Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 123 IV 155



123 IV 155

24. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 26. August 1997 i.S. B.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 139 Ziff. 1 ZGB i.V.m. Art. 172ter Abs. 1 StGB; Art. 273
Abs. 1 lit. b BStP und Art. 277bis Abs. 1 Satz 2 BStP; Taschendiebstahl,
geringfügiges Vermögensdelikt, Vorsatz des Täters.

    Ob der Vorsatz auf einen geringen Vermögenswert gerichtet war, ist
eine Beweisfrage, die im Verfahren der Nichtigkeitsbeschwerde nicht
zur Diskussion gestellt werden kann. Möglichkeit der Annahme eines
geringfügigen Vermögensdelikts auch bei einem Taschendiebstahl (E. 1b).

Sachverhalt

    Im Mai 1991 entwendete B. während einer Tramfahrt in Zürich einem
Fahrgast aus der Gesässtasche das Portemonnaie. Dieses enthielt Notengeld
im Gesamtbetrag von Fr. 170.-, eine EC-Karte, eine Eurocard, einen
Führerausweis und eine Identitätskarte.

    Am 1. November 1995 griff B. im Stadion Hardturm in Zürich
während der Pause des Fussballspiels Grasshoppers gegen Ajax
Amsterdam einem unbekannten Jugendlichen mit Diebstahlsabsicht in
die Gesässtasche. Es blieb beim Versuch, da der Jugendliche in der
Gesässtasche weder Portemonnaie noch Bargeld mit sich trug und B. durch
einen Sicherheitsbeamten, der den Vorfall beobachtet hatte, unverzüglich
festgenommen werden konnte.

    Am 18. November 1996 verurteilte das Obergericht des Kantons Zürich B.
zweitinstanzlich wegen Diebstahls und versuchten Diebstahls zu 30 Tagen
Gefängnis, abzüglich einen Tag Polizeiverhaft, als Zusatzstrafe zum
Urteil des Appellationsgerichtes Basel-Stadt vom 19. April 1996. Das
Obergericht schob den Vollzug der Freiheitsstrafe nicht auf. Überdies
ordnete es den Vollzug der am 25. Mai 1993 vom Bezirksgericht Zürich
ausgesprochenen bedingten Vorstrafe von 4 Wochen Gefängnis, abzüglich 22
Tage Untersuchungshaft, an.

    B. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, den
Entscheid des Obergerichtes aufzuheben.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe die
Anwendung von Art. 172ter StGB zu Unrecht abgelehnt. Die ihm angelasteten
Taten stellten geringfügige Vermögensdelikte im Sinne dieser Bestimmung
dar.

    a) Der Beschwerdeführer hat sich wegen Diebstahls
bzw. Diebstahlversuchs strafbar gemacht. Für den Grundtatbestand des
Diebstahls droht das Gesetz Zuchthaus bis zu 5 Jahren oder Gefängnis an
(Art. 139 Ziff. 1 StGB; ebenso Art. 137 Ziff. 1 aStGB). Bei Versuch kann
der Täter milder bestraft werden (Art. 21 Abs. 1 i.V.m. Art. 65 StGB).

    Gemäss Art. 172ter Abs. 1 StGB wird der Täter, auf Antrag, lediglich
mit Haft oder mit Busse bestraft, wenn sich die Tat nur auf einen geringen
Vermögenswert oder auf einen geringen Schaden richtet. Der Versuch ist
nicht strafbar (Art. 104 Abs. 1 StGB).

    Die Grenze für den geringen Vermögenswert im Sinne von Art. 172ter
StGB beträgt nach der Rechtsprechung Fr. 300.- (BGE 121 IV 261
E. 2d). Entscheidend ist der Vorsatz des Täters, nicht der eingetretene
Erfolg. Art. 172ter StGB ist nur anwendbar, wenn der Täter von vornherein
bloss einen geringen Vermögenswert oder einen geringen Schaden im Auge
hatte. Liegt die Deliktssumme unter dem Grenzwert von Fr. 300.-, scheidet
Art. 172ter StGB deshalb aus, wenn der Vorsatz des Täters auf eine den
Grenzwert übersteigende Summe gerichtet war (BGE 122 IV 156 E. 2a).

    Der Eventualvorsatz ist eine Form des Vorsatzes. Eventualvorsatz ist
gegeben, wenn der Täter den strafbaren Erfolg als möglich voraussieht,
aber gleichwohl handelt, weil er ihn in Kauf nimmt für den Fall, dass er
eintreten sollte (BGE 119 IV 1 E. 5a mit Hinweisen).

    Was der Täter weiss, will oder in Kauf nimmt, ist Tatfrage. Die
entsprechenden Feststellungen der kantonalen Behörde sind für das
Bundesgericht im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde
deshalb verbindlich (Art. 277bis Abs. 1 BStP; BGE 122 IV 156 E. 2b mit
Hinweisen).

    b) Die Vorinstanz legt dar, wer wie der Beschwerdeführer
Taschendiebstähle begehe, habe die Bereitschaft, das zu nehmen, was ihm in
die Hände falle, und wohl die Hoffnung auf möglichst grosse Beute; dies
unabhängig davon, ob es sich beim Bestohlenen um einen Erwachsenen oder
einen Jugendlichen handle. Die Vorinstanz kommt zum Schluss, dass beim
Beschwerdeführer Eventualvorsatz bezüglich eines Fr. 300.- übersteigenden
Geldbetrags gegeben war.

    Dieser Schluss beruht auf Beweiswürdigung, welche im Verfahren der
eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nicht in Frage gestellt werden kann
(Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP). Ist aber beweismässig davon auszugehen,
dass sich der Eventualvorsatz des Beschwerdeführers auf einen Geldbetrag
von mehr als Fr. 300.- richtete, so hat die Vorinstanz die Anwendung
von Art. 172ter StGB zu Recht abgelehnt. Die Vorinstanz hat weder die
rechtlichen Voraussetzungen der Privilegierung nach Art. 172ter StGB noch
den Begriff des Eventualvorsatzes verkannt.

    Einzuräumen ist dem Beschwerdeführer, dass Art. 172ter StGB auch bei
einem Taschendiebstahl anwendbar sein kann. Der Vorsatz kann auch hier
auf einen geringen Vermögenswert im Sinne dieser Bestimmung gerichtet
sein. Das ist beispielsweise der Fall, wenn der Täter beobachtet, wie ein
Dritter dem Opfer eine Hundertfrankennote übergibt, und der Täter dem Opfer
anschliessend die Note aus der Tasche zieht. Die konkreten Umstände müssen
daher auch bei einem Taschendiebstahl geprüft werden. Ob sich der Vorsatz
auf einen geringen Vermögenswert richtete, bleibt aber eine Beweisfrage,
die im Verfahren der Nichtigkeitsbeschwerde nicht zur Diskussion gestellt
werden kann.

    Die Beschwerde wird in diesem Punkt deshalb abgewiesen.