Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 123 V 180



123 V 180

33. Auszug aus dem Urteil vom 7. Juli 1997 i.S. H. gegen IV-Stelle Luzern
und Verwaltungsgericht des Kantons Bern Regeste

    Art. 69 IVG, Art. 89 IVV, Art. 200 Abs. 1 und 4 AHVV.  Zuständig für
die Beurteilung von Beschwerden gegen Verfügungen einer kantonalen
IV-Stelle ist in der Regel die AHV-Rekursbehörde des entsprechenden
Kantons.

Sachverhalt

    A.- Die 1960 geborene H. meldete sich am 4. Januar 1994 bei der
IV-Stelle ihres Wohnsitzkantons Luzern zum Leistungsbezug an. Nachdem
sie im Herbst 1994 ihren Wohnsitz nach Bern verlegt hatte, sprach ihr
die IV-Stelle Luzern mit Verfügung vom 19. Dezember 1996 eine halbe
Invalidenrente ab 1. Januar 1993 zu. In der Rechtsmittelbelehrung wurde
das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern als Beschwerdeinstanz bezeichnet.

    B.- Hiegegen liess H. durch Fürsprecherin C. Beschwerde beim
Verwaltungsgericht des Kantons Bern einreichen und zur Hauptsache
beantragen, die Verfügung vom 19. Dezember 1996 sei aufzuheben und es
sei ihr ab 1. Januar 1993 eine halbe, ab 1. Januar 1995 eine ganze
Invalidenrente auszurichten. In prozessualer Hinsicht machte die
Rechtsvertreterin geltend, nach der Wohnsitznahme ihrer Mandantin im
Kanton Bern sei (entgegen der Rechtsmittelbelehrung in der angefochtenen
Verfügung) das angerufene Gericht zur Beurteilung der Beschwerde örtlich
zuständig.

    Mit einzelrichterlichem Entscheid vom 7. Februar 1997 trat das
bernische Verwaltungsgericht auf die Beschwerde nicht ein und überwies die
Akten zuständigkeitshalber an das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern.

    C.- H. lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den
Rechtsbegehren:

    "1. Der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und es sei die Vorinstanz
   anzuweisen, auf die Beschwerde vom 3.2.1997 einzutreten.

    2. (...)."

    Während die IV-Stelle Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
beantragt, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine
Vernehmlassung.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern hat sein Nichteintreten
auf die Beschwerde gegen die Rentenverfügung der IV-Stelle Luzern vom
19. Dezember 1996 damit begründet, gemäss dem analog anwendbaren Art. 200
Abs. 4 AHVV sei die Beschwerdeinstanz am Sitz der IV-Stelle, somit das
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern zuständig für die Beurteilung
der Beschwerde. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird dagegen der
Standpunkt vertreten, für die Bestimmung der örtlich zuständigen kantonalen
Beschwerdeinstanz sei nach Art. 200 Abs. 1 AHVV der (bernische) Wohnsitz
der Beschwerdeführerin bei Erlass der Verfügung massgebend, weshalb das
angerufene Gericht auf die Beschwerde hätte eintreten müssen.

Erwägung 4

    4.- a) Die örtliche Zuständigkeit der kantonalen AHV-Rekursbehörden
für die Beurteilung von Beschwerden gegen Verfügungen kantonaler IV-Stellen
gemäss Art. 69 IVG und Art. 89 IVV ist in Art. 200 AHVV, erlassen durch den
Bundesrat gestützt auf Art. 154 Abs. 2 AHVG (vgl. BGE 100 V 55 Erw. 2b),
geregelt. Diese Verordnungsbestimmung (in der seit 1. Januar 1975 geltenden
Fassung) hat, soweit vorliegend massgebend, folgenden Wortlaut:

    "1 Zuständig zur Beurteilung der Beschwerden ist die Rekursbehörde des

    Kantons, in welchem der Beschwerdeführer bei Erlass der angefochtenen

    Verfügung seinen Wohnsitz, Sitz oder Aufenthalt hat.

    2 (...)

    3 (...)

    4 Zuständig für die Beurteilung von Beschwerden gegen Verfügungen einer
   kantonalen Ausgleichskasse ist jedoch in allen Fällen die Rekursbehörde
   des entsprechenden Kantons."

    b) Gemäss dieser Regelung bestehen grundsätzlich zwei Anknüpfungspunkte
für die örtliche Zuständigkeit der kantonalen AHV-Rekursbehörden im Gebiet
der Invalidenversicherung, einerseits der Wohnsitz, Sitz oder Aufenthalt
des Beschwerdeführers bei Erlass der Verfügung, anderseits der Sitz der
verfügenden IV-Stelle. Dies führt in Invalidenversicherungsstreitigkeiten
dann zu zwei verschiedenen Gerichtsständen, wenn, wie im vorliegenden
Fall, ein Versicherter nach Anmeldung zum Leistungsbezug und vor
Erlass der Verfügung einen Kantonswechsel vorgenommen hat. Denn
die Verlegung des Wohnsitzes in einen anderen Kanton im Verlaufe des
Verwaltungsverfahrens ändert an der einmal begründeten Zuständigkeit der
IV-Stelle des Wohnsitzkantons des Versicherten im Zeitpunkt der Anmeldung
nichts (Art. 55 IVG in der bis 31. Dezember 1996 gültig gewesenen, hier
anwendbaren Fassung [ebenso in der seit 1. Januar 1997 in Kraft stehenden,
die Bereinigung des Wohnsitzbegriffes nach Art. 95a AHVG berücksichtigenden
Fassung] und Art. 40 Abs. 3 IVV). Es ist somit im folgenden zu prüfen, in
welchem Verhältnis Art. 200 Abs. 1 und 4 AHVV (als sinngemäss anwendbare
invalidenversicherungsrechtliche Vorschriften) zueinander stehen.

Erwägung 5

    5.- a) Die Zuständigkeitsordnung gemäss Art. 69 IVG und Art.
89 IVV in Verbindung mit Art. 200 AHVV galt schon vor Schaffung der
IV-Stellen im Rahmen der 3. IV-Revision (Bundesgesetz vom 22. März 1991,
Verordnung vom 15. Juni 1992, in Kraft getreten am 1. Januar/1. Juli
1992). Unter dem alten Recht waren die Ausgleichskassen im wesentlichen
zuständig zum Erlass von Verfügungen im Gebiet der Invalidenversicherung
(vgl. altArt.54 Abs. 1 und 60 Abs. 1 IVG; Botschaft des Bundesrates über
ein zweites Paket von Massnahmen zur Neuverteilung der Aufgaben zwischen
Bund und Kantonen, BBl 1988 II 1333 ff., 1382). Die örtliche Zuständigkeit
der kantonalen AHV-Rekursbehörden zur Beurteilung der Beschwerden gegen
die Kassenverfügungen bestimmte sich danach, ob es sich um eine auf dem
ganzen Gebiet der Schweiz tätige Verbandsausgleichskasse oder um eine
kantonale Ausgleichskasse handelte. Bei Verbandsausgleichskassen war
Anknüpfungspunkt der Wohnsitzgerichtsstand gemäss Art. 200 Abs. 1 AHVV,
bei den kantonalen Ausgleichskassen dagegen gelangte Art. 200 Abs. 4
AHVV zur Anwendung (vgl. BGE 100 V 56 Erw. 3a in Verbindung mit EVGE 1959
S. 146; ferner EVGE 1963 S. 174 Erw. 1).

    Mit der 3. IV-Gesetzes- und Verordnungsnovelle ging die
Verfügungszuständigkeit der kantonalen Ausgleichskassen und
Verbandsausgleichskassen (im Gebiet der Invalidenversicherung) auf die
kantonalen IV-Stellen über (Art. 57 Abs. 1 lit. e IVG und Art. 41 Abs. 1
lit. d IVV; BBl 1988 II 1384 oben). Den Ausgleichskassen verblieben im
wesentlichen bloss noch die in Art. 60 Abs. 1 IVG umschriebenen Aufgaben
(MEYER-BLASER, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum IVG, Zürich 1997,
S. 295 f.).

    b) Der in bezug auf die streitige Zuständigkeitsfrage hauptsächliche
Unterschied zum alten Recht besteht darin, dass es im jetzigen System
der kantonalen IV-Stellen keine im Gebiet der ganzen Schweiz tätige
verfügungsberechtigte IV-Organe mehr gibt. Damit bleibt aber ausserhalb
von Art. 200 Abs. 4 AHVV kein Raum mehr für eine sinngemässe Anwendung
von Art. 200 Abs. 1 AHVV. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin
läuft dies nicht auf eine Umkehrung von Grundsatz (Abs. 1) und Ausnahme
(Abs. 4) hinaus, dies schon deshalb nicht, weil im erfahrungsgemäss
vorhandenen weiten gemeinsamen Anwendungsbereich dieser beiden Bestimmungen
nach wie vor der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beschwerdeführers
bei Verfügungserlass im Ergebnis zum Zuge kommt. Insofern kann auch
nicht die Rede davon sein, der Wohnsitzgerichtsstand als solcher sei
aufgehoben. Im übrigen räumt die Beschwerdeführerin selber ein, dass
es für die Qualität und Effizienz der Beurteilung keine Rolle spielt,
ob sich die Rekursbehörde im Kanton der verfügenden IV-Stelle oder jene
im Wohnsitzkanton des Versicherten mit der Sache befasst (zum Anspruch
auf Beizug eines ausserkantonalen Anwalts im Rahmen der unentgeltlichen
Verbeiständung vgl. Erw. 6c des in Plädoyer 2/1996 S. 70 auszugsweise
wiedergegebenen Urteils K. und Z. vom 13. Juni 1995 mit Hinweisen auf
die Rechtsprechung des Bundesgerichts).

    c) Nach dem Gesagten ist die Vorinstanz zu Recht nicht auf die
Beschwerde gegen die Verfügung vom 19. Dezember 1996 eingetreten.