Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 123 IV 107



123 IV 107

17. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 20. Juni
1997 i.S. I. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich
(Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 55 Abs. 1 StGB und 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB; Art. 32 Ziff.
1 Flüchtlingskonvention; Art. 44 Abs. 1 AsylG; Landesverweisung;
Aussprechung gegenüber einem Flüchtling; Anforderungen an die Begründung
der Dauer; bedingter Vollzug.

    Zusammenfassung der Rechtsprechung zur Landesverweisung (E. 1).

    Zulässigkeit der Landesverweisung eines Flüchtlings im zu
beurteilenden Fall bejaht unter Berücksichtigung der asylrechtlichen
Ausweisungsbeschränkung (E. 2).

    Zwischen der Dauer der Hauptstrafe und jener der Landesverweisung
besteht in der Regel eine gewisse Übereinstimmung. Verhängt die kantonale
Behörde neben einer tiefen Hauptstrafe eine lange Landesverweisung oder
neben einer hohen Hauptstrafe eine kurze Landesverweisung, so muss sie
das hinreichend begründen (E. 3).

    Bedingter Vollzug der Landesverweisung. Pflicht zur Gesamtwürdigung
aller wesentlichen Umstände (E. 4).

Sachverhalt

    Am 7. Januar 1996, um ca. 00.10 Uhr, begaben sich I., welcher sich
mit einem Helmunterzieher vermummt hatte, und ein Unbekannter zu den
Geschäftsräumen der X.-Airlines in Zürich. Dort zertrümmerten sie das
Glas der Eingangstüre und warfen einen "Molotowcocktail" ins Innere,
worauf der Spannteppich in Brand geriet. Wegen des schnellen Eingreifens
der Berufsfeuerwehr konnte der Brand nach kurzer Zeit gelöscht werden. Der
X.-Airlines entstand ein Sachschaden von insgesamt rund Fr. 23'000.--.

    Am 7. August 1996 verurteilte das Bezirksgericht Zürich I. wegen
Brandstiftung und Sachbeschädigung zu 18 Monaten Gefängnis (unbedingt).
Ausserdem verwies es ihn für 10 Jahre des Landes (unbedingt).

    Auf Berufung von I. hin gewährte das Obergericht des Kantons Zürich
am 20. November 1996 für die Gefängnisstrafe den bedingten Strafvollzug
bei einer Probezeit von 3 Jahren. Im übrigen bestätigte es das Urteil
des Bezirksgerichtes.

    I. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das
Urteil des Obergerichtes aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung
an dieses zurückzuweisen. Er macht geltend, die Aussprechung der
Landesverweisung verletze Bundesrecht. Für den Fall, dass das Bundesgericht
die Verhängung der Landesverweisung als bundesrechtmässig erachten sollte,
wendet er sich gegen ihre Bemessung sowie die Verweigerung des bedingten
Vollzugs dafür.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 55 Abs. 1 StGB kann der Richter den Ausländer, der
zu Zuchthaus oder Gefängnis verurteilt wird, für 3 bis 15 Jahre aus dem
Gebiet der Schweiz verweisen.

    Die Landesverweisung ist Nebenstrafe und Sicherungsmassnahme zugleich
(BGE 114 Ib 1 E. 3a mit Hinweis). Obwohl dieser zweite Gesichtspunkt
im Vordergrund steht (BGE 117 IV 229), verlangt ihre Eigenschaft
als Nebenstrafe, die ihr das Gesetz verleiht, dass sie in Anwendung
von Art. 63 StGB festgesetzt wird, d.h. nach dem Verschulden des
Täters unter Berücksichtigung der Beweggründe, des Vorlebens und der
persönlichen Verhältnisse des Schuldigen. Damit ist der Sicherungszweck
nicht ausgeschaltet. Es ist Sache des Richters, im Einzelfall dem Straf-
und dem Sicherungszweck der Landesverweisung Rechnung zu tragen (BGE 104
IV 222 E. 1b; 94 IV 102 E. 2).

    Art. 55 StGB spricht schlechthin vom Ausländer. Das ist jeder,
der nicht das Schweizer Bürgerrecht besitzt. Die Landesverweisung eines
niedergelassenen Ausländers ist möglich (BGE 112 IV 70). Gegenüber einem
Ausländer, der seit langem in der Schweiz lebt, hier verwurzelt ist,
kaum mehr Beziehungen zum Ausland hat und durch eine Landesverweisung
deshalb hart getroffen würde, darf diese jedoch nur mit Zurückhaltung
ausgesprochen werden (BGE 104 IV 222 E. 1b).

    Auch ein Flüchtling kann des Landes verwiesen werden. Die Genfer
Flüchtlingskonvention von 1951 und das Asylgesetz sehen jedoch eine
Einschränkung vor. Gemäss Art. 32 Ziff. 1 des Abkommens vom 28. Juli
1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (SR 0.142.30) weisen die
vertragschliessenden Staaten einen Flüchtling, der sich rechtmässig auf
ihrem Gebiet aufhält, nur aus Gründen der Staatssicherheit oder der
öffentlichen Ordnung aus. Art. 44 Abs. 1 des Asylgesetzes (AsylG, SR
142.31) trägt dieser Bestimmung Rechnung und konkretisiert sie wie folgt:
"Ein Flüchtling, dem die Schweiz Asyl gewährt hat, darf nur ausgewiesen
werden, wenn er die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz gefährdet
oder die öffentliche Ordnung in schwerwiegender Weise verletzt hat". Soweit
es um die strafrechtliche Landesverweisung eines Flüchtlings geht, ist
Art. 55 StGB somit im Lichte von Art. 32 Ziff. 1 Flüchtlingskonvention
und Art. 44 Abs. 1 AsylG, d.h. gegebenenfalls restriktiver als
gegenüber anderen Ausländern, auszulegen und anzuwenden. Über die
Flüchtlingseigenschaft entscheidet der Strafrichter nötigenfalls
entsprechend den allgemeinen Voraussetzungen für die Prüfung von Vorfragen
(BGE 116 IV 105 E. 3; bestätigt in BGE 118 IV 221 E. 2, 119 IV 195 E.
2 und 121 IV 345 E. 1c).

    Bei der Verhängung der Landesverweisung verfügt der Sachrichter über
einen Ermessensspielraum. Das Bundesgericht greift nur ein, wenn er sein
Ermessen überschritten und einen unhaltbar harten oder milden Entscheid
gefällt hat (BGE 104 IV 222 E. 1b mit Hinweis).

    Entsprechend den Anforderungen an die Begründung der Strafzumessung
müssen auch bei der Landesverweisung die Gründe für deren Anordnung
im Urteil so wiedergegeben werden, dass die richtige Anwendung des
Bundesrechts nachgeprüft werden kann (BGE 117 IV 112 E. 3a).

Erwägung 2

    2.- Die Vorinstanz geht davon aus, dass der Beschwerdeführer die
Flüchtlingseigenschaft erfüllt. Sie erachtet die Landesverweisung auch
mit Blick auf die asylrechtliche Einschränkung als zulässig.

    Nach den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen
Entscheid (Art. 277bis Abs. 1 BStP) hatten der Beschwerdeführer und der
unbekannt gebliebene Mittäter den Brandanschlag detailliert geplant und
zielstrebig in die Tat umgesetzt. Sie hatten, nachdem sie sich entfernt
hatten, keinen Einfluss mehr auf die Entwicklung des Brandes. Mit der
Verwendung eines Molotowcocktails brachten sie zum Ausdruck, dass sie
einen möglichst grossen Brand legen wollten. Das Charakteristische
des Molotowcocktails besteht darin, dass das Flüssigkeitsgemisch beim
Aufprall und Zerschlagen der Flasche sofort Feuer fängt und sich rasch
ausbreitet. Der Brandanschlag war somit geeignet, einen ausserordentlich
grossen Schaden zu verursachen und Leib und Leben von Menschen,
insbesondere der betroffenen Feuerwehrleute, in Gefahr zu bringen.
Dass der Brandanschlag nicht schwerere Folgen hatte, ist nur der
frühen Alarmierung und dem schnellen Eingreifen der Berufsfeuerwehr zu
verdanken. In Anbetracht dieser Umstände ist eine schwerwiegende Verletzung
der öffentlichen Ordnung im Sinne von Art. 44 Abs. 1 AsylG zu bejahen. Die
Aussprechung der Landesverweisung verletzt deshalb Bundesrecht nicht.

Erwägung 3

    3.- Die Vorinstanz führt aus, eine Landesverweisung von 10 Jahren
entspreche sowohl dem schweren Tatverschulden wie dem Sicherungsbedürfnis
der Schweiz.

    Damit stützt sich die Vorinstanz zwar auf die für die Bemessung
der Landesverweisung wesentlichen Gesichtspunkte. Auffallend ist
jedoch die Diskrepanz zwischen der Dauer der Hauptstrafe und jener der
Landesverweisung. Die Vorinstanz auferlegte dem Beschwerdeführer eine
Gefängnisstrafe von 18 Monaten (bedingt). Sie ging dabei unter Hinweis
auf die Erwägungen des Bezirksgerichtes aus von einem Strafrahmen von
6 Monaten Gefängnis bis zu 20 Jahren Zuchthaus. Sie hat die Hauptstrafe
also vergleichsweise tief angesetzt. Im Verhältnis dazu ist die Dauer
der Landesverweisung lang. Worauf diese Diskrepanz zurückzuführen ist,
ergibt sich aus dem angefochtenen Urteil nicht. Zwar braucht bei einer
tiefen Hauptstrafe nicht notwendigerweise eine kurze Landesverweisung
ausgesprochen zu werden und bei einer hohen Hauptstrafe nicht zwingend eine
lange. So kann etwa bei einem vermindert Schuldfähigen (Art. 11 StGB) ein
grosses Sicherungsbedürfnis bestehen, und wenn der Verurteilte überdies in
der Schweiz nicht verwurzelt ist, kann sich trotz einer tiefen Hauptstrafe
eine längere Landesverweisung rechtfertigen. Ebenso kann bei einem
mehrfach Straffälligen wegen der Häufung der Taten und des sich daraus
ergebenden Sicherungsbedürfnisses eine längere Landesverweisung angemessen
sein, auch wenn die letzte Tat, wegen der es zur Verurteilung kommt,
verschuldensmässig nicht besonders schwer wiegt. Auf der andern Seite kann
gegebenenfalls trotz schweren Verschuldens eine kurze Landesverweisung
oder ein Verzicht auf die Nebenstrafe gerechtfertigt sein, wenn etwa der
Täter in einer Ausnahmesituation gehandelt hat und eine Tatwiederholung
deshalb unwahrscheinlich ist. In der Regel ist aber bei einem schweren
Verschulden ein erhöhtes Sicherungsbedürfnis gegeben und bei einem leichten
Verschulden ein geringes. Zwischen der Dauer der Hauptstrafe und jener der
Landesverweisung wird deshalb in der Regel eine gewisse Übereinstimmung
bestehen (vgl. THORMANN/VON OVERBECK, Das Schweizerische Strafgesetzbuch,
1. Band, Art. 55 N. 6; PETER MARTIN TRAUTVETTER, Die Ausweisung von
Ausländern durch den Richter im schweizerischen Recht, Diss. Zürich 1957,
S. 38). Ist das nicht der Fall, verhängt die kantonale Behörde also neben
einer hohen Hauptstrafe eine kurze Landesverweisung oder - wie hier -
neben einer vergleichsweise tiefen Hauptstrafe eine im Verhältnis dazu
lange Landesverweisung, so muss sie das hinreichend begründen.

    Diesen erhöhten Begründungsanforderungen genügen die dargelegten
knappen Ausführungen im angefochtenen Urteil nicht. Die Beschwerde
wird in diesem Punkt deshalb gutgeheissen. Die Vorinstanz wird entweder
darzulegen haben, weshalb trotz der für eine vorsätzliche Brandstiftung
vergleichsweise milden Hauptstrafe eine Landesverweisung von 10 Jahren
angemessen ist, oder eine kürzere Landesverweisung auszusprechen haben.

Erwägung 4

    4.- a) Gemäss Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB kann der Richter den
Vollzug der Landesverweisung aufschieben, wenn Vorleben und Charakter des
Verurteilten erwarten lassen, er werde dadurch von weiteren Verbrechen
oder Vergehen abgehalten.

    Ob die Landesverweisung bedingt aufgeschoben oder vollzogen werden
soll, hängt einzig von der Prognose über das zukünftige Verhalten
des Verurteilten in der Schweiz ab; nicht von Bedeutung ist dabei die
Frage, ob die Aussichten der Wiedereingliederung in der Schweiz oder
im Heimatland besser sind. Ob der bedingte Vollzug geeignet sei,
den Angeklagten von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten,
muss aufgrund einer Gesamtwürdigung entschieden werden (BGE 119 IV 195
E. 3b mit Hinweisen). In die Beurteilung miteinzubeziehen sind neben den
Tatumständen das Vorleben und der Leumund sowie alle weiteren Tatsachen,
die gültige Schlüsse auf den Charakter des Täters und die Aussichten seiner
Bewährung zulassen. Es ist unzulässig, unter den nach Art. 41 Ziff. 1
Abs. 1 StGB zu berücksichtigenden Umständen einzelnen eine vorrangige
Bedeutung beizumessen und andere zu vernachlässigen oder überhaupt ausser
acht zu lassen (BGE 118 IV 97 E. 2b; 98 IV 159 E. 1).

    b) Die Vorinstanz begründet die Verweigerung des bedingten Vollzugs
für die Landesverweisung damit, der Beschwerdeführer sei in der Schweiz
nicht eingegliedert. Er verstehe weder die hiesige Sprache, noch sei
er mit den Gepflogenheiten unseres Landes vertraut. Er habe in der
Türkei keine Berufsausbildung abgeschlossen, weshalb seine Chancen auf
dem schweizerischen Arbeitsmarkt gering seien. Die Vorinstanz lässt
damit wesentliche Umstände ausser acht. Sie berücksichtigt nicht, dass
es sich beim Beschwerdeführer um einen Ersttäter handelt und er zur
Zeit der Brandstiftung erst 19 Jahre alt war und noch nicht die volle
Einsicht in das Unrecht der Tat besass. Bei der Prüfung des bedingten
Vollzugs für die Hauptstrafe legt die Vorinstanz dar, die Frage, ob der
Beschwerdeführer bereit sei, sich an die schweizerischen Gesetze und
Vorschriften zu halten, habe er an der Berufungsverhandlung mit einem
spontanen "selbstverständlich" beantwortet. Es könne deshalb entgegen
dem Bezirksgericht nicht gesagt werden, dass beim Beschwerdeführer eine
"offensichtliche Einsichtslosigkeit" gegeben sei. Auf diesen Gesichtspunkt
kommt die Vorinstanz bei der Prüfung des bedingten Vollzugs für die
Landesverweisung, wo er ebenfalls eine Rolle gespielt hätte, nicht mehr
zurück. Sie trägt sodann der Warnwirkung der langen Untersuchungshaft
von 319 Tagen nicht Rechnung. Ferner würdigt sie nicht die Verfügung
des Bundesamtes für Flüchtlinge vom 18. Oktober 1996. Danach erfüllt
der Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft. Das Bundesamt befand
ihn jedoch wegen des Brandanschlages für asylunwürdig und lehnte
das Asylgesuch deshalb ab. Infolge Unzulässigkeit des Vollzugs der
Wegweisung verfügte es die vorläufige Aufnahme des Beschwerdeführers
in der Schweiz. Die Vorinstanz hätte berücksichtigen müssen, dass die
Ablehnung des Asylgesuchs wegen des strafbaren Verhaltens eine warnende
Wirkung auf den Beschwerdeführer haben konnte.

    c) Die Beschwerde wird deshalb auch in diesem Punkt gutgeheissen. Die
Vorinstanz wird eine Gesamtwürdigung aller wesentlichen Umstände
vorzunehmen und gestützt darauf neu darüber zu befinden haben, ob für
die Landesverweisung der bedingte Vollzug gewährt werden kann oder nicht.

Erwägung 5

    5.- (Kostenfolgen).