Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 123 II 69



123 II 69

11. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 27. Januar 1997 i.S. "medicall ag" gegen Schweizerische Radio- und
Fernsehgesellschaft (SRG) und Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio
und Fernsehen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 55bis Abs. 5 BV, Art. 6 EMRK, Art. 63 RTVG; Zulässigkeit der
Betroffenenbeschwerde von Vereinigungen. Planwidrige Unvollständigkeit
des Gesetzes?

    Bestätigung der Rechtsprechung, wonach Art. 63 RTVG - anders als im
alten Recht Art. 14 lit. c des Bundesbeschlusses über die Unabhängige
Beschwerdeinstanz - die Betroffenenbeschwerde für Vereinigungen nicht
mehr vorsieht (E. 2-4).

Sachverhalt

    Am 10. Oktober 1995 strahlte das Schweizer Fernsehen DRS im
Rahmen der Sendung "Kassensturz" einen kritischen Beitrag über
den Rückführungstransport einer in Ischia erkrankten Schweizerin
aus. Verantwortlich dafür sei das in der Schweiz ansässige
Assistance-Unternehmen "medicall ag" gewesen.

    Gegen diesen Beitrag gelangte die "medicall ag" am 16. Januar 1996
an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (im weitern
auch: Unabhängige Beschwerdeinstanz oder UBI). Diese trat am 24. Mai 1996
auf die Eingabe nicht ein, da nach dem Bundesgesetz vom 21. Juni 1991
über Radio und Fernsehen (Radio- und Fernsehgesetz, RTVG; SR 784.40)
juristische Personen nicht beschwerdelegitimiert seien.

    Die "medicall ag" hat gegen diesen Entscheid am 5. Juli 1996
Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht. Sie beantragt, den angefochtenen
Entscheid aufzuheben und die Sache zur materiellen Beurteilung an die
Unabhängige Beschwerdeinstanz zurückzuweisen.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab

Auszug aus den Erwägungen:

                   aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Der Entscheid der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und
Fernsehen über die rundfunkrechtliche Konformität von Sendungen kann beim
Bundesgericht mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden (Art.
65 Abs. 2 RTVG). Die Beschwerdebefugnis richtet sich dabei ausschliesslich
nach Art. 103 OG und ergibt sich nicht bereits aus der Beteiligung am
vorinstanzlichen Verfahren (BGE 121 II 359 E. 1a S. 361, 454 E. 1a S. 455).

    b) Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Unabhängige
Beschwerdeinstanz sei zu Unrecht auf ihre Eingabe nicht eingetreten. Das
Bundesgericht bejaht in solchen Fällen die Legitimation des Betroffenen
unabhängig vom Rechtsschutzinteresse in der Sache selber (BGE 121 II 454
E. 1b S. 456 mit Hinweisen); auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist
deshalb einzutreten.

Erwägung 2

    2.- a) Zur Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz ist
befugt, wer im Beanstandungsverfahren vor der Ombudsstelle beteiligt
war, mindestens 18 Jahre alt ist, über das Schweizerbürgerrecht oder
als Ausländer über eine Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung
verfügt und entweder eine Beschwerde einreicht, die von mindestens
weiteren 20 Personen unterzeichnet ist (Art. 63 Abs. 1 lit. a RTVG,
Quorums- oder Popularbeschwerde), oder eine enge Beziehung zum Gegenstand
einer oder mehrerer Sendungen nachweist (Art. 63 Abs. 1 lit. b RTVG,
Betroffenenbeschwerde). Beschwerdebefugt sind ferner alle Behörden, soweit
sie in ihrem Tätigkeitsbereich betroffen sind, sowie das Eidgenössische
Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement (Art. 63 Abs. 2 RTVG).

    b) Im Unterschied zur geltenden Regelung sah Art. 14 lit. c
des Bundesbeschlusses vom 7. Oktober 1983 über die Unabhängige
Beschwerdeinstanz (BB UBI; AS 1984 153 ff.) auch eine Beschwerdebefugnis
für Vereinigungen vor, die eine enge Beziehung zum Gegenstand einer
oder mehrerer beanstandeter Sendungen nachwiesen. Die Unabhängige
Beschwerdeinstanz und die Doktrin gehen davon aus, mit der Neuregelung im
Radio- und Fernsehgesetz sei diese Befugnis entfallen (GABRIEL BOINAY,
La contestation des émissions de la radio et de la télévision, Porrentruy
1996, Rz. 436; LEO SCHÜRMANN/PETER NOBEL, Medienrecht, 2. Aufl., Bern
1993, S. 204; MARTIN DUMERMUTH, Die Programmaufsicht bei Radio und
Fernsehen in der Schweiz, Basel u. Frankfurt a.M. 1992, S. 250; derselbe,
Rundfunkrecht, in: KOLLER/MÜLLER/RHINOW/ZIMMERLI (Hrsg.), Schweizerisches
Bundesverwaltungsrecht, Basel u. Frankfurt a.M. 1996, S. 193, Rz. 468;
vgl. auch FRANZISKA BARBARA GROB, Die Programmautonomie von Radio und
Fernsehen in der Schweiz, Zürich 1994, S. 73). Das Bundesgericht hat
diese Auffassung in einem jüngeren Entscheid geteilt und festgehalten,
dass die Regelung von Art. 63 Abs. 1 RTVG auf natürliche Personen
zugeschnitten sei; die beschwerdeführende Genossenschaft für Schlachtvieh-
und Fleischversorgung gehe deshalb zu Recht nicht davon aus, bereits
als betroffene juristische Person zur Beschwerde an die Unabhängige
Beschwerdeinstanz legitimiert zu sein (BGE 121 II 454 E. 2a S. 456 f.). An
dieser Rechtsprechung ist festzuhalten.

Erwägung 3

    3.- a) aa) Der Wortlaut von Art. 63 Abs. 1 RTVG ist unzweideutig
und klarerweise auf natürliche Personen ausgelegt, indem er für
die Beschwerdebefugnis ein Mindestalter von 18 Jahren sowie das
Schweizerbürgerrecht bzw. eine Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung
voraussetzt. Zwar wollte der Bundesrat die bisherige Regelung über
die Unabhängige Beschwerdeinstanz übernehmen und auch Vereinigungen
mit enger Beziehung zum Sendegegenstand eine Beschwerdeberechtigung
einräumen (Art. 59 lit. c des bundesrätlichen Entwurfs, BBl 1987 III
773). Der Nationalrat strich jedoch die Betroffenenbeschwerde gänzlich
(Amtl.Bull. 1989 N 1674 f.), und der Ständerat führte sie nur für
die natürlichen Personen wieder ein (Amtl.Bull. 1990 S 614 f.). Im
Differenzbereinigungsverfahren schloss sich der Nationalrat dieser Lösung
an (Amtl.Bull. 1991 N 345, 355).

    bb) Dem Gesetzgeber ging es in erster Linie um eine "Verwesentlichung
des Verfahrens vor der UBI" (vgl. das Votum der Kommissionssprecherin
Uchtenhagen, Amtl.Bull. 1989 N 1673). Nach Ansicht der Mehrheit der
nationalrätlichen Kommission sollte sich die UBI nicht mehr, wie dies
bisher oft der Fall gewesen sei, mit "Bagatellfällen" und mit Anliegen
befassen müssen, für die privat- oder strafrechtliche Rechtsmittel zur
Verfügung stünden (Sitzung der nationalrätlichen Kommission vom 27. Januar
1989, S. 662 f. u. S. 675 f.). Die ständerätliche Kommission teilte
diese Auffassung, wollte aber im Hinblick auf die Beschwerdebefugnis
vor Bundesgericht die Legitimation für betroffene natürliche Personen im
Verfahren vor der UBI beibehalten. Die Verbände und juristischen Personen
verwies sie auf die bestehenden Beschwerdemöglichkeiten, vorab auf die
Popularbeschwerde (Protokoll der Sitzung der ständerätlichen Kommission
vom 8. Mai 1990, S. 207 ff.; vgl. SCHÜRMANN/NOBEL, aaO, S. 204).

    b) Das programmrechtliche Aufsichtsverfahren dient ausschliesslich dem
Schutz der unverfälschten Willens- und Meinungsbildung der Öffentlichkeit
(vgl. J.P. Müller/F. Grob, in Kommentar BV, Art. 55bis, Rz. 79). Das
Verfahren vor der UBI ist "ein im Interesse des Publikums liegendes
Verfahren sui generis zum Schutz vor unzulässigen Sendungen"; es ist
nicht - wie etwa das Gegendarstellungsrecht - als Rechtsschutz für den
Einzelnen gedacht, "sondern zur Überprüfung von Sendungen im Interesse
der Öffentlichkeit und ihrer ungehinderten Willensbildung als wichtiges
Element der Demokratie" (BBl 1987 III 708). Anknüpfungspunkt der
Programmaufsicht bildet somit nicht ein privates Rechtsschutzinteresse,
sondern das öffentliche Interesse an einer ausgewogenen und sachgerechten
Information der Allgemeinheit. Dies ergibt sich bereits daraus, dass nicht
jede natürliche Person mit einer engen Beziehung zum Sendegegenstand
beschwerdebefugt ist. Das Gesetz verlangt zusätzlich ein Mindestalter
von 18 Jahren sowie das Schweizerbürgerrecht oder (für Ausländer) eine
Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung. Bezweckte die Beschwerde,
die privaten Rechte der von einer Sendung Betroffenen zu schützen,
liesse sich eine derartige Einschränkung der Beschwerdebefugnis auf
Schweizerbürger und Zuschauer im schweizerischen Sendegebiet sachlich kaum
rechtfertigen. Der gleiche Schluss drängt sich aber auch mit Blick auf
die Prüfungsbefugnis der UBI auf: Jene beschränkt sich regelmässig nicht
auf die vom Betroffenen konkret beanstandete Sequenz, sondern umfasst
jeweils die Programmrechtskonformität des ganzen Beitrags (vgl. BGE 121
II 29 E. 2a S. 31). Bei der Programmaufsicht geht es um ein staatliches
Aufsichtsverfahren, das gegebenenfalls von den Fernsehzuschauern ausgelöst
werden soll. Wenn der Gesetzgeber die Beschwerdebefugnis in Art. 63
RTVG deshalb auf natürliche Personen ausgerichtet hat, deren Willens-
und Meinungsbildung als Zuschauer durch das Aufsichtsverfahren geschützt
werden soll, ist dies sachlich vertretbar (soweit das Bundesgericht sich
hierzu überhaupt zu äussern hat; vgl. Art. 114bis Abs. 3 BV).

    c) Der Gesetzgeber hat nach dem Gesagten nicht versehentlich
die Beschwerdebefugnis der juristischen Person nicht normiert oder
ohne sachliche Gründe zwischen natürlichen und juristischen Personen
unterschieden. Das Parlament hat sich der Frage der Beschwerdelegitimation
vielmehr eingehend angenommen, sie indessen anders entschieden, als
dies die Beschwerdeführerin wünscht. Im Ständerat wurde ausdrücklich
darauf hingewiesen, dass mit der vorgeschlagenen Lösung das bisherige
Beschwerderecht der Vereinigungen, an dem der Bundesrat habe festhalten
wollen, entfalle (Votum Masoni, Amtl.Bull. 1990 S 615). Es liegt
insofern somit ein qualifiziertes Schweigen vor und nicht - wie die
Beschwerdeführerin meint - eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes,
die Raum liesse für eine richterliche Lückenfüllung (so auch Gabriel
Boinay, aaO, Rz. 436).

Erwägung 4

    4.- a) Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin kann auch aus
Art. 55bis BV nicht gefolgert werden, dass der Zugang zur Unabhängigen
Beschwerdeinstanz durch Einführung einer Beschwerdemöglichkeit für
Vereinigungen erleichtert werden müsste. Art. 63 Abs. 1 lit. a RTVG sieht
eine Popularbeschwerde vor, für die es lediglich 20 weiterer Unterschriften
bedarf. Auf diesem Weg ist es auch juristischen Personen ohne weiteres
möglich, mit geringem Aufwand an die Unabhängige Beschwerdeinstanz zu
gelangen.

    b) Zum vornherein keine Anwendung auf das Beanstandungsverfahren
findet Art. 6 EMRK, auf den sich die Beschwerdeführerin ebenfalls
beruft. Der Aufsichtsentscheid über die rundfunkrechtliche Konformität
einer Sendung hat nämlich keinen entscheidenden Einfluss auf Rechte und
Pflichten zivilrechtlicher Natur (BGE 122 II 471, E. 2b).