Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 123 V 184



123 V 184

34. Urteil vom 30. Juni 1997 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen N.
und Versicherungsgericht des Kantons Aargau Regeste

    Art. 3 Abs. 1 lit. c ELG: Zum Begriff der "anderen
wiederkehrenden Leistungen". Die von einer Krankenkasse aus einer
Langzeitpflegeversicherung periodisch ausgerichteten Beiträge an die Kosten
des Aufenthaltes in einem Pflegeheim zählen als "andere wiederkehrende
Leistungen" im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. c ELG zum anrechenbaren
Einkommen.

Sachverhalt

    A.- Die 1909 geborene N. lebt seit dem 18. September 1995 im
Pflegeheim X. Am 1. November 1995 meldete sie sich zum Bezug einer
Ergänzungsleistung zur Altersrente an. Die Sozialversicherungsanstalt
des Kantons Aargau, welche bei den Einnahmen nebst der Rente der AHV
und einem Liegenschaftsertrag u.a. Leistungen der Krankenkasse an die
Heimkosten in der Höhe von Fr. 50.-- im Tag berücksichtigte, ermittelte
einen Einnahmenüberschuss von Fr. 1'907.-- im Jahr, weshalb sie das
Leistungsgesuch am 12. Dezember 1995 verfügungsweise ablehnte.

    B.- N. liess hiegegen beim Versicherungsgericht des Kantons
Aargau Beschwerde einreichen mit dem Antrag auf Zusprechung einer
Ergänzungsleistung. Sie machte geltend, der Pflegebeitrag der Krankenkasse
sei nicht als Einkommen zu berücksichtigen und die Liegenschaft sei nicht
zum Verkehrswert, sondern zum Steuerwert anzurechnen. Das kantonale
Gericht zog den Bericht des Bundesamtes für Sozialversicherung (BSV)
über eine Kontrolle der Geschäftsführung betreffend Ergänzungsleistungen
zur AHV/IV vom 3. Februar 1995 sowie die Taxordnung des Pflegeheims X
bei. Mit Entscheid vom 18. Juni 1996 hiess es die Beschwerde teilweise
gut und setzte die monatliche Ergänzungsleistung unter Aufhebung der
angefochtenen Verfügung auf Fr. 1'553.-- fest. Bei der Ermittlung dieses
Betrages rechnete es den Pflegebeitrag der Krankenkasse nicht als Einkommen
an und korrigierte die Positionen des Liegenschaftsertrages sowie der
Gebäudeunterhaltskosten.

    C.- Das BSV führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Begehren,
der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und die Ergänzungsleistung
sei auf Fr. 32.-- im Monat festzusetzen, wobei es sich auf den Standpunkt
stellt, der Pflegebeitrag der Krankenkasse sei als Einkommen anzurechnen.

    N. lässt beantragen, auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei
nicht einzutreten; eventuell sei das Rechtsmittel abzuweisen. Die
Sozialversicherungsanstalt verzichtet auf eine Vernehmlassung.

    D.- Am 30. Juni 1997 hat das Eidg. Versicherungsgericht eine
parteiöffentliche Beratung durchgeführt.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 106 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 132 OG ist die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde dem Eidg. Versicherungsgericht innert 30
Tagen seit Eröffnung des vorinstanzlichen Entscheides einzureichen. Diese
Frist steht gemäss Art. 34 Abs. 1 lit. b OG (anwendbar nach Art. 135 OG)
vom 15. Juli bis 15. August still.

    Das BSV hat den vorinstanzlichen Entscheid am 2. Juli 1996 in Empfang
genommen und die Verwaltungsgerichtsbeschwerde am 30. August 1996 der
Post übergeben. Damit hat es die Beschwerdefrist von 30 Tagen entgegen
der Annahme der Beschwerdegegnerin eingehalten.

Erwägung 2

    2.- Das kantonale Gericht hat die vorliegend massgeblichen
gesetzlichen Bestimmungen über die Voraussetzungen des Anspruchs auf
eine Ergänzungsleistung (Art. 2 Abs. 1 ELG in der hier massgebenden, bis
Ende 1996 gültig gewesenen Fassung), das anrechenbare Einkommen (Art. 3
Abs. 1 lit. c ELG), die Höhe der Ergänzungsleistungen im allgemeinen
(Art. 5 Abs. 1 ELG) und bei Heimaufenthalt im besonderen (Art. 1a ELV)
sowie über die Begrenzung der Kosten, die wegen des Aufenthalts in einem
Heim oder in einer Heilanstalt berücksichtigt werden, und des Betrages,
der den Heimbewohnerinnen und -bewohnern für persönliche Auslagen zu
überlassen ist (Art. 2 Abs. 1bis Satz 2 ELG in Verbindung mit § 3 Abs. 3
und 5 des Ergänzungsleistungsgesetzes des Kantons Aargau) zutreffend
dargelegt. Darauf kann verwiesen werden.

Erwägung 3

    3.- Streitig und zu prüfen ist einzig, ob der von der Krankenkasse seit
18. September 1995 ausgerichtete Beitrag in der Höhe von Fr. 50.-- im Tag
aus der Langzeitpflegeversicherung für ungedeckte Kosten im Pflegeheim
und für Hauskrankenpflege und Haushalthilfen der Beschwerdegegnerin als
Einkommen anzurechnen ist; die übrigen von der Vorinstanz geänderten
Positionen hat das BSV nicht angefochten.

    Art. 3 Abs. 1 ELG zählt die anrechenbaren Einkünfte auf. Als Einkommen
anzurechnen sind nach lit. c dieser Bestimmung Renten, Pensionen und andere
wiederkehrende Leistungen, einschliesslich der Renten der Alters- und
Hinterlassenenversicherung sowie der Invalidenversicherung. Es stellt sich
die Frage, ob der Pflegebeitrag der Krankenkasse als andere wiederkehrende
Leistung zu qualifizieren und daher im Sinne der zitierten Vorschrift als
Einkommen anzurechnen ist. Mit dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 lit. c ELG,
von dem bei der Auslegung in erster Linie auszugehen ist (BGE 123 III
91 Erw. 3a, 122 V 364 Erw. 4a, je mit Hinweisen), lässt sich eine solche
Annahme ohne weiteres vereinbaren, handelt es sich doch beim Pflegebeitrag
klarerweise um eine (andere) periodisch ausgerichtete Leistung.

    Nichts anderes ergibt sich aus der bisherigen Gerichtspraxis,
die sich bei der Auslegung an der Entstehungsgeschichte der fraglichen
Bestimmung orientiert. Im unveröffentlichten Urteil G. vom 4. Juli 1983 hat
das Eidg. Versicherungsgericht zum Begriff der "anderen wiederkehrenden
Leistungen" folgendes dargelegt: Das wesentliche Kennzeichen der gemäss
Art. 3 Abs. 1 lit. c ELG als Einkommen anrechenbaren Leistungen ist
deren Periodizität. So hält die Botschaft vom 21. September 1964 zum
Entwurf eines Bundesgesetzes über Ergänzungsleistungen zur Alters-,
Hinterlassenen- und Invalidenversicherung fest: "Als Renten und Pensionen
haben periodische Leistungen im weitesten Sinne zu gelten, also neben
den Sozialversicherungsrenten die Renten öffentlicher und privater
Pensionskassen und Versicherungen, die freiwilligen periodischen
Leistungen der Arbeitgeber und die Renten im Sinne des Zivilrechts"
(BBl 1964 II 705). Daraus ergibt sich, dass Art. 3 Abs. 1 lit. c ELG nach
dem Willen des Gesetzgebers offenbar die grundsätzliche Anrechenbarkeit
aller wiederkehrenden Leistungen statuiert. Abweichungen von dieser
Regel ergeben sich insofern, als Art. 3 Abs. 3 ELG "die Priorität der
versicherungsmässigen Ergänzungsleistungen gegenüber Leistungen mit
Fürsorge- oder Unterstützungscharakter" zum Ausdruck bringt (BBl 1964
II 705).

    Diese Auffassung wird auch von WERLEN (Der Anspruch auf
Ergänzungsleistungen und deren Berechnung, Diss. Fribourg 1995, S. 138)
vertreten. Als andere wiederkehrende Leistungen im Sinne von Art. 3 Abs. 1
lit. c ELG bezeichnet er sämtliche wiederkehrenden Leistungen, unabhängig
von ihrem Rechtsgrund, die nicht unter den Begriff der Renten und Pensionen
fallen. Der Gesetzgeber habe mit der Generalklausel "andere wiederkehrende
Leistungen" all jene Fälle erfassen wollen, die nicht explizit aufgezählt
sind. Davon ausgenommen seien lediglich Leistungen mit ausgesprochenem
Fürsorge- oder Unterstützungscharakter (im gleichen Sinn auch CARIGIET,
Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, Zürich 1995, S. 112 und 114 f.).

    Sodann spricht auch eine Auslegung unter dem Gesichtswinkel der
Gesetzessystematik für den vom BSV vertretenen Standpunkt. Denn die
Leistungen, die den Ergänzungsleistungsansprechern nicht als Einkommen
angerechnet werden, sind in Art. 3 Abs. 3 ELG klar umschrieben. Die
gesetzliche Aufzählung des nicht anrechenbaren Einkommens in dieser
Bestimmung ist insofern abschliessend, als es sich um die angeführten
Einkommenskategorien handelt; indessen ist es nicht ausgeschlossen, dass
eine bestimmte Leistung bei sinngemässer Interpretation unter eine dieser
Kategorien subsumiert werden kann (ZAK 1987 S. 495 Erw. 2). Zu den nicht
anrechenbaren Einnahmen nach Art. 3 Abs. 3 ELG zählen - unter Vorbehalt
von Art. 1a Abs. 5 ELV - insbesondere die Hilflosenentschädigungen der
Alters- und Hinterlassenenversicherung oder der Invalidenversicherung
(lit. d), nicht aber Beiträge einer Krankenkasse an die Kosten des
Aufenthalts in einem Pflegeheim. Diese können auch keiner der in Art. 3
Abs. 3 ELG erwähnten Einkommenskategorien zugeordnet werden, weshalb es
auch aufgrund dieser Bestimmung ausser Betracht fällt, die Pflegebeiträge
vom anrechenbaren Einkommen auszunehmen.

    Schliesslich findet die von der Vorinstanz getroffene Unterscheidung
zwischen anrechenbarem Ersatzeinkommen und nicht anrechenbarem
Krankheitskostenersatz im Gesetz keine Stütze. Den in Art. 3 Abs. 1
lit. a-e und g ELG aufgeführten anrechenbaren Einkommensbestandteilen ist
gemeinsam, dass sie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Versicherten
erhöhen; dies gilt auch für die Pflegebeiträge der Krankenkasse. Dass
Art. 3 Abs. 1 lit. c ELG einzig klassische Ersatzeinkünfte erfasst,
trifft im übrigen nicht zu. Denn die in dieser Bestimmung erwähnten
Renten der Alters- und Hinterlassenenversicherung wie auch diejenigen der
Invalidenversicherung werden in verschiedenen Fällen ohne vorangegangene
Erwerbstätigkeit ausgerichtet, so dass ihnen nicht zwangsläufig die
Funktion eines eigentlichen Ersatzeinkommens zufällt.

Erwägung 4

    4.- Nach den vorstehenden Erwägungen sind die von der Vorinstanz
errechneten Einnahmen der Beschwerdegegnerin von Fr. 32'798.-- um den
Pflegebeitrag von Fr. 18'250.-- (365 x Fr. 50.--) auf Fr. 51'048.--
im Jahr zu erhöhen. Die anrechenbaren Ausgaben belaufen sich gemäss
kantonalem Gerichtsentscheid auf Fr. 51'428.--. Der Ausgabenüberschuss
beträgt demzufolge Fr. 380.-- im Jahr. Die Beschwerdegegnerin hat damit
ab September 1995 Anspruch auf eine Ergänzungsleistung in der Höhe von
Fr. 32.-- im Monat.