Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 124 III 149



124 III 149

27. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 17. März 1998 i.S. A.
Immobilien AG gegen Erben B. (Berufung) Regeste

    Miete. Rechtsnatur des Art. 260a Abs. 3 OR.

    Der Mieter kann im voraus auf eine Entschädigung für erheblichen
Mehrwert verzichten (E. 4 u. 5).

Sachverhalt

    Die Erben B. vermieteten H. auf 1. Juli 1992 ein Ladenlokal in I. Der
Mietvertrag wurde auf fünf Jahre abgeschlossen mit einer Option des Mieters
für weitere drei Jahre. Das Mietobjekt, in dem vorher eine Apotheke geführt
worden war, umfasste einen Laden von ungefähr 100 m2 im Erdgeschoss sowie
einen Keller im Untergeschoss. H. baute zu Beginn des Mietverhältnisses
die Räume um. Nach kurzer Zeit musste er indes die Insolvenzerklärung
abgeben, und am 30. September 1992 wurde über ihn der Konkurs eröffnet. In
diesem liess sich die A. Immobilien AG die Rechtsansprüche gegenüber den
Vermietern auf Ersatz des Mehrwertes aus den Umbauten abtreten.

    Die A. Immobilien AG klagte im September 1995 gegen die Erben B. unter
anderem auf Bezahlung von Fr. 70'000.-- nebst Zins. Sie setzte diesen
eingeklagten Betrag später auf Fr. 48'000.-- herab. Das Mietgericht Zürich
und am 13. Dezember 1996 ebenso das Obergericht des Kantons Zürich wiesen
die Klage ab.

    Die Klägerin hat gegen das Urteil des Obergerichts Berufung erhoben mit
dem Antrag, es aufzuheben und die Klage im Betrag von Fr. 48'000.-- nebst
Zins zu schützen. Die Beklagten schliessen auf Abweisung der Berufung.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 260a OR kann der Mieter Erneuerungen und Änderungen an
der Mietsache nur vornehmen, wenn der Vermieter schriftlich zugestimmt hat
(Abs. 1). Hat der Vermieter zugestimmt, so kann er die Wiederherstellung
des früheren Zustands nur verlangen, wenn dies schriftlich vereinbart
worden ist (Abs. 2). Weist die Sache bei Beendigung des Mietverhältnisses
dank der Erneuerung oder Änderung, welcher der Vermieter zugestimmt
hat, einen erheblichen Mehrwert auf, so kann der Mieter dafür eine
entsprechende Entschädigung verlangen; weitergehende schriftlich
vereinbarte Entschädigungsansprüche bleiben vorbehalten (Abs. 3).

    Im Mietvertrag wurde der Verwendungszweck des Mietobjekts als
"Showroom und Verkaufsladen" bezeichnet. Die Parteien fügten dem Vertrag
eine Zusatzvereinbarung bei, die sie am gleichen Tag unterzeichneten. Darin
hielten sie folgendes fest:

    "Der Mieter übernimmt die Räumlichkeiten in unausgebautem Zustand
und ist
   berechtigt, die Lokale für seine Bedürfnisse auszubauen.

    Sämtliche Investitionen gehen entschädigungslos an den Vermieter. Bei
   einem Auszug ist der Mieter nicht verpflichtet, den ursprünglichen
   Zustand der Lokalitäten wieder herzustellen.

    Der Mieter ist berechtigt, diesen Vertrag auf seine Kosten im Grundbuch
   anmerken zu lassen."

    Nach dem angefochtenen Urteil hat der Mieter mit dieser
Zusatzvereinbarung gültig auf eine Entschädigung verzichtet. Ausserdem
schliesst das Obergericht unabhängig davon einen Anspruch des Mieters aus
ungerechtfertigter Bereicherung infolge der vorzeitigen Vertragsauflösung
aus, weil der Mieter mit dem Konkurs Anlass zur Auflösung des Vertrags
gegeben habe und überdies der Vermieter tatsächlich nicht bereichert sei.

    Mit Bezug auf die Verneinung eines Bereicherungsanspruchs aus der
vorzeitigen Vertragsauflösung ist der Entscheid nicht angefochten. Die
Klägerin macht mit der Berufung einzig geltend, Art. 260a Abs. 3 OR habe
zugunsten des Mieters zwingenden Charakter, weshalb der Verzicht auf
Entschädigung ungültig sei.

Erwägung 4

    4.- Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das
heisst nach Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden
Wertungen ausgelegt werden. Die Auslegung ist auf die Regelungsabsicht
des Gesetzgebers auszurichten, welche mit Hilfe der herkömmlichen
Auslegungselemente ermittelt werden muss, wobei das Bundesgericht es
ablehnt, die einzelnen Auslegungselemente einer festen hierarchischen
Prioritätsordnung zu unterstellen (BGE 123 III 24 E. 2a S. 26 mit
Hinweisen).

    a) Nach Auffassung der Klägerin spricht alles dafür, dass der
Gesetzgeber Art. 260a Abs. 3 OR zugunsten des Mieters zwingenden Charakter
verleihen wollte. Der letzte Satz der Bestimmung, welcher ausdrücklich nur
weitergehende schriftlich vereinbarte Entschädigungsansprüche vorbehält,
legt zunächst eine solche Auslegung nahe.

    b) Art. 260a OR wurde mit der Revision des Mietrechts vom 15. Dezember
1989 eingeführt. Das alte Recht enthielt keine Bestimmung darüber, ob
der Mieter für die von ihm vorgenommenen Investitionen vom Vermieter eine
Entschädigung fordern konnte. Selbst bei Zustimmung des Vermieters konnte
der Mieter eine Entschädigung nur dann verlangen, wenn diese verabredet
war. Ausnahmsweise bejahte die Praxis einen Bereicherungsanspruch, wenn
ein vereinbartes oder ein übereinstimmend vorausgesetztes Mietverhältnis
von langer Dauer endgültig aufgelöst wurde (BGE 105 II 92 E. 4 S. 97 f.).

    Das neue Recht bezeichnet Art. 260a Abs. 3 OR nicht ausdrücklich als
zwingende Bestimmung. Die geltende Vorschrift unterscheidet sich dadurch
von der entsprechenden Bestimmung des Vorentwurfs der Expertenkommission,
welche einen ausdrücklichen Hinweis auf die zwingende Natur vorsah
(Art. 274 zu Art. 271a, Begleitbericht zum Vorentwurf S. 35; dazu GUINAND,
Le sort des améliorations faites par le locataire lors de la résiliation
du bail, in SJ 1982, S. 145 ff., S. 151). Dieser Vorschlag ist in der
Vernehmlassung sowohl von Vermieter- wie von Mieterseite kritisiert worden,
weil der vorsichtige Vermieter angesichts der Entschädigungspflicht dazu
neigen werde, die Zustimmung zu Änderungen des Mieters zu verweigern. In
dem vom Bundesrat schliesslich vorgeschlagenen Text (BBl 1985 I S. 1501
ff.) fehlt ein entsprechender Hinweis, auch wurde weder in der Botschaft
(BBl 1985 I 1389 ff.) noch in den Beratungen der eidgenössischen Räte
dazu etwas ausgeführt.

    Die geltende Fassung der Bestimmung geht auf die ständerätliche
Kommission zurück (AB 1988 S. 156), die mit der sprachlichen Neufassung
unterstreichen wollte, dass eine Entschädigung nicht bei jedem, sondern
nur bei einem erheblichen Mehrwert in Frage käme, und eine weitergehende
Entschädigung deshalb eine besondere Parteiabrede voraussetze. Zu dieser
Klarstellung wurde der Nachsatz betreffend den Vorbehalt weitergehender
schriftlich vereinbarter Entschädigungsansprüche eingefügt (aaO S. 157).

    Die vom Wortlaut gestützte Annahme, der Gesetzgeber habe Art. 260a
Abs. 3 OR zugunsten des Mieters als zwingende Norm ausgestalten wollen,
erscheint aufgrund dieser Einblicke in die Entstehungsgeschichte eher
fraglich, indes ginge es zu weit, daraus eindeutige Schlüsse auf die
Regelungsabsicht des Gesetzgebers zu ziehen. Diese ist im streitigen
Punkt unklar geblieben.

    c) Die Meinungen in der Lehre sind geteilt. Roncoroni (Zwingende und
dispositive Bestimmungen im revidierten Mietrecht, in: mp 1990 S. 89 und
93) zählt Art. 260a Abs. 3 OR zu den relativ zwingenden Bestimmungen,
ohne diesen Schluss näher zu begründen. Verschiedene Autoren haben
sich ihm angeschlossen und ohne weitere Begründung auf ihn verwiesen
(GUINAND/WESSNER, SJK 358, S. 14; WESSNER, Die allgemeinen Bestimmungen
des neuen Mietrechts, in: mp 1991 S. 120; ZIHLMANN, in: Kommentar
zum Schweizerischen Privatrecht, Basel, N. 6 zu Art. 260a OR; vgl. auch
derselbe, Das Mietrecht, Leitfaden, 2. Aufl. 1995, S. 87; LACHAT/MICHELI,
Le nouveau droit du bail, 2. Aufl. 1992, S. 366 Rz. 3.4; LACHAT/STOLL,
Das neue Mietrecht für die Praxis, 3. Aufl. 1992, S. 401 Rz. 3.4 [sowohl
LACHAT/MICHELI wie LACHAT/STOLL machen allerdings einen Vorbehalt für
den Fall, dass die vom Mieter beabsichtigten Investitionen bei der
Festsetzung des Mietzinses berücksichtigt werden]. Zum Teil wird auch
GUHL/MERZ/KUMMER/KOLLER, Das Schweizerische Obligationenrecht, 8. Aufl., S.
419, zu dieser Lehrmeinung gezählt).

    Demgegenüber vertraten Lachat/Micheli in der ersten Auflage ihres
Werks (Le nouveau droit du bail 1990, S. 366 Rz. 3.4) die Auffassung,
die Bestimmung enthalte dispositives Recht, offenbar in der Meinung,
dass im allgemeinen selbst bei beträchtlichen Aufwendungen diesen bei der
Festsetzung des Mietzinses Rechnung getragen werde. LACHAT (Le bail à loyer
1997, S. 543 Rz. 4.8) schliesst sich in seiner neuesten Veröffentlichung
wieder dieser Auffassung an und begründet diesen Schritt damit, dass der
Vermieter, der die Änderungen ablehnen könne, auch die weniger weit gehende
Möglichkeit haben müsse, die Zustimmung unter Bedingungen zu geben. ENGEL
(Contrats de droit suisse, S. 152 f.) folgt ohne weitere Begründung der
Auffassung der ersten Auflage von LACHAT/MICHELI. Nach dem SVIT-Kommentar
1991 (S. 338/339 Rz. 84) enthält Art. 260a Abs. 3 OR dispositives Recht;
nach dieser Auffassung gehen Vereinbarungen über eine Entschädigung oder
einen Verzicht auf eine solche selbstverständlich vor. HIGI (Zürcher
Kommentar, N. 5 und N. 62 zu Art. 260a OR) schliesst sich ebenfalls
dieser Lehrmeinung an, weil es im Belieben des Vermieters stehe, seine
Zustimmung zu einer Änderung überhaupt zu erteilen und er daher diese auch
mit Auflagen und Bedingungen verknüpfen könne. Ausserdem beruft er sich auf
die Kann-Formulierung ("... so kann der Mieter ...verlangen") und meint,
danach stehe es dem Mieter frei, eine Entschädigung zu beanspruchen, was
zwingend bedeute, dass er darauf auch verzichten könne (aaO). ZEHNDER
(Die Bestimmung der Mehrwertentschädigung bei Mieterbauten (Art. 260a
Abs. 3 OR), in: AJP 1996 S. 726 f.) lehnt mit Higi die Auffassung ab,
dass die Bestimmung relativ zwingend ist. Er pflichtet dessen Begründung
bei und meint, für diese Lösung spreche eine weitere Überlegung: Vielfach
veranlasse gerade die verabredete Entschädigung bzw. deren Wegbedingung
den Vermieter überhaupt zur Zustimmung für die Mieterbaute. Sofern die
vereinbarte Entschädigung oder die vereinbarte Wegbedingung ungültig
seien, so wäre nicht auszuschliessen, dass der Vermieter seine Zustimmung
zum Mieterbau wegen Grundlagenirrtums anfechten und anschliessend die
Wiederherstellung des früheren Zustands verlangen könnte, womit dem Mieter
kaum gedient wäre; durch die verbindlich vereinbarte Mehrwertentschädigung
oder deren Wegbedingung liessen sich viele Unsicherheiten beseitigen.

    d) Aus der kantonalen Rechtsprechung liegen zwei veröffentlichte
Entscheide vor, die ebenfalls zum Schluss gelangen, die Bestimmung sei
dispositiver Natur.

    Die Chambre d'appel en matière de baux et loyers du canton de Genève
hat in einem Entscheid vom 18. Februar 1994 (Cahiers du bail 1994, S. 128)
festgehalten, Art. 260a Abs. 3 OR habe entgegen Roncoroni dispositiven
Charakter. Das Gericht schliesst sich dafür der ersten Auflage von
LACHAT/MICHELI und dem SVIT-Kommentar an. Zur Begründung fügt es bei,
diese Auffassung lasse sich namentlich mit Rücksicht darauf vertreten, dass
Art. 260a OR durchwegs von einer Absprache zwischen den Parteien ausgehe.

    Das Obergericht des Kantons Zürich hat sich in einem Entscheid
vom 7. Mai 1996 (Mietrecht aktuell 1996, S. 180 ff.) auf den es im
angefochtenen Urteil verweist, mit der Frage eingehend auseinandergesetzt
und ist zum gleichen Ergebnis gekommen wie die Genfer Chambre de baux
et loyers. Es stellt sich auf den Standpunkt, nur eine Auslegung der
Bestimmung, die dem Vermieter und Mieter beim Vertragsabschluss die
Möglichkeit offenlasse, verbindliche Abmachungen darüber zu treffen, unter
welchen Bedingungen sich der Vermieter mit Erneuerungen oder Änderungen an
der Sache einverstanden erkläre, entspreche dem Sinn und Zweck der Norm. Es
bestehe kein Anlass, diesbezüglich die Vertragsfreiheit einzuschränken,
denn eine Einschränkung im Sinne einer Unverbindlicherklärung eines
Entschädigungsverzichts durch den Mieter würde sich häufig gerade zu dessen
Ungunsten auswirken. Der Vermieter, der sich vom Mieter nicht verbindlich
einen Entschädigungsverzicht zusichern lassen könne, würde entweder seine
Zustimmung verweigern (Art. 260a Abs. 1 OR) oder die Wiederherstellung des
früheren Zustandes schriftlich vereinbaren (Art. 260a Abs. 2 OR). Beide
Lösungen brächten dem Mieter Nachteile: Im ersten Fall dürfte er den
von ihm gewünschten Umbau nicht vornehmen, bei der zweiten Möglichkeit
hätte er nicht nur die Kosten des Umbaus, sondern ebenfalls jene der
Wiederherstellung zu tragen. Eine solche Lösung widerspräche dem Sinn und
Zweck der Norm. Diesen entspreche vielmehr der dispositive Charakter der
Bestimmung, welcher den Vertragspartnern die Möglichkeit einer Zustimmung
zum Umbau beim gleichzeitigen Verzicht auf Entschädigung offenlasse. Der
Mieter könne so beim Vertragsabschluss abwägen, ob er den Umbau für den
der Vermieter eine Entschädigung ablehne, überhaupt vornehmen wolle; er
könne sich insbesondere durch Abschluss eines langjährigen Mietvertrages
oder etwa die Gewährung eines Kaufsrechts absichern (aaO S. 183).

Erwägung 5

    5.- Aus diesen Darlegungen erhellt, dass sich die von der K lägerin
und von einem Teil der Lehre befürwortete Auslegung zwar an den Wortlaut
der Bestimmung anlehnen kann, dass sie aber dem Sinn und Zweck der
Regelung nicht gerecht wird. Dabei ist vorweg mit dem Obergericht (aaO S.
183) festzuhalten, dass sich aus dem Text, "...so kann der Mieter ...
verlangen", nichts zugunsten des dispositiven Normcharakters ableiten
lässt, weil diese Kann-Formulierung sich nur auf den nachträglichen
Verzicht des Mieters bezieht. Mit Bezug auf den Sinn und Zweck der
Bestimmung ist sodann den erwähnten Erwägungen des Obergerichts des
Kantons Zürich sowie den angeführten Überlegungen aus der Lehre ohne
Einschränkung beizupflichten. Daraus ergibt sich, dass Art. 260a Abs. 3
OR als dispositive Norm zu betrachten ist, und somit der Mieter im voraus
gültig auf eine Entschädigung verzichten kann.

    Die Vorinstanz hat daher Bundesrecht nicht verletzt, indem sie den
Verzicht des Mieters auf Entschädigung in der erwähnten Zusatzvereinbarung
zum Mietvertrag als gültig betrachtet hat. Die Berufung erweist sich
somit als unbegründet.