang der Auskunft anbetrifft, ist daran zu erinnern,
dass bei der Berechnung des Notbedarfs des Schuldners und seiner Familie
neben dem persönlichen Einkommen des Schuldners auch dasjenige seiner
Familienangehörigen gebührend in Rechnung gestellt werden muss (BGE
116 III 75 E. 2a; 114 III 12 E. 3; AMONN/GASSER, aaO, § 23 N. 59;
HAUSHEER/REUSSER/GEISER, Kommentar zum Eherecht, N. 67 zu Art. 163 ZGB).

    Zu Unrecht hat daher im vorliegenden Fall das Bezirksgericht Zürich
die Verfügung des Betreibungsamtes Zürich 4 insoweit aufgehoben, als damit
die Bekanntgabe des Lohnes der Ehefrau verlangt wurde. In diesem Punkt
ist der Zirkulationsbeschluss der unteren kantonalen Aufsichtsbehörde
über Schuldbetreibung und Konkurs aufzuheben.

Erwägung 6

    6.- Als unzulässig erweist sich die Verfügung des
Betreibungsamtes Zürich 4 einzig insoweit, als damit gegenüber der
Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich die Verzeigung beim
Polizeirichteramt der Stadt Zürich angedroht wurde. Sowohl aus der
systematischen Auslegung von Art. 91 Abs. 4 und 5 SchKG als auch aus
dem Wortlaut von Art. 91 Abs. 5 SchKG und Art. 324 Ziff. 5 StGB ergibt
sich, dass die Straffolge der letzteren Bestimmung nur Dritte treffen
kann. Ja eine solche Strafandrohung, welche den Aufgabenbereich eines
Amtes oder eines Beamten betrifft, ist ganz allgemein unzulässig; denn im
öffentlichrechtlichen Verhältnis bestehen ausreichende disziplinarische
Zwangsmittel, um unbotmässigem Handeln zu begegnen (unveröffentlichter
Entscheid des Kassationshofes vom 10. Dezember 1996, 6S.400/1996; PETER
STADLER, Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen [Art. 292 StGB], Zürcher
Diss. 1990, S. 75).

    Von diesem Punkt abgesehen, ist - wie sich aus den Erwägungen dieses
Urteils ergibt - die Verfügung des Betreibungsamtes Zürich 4 vom 2. April
1997 bundesrechtskonform.