Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 123 IV 128



123 IV 128

20. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 2. Juli
1997 i.S. D. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich
(Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 221 Abs. 2 StGB, 21 ff. StGB; qualifizierte Brandstiftung,
Versuch.

    Der qualifizierte Tatbestand setzt voraus, dass durch die
Feuersbrunst, so wie sie sich ereignet hat, Leib und Leben von Menschen
tatsächlich konkret gefährdet worden sind und dass der Täter im Sinne des
direkten Vorsatzes um diese konkrete Gefährdung gewusst und sie gewollt
hat. Angesichts der hohen Strafandrohung ist eine grosse Wahrscheinlichkeit
der Verletzung von Leib und Leben und damit eine nahe Gefahr erforderlich
(E. 2a).

    Der Täter ist wegen versuchter qualifizierter Brandstiftung schuldig
zu sprechen, wenn z.B. dank rascher Hilfeleistung niemand konkret gefährdet
wurde und bloss die subjektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt sind (E. 2b).

Sachverhalt

    Am Abend des 13. Dezember 1994 setzte D. den seit mehreren Monaten
wegen familiärer Schwierigkeiten gehegten Plan, in der ehelichen Wohnung
im Erdgeschoss eines Zweifamilienhauses in N. einen Brand zu legen, in
die Tat um. Die sich im Zeitpunkt des Brandausbruchs in ihrer Wohnung
im ersten Obergeschoss aufhaltende X. konnte das Haus verlassen. Das
Geschworenengericht des Kantons Zürich sprach D. am 22. März 1996 der
(qualifizierten) Brandstiftung im Sinne von Art. 221 Abs. 1 und 2 StGB
schuldig.

    D. erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt,
das Urteil des Geschworenengerichts sei aufzuheben und die Sache zur
Ausfällung eines neuen Urteils wegen einfacher Brandstiftung im Sinne
von Art. 221 Abs. 1 StGB an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde in Anwendung von Art. 277
BStP gut

Auszug aus den Erwägungen:

                    aus folgender Erwägung:

Erwägung 2

    2.- a) Wer vorsätzlich zum Schaden eines anderen oder unter
Herbeiführung einer Gemeingefahr eine Feuersbrunst verursacht, wird mit
Zuchthaus bestraft (Art. 221 Abs. 1 StGB). Bringt der Täter wissentlich
Leib und Leben von Menschen in Gefahr, so ist die Strafe Zuchthaus nicht
unter drei Jahren (Art. 221 Abs. 2 StGB). Der qualifizierte Tatbestand
von Abs. 2 setzt voraus, dass Leib und Leben von Menschen tatsächlich
konkret gefährdet wurden; eine bloss abstrakte Gefahr reicht nicht
aus. Erforderlich ist zudem, dass der Täter im Sinne des direkten Vorsatzes
um diese konkrete Gefährdung weiss und sie auch will; es genügt mithin
nicht, dass er im Sinn des Eventualvorsatzes eine konkrete Gefährdung
von Leib und Leben für möglich hält und sie in Kauf nimmt. Wer aber mit
Wissen und Willen einen Zustand schafft, aus dem sich eine Gefahr ergibt,
die er kennt, der will notwendig auch diese Gefahr (zum Ganzen BGE 117 IV
285; 106 IV 127 E. 4 S. 131 f.; STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht,
BT II, 4. Aufl. 1995, § 28 N. 20; REHBERG, Strafrecht IV, 2. Aufl. 1996,
S. 33 f.).

    Die bei den konkreten Gefährdungsdelikten vorausgesetzte Gefahr ist
gegeben, wenn nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge die Wahrscheinlichkeit
oder nahe Möglichkeit der Verletzung des geschützten Rechtsguts besteht
(BGE 94 IV 60 E. 2 S. 62; 106 IV 12 E. 2a S. 14; 111 IV 51 E. 2 S. 55;
121 IV 67 E. 2b/aa S. 70; STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, BT I,
5. Aufl. 1995, § 4 N. 8, zu Art. 129 StGB). Die Wahrscheinlichkeit der
Verletzung des geschützten Rechtsgutes und damit die konkrete Gefahr können
indessen mehr oder weniger gross bzw. nahe sein. Welche Anforderungen an
die Nähe der bei einem konkreten Gefährdungsdelikt erforderlichen Gefahr
zu stellen sind, hängt auch von der Strafdrohung ab (s. dazu BGE 121 IV
67 E. 2d S. 74). Angesichts der vergleichsweise hohen Strafandrohung von
drei bis zwanzig Jahren Zuchthaus in Art. 221 Abs. 2 StGB ist für diesen
Tatbestand eine grosse Wahrscheinlichkeit der Verletzung von Leib und
Leben und damit eine nahe Gefahr erforderlich. Dies rechtfertigt sich auch
deshalb, weil Art. 221 Abs. 2 StGB nach der Rechtsprechung (BGE 85 IV 130
E. 1; 117 IV 285) keine Gemeingefahr voraussetzt und schon im Falle der
Gefährdung einer einzigen, individuell bestimmten Person erfüllt sein kann.

    Die Verurteilung wegen qualifizierter Brandstiftung gemäss Art. 221
Abs. 2 StGB als vollendete Tat setzt voraus, dass durch die vom Täter
mit Wissen und Willen verursachte Feuersbrunst, so wie sie sich ereignet
hat, tatsächlich Leib und Leben von Menschen im genannten Sinn konkret
gefährdet worden sind und dass der Täter diese Gefährdung gekannt und
gewollt hat. Es genügt nicht, dass Menschen gefährdet worden wären, wenn
das Feuer später, als es tatsächlich geschah, entdeckt bzw. gelöscht
worden wäre. Massgebend ist insoweit nicht, was alles hätte geschehen
können, sondern einzig, was sich tatsächlich ereignet hat. Wurde etwa
dank rascher Hilfeleistung niemand konkret gefährdet, so kommt, sofern die
subjektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt sind, allenfalls eine Verurteilung
wegen versuchter qualifizierter Brandstiftung (s. nachstehend lit. b)
in Betracht.

    b) Es stellt sich in diesem Zusammenhang allerdings die Frage, ob
der Täter, wenn niemand konkret gefährdet wurde und bloss die subjektiven
Tatbestandsmerkmale erfüllt sind, nicht wegen Versuchs der qualifizierten
Brandstiftung, sondern nur wegen vollendeter einfacher Brandstiftung
schuldig zu sprechen ist.

    Das Bundesgericht hat festgehalten, der Qualifikationsgrund von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG (SR 812.121) sei eine Strafzumessungsregel,
während die allgemeinen Regeln über den Versuch (Art. 21 ff. StGB) die
Frage der Strafbarkeit beträfen (BGE 122 IV 360 E. 2b). Daraus darf nicht
hergeleitet werden, dass bei qualifizierten Tatbeständen ein strafbarer
Versuch grundsätzlich ausgeschlossen ist. Vielmehr ist diese Frage von Fall
zu Fall besonders zu prüfen. Für die hier zu beurteilende Brandstiftung
ergibt sich dabei folgendes: Nach dem Grundtatbestand macht sich strafbar,
wer zum Schaden eines anderen oder unter Herbeiführung einer Gemeingefahr
handelt. Der qualifizierte Tatbestand von Art. 221 Abs. 2 StGB dagegen
schützt darüber hinaus ein weiteres Rechtsgut, nämlich Leib und Leben
von Menschen. Im Unterschied zur Strafzumessungsregel des Art. 19 Ziff. 2
lit. a BetmG kann Art. 221 Abs. 2 StGB demnach als dritte Variante der
strafbaren vorsätzlichen Brandstiftung aufgefasst werden, womit dieser
Bestimmung selbständige Bedeutung zukommt (JÖRG REHBERG, Strafrecht IV,
Delikte gegen die Allgemeinheit, 2. Aufl., Zürich 1996, S. 33). Ebenso wie
beim Raub die Möglichkeit des Versuchs des qualifizierten Tatbestandes
bejaht wurde (BGE 120 IV 113), ist deshalb bei der qualifizierten
Brandstiftung eine versuchte Tatbegehung möglich.