Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 123 V 324



123 V 324

53. Auszug aus dem Urteil vom 29. Dezember 1997 i.S. D. gegen Konkordia,
Schweizerische Kranken- und Unfallversicherung und Verwaltungsgericht
des Kantons Luzern Regeste

    Art. 102 Abs. 2 KVG, Art. 47 VAG: Rechtsweg bei Streitigkeiten
über Besitzstandswahrung. Streitigkeiten betreffend die
Besitzstandswahrung (Pflicht der Krankenversicherer zur Gewährleistung des
Versicherungsschutzes im bisherigen Umfang) sind auf dem Zivilrechtsweg
und nicht im verwaltungsrechtlichen Anfechtungsverfahren zu entscheiden.

Sachverhalt

    A.- D., wohnhaft in X, ist Mitglied der Konkordia, Schweizerische
Kranken- und Unfallversicherung, Luzern (Konkordia). Im Zusammenhang
mit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung
vom 18. März 1994 (KVG) teilte die Konkordia die Versicherte per
1. Januar 1996 u.a. von der auf 31. Dezember 1995 aufgehobenen
Privatpatienten-Versicherung PPV, welche Versicherten in sehr guten
wirtschaftlichen Verhältnissen bei Entfallen des Tarifschutzes gemäss
den kantonalen Ansätzen sowie bei Rechnungen von Nichtkassenärzten die
Kosten der ärztlichen Behandlung nach den von der Konkordia anerkannten
Privattarifen abdeckte, um in die Zusatzversicherung Diversa plus,
mit der 75% der Kosten von Ärzten, die ihre Leistungen nicht gemäss
KVG erbringen (sog. Ausstandsärzte), jährlich höchstens 2'000 Franken,
gedeckt werden. Eine Versicherung der Kostendifferenz zum Privattarif
für Versicherte in sehr guten wirtschaftlichen Verhältnissen bot die
Konkordia ab 1. Januar 1996 nicht mehr an, da mit dem Inkrafttreten des
KVG die Möglichkeit der höheren Rechnungstellung entfalle.

    D. war mit dieser Umteilung nicht einverstanden, da sie den bisherigen
Umfang des Versicherungsschutzes als nicht mehr gewährleistet erachtete,
worauf die Konkordia am 19. Februar 1996 eine entsprechende Verfügung und
am 27. März 1996 einen die Verfügung bestätigenden Einspracheentscheid
erliess. Die Rechtsmittelbelehrung enthielt den Hinweis auf die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das kantonale Versicherungsgericht
des schweizerischen Wohnsitzes der Versicherten oder an das
Versicherungsgericht des Kantons Luzern.

    B.- Mit Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern
beantragte die Versicherte, es sei die Konkordia in Aufhebung des
Einspracheentscheides sowie der Verfügung zu verpflichten, ihr einen
Versicherungsvertrag anzubieten, welcher mindestens den bis 31. Dezember
1995 bestehenden Umfang des Versicherungsschutzes gewähre. Da es
sich um eine Streitigkeit über eine dem Privatrecht unterstellte
Zusatzversicherung zur Krankenversicherung handle, äusserte die Versicherte
Bedenken hinsichtlich des von der Konkordia eingeschlagenen bzw. in der
Rechtsmittelbelehrung vorgezeichneten Rechtsweges.

    Mit Entscheid vom 11. Juli 1997 trat das kantonale Versicherungsgericht
auf die Beschwerde ein, da die Konkordia ihre Versicherung Diversa plus,
in welche die Versicherte per 1. Januar 1996 umgeteilt worden war und
deren Bestimmungen Ausgangspunkt für die Streitsache bildeten, bis
zum 31. Dezember 1996 nach dem bisherigen Recht weitergeführt hatte,
so dass sich der verwaltungsrechtliche Rechtsmittelweg als zutreffend
erweise. Das Gericht wies die Beschwerde ab mit der Begründung, die
von der Versicherten gewünschten (Mehr-)Leistungen könnten lediglich
von einem Privatversicherer (zusatz-)versichert werden. Lasse sich eine
Person von einem Leistungserbringer behandeln, der sich dem Tarifschutz
nicht unterziehen wolle, so verzichte sie auf die vom KVG festgelegte
obligatorische Grunddeckung und dürfe dafür finanziell nicht durch eine
Zusatzversicherung des Krankenversicherers abgesichert werden.

    C.- Gegen diesen Entscheid erhebt die Versicherte
Verwaltungsgerichtsbeschwerde unter Erneuerung des vorinstanzlich
gestellten Antrags; eventualiter sei festzustellen, dass die Konkordia auch
über den 31. Dezember 1995 hinaus und jedenfalls bis 31. Dezember 1996
den bisherigen Versicherungsschutz zu gewähren habe. Zur Begründung
wird angeführt, dass der Versicherungsschutz durch die Umteilung
von der Privatpatienten-Versicherung PPV in die Abteilung Diversa
plus eingeschränkt worden sei und dass die Versicherte Anspruch auf
Besitzstandswahrung durch Zusatzversicherungen habe; bis 31. Dezember
1996, auf welchen Zeitpunkt hin die Konkordia ihre Zusatzversicherungen
als privatrechtliche Versicherungen ausgestaltet habe, sei der
frühere Versicherungsschutz schon deshalb zu gewährleisten, weil die
Privatpatienten-Versicherung PPV per 31. Dezember 1995 nicht auf dem
rechtlich vorgeschriebenen Weg aufgehoben worden sei, wonach sich die
Rechte und Pflichten der Versicherten bis zur Anpassung an das neue Recht
nach dem bisherigen Recht richten. Der vorliegend streitige Übergang
von einer Versicherungsart gemäss KUVG zu einer andern gemäss bisherigem
Recht sei auf dem Rechtsweg gemäss KVG zu beurteilen.

    Die Konkordia schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

    D.- Die Versicherte reichte am 21. Januar 1997 bei dem für Klagen
aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung gemäss
kantonalzürcherischem Recht an sich zuständigen Sozialversicherungsgericht
des Kantons Zürich eine Klage gegen die Konkordia über das bereits vor
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern erhobene Rechtsbegehren ein. In
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidg. Versicherungsgericht
erläutert die Versicherte hiezu, dass sich diese Klage auf den Übergang
von den Zusatzversicherungen gemäss KUVG zu denjenigen gemäss VVG,
den die Konkordia per 1. Januar 1997 vollzogen habe, beziehe. Mit
Beschluss vom 13. Mai 1997 trat das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich auf die Klage nicht ein, da die Streitigkeit eine derart
nahe Beziehung zum Recht der sozialen Krankenversicherung aufweise, dass
sie gemäss den Verfahrensvorschriften des KVG zu beurteilen sei; von
einer Rückweisung an die Konkordia zum Erlass einer Verfügung und eines
allfälligen Einspracheentscheides wurde Abstand genommen, nachdem die
Konkordia vorgängig dem damals beim Verwaltungsgericht des Kantons Luzern
hängigen Verfahren verfügt hatte. Gegen diesen Nichteintretensentscheid
erhob die Versicherte zivilrechtliche Berufung beim Schweizerischen
Bundesgericht. Ein zwischen diesem und dem Eidg. Versicherungsgericht
durchgeführter Meinungsaustausch zeitigte hinsichtlich der Frage des
Rechtsweges die übereinstimmende Auffassung, dass die beim Eidg.
Versicherungsgericht anhängig gemachte Streitsache nicht auf dem
Sozialversicherungs-, sondern dem Zivilrechtsweg zu entscheiden sei.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Nach ständiger Rechtsprechung prüft das Eidg.  Versicherungsgericht
von Amtes wegen die formellen Gültigkeitserfordernisse des Verfahrens,
insbesondere auch die Frage, ob die Vorinstanz zu Recht auf die Beschwerde
oder Klage eingetreten ist. Hat die Vorinstanz übersehen, dass es an einer
Prozessvoraussetzung fehlte, und hat sie materiell entschieden, ist dies
im Rechtsmittelverfahren von Amtes wegen zu berücksichtigen mit der Folge,
dass der angefochtene Entscheid aufzuheben ist (BGE 122 V 322 Erw. 1, 373
Erw. 1, 120 V 29 Erw. 1, 119 V 312 Erw. 1b, 324 Erw. 3, je mit Hinweisen).

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie habe durch
die im Zusammenhang mit der Inkraftsetzung des KVG auf 1. Januar
1996 erfolgte Umteilung von der Privatpatienten-Versicherung PPV
in die Versicherungsabteilung Diversa plus eine Einschränkung der
Versicherungsdeckung erfahren. Insbesondere habe der Versicherer im Rahmen
der Versicherungsabteilung Diversa plus nur noch 75% der Rechnungen von
Nichtvertragsärztinnen und -ärzten, jährlich höchstens 2'000 Franken, zu
übernehmen, während die bis 31. Dezember 1995 bestehende Grundversicherung
gemäss KUVG in Verbindung mit der Privatpatienten-Versicherung PPV die
vollen Kosten gedeckt habe. Diese Einschränkung sei in Missachtung der
Besitzstandswahrung gemäss Art. 102 Abs. 2 KVG erfolgt. Streitig ist somit,
ob die Versicherte die Weitergeltung des bis 31. Dezember 1995 bestehenden
Versicherungsschutzes auch nach der Umteilung beanspruchen kann.

Erwägung 3

    3.- a) Krankenkassen betreiben die obligatorische Krankenversicherung
gemäss den Bestimmungen des KVG (Art. 11 lit. a und Art. 12
Abs. 1 KVG). Zusatzversicherungen, die die Krankenkassen neben der
sozialen Krankenversicherung gemäss KVG anbieten dürfen, unterliegen
dem VVG (Art. 12 Abs. 2 und 3 KVG). Streitigkeiten darüber sind
privatrechtlicher Natur, die erstinstanzlich im Verfahren gemäss Art. 47
des Bundesgesetzes vom 23. Juni 1978 betreffend die Aufsicht über die
privaten Versicherungseinrichtungen (Versicherungsaufsichtsgesetz; VAG;
SR 961.01) zu beurteilen sind (SPIRA, Die Rechtspflege in der neuen
Krankenversicherung, Soziale Sicherheit 5/1995 S. 258; ders., Le nouveau
régime de l'assurance-maladie complémentaire, SVZ 1995 S. 198; RITTER,
Questions relatives aux assurances complémentaires à la LAMal, SVZ 1995
S. 213; MAURER, Das neue Krankenversicherungsrecht, S. 135 f. und 171;
KIESER, Die Neuordnung der Zusatzversicherungen zur Krankenversicherung,
AJP 1997 S. 17).

    b) Gemäss Art. 102 Abs. 2 KVG sind die Krankenkassen bei der
Anpassung ihrer Bestimmungen über Leistungen bei Krankenpflege, die über
den Leistungsumfang nach Art. 34 Abs. 1 KVG hinausgehen, verpflichtet,
ihren Versicherten Versicherungsverträge anzubieten, die mindestens den
bisherigen Umfang des Versicherungsschutzes gewähren (Art. 102 Abs. 2
Satz 1 und 3 KVG; Botschaft über die Revision der Krankenversicherung
vom 6. November 1991, BBl 1992 I 214; SPIRA, SVZ, aaO, S. 195 ff.;
MAURER, aaO, S. 137; KIESER, aaO, S. 14 f.). Aus Art. 12 Abs. 2 und
3 KVG ist zu schliessen, dass die Kassen insoweit, als der bisherige
Versicherungsschutz über den durch die soziale Krankenversicherung gemäss
KVG gewährleisteten Schutz hinausging, den Besitzstand durch das Angebot
entsprechender Zusatzversicherungen gemäss VVG wahren. Streitigkeiten
darüber, welche Zusatzversicherungen die Krankenkassen den Versicherten
zwecks Besitzstandswahrung anzubieten haben, sind damit ebenfalls
privatrechtlicher Natur. Daran ändert nichts, dass die Verpflichtung
zum Abschluss und der Mindestinhalt der Zusatzversicherung durch eine
Übergangsbestimmung des zum Bundessozialversicherungsrecht gehörenden
KVG vorgeschrieben sind. Die Rechtsordnung kennt zahlreiche Schranken,
die die Vertragsfreiheit in dieser oder jener Hinsicht einschränken,
namentlich durch Kontrahierungspflichten, die regelmässig auch den Inhalt
des abzuschliessenden Vertrages beschlagen, ohne dass der gestützt darauf
abzuschliessende Vertrag seinen privatrechtlichen Charakter verlieren
würde (GAUCH/SCHLUEP, Schweizerisches Obligationenrecht, Allg. Teil,
Bd. I, 6. Aufl. Zürich 1995, N. 619 ff. und N. 1104 ff.; KRAMER,
Berner Kommentar Bd. VI/1, N. 95 und N. 103 ff. zu Art. 19 OR). Hätte
die Konkordia die Anpassung der Versicherungsverhältnisse mit ihren
bisherigen Versicherten auf einen einzigen, bestimmten Zeitpunkt hin
vorgenommen, indem die bisherigen Versicherungsverhältnisse einerseits
durch die soziale Krankenversicherung gemäss KVG und anderseits durch
die Zusatzversicherungen gemäss VVG abgelöst worden wären, könnte kein
Zweifel darüber bestehen, dass Streitigkeiten über den Umfang der zur
Besitzstandswahrung anzubietenden Zusatzversicherungen nicht im Verfahren
gemäss den Rechtspflegebestimmungen des KVG, sondern des VAG zu beurteilen
wären (so beiläufig SPIRA, SVZ, aaO, S. 197).

    c) Nun hat aber die Konkordia die Anpassung in zwei Etappen
vorgenommen, indem sie auf 1. Januar 1996 nach ihren Angaben die
Privatpatienten-Versicherung PPV auflöste und den Versicherten dieser
Abteilung die Umteilung in die Abteilung Diversa plus anbot. Dabei soll
es sich um eine ihrer "Zusatzversicherungen (nach bisherigem Recht)"
handeln (Art. 1.4.4 AVB e contrario). Ob die Abteilung auf 1. Januar
1996 neu geschaffen wurde, ist nicht ersichtlich; immerhin wurden die
die Zusatzversicherung nach bisherigem Recht regelnden Satzungen unter
Bezugnahme auf Art. 102 Abs. 2 KVG auf diesen Zeitpunkt abgeändert
(Art. 1.1 und Art. 42 AVB, Art. 33 Reglement Versicherung Diversa) und
deren Geltungsdauer auf 31. Dezember 1996 befristet (Art. 1.1 und Art. 41
AVB). Ob die Konkordia bereits vor diesem Zeitpunkt Zusatzversicherungen
nach VVG führte (vgl. Art. 1.4.4 AVB), ist nicht bekannt. Jedenfalls
macht sie nicht geltend, sie habe der Beschwerdeführerin den Abschluss
einer solchen anstelle der Umteilung in die Abteilung Diversa plus
angeboten. Aufgrund der Befristung der Geltungsdauer der genannten
AVB ist davon auszugehen, dass in einer zweiten Anpassungsetappe per
31. Dezember 1996, innert der von Art. 102 Abs. 2 KVG gesetzten Frist,
die Zusatzversicherungen gemäss KUVG dahinfielen und die Konkordia ihren
bisherigen Versicherten Zusatzversicherungen gemäss VVG anbot.

    Da sowohl die Änderung der Versicherungsverhältnisse per 1. Januar 1996
wie auch per 1. Januar 1997 zwecks Anpassung an das neue Recht erfolgte,
ist nicht nur der Wechsel von den Zusatzversicherungen gemäss bisherigem
Recht zu denjenigen gemäss VVG, sondern auch bereits derjenige von der
Privatpatienten-Versicherung PPV zur Abteilung Diversa plus - als sog.
Zusatzversicherung gemäss bisherigem Recht - unter dem Gesichtspunkt von
Art. 102 Abs. 2 KVG zu prüfen. Eine andere Betrachtungsweise, nämlich die
Prüfung der auf 1. Januar 1996 erfolgten Änderung ausschliesslich unter dem
Gesichtspunkt der Vorschriften zur Versicherungsänderung gemäss bisherigem
Recht und die Prüfung lediglich der auf 1. Januar 1997 erfolgten Änderung
unter dem Gesichtspunkt von Art. 102 Abs. 2 KVG, könnte dazu führen, dass
die Versicherten der Konkordia der Besitzstandsgarantie verlustig gingen.

    Ob die Konkordia berechtigt war, im Zusammenhang mit der Anpassung
an das neue Recht auf den 1. Januar 1996 noch Zusatzversicherungen
nach bisherigem Recht zu schaffen, so dass Streitigkeiten aus der
Versicherungsabteilung Diversa plus im verwaltungsgerichtlichen Verfahren
zu beurteilen wären, kann offenbleiben, da vorliegend gerade der durch
die genannte Versicherungsart nicht gewährleistete Versicherungsschutz
streitig ist.

    d) Die Streitfrage, ob die Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 102
Abs. 2 Satz 3 KVG per 1. Januar 1996 Anspruch auf einen weitergehenden
Versicherungsschutz hat, als ihr mit der Umteilung in die Abteilung Diversa
plus angeboten wurde, ist damit privatversicherungsrechtlicher Natur. Die
Konkordia durfte deshalb weder eine Verfügung im Sinne von Art. 80 KVG noch
einen Einspracheentscheid im Sinne von Art. 85 KVG erlassen. Ebensowenig
war der verwaltungsgerichtliche Weg gemäss Art. 86 KVG gegeben (BGE 107
V 45 Erw. 4). Vielmehr hätte die Streitsache durch Klage gemäss Art. 47
VAG beim zuständigen Gericht anhängig gemacht werden müssen.