Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 123 V 156



123 V 156

27. Auszug aus dem Urteil vom 10. Juni 1997 i. S. Helsana Versicherungen
AG gegen Y. und Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Regeste

    Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG: Gerichtskosten. Die
Gerichtskosten sind aufgrund der Anträge der beschwerdeführenden Partei,
gemessen am Ergebnis der Anfechtung des vorinstanzlichen Entscheids -
und somit ohne Rücksicht auf die Anträge der Gegenpartei - zu verlegen
(Änderung der Rechtsprechung gemäss BGE 120 V 270 Erw. 3).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Da es im vorliegenden Fall nicht um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen geht, ist das Verfahren
kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Gemäss Art. 156 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 135 OG werden die Gerichtskosten in der Regel der
unterliegenden Partei auferlegt. Die Gegenpartei trägt im Falle des
Unterliegens somit grundsätzlich das Kostenrisiko, auch wenn sie den
vorinstanzlichen Entscheid nicht zu vertreten hat. Nimmt sie indessen
am bundesgerichtlichen Verfahren nicht teil - indem sie beispielsweise
auf eine Vernehmlassung verzichtet - oder beantragt sie Gutheissung
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, so werden ihr nach der Praxis des
Eidg. Versicherungsgerichts keine Gerichtskosten auferlegt, wenn der
Prozess ausschliesslich verfahrensrechtliche Fragen betrifft (BGE 120
V 57 f. Erw. 7). Mit BGE 120 V 270 Erw. 3 wurde diese Rechtsprechung
sodann auch auf jene Fälle ausgedehnt, wo die unterliegende Partei ohne
ihr Zutun, und ohne am Verfahren teilzunehmen, in einem Prozess über
eine materielle Frage beteiligt ist. Bei diesen Konstellationen sieht
das Gericht jeweils davon ab, Verfahrenskosten zu erheben, wenn es die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gutheisst (BGE 120 V 57 f. Erw. 7 und 270
Erw. 3 in fine). Es fragt sich, ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten
ist.

    b) Sprechen keine entscheidenden Gründe zugunsten einer Praxisänderung,
ist die bisherige Praxis beizubehalten. Gegenüber dem Postulat der
Rechtssicherheit lässt sich eine Praxisänderung grundsätzlich nur
begründen, wenn die neue Lösung besserer Erkenntnis der ratio legis,
veränderten äusseren Verhältnissen oder gewandelten Rechtsanschauungen
entspricht (BGE 122 V 129 Erw. 4, 121 V 85 f. Erw. 6a, 92 Erw. 5b, 119
V 260 f. Erw. 4a). Nach der Rechtsprechung ist eine bisherige Praxis
zu ändern, wenn sie als unrichtig erkannt oder wenn deren Verschärfung
wegen veränderter Verhältnisse oder zufolge zunehmender Missbräuche für
zweckmässig gehalten wird (BGE 121 V 86 Erw. 6a, 119 V 260 f. Erw. 4a).

    c) Wer Verwaltungsgerichtsbeschwerde einreicht, übernimmt die aktive
Parteirolle. Er begründet mit dieser Vorkehr nicht nur die Rechtshängigkeit
der Sache, sondern bestimmt mit seinem Begehren auch den Streitgegenstand
(BGE 122 V 244 Erw. 2a mit Hinweisen; KÖLZ/HÄNER, Verwaltungsverfahren
und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, Zürich 1993, S. 157, Rz. 260;
GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 177 ff.). Ordnet
das Gericht einen Schriftenwechsel an, stellt es die Beschwerdeschrift
u.a. der Gegenpartei zu und setzt ihr eine Frist zur Vernehmlassung an
(Art. 110 Abs. 1 und 2 OG). Das Vernehmlassungsverfahren dient zum einen
der Wahrung des rechtlichen Gehörs und zum andern ist es Instrument
der Sachverhaltsabklärung. Inhaltlich hat sich die Beschwerdeantwort
auf die Verteidigung des Beschwerdegegners zu beschränken. Da das
verwaltungsgerichtliche Verfahren das Institut der Anschlussbeschwerde -
unter Vorbehalt von in Spezialgesetzen vorgesehenen Ausnahmen - nicht
kennt (BGE 120 V 127 Erw. 6, 114 V 245 Erw. 4 mit Hinweisen), kommt den
vom Beschwerdegegner gestellten Anträgen der Charakter einer prozessualen
Anregung zu. Will dieser den vorinstanzlichen Entscheid nicht annehmen,
muss er innerhalb der Rechtsmittelfrist selbständig Beschwerde führen
(RHINOW/KOLLER/KISS, Öffentliches Prozessrecht und Justizverfassungsrecht
des Bundes, Basel/Frankfurt am Main 1996, S. 296, Rz. 1552 ff.;
KÖLZ/HÄNER, aaO, S. 174, Rz. 290; GYGI, aaO, S. 192 f.). Aus dem
Gesagten folgt, dass sich Obsiegen und Unterliegen im Prozess einzig am
Rechtsbegehren der beschwerdeführenden Partei orientieren. Massgebend ist,
ob und in welchem Umfang diese - zum Nachteil des Beschwerdegegners - eine
Änderung des vorinstanzlichen Entscheids zu bewirken vermag. Verzichtet
die Gegenpartei auf eine Vernehmlassung, verliert sie dadurch ihre
Parteistellung nicht und trägt bis zum Abschluss des Verfahrens das
Prozess- und Kostenrisiko.

    Die geltende Praxis führt insofern zu einer rechtsungleichen
Behandlung, als ein Beschwerdegegner, welcher sich nicht vernehmen lässt,
Kostenfreiheit geniesst, während jener, welcher sich äussert und Abweisung
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt, mit Kosten belastet werden
kann. Je nach Einschätzung der Prozesschancen hat er es damit in der Hand,
sich durch Verzicht auf eine Vernehmlassung der drohenden Kostenfolge zu
entziehen. Nach BGE 120 V 270 Erw. 3 hängt es demnach von dem Verhalten
des Beschwerdegegners und dem von ihm gestellten Antrag ab, ob das Gericht
Kosten erheben kann. Dies entspricht indessen nicht Wortlaut und Sinn
von Art. 156 Abs. 1 OG. Damit erweist sich die bisherige Rechtsprechung
als unrichtig, weshalb daran nicht festgehalten werden kann.

    d) Im vorliegenden Fall unterliegt die Beschwerdegegnerin, da -
entsprechend dem Rechtsbegehren in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde -
der vorinstanzliche Entscheid aufgehoben und die Verfügung vom 19. Mai
1994 bestätigt wird. Sie hat daher die Gerichtskosten zu tragen.