Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 123 I 193



123 I 193

17. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 18. April 1997
i.S. I. gegen Aufsichtsbehörde über die Rechtsanwälte im Kanton Luzern
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 4 und 31 BV; Grundsatz der Unabhängigkeit des Anwalts.

    Bedeutung und Tragweite der Unabhängigkeit des Anwalts (Zusammenfassung
der bundesgerichtlichen Rechtsprechung; E. 4a-c).

    Es verstösst nicht gegen Art. 31 BV, wenn die kantonale
Aufsichtsbehörde einem Anwalt die Berufsausübung wegen Verletzung des
Unabhängigkeitsgrundsatzes insoweit untersagt, als dieser, obwohl er
gleichzeitig leitender Angestellter einer Rechtsschutzversicherung
ist, die bei seiner Arbeitgeberin versicherten Klienten im Bereich des
Anwaltsmonopols vertritt (E. 4d-f).

Sachverhalt

    Fürsprecher I. ist leitender Angestellter des Rechtsdienstes bei der
"Y." Rechtsschutzversicherung in Bern. Er besitzt das Fürsprecherpatent
des Kantons Bern und hat die Zulassungsbewilligung für den Kanton
Luzern. Auf Anzeige hin führte die Aufsichtsbehörde über die Rechtsanwälte
im Kanton Luzern ein Disziplinarverfahren gegen Fürsprecher I. durch,
weil er im Bereich des Anwaltsmonopols Parteien vertrete, die bei der "Y."
rechtsschutzversichert seien. Namentlich wurde auf ein Strafverfahren wegen
Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsgesetzgebung hingewiesen. Zur Frage
seiner anwaltlichen Unabhängigkeit nahm I. hierbei wie folgt Stellung:
Neben seiner eigentlichen Tätigkeit als Leiter des Rechtsdienstes der "Y."
Rechtsschutzversicherungsgesellschaft in Bern führe er Mandate im eigenen
Namen und auf eigene Verantwortung. Sämtliche Parteientschädigungen
würden der Versicherungsgesellschaft abgeliefert; er selber werde von
seiner Arbeitgeberin pauschal entschädigt. Zwischen ihm und der "Y."
Rechtsschutzversicherungsgesellschaft bestehe eine Vereinbarung "über
die Unabhängigkeit der angestellten Anwälte der Y.-Rechtsschutz bei der
Ausübung von persönlichen Mandaten" mit folgendem Wortlaut:

    "1. Im Rahmen von persönlichen Mandaten ist der Anwalt unabhängig. Die

    Standesregeln gehen den arbeitsvertraglichen Bestimmungen vor.

    2. Der Anwalt entscheidet selbst über die Annahme oder Niederlegung von

    Mandaten.

    3. Der Versicherungsnehmer ist berechtigt, einen freiberuflichen Anwalt
   zu mandatieren.

    4. Die Y.-Rechtsschutz respektiert das Berufsgeheimnis des Anwalts,
   soweit ihn der Mandant nicht davon entbindet.

    5. Die Y.-Rechtsschutz verpflichtet alle Angestellten zur Wahrung des

    Berufsgeheimnisses des Anwalts.

    6. Der Anwalt handelt unter seinem eigenen Namen. Zur Schaffung klarer

    Verhältnisse weist er auf das Arbeitsverhältnis mit der Y.-Rechtsschutz
   hin.

    7. Die Y.-Rechtsschutz verzichtet auf Werbung mit dem Anwaltstitel von

    Mitarbeitern."

    Die Aufsichtsbehörde stellte in ihrem Entscheid fest, Fürsprecher
I. habe durch Führung des Anwaltsmandats im vorerwähnten Strafverfahren
gegen das standesrechtliche Gebot der Unabhängigkeit verstossen; sie
verzichtete jedoch auf die Ausfällung einer Disziplinarstrafe, weil davon
ausgegangen werden könne, dass I. nach Kenntnisnahme ihres Entscheides
in vergleichbaren Fällen eine anwaltliche Tätigkeit im Kanton Luzern
inskünftig unterlassen werde.

    Die von I. hiergegen erhobene staatsrechtliche Beschwerde weist das
Bundesgericht ab

Auszug aus den Erwägungen:

                   aus folgender Erwägung:

Erwägung 4

    4.- a) Der Grundsatz der Unabhängigkeit des Anwalts ist von
herausragender Bedeutung (für eine umfassende Darstellung: FELIX
WOLFFERS, Der Rechtsanwalt in der Schweiz, Zürich 1986, S. 53-60;
Verein Zürcherischer Rechtsanwälte, Handbuch über die Berufspflichten
des Rechtsanwaltes im Kanton Zürich, Zürich 1988, S. 189-191; JÖRG PAUL
MÜLLER, Funktion des Rechtsanwaltes im Rechtsstaat - Mittel und Grenzen
der Staatsaufsicht, Bern 1985, S. 12/13). Daraus ergeben sich Pflichten
des Anwalts, aber auch Rechte (beispielsweise das Berufsgeheimnis), die
ausschliesslich einem unabhängigen Anwalt eingeräumt werden können. Der
Grundsatz der Unabhängigkeit ist als Berufspflicht des Anwalts weltweit
anerkannt (vgl. zum folgenden ausführlich: ALBERT-LOUIS DUPONT-WILLEMIN,
Le secret professionnel et l'indépendance de l'avocat, Bulletin des
Schweizerischen Anwaltsverbands (SAV) Nr. 101, 1986, S. 9 ff., insbesondere
S. 12 ff.). Er ist nicht nur in den Standesregeln internationaler
Berufsorganisationen verankert (beispielsweise: International Code of
Ethics der "International Bar Association"; Principes fondamentaux de la
profession d'avocat der Union internationale des avocats; Standesregeln
der Rechtsanwälte der Europäischen Gemeinschaft), sondern findet sich
auch in zahlreichen nationalen Rechtsordnungen. Allerdings ist das
Erfordernis der Unabhängigkeit in den verschiedenen Ländern in sehr
unterschiedlicher Weise ausgestaltet. In den romanischen Ländern, deren
Gesetzgebung sich aus dem französischen Recht herleitet, ist dem Anwalt
jedwede Erwerbstätigkeit ausserhalb seines Berufes verboten, allenfalls
abgesehen von eng begrenzten und abschliessend aufgezählten Ausnahmen
(vgl. den Code Judiciaire Belge [Art. 437] und das Règlement interne du
Barreau de Paris de décembre 1983 [Art. 55], nach welchen der Anwaltsberuf
in der Regel mit einer besoldeten Tätigkeit unvereinbar ist). Nach den
meisten angelsächsischen Gesetzgebungen ist der Anwalt demgegenüber in
weitem Mass zur Ausübung zusätzlicher beruflicher Tätigkeiten befugt,
wobei lediglich einige eng begrenzte Ausnahmen gemacht werden. Es gibt
sodann Länder, welche, wiewohl dem romanischen Rechtskreis zugehörig,
Nebentätigkeiten des Anwalts weitgehend zulassen (vgl. Art. 27 des
"Statuto general de la Abogacia española"). Das Recht der Bundesrepublik
Deutschland steht zwischen angelsächsischer und französischer Lösung,
indem insbesondere ein Angestelltenverhältnis zu einem privatrechtlich
organisierten Unternehmen nicht Ausschlussgrund ist, dabei aber gewisse
Kautelen zu beachten sind (JESSNITZER/BLUMBERG, Bundesrechtsanwaltsordnung,
7. Aufl., Köln/Berlin/Bonn/München 1995, Rz. 16 ff. zu § 7 sowie Kommentar
zu § 46). In der Schweiz bestimmen die Richtlinien des Schweizerischen
Anwaltsverbandes für die Pflichten-Codices der kantonalen Anwaltsverbände,
dass "der Anwalt seinen Beruf in voller Unabhängigkeit" ausübt (Ziff. 1)
und dass er nie verschiedenen Personen dient, deren Interessen sich
widersprechen. Die Kantone haben die Frage in unterschiedlicher Weise
geregelt. Einige erwähnen den Grundsatz der Unabhängigkeit des Anwalts
in den Anwaltsgesetzen nicht ausdrücklich und beschränken sich darauf,
die Frage unter dem Gesichtspunkt der Interessenkollision zu behandeln
(DOMINIQUE DREYER, L'avocat dans la société actuelle, ZSR 115/1996
II S. 414 unten). Demgegenüber statuieren andere Kantone in ihren
gesetzlichen Regelungen das Prinzip der Unabhängigkeit des Anwalts und
verbieten diesem, der französischen Tradition folgend, jede entlöhnte
Nebentätigkeit, ausser derjenigen bei einem Anwalt oder Notar. Erwähnt
seien die Art. 10 und 11 des Genfer Gesetzes über den Anwaltsberuf
(Loi du 14 mars 1985 sur la profession d'avocat), die Art. 3, 4 und 6
des jurassischen Gesetzes über den Anwaltsberuf (Loi du 9 novembre 1978
sur la profession d'avocat), die Art. 17 und 18 des Walliser Gesetzes
vom 29. Januar 1989 über den Anwaltsberuf und den gerichtlichen und
administrativen Rechtsbeistand, Art. 18 des Freiburger Gesetzes vom 10. Mai
1977 über den Anwaltsberuf, Art. 9 des Berner Gesetzes vom 6. Februar 1984
über die Fürsprecher sowie Art. 3 Abs. 1 lit. b des Tessiner Gesetzes
über die Advokatur (Legge del 15 marzo 1983 sull'avvocatura). Die
Auffassung, wonach das Erfordernis der Unabhängigkeit des Anwalts mit
einer entlöhnten Tätigkeit unvereinbar sei, wird neben einem Teil der
Lehre (EDMOND MARTIN-ACHARD, La discipline des professions libérales,
ZSR 70/1951 S. 155a; PIERRE CHRISTE, Rôle et fonction de l'avocat dans
la protection des droits, ZSR 107/1988 II S. 464; DREYER, aaO, S. 415,
DUPONT-WILLEMIN, Le secret professionnel et l'indépendance de l'avocat,
S. 14, S. 26/27) auch von verschiedenen kantonalen Aufsichtsbehörden
geteilt (dazu und zum folgenden: FELLMANN/SIDLER, Standesregeln des
Luzerner Anwaltsverbandes, Bern 1996, S. 9 ff.). Neben derjenigen des
Kantons Luzern, welche der Auffassung ist, dass es aufgrund des für den
Arbeitsvertrag begriffswesentlichen Abhängigkeitsverhältnisses, das den
Arbeitnehmer der Weisungsgewalt des Arbeitgebers unterstellt, an der für
einen Anwalt erforderlichen Unabhängigkeit fehlt (LGVE 1985 I Nr. 33),
hat auch das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft Rechtsanwälten,
die bei Treuhandgesellschaften und Rechtsschutzversicherungen angestellt
sind, die Zulassung zur berufsmässigen Vertretung mit der Begründung
verweigert, ihre Unabhängigkeit sei wegen der Weisungsgebundenheit und
möglicher Interessenkollisionen nicht gewährleistet (BJM 1993, S. 334 ff.).
Demgegenüber nehmen die Aufsichtsbehörden anderer Kantone an, dem Anwalt
sei es erlaubt, neben der Advokatur eine entlöhnte Tätigkeit auszuüben. Das
gilt für den Kanton Thurgau, dessen Rekurskommission entschieden hat,
ein bei einer Treuhandgesellschaft angestellter Anwalt sei befugt, Dritte
vor den Gerichten zu vertreten (Rechenschaftsbericht des Obergerichts des
Kantons Thurgau, 1982, Nr. 10), oder für den Kanton St. Gallen, wo das
Kantonsgericht es als zulässig ansieht, dass ein bei einer Treuhandfirma
angestellter Anwalt Mandate für die Klientschaft des Arbeitgebers
übernimmt, da die Gewähr für eine unabhängige Berufsausübung von der Sache
her auch in einem solchen Fall nicht ausgeschlossen erscheine (Entscheid
vom 27. Februar 1984, zitiert bei WOLFFERS, aaO, S. 59). Schliesslich ist
die Praxis der Zürcher Aufsichtsbehörde zu erwähnen, welche es ebenfalls
zulässt, dass der angestellte Anwalt Klienten seines Arbeitgebers
vor Gericht vertritt, dies aber von einer speziellen Gestaltung des
Arbeitsverhältnisses abhängig macht (vgl. hierzu: ZR 79/1980 Nr. 126).

    b) Das Bundesgericht hatte im unveröffentlichten Urteil vom
17. Oktober 1980 i.S. J. zu prüfen, ob das Unabhängigkeitsgebot bei
einem Anwalt gewahrt ist, der von einer Gewerkschaft angestellt ist
und im Rahmen dieser Tätigkeit die rechtliche Beratung und Vertretung
der Gewerkschaftsmitglieder ausübt. Das Bundesgericht hat den Fall, der
Begründung des angefochtenen Entscheides entsprechend, unter dem Aspekt
beurteilt, ob die finanzielle Unabhängigkeit des Anwalts gegenüber seinen
Klienten gewahrt bleibt, was im Hinblick darauf bejaht wurde, dass die
Entschädigung durch die Gewerkschaft und nicht durch die vertretenen
Klienten erfolgte. Im Urteil vom 22. Oktober 1987 i.S. C. (BGE 113
Ia 279) hatte sich das Bundesgericht zum Fall eines Berner Anwalts
auszusprechen, der gegen eine Pauschalentschädigung für eine soziale
Institution, welche Bedürftigen unentgeltliche Rechtsberatung und
Vertretung im Prozess gewährte, tätig war und dabei namentlich die
Aufgabe hatte, das Alimenteninkasso zu besorgen. Das Bundesgericht hat
das Unabhängigkeitsgebot gemäss Art. 9 des bernischen Fürsprechergesetzes
entgegen der Auffassung der kantonalen Anwaltskammer nicht als verletzt
erachtet, da sich der Anwalt nach dem massgeblichen Arbeitsvertrag die
Art und Weise der Durchführung der Mandate ausdrücklich vorbehielt und er
diesbezüglich keinerlei Weisungen unterlag (vgl. hierzu auch die Kritik
in der Literatur: DUPONT-WILLEMIN, Salariat et indépendance de l'avocat,
SVA Nr. 115/1988 S. 9 ff.; MICHAEL PFEIFER, Der Rechtsanwalt in der
heutigen Gesellschaft, ZSR 115/1996 II S. 335 ff.).

    Im Urteil vom 18. Oktober 1985 i.S. S. (RDAF 1986 S. 157 ff.) hatte
sich das Bundesgericht in einem Verfahren der abstrakten Normenkontrolle
auf Beschwerde eines Musiklehrers und Studenten der Rechtswissenschaft hin
mit der Regelung des Kantons Genf zu befassen, welche dem Rechtsanwalt jede
überwiegende Erwerbsarbeit neben derjenigen als Anwalt verbot. Hierbei
wurde erkannt, dass die vom Gesetzgeber verfolgte Zielsetzung (Sicherung
der Qualität der Dienstleistung, Unabhängigkeit des Anwalts) zwar
im öffentlichen Interesse liegt, der Eingriff in die Handels- und
Gewerbefreiheit aber nicht verhältnismässig sei, da in den meisten
Fällen eine zweite Erwerbstätigkeit neben derjenigen des Anwalts
die Qualität der erbrachten Leistungen und die Unabhängigkeit des
Anwalts nicht tangiere. Es handle sich letztlich um eine unzulässige
wirtschafts- und standespolitische Massnahme zugunsten der Anwälte,
die ein volles Pensum haben, zulasten derjenigen, die freiwillig
oder gezwungenermassen die Anwaltstätigkeit nur in einem Teilpensum
ausüben. In einem neuesten Urteil vom 12. Dezember 1996 i.S. G. hiess
das Bundesgericht die Beschwerde eines Anwalts, der im Hauptberuf als
Leiter der Schadensabteilung einer Versicherung tätig war, gegen einen die
Zulassung zum Anwaltsberuf abweisenden Entscheid teilweise gut, soweit
lediglich beabsichtigt war, unabhängig vom Arbeitsverhältnis gewisse
Mandate zu führen. Das Bundesgericht hielt aber fest, dass ein Verbot
der anwaltlichen Vertretung des eigenen Arbeitgebers bzw. der Ausübung
von Mandaten unter dessen Einfluss mit der Handels- und Gewerbefreiheit
vereinbar sei, da insoweit die erforderliche Unabhängigkeit des Anwalts
nicht gegeben wäre (vgl. S. 22/23 des erwähnten Urteils).

    c) Die Aufsichtsbehörde über die Rechtsanwälte im Kanton Luzern
ist in ihrem Entscheid zum Schluss gekommen, dem Beschwerdeführer
fehle als Leiter des Rechtsdienstes einer Rechtsschutzversicherung
die erforderliche Unabhängigkeit, um als unselbständiger Anwalt im
Monopolbereich aufzutreten. Hieran ändere auch die diesbezüglich mit der
Arbeitgeberin getroffene Vereinbarung nichts. In seiner Funktion habe der
Beschwerdeführer sich vorerst mit der Erteilung des vom Versicherungsnehmer
erstrebten Rechtsschutzes zu befassen. Dabei handle es sich um einen
Entscheid des Rechtsschutzversicherers in eigener Sache, gehe es doch darum
zu prüfen, ob aufgrund des Versicherungsvertrags eine Leistungspflicht
bestehe oder nicht. Der Beschwerdeführer sei insoweit im Interesse der
Arbeitgeberfirma tätig. Wenn Rechtsschutz gewährt werde, übernehme er die
Interessenwahrung des Versicherten. Diese Doppelfunktion schliesse die
gebotene Unabhängigkeit in der Berufsausübung aus. Der Beschwerdeführer
habe, indem er die Rechtsschutzversicherte L. im Strafverfahren gegen
W. vertrat, die Berufs- und Standespflichten im Sinne von § 12 Abs. 1
des luzernischen Anwaltsgesetzes verletzt.

    d) Der Beschwerdeführer macht demgegenüber geltend, es sei
willkürlich, dass die Aufsichtsbehörde - trotz der detailliert formulierten
Unabhängigkeitsvereinbarung zwischen ihm und der Arbeitgeberin - seine
freie Willensentscheidung im Rahmen der Mandatsübernahme für Klienten
der Y. Rechtsschutz in Frage gestellt sehe. Diese Annahme stehe in
Widerspruch zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung, die eine Verletzung
des Unabhängigkeitsgebotes sowohl bei einem Gewerkschaftsanwalt,
der die gerichtliche Vertretung von Gewerkschaftsmitgliedern
übernommen habe, als auch im Falle des von einer sozialen Institution
angestellten Rechtsanwaltes, welche Bedürftigen die unentgeltliche
Prozessführung gewährte, verneint habe (vgl. BGE 113 Ia 279 und
zitiertes Urteil i.S. J.). Dass die Aufsichtsbehörde der vorliegenden
Unabhängigkeitsvereinbarung einen anderen Stellenwert beimesse als bei
einer gemeinnützigen Organisation, erweise sich als unhaltbar. Auch sei
willkürlich, dem Beschwerdeführer zu unterstellen, dass er sich, indem
er die Prozesschancen von Rechtsschutzklienten gegebenenfalls im Rahmen
der Interessenvertretung anders einschätzen werde, zum "Diener zweier
Herren" mache. Kein Anwalt, auch der wirtschaftlich selbständige nicht,
sei davor gefeit, einmal gefasste Meinungen überdenken zu müssen.

    e) Wie indessen die Aufsichtsbehörde zutreffend festgestellt
hat, nimmt der Beschwerdeführer als Leiter des Rechtsdienstes einer
Rechtsschutzversicherung und in der gleichen Sache tätiger Rechtsanwalt
eine Doppelfunktion wahr. Daraus braucht nicht in jedem Fall eine
Interessenkollision zu resultieren. Doch ist die Möglichkeit einer
Gefährdung der Unabhängigkeit und der eigenverantwortlichen Berufsausübung
als Anwalt augenscheinlich. Zwar ist nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichts, wie sie in den Urteilen i.S. S. und i.S. G. zum Ausdruck
kommt, dem Anwalt ein lohnabhängiger Zweitberuf verfassungsrechtlich
gestattet. Im konkreten Fall liegen nun aber mögliche Pflichtverletzungen
weit näher, da sich der Beschwerdeführer auch in der Arbeitnehmerfunktion
mit der gleichen Angelegenheit wie als Anwalt zu befassen hat. Die
Gefährdung der Unabhängigkeit ist insofern konkreter, als dies in den
Urteilen i.S. J. und BGE 113 Ia 279 der Fall war, wo sich die Funktion
des angestellten Anwalts auf die Beratung und Vertretung der Klienten
(Verbandsmitglieder bzw. Bedürftige) beschränkte und keine Eigeninteressen
des Arbeitgebers im Spiel waren. Anders verhält es sich hier, wo die
Interessen der Rechtsschutzversicherung und ihrer Versicherungsnehmer,
welche der Beschwerdeführer einerseits als Angestellter dieser -
leistungspflichtigen - Rechtsschutzversicherung betreut und andrerseits
als Anwalt zu vertreten hat, sich völlig widersprechen können, steht
doch dem wirtschaftlichen Interesse der Rechtsschutzversicherung,
den finanziellen Aufwand der gerichtlichen Vertretung in Grenzen
zu halten, das Interesse des Kunden gegenüber, für die erbrachten
Prämienleistungen optimalen Rechtsschutz zu erhalten. Gestützt auf die
erwähnte Generalklausel legte die Aufsichtsbehörde Grenzen und Tragweite
des Unabhängigkeitsgebotes damit im vorliegenden Fall nicht extensiv aus;
ihre Interpretation erweist sich demnach als verfassungskonform und beruht,
indem sie dem Unabhängigkeitsgrundsatz als zentraler Berufspflicht des
Rechtsanwaltes erhebliche Bedeutung beimisst, auch auf einer zulässigen
Interessenabwägung (vgl. hierzu auch BGE 98 Ia 596 E. 1; WOLFFERS, aaO,
S. 115). Die beanstandete Regelung verstösst somit nicht gegen Art. 31 BV.

    f) Der Beschwerdeführer macht im weiteren geltend, es sei willkürlich,
ihm zu unterstellen, dass er im Unterschied zu einem freiberuflichen Anwalt
zur treuen Interessenwahrung seines Klienten nicht in der Lage sei. Auch
der freiberufliche Anwalt eines rechtsschutzversicherten Klienten müsse
gemäss Usanz vor der Klageeinleitung oder der Einlegung eines Rechtsmittels
die Versicherung um eine Kostengutsprache angehen. Lehne die Versicherung
wegen Aussichtslosigkeit eine weitere Verfahrensfinanzierung ab, stehe dem
Klienten gemäss Art. 9 der Verordnung über die Rechtsschutzversicherung vom
18. November 1992 (im folgenden auch: Verordnung; SR 961.22) jederzeit die
Möglichkeit offen, seine Prozessaussichten unabhängig beurteilen zu lassen.

    Der Beschwerdeführer verkennt indessen, dass die genannte
Verordnungsbestimmung nicht das Verhältnis zwischen dem Anwalt und
seinem Mandanten betrifft, sondern lediglich dem Rechtsschutzversicherten
ermöglicht, seine Interessen gegenüber der Versicherung zu wahren. Dass
gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. b der Verordnung der Versicherte im Falle
einer Interessenkollision seinen Anwalt selber bestimmen darf und
von der Versicherung ausdrücklich auf dieses Recht hinzuweisen ist
(vgl. auch Ziff. B2 Abs. 2 der Allgemeinen Vertragsbedingungen der
Y.-Rechtsschutz, Ausgabe 07.93), vermag den Interessengegensatz
zwischen der Versicherungseinrichtung und dem Versicherten nicht zu
beseitigen und damit die Unabhängigkeit des Rechtsschutzanwaltes bei der
Mandatsausübung für Rechtsschutzversicherte nicht zu gewährleisten. Aus
diesen Verordnungsbestimmungen kann der Beschwerdeführer deshalb nichts
zu seinen Gunsten ableiten.