Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 123 II 560



123 II 560

58. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 12.
November 1997 i.S. Kanton Luzern gegen X. und Y. sowie Eidgenössische
Schätzungskommission, Kreis 9 (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 5 EntG, Art. 16 ff. USG; Enteignung nachbarrechtlicher
Abwehransprüche bei sanierungspflichtigen öffentlichen Anlagen.

    Grundlagen und Entwicklung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
zur Enteignung nachbarrechtlicher Abwehransprüche, insbesondere im Lichte
der durch das Umweltschutzrecht des Bundes veränderten Rechtslage (E. 3).

    Vor Ablauf der gesetzlichen Sanierungsfrist kann der Betreiber einer
die Immissionsgrenzwerte für Lärm übersteigenden öffentlichen Anlage
grundsätzlich nicht zur Zahlung einer Entschädigung für die Enteignung
nachbarrechtlicher Abwehransprüche verpflichtet werden (E. 4).

Sachverhalt

    Im Gebiet des Sonnenberges in der Gemeinde Kriens und der Stadt
Luzern verläuft die Nationalstrasse A2 (N2) durch den Sonnenbergtunnel.
Das südliche Tunnelportal, an welches sich ein 70 m langes Rasterbauwerk
und eine ca. 100 m lange Brücke über eine Quartierstrasse und die
Kantonsstrasse Luzern-Kriens anschliesst, befindet sich im Grenzbereich
von Kriens und Luzern im Gebiet Grosshof; dort besteht auch ein
Anschlussbauwerk.

    1956 bzw. 1959 kauften Y. und X. je ein Grundstück an der
Sonnenbergstrasse in Kriens. Die von den neuen Eigentümern überbauten
Parzellen liegen in einer Horizontaldistanz von knapp 80 m bzw. 60 m vom
heute bestehenden Tunnel-Südportal entfernt.

    Im Rahmen der Nationalstrassenplanung wurden Ende 1960
Projektierungszonen für die Nationalstrasse Dagmersellen-Luzern
festgesetzt. Der Bundesrat genehmigte das generelle
Nationalstrassenprojekt mit einem durchgehenden Sonnenbergtunnel Mitte
1962. Das Ausführungsprojekt wurde im Mai 1964 öffentlich aufgelegt; am
2. November 1964 entschied der Regierungsrat über die Einsprachen. Damals
kündigte Y. Entschädigungsansprüche für den Fall an, dass sein Haus
durch den zu erwartenden Verkehrslärm eine Wertverminderung erfahre.
Das Ausführungsprojekt wurde am 17. Dezember 1965 vom Eidg. Departement
des Innern (EDI) genehmigt. Der Landerwerb für den Nationalstrassenbau
im interessierenden Bereich erfolgte freihändig. 1976 wurde der
Sonnenbergtunnel in Betrieb genommen. Mit der Eröffnung des Gotthard- und
des Seelisberg-Tunnels im September/November 1980 ist die A2 durchgehend
befahrbar.

    Seit der Eröffnung des Sonnenbergtunnels verlangen die Nachbarn einen
besseren Lärmschutz. Bereits 1975 und 1979 wurden Lärmberechnungen und
-messungen durchgeführt. Ein 1983 öffentlich aufgelegtes Projekt mit
Lärmschutzwänden und -dämmen wurde von Anwohnern bekämpft; sie forderten
eine Überdachung. In einem im Januar 1985 erstatteten Gutachten kam ein
Expertenbüro indes zum Schluss, dass die damals in der Praxis angewendeten
Lärm-Grenzwerte eingehalten seien.

    Aufgrund der mit Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 7. Oktober 1983
über den Umweltschutz (Umweltschutzgesetz, USG; SR 814.01) am 1. Januar
1985 und der Lärmschutz-Verordnung vom 15. Dezember 1986 (LSV; SR 814.41)
am 1. April 1987 veränderten Rechtslage arbeitete der Kanton Luzern ein
Sanierungsprojekt mit einer Überdachung der A2 im fraglichen Bereich
aus. 1991 teilte das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL)
dem Kanton aber mit, das Projekt mit Kosten von rund 50 Mio. Franken
sei unverhältnismässig.

    Am 5. August 1991 verlangten X. und Y. vom Kanton Luzern die
Einleitung eines Enteignungsverfahrens und die Zusprechung einer
"Minderwertentschädigung" für ihre Liegenschaften wegen der
Lärmbelastung. An der Einigungsverhandlung vor dem Präsidenten
der Eidg. Schätzungskommission 9. Kreis bezifferten X. und Y. ihre
Entschädigungsforderungen mit je Fr. 200'000.-- bis Fr. 250'000.--. Es
wurde Robert Hofmann, Vorsteher der Abteilung Akustik/Lärmbekämpfung
der EMPA, als Experte beigezogen; die S. AG wurde mit der Vornahme von
Lärm-Kurzzeitmessungen beauftragt. Der Regierungsrat seinerseits hielt
an einer Sitzung im Juli 1992 fest, die Sanierung der A2 im Grosshof
nur mit Lärmschutzwänden komme nicht in Frage; das Problem sei mit einer
verkürzten Überdachung zu lösen.

    Einem überarbeiteten Sanierungsprojekt mit Überdachung der A2
und Kosten von ca. 26 Mio. Franken stimmte das BUWAL im Dezember
1992 erneut nicht zu. Der Kanton nahm daher die Projektierung neuer
Sanierungsvorschläge an die Hand.

    Das im März 1993 erstattete Lärmgutachten wies aus, dass die
Immissionsgrenzwerte (IGW) während des Tages im Bereich der Grundstücke
X. und Y. eingehalten sind, nachts hingegen bei der Parzelle Y. um 1
dB(A) und bei der Parzelle X. um 2 dB(A) überschritten sind. Darauf fand
am 13. Juni 1994 die zweite Schätzungsverhandlung statt. Eine Einigung
konnte nicht erzielt werden.

    Am 16. November 1993 stimmte der Regierungsrat dem Lärmschutzprojekt
N2-Anschluss Grosshof zu. Das BUWAL genehmigte dieses Projekt am 7. April
1994 mit Vorbehalten. In der Folge stellte sich heraus, dass die für die
Beurteilung beigezogenen Lärm-Werte einer Korrektur bedürfen und daher
Sanierungserleichterungen ins Auge gefasst werden müssten.

    Zwischen dem 22. August und 20. September 1994 wurde
ein Ausführungsprojekt mit Sanierungserleichterungen öffentlich
aufgelegt. Das Projekt umfasst im wesentlichen die Erneuerung des
bestehenden Rasterbauwerks einschliesslich einer Verlängerung von
ca. 40 m beim Südportal des Sonnenbergtunnels, die Erstellung von
Lärmschutzwänden oder -dämmen längs der A2 und von Lärmschutzwänden im
Mittelstreifen der Autobahn sowie die Erstellung von Lärmschutzdämmen mit
Wänden bei den Ein- und Ausfahrtsrampen des Anschlusses Luzern-Kriens mit
Lärmschutzverkleidungen an bestehenden Brückenuntersichten, Widerlagern
und Mauern. Es gingen 28 Einsprachen ein.

    Im Rahmen der nationalstrassenrechtlichen Einspracheverhandlungen
ergab sich, dass die Sanierungserleichterungen auf Ablehnung stossen. Es
wurde daher eine Verlängerung des Rasterbauwerks ins Auge gefasst, welche
ca. 8 Mio. Franken kosten, aber eine Lärmverminderung von ca. 3 dB(A)
bringen würde. Bei den lärmmässig am stärksten betroffenen Liegenschaften
würden damit die IGW um ca. 2 dB(A) unterschritten.

    Im Oktober 1995 beschloss der Regierungsrat, diese Projektergänzung dem
BUWAL und dem Bundesamt für Strassenbau (ASB) zur Genehmigung einzureichen.

    Bereits zuvor wies die Schätzungskommission am 21. August 1995 das
zweite Sistierungsgesuch des Kantons ab. X. wurde für die lärmbedingte
Wertverminderung ihres Grundstücks für die Zeit vom 1. Januar 1991 bis
31. Dezember 1995 Fr. 31'482.-- und für die Zeit ab 1. Januar 1996 der
Jahreszins auf Fr. 100'000.-- zugesprochen; Y. erhielt eine entsprechende
Entschädigung für die Zeit vom 1. Januar 1991 bis 31. Dezember 1995 in
der Höhe von Fr. 34'917.-- und ab dem 1. Januar 1996 den Jahreszins auf
Fr. 122'000.--. Weiter hielt die Schätzungskommission fest, der ab dem
1. Januar 1996 bestehende Zinsanspruch entfalle, wenn die Beurteilungspegel
den IGW nicht mehr überstiegen.

    Der Kanton Luzern führt gegen den Entscheid der
Eidg. Schätzungskommission Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das
Bundesgericht. Dieses heisst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gut

Auszug aus den Erwägungen:

                   aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Nach Auffassung des Kantons Luzern besteht kein Raum für die
Enteignung nachbarrechtlicher Abwehransprüche, wenn eine Nationalstrasse
Immissionen über dem Immissionsgrenzwert (IGW) verursacht und daher
sanierungspflichtig ist. Wäre dem nicht so, meint der Kanton weiter,
hätte der Anlageneigentümer zweimal zu bezahlen: zunächst für die
Enteignung des nachbarrechtlichen Abwehranspruches, sodann für die
Sanierungsaufwendungen (zu dieser Problematik HEINZ AEMISEGGER, Aktuelle
Fragen des Lärmschutzrechts in der Rechtsprechung des Bundesgerichts,
Umweltrecht in der Praxis [URP] 1994 S. 447 f.). Solche Doppelzahlungen
seien nicht im Sinne des Enteignungs- und des Umweltschutzgesetzes.

    a) Ergeben sich aus der Art der Bewirtschaftung oder Nutzung eines
Grundstückes übermässige Einwirkungen auf benachbarte Liegenschaften,
so können sich deren Eigentümer gestützt auf das in Art. 684
ZGB enthaltene Immissionsverbot mit den in Art. 679 ZGB genannten
nachbarrechtlichen Klagen zur Wehr setzen. Daneben verpflichtet Art. 7
Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 20. Juni 1930 über die Enteignung
(Enteignungsgesetz, EntG; SR 711) den mit dem Enteignungsrecht
ausgestatteten Anlageneigentümer, die geeigneten Vorkehren zu treffen,
um die Öffentlichkeit und die benachbarten Grundstücke gegen Gefahren
und Nachteile sicherzustellen, die mit der Erstellung und dem Betrieb
seines Unternehmens notwendig verbunden und nicht nach Nachbarrecht zu
dulden sind. Nach der bundesgerichtlichen Praxis, die durch den Entscheid
Werren (BGE 94 I 286) eingeleitet und seither in zahlreichen Urteilen
bestätigt wurde, gelten die vom Strassenverkehr ausgehenden Immissionen
als übermässig, wenn sie - kumulativ - für den Grundeigentümer nicht
voraussehbar waren, ihn in spezieller Weise treffen und ihm einen schweren
Schaden verursachen.

    Gehen von einem im öffentlichen Interesse liegenden Werk unvermeidbare
übermässige Einwirkungen aus, werden die aus dem Nachbarrecht fliessenden
Abwehrrechte des Betroffenen enteignet; der Nachbar kann nicht Beseitigung
des Lärms verlangen, sondern nur eine Enteignungsentschädigung
beanspruchen. Art. 5 Abs. 1 EntG lässt die Enteignung der aus dem
Grundeigentum hervorgehenden Nachbarrechte ausdrücklich zu. Sie wird
als zwangsweise Errichtung einer Dienstbarkeit auf dem Grundstück des
Enteigneten zugunsten des Werkeigentümers verstanden, deren Inhalt in
der Pflicht zur Duldung von Immissionen besteht (BGE 123 II 481 E. 7;
121 II 317 E. 4 und 5; 119 Ib 348 E. 4b; 116 Ib 11 E. 2a und 2b/aa).

    b) Die Wurzeln der Rechtsprechung zur Enteignung nachbarrechtlicher
Abwehransprüche liegen im Nachbarrecht des Schweizerischen
Zivilgesetzbuches (vgl. Christoph Zäch, Kommentar USG, N. 37 zu Art. 22),
insbesondere in den Art. 679 und 684 ZGB. Sie regeln den privatrechtlichen
Immissionsschutz (BGE 106 Ib 231 E. 3a; Botschaft zum Umweltschutzgesetz:
BBl 1979 III 764). Öffentlichrechtlicher Immissionsschutz war bei
Erlass des ZGB zu Beginn dieses Jahrhunderts kaum ein Thema. Mit der
fortschreitenden wirtschaftlichen Entwicklung und der damit einhergehenden
Belastung der Umwelt wurde der privatrechtliche Immissionsschutz durch
öffentlichrechtliche Bestimmungen verstärkt. So erliessen zunächst die
Kantone für die einzelnen (Bau-)Zonen Vorschriften über zulässige und
verbotene Einwirkungen (NICCOLÒ RASELLI, Berührungspunkte des privaten
und öffentlichen Immissionsschutzes, URP 1997 S. 274 ff.). Wegen der
starken Zunahme der Mobilität seit 1945 zeigte sich überdies, dass weder
die Immissionsschutzvorschriften des ZGB noch diejenigen des kantonalen
Bau- und Planungsrechtes genügen, um Lärmbelastungen wirksam zu bekämpfen
(Botschaft des Bundesrates zu Art. 24septies BV, BBl 1970 I/2 764 und
769 f.). Eine einheitliche und eingehende Regelung des Lärmschutzes auf
Bundesebene erwies sich als notwendig. Mit Art. 24septies BV, der in Abs. 1
Satz 2 die Lärmbekämpfung als eine Schwerpunktaufgabe bezeichnet, und mit
dem Umweltschutzgesetz wurde der Lärmschutz auf neue Rechtsgrundlagen
gestellt. Ziel der entsprechenden Regeln ist es, Lärmbegrenzungen
möglichst umfassend bereits an der Quelle greifen zu lassen. Bei neuen
Anlagen soll Lärm jedenfalls nicht über gewisse Schwellenwerte hinaus
toleriert werden; gegebenenfalls sind Schutzmassnahmen zugunsten der
Betroffenen anzuordnen (Art. 19-25 USG; Näheres auch in BBl 1979 III 789
ff.). Für bestehende Anlagen, welche die Immissionsgrenzwerte übersteigen,
besteht eine Sanierungspflicht (Art. 16-18 USG, Art. 13-20 LSV; BGE 122
II 33 E. 3c).

    c) Das Eigentum ist verfassungsrechtlich gewährleistet (Art. 22ter
BV). Für die Bestimmung des Eigentumsinhaltes knüpft die Bundesverfassung
an die herkömmlichen Formen der Sachherrschaft, namentlich an den
privatrechtlichen Eigentumsbegriff an. Bund und Kantone können jedoch im
Rahmen ihrer verfassungsmässigen Befugnisse auf dem Wege der Gesetzgebung
im öffentlichen Interesse die Enteignung oder Eigentumsbeschränkungen
vorsehen (Art. 22ter Abs. 2 BV). Anpassungen des Eigentumsinhaltes
an veränderte Verhältnisse und gewandelte Auffassungen sind damit
verfassungsrechtlich zulässig (GEORG MÜLLER in Kommentar BV, Art. 22ter,
Rz. 1; eingehend zur Eigentumsgarantie als durch die Gesetzgebung
konkretisierungsbedürftiges Grundrecht und zum Verhältnis zwischen
Bestimmung des Eigentumsinhaltes und der Festlegung von Eigentumsschranken:
GEORG MÜLLER, Privateigentum heute, ZSR 1981 II 48 ff.). In Übereinstimmung
mit der verfassungsrechtlichen Ordnung hält Art. 641 ZGB fest, dass sich
der Inhalt des Eigentums aus den Schranken der Rechtsordnung ergibt.
Trotz gleichbleibender privatrechtlicher Regelung kann sich somit -
bedingt durch die fortwährende Änderung des öffentlichen Rechts - der
Eigentumsinhalt wandeln (Robert Haab/August Simonius/Werner Scherrer/Dieter
Zobl, Zürcher Kommentar zum ZGB, N. 1 zu Art. 641).

    Eine neue Inhaltsbestimmung des Eigentums ergab sich nach
Auffassung von Arthur Meier-Hayoz (Berner Kommentar zum ZGB, N. 115
zu Art. 684) unter anderem aus den vorstehend (E. 3b) erwähnten,
in den kantonalen Zonenordnungen oder an anderer Stelle des
kantonalen Bau- und Planungsrechtes verankerten öffentlichrechtlichen
Immissionsschutzvorschriften. Die gleiche Tragweite kommt nach Meinung
weiterer Autoren und des Bundesgerichtes der Neuordnung des Bodenrechtes
durch Art. 22quater BV und das Bundesgesetz über die Raumplanung vom
22. Juni 1979 (Raumplanungsgesetz, RPG; SR 700) zu (BGE 122 II 326 E. 4a;
118 Ib 38 E. 2a; 114 Ib 100 E. 3c und 114 Ib 301 E. 3c; HEINZ REY, Die
Grundlagen des Sachenrechts und das Eigentum, Bern 1991, S. 8 f.; ENRICO
RIVA, Hauptfragen der materiellen Enteignung, Bern 1990, S. 178; MARTIN
LENDI, Planungsrecht und Eigentum, ZSR 1976 I 142). Verhält es sich so,
muss jedenfalls auch den Bestimmungen des Umweltschutzgesetzes über den
Lärm- bzw. den Immissionsschutz, zu dem die Sanierungsvorschriften zählen
(Art. 11-25 USG), die gleiche inhaltsbestimmende Bedeutung zukommen (so
ausdrücklich GEORG MÜLLER, Privateigentum heute, aaO, S. 84 ff.). Denn seit
Erlass des Umweltschutzgesetzes sind die genannten öffentlichrechtlichen
Immissionsschutzvorschriften des kantonalen Bau- und Planungsrechtes
weitgehend durch das Umweltschutzgesetz ersetzt worden bzw. hat das
kantonale Recht seine eigenständige Bedeutung verloren, soweit sein
materieller Gehalt sich mit dem Bundesrecht deckt oder weniger weit geht
als dieses (BGE 118 Ia 112 E. 1b; 118 Ib 590 E. 3).

    d) Nach ausdrücklicher Bestimmung von Art. 5 EntG können neben
anderen dinglichen Rechten an Grundstücken auch die aus dem Grundeigentum
hervorgehenden Nachbarrechte Gegenstand der Enteignung bilden (Art. 5
Abs. 1 EntG; BGE 123 II 481 E. 7a; vgl. BGE 106 Ib 231 E. 3b/bb
und cc, wo die Frage aufgeworfen wurde, ob auch für die Abweichung
von öffentlichrechtlichen Bestimmungen ein Enteignungsverfahren
durchzuführen sei, was für die Abweichung von gemischt-rechtlichen
bzw. Doppelnormen bejaht wurde). Die Enteignungspraxis wurde von der
vorstehend dargestellten Rechtsfortbildung ebenfalls erfasst. So führte
vor allem die Umweltschutzgesetzgebung des Bundes im Zusammenhang
mit der Enteignung nachbarrechtlicher Abwehransprüche zu neuen
Fragestellungen (vgl. ALAIN WURZBURGER, De quelques incidences de la loi
fédérale sur la protection de l'environnement sur le droit privé, in:
Verfassungsrechtsprechung und Verwaltungsrechtsprechung, Zürich 1992,
S. 183 ff.). Das Bundesgericht verschloss sich ihnen nicht. In drei
Punkten bestand Anlass zur Präzisierung der Rechtsprechung.

    aa) Im nicht veröffentlichten Entscheid vom 12. Juni 1989
i.S. Basel-Stadt (E. 3) hielt das Bundesgericht fest, die sachliche
Zuständigkeit der Eidg. Schätzungskommission sei gegeben, wenn ein
mit dem Enteignungsrecht ausgestattetes Unternehmen Rechte entziehe
oder beschränke, die Enteignungsobjekte bildeten. Nachbarrechte könnten
gemäss Art. 5 EntG Gegenstand der Enteignung sein. Gingen Immissionen von
einem Werk aus, für das dem Werkeigentümer das Enteignungsrecht zustehe,
könne der Geschädigte gestützt auf Art. 5 EntG auf dem Enteignungsweg
eine Entschädigung verlangen, worüber der Enteignungsrichter
entscheide. Die damaligen Gesuchsteller hatten sich zur Begründung
ihrer Entschädigungsforderung auf das Enteignungsgesetz berufen und sich
bewusst an den Enteignungsrichter gewandt. Das Bundesgericht stellte klar,
die Eidg. Schätzungskommission habe nicht darüber zu befinden, ob die
Gesuchsteller auch gestützt auf das Umweltschutzgesetz Ansprüche erheben
könnten, wenn sich die enteignungsrechtlichen Entschädigungsforderungen
als unbegründet erwiesen.

    In BGE 116 Ib 11 (E. 3b) und 119 Ib 348 (E. 6c) wurden diese
Grundsätze bestätigt. Ergänzend wurde festgehalten, das Enteignungsgesetz
und das Umweltschutzgesetz wiesen Berührungspunkte auf, doch verfolgten
sie grundsätzlich verschiedene Zwecke. Während das Umweltschutzgesetz
Menschen, Tiere und Pflanzen gegen schädliche oder lästige Einwirkungen
schützen wolle (Art. 1 Abs. 1 USG), ermögliche das Enteignungsgesetz dem
Gemeinwesen, sich die zur Erfüllung seiner Aufgaben notwendigen Güter
zwangsweise zu beschaffen und allfällige Hindernisse zu beseitigen (Art. 1
EntG; BGE 116 Ib 11 E. 3b). Dazu führte das Bundesgericht in BGE 119 Ib 348
(E. 6c/bb) weiter aus, der Bundesgesetzgeber habe mit Art. 5 und 18 EntG
(Entschädigung in Form von Sachleistungen) die geeigneten Rechtsinstrumente
geschaffen, damit einerseits der so erlittene finanzielle Schaden mittels
Geld behoben und anderseits das Wohlbefinden nicht nur der Eigentümer,
sondern auch der Bevölkerung im allgemeinen geschützt werden könne. In BGE
121 II 317 ergänzte das Bundesgericht, dass auch nach Inkrafttreten des
Umweltschutzgesetzes Art. 5 EntG anzuwenden sei. Nur die Anwendung der
Bestimmungen über die Enteignung der nachbarrechtlichen Abwehransprüche
ermögliche es den betroffenen Eigentümern, Schadenersatz zu erhalten.

    bb) Hinsichtlich der Voraussetzungen für die Zusprechung einer
Entschädigung für die Enteignung nachbarrechtlicher Abwehransprüche
(Unvorhersehbarkeit, Spezialität und Schwere der vom Strassenverkehr
ausgehenden Beeinträchtigungen; vorstehende E. 3a) stellte das
Bundesgericht in BGE 116 Ib 11 (E. 3a) klar, dass eine Überschreitung der
in den Anhängen zur Lärmschutz-Verordnung festgelegten Alarmwerte nicht auf
die Unvorhersehbarkeit von Immissionen schliessen lasse. Die Alarmwerte
könnten - wenn überhaupt - nur im Zusammenhang mit der Voraussetzung der
Spezialität und allenfalls bei der Bemessung des Schadens berücksichtigt
werden. Seit BGE 119 Ib 348 (E. 5b/cc) gilt der Immissionsgrenzwert für
Lärm nach Anhang 3 zur Lärmschutz-Verordnung als Schwelle, jenseits der
das Erfordernis der Spezialität bei Strassenlärm erfüllt ist (im gleichen
Sinne BGE 121 II 317 E. 5 und 6 bei Fluglärm; hinsichtlich der Anwendung
des Kriteriums der Spezialität, wenn im Anhang zur Lärmschutz-Verordnung
keine Immissionsgrenzwerte festgelegt worden sind: BGE 119 Ib 348 E. 8;
vgl. auch BGE 122 II 337 E. 3a).

    cc) Eine weitere Klarstellung erfolgte hinsichtlich der Art einer zu
bezahlenden Enteignungsentschädigung. Grundsätzlich ist sie in Geld zu
leisten (Art. 17 EntG). Der Enteignungsrichter ist jedoch gehalten, eine
Sachleistung (Art. 18 EntG) in Form von Schallschutzmassnahmen an Gebäuden
zuzusprechen, wenn durch eine solche, von der Umweltschutzgesetzgebung
ausdrücklich vorgesehene Massnahme (vgl. Art. 20 USG) die vom Enteigneten
erlittenen Nachteile ganz oder teilweise behoben und gleichzeitig Personen,
die in einem den Immissionen ausgesetzten Gebäude wohnen (Mieter, Pächter),
wirksam in ihrem Wohlbefinden geschützt werden können (BGE 122 II 337
E. 4b; 121 II 350 E. 7; 119 Ib 348 E. 6).

    e) Aus der zitierten Rechtsprechung lässt sich nicht ableiten,
dass die Sanierungspflicht einer Anlage einem enteignungsrechtlichen
Entschädigungsanspruch zum vornherein entgegensteht. Diese Frage war
noch gar nie zu prüfen. Sie wirft eine Reihe von Problemen auf. Aufgrund
der gegebenen tatsächlichen Ausgangslage brauchen hier freilich nicht
alle denkbaren Sachverhaltsvarianten beurteilt zu werden. Vorliegend
geht es um eine öffentliche Anlage, von welcher feststeht, dass sie
jedenfalls seit Beginn der neunziger Jahre und damit nach Inkrafttreten
des Umweltschutzgesetzes Immissionen bewirkt, welche die Sanierungs- und
allenfalls eine Entschädigungspflicht begründen. Ob die Voraussetzungen
für die Zusprechung einer Enteignungsentschädigung tatsächlich gegeben
sind, ist im folgenden zu prüfen.

Erwägung 4

    4.- a) Die A2 im Bereiche des Südportales des Sonnenbergtunnels ist
sanierungspflichtig. Am Augenschein, an welchem sich die bundesgerichtliche
Delegation über das Ausmass der aktuellen Lärmbelastung eingehend ins
Bild setzen konnte, wurde das seitens der Vertreter des Kantons Luzern
vorbehaltlos bestätigt. Sie haben bei dieser Gelegenheit nicht nur auf
die verschiedenen vom Kanton bisher erarbeiteten Sanierungsprojekte
hingewiesen, sondern auch den Willen des Kantons betont, die Sanierung
innert der gesetzlichen Frist bis zum 1. April 2002 in Angriff zu
nehmen, sofern die zuständigen Bundesstellen grünes Licht geben und dem
Sanierungsprojekt von den Nachbarn nicht Opposition erwächst.

    Dass Altanlagen erheblich zur Lärmbelastung beitragen, war bei Erlass
des Umweltschutzgesetzes klar. Zur Durchsetzung des in der Bundesverfassung
hervorgehobenen öffentlichen Interesses an einem wirksamen Lärmschutz (Art.
24septies Abs. 1 Satz 2 BV) wurden daher die Anlageninhaber verpflichtet,
ihre Anlagen den Anforderungen der Umweltschutzgesetzgebung anzupassen
(Art. 16 USG; ANDRÉ SCHRADE, Kommentar USG, N. 1 ff. Vorbemerkungen zu
Art. 16-18). Nur damit kann der Schutz vor schädlichen oder lästigen
Einwirkungen (Art. 24septies Abs. 1 Satz 1 BV) erreicht werden. Die
Zahlung einer blossen Enteignungsentschädigung für die Duldung von Lärm
führt naturgemäss nicht zum angestrebten Verfassungsziel. Dementsprechend
kann den enteignungsrechtlichen Ansprüchen in Sachverhalten, wie
sie hier vorliegen, keine prioritäre Bedeutung, sondern allenfalls
ergänzende Funktion zukommen. Sinngemäss trug das Bundesgericht dieser
Prioritätenordnung bereits im Zusammenhang mit der Frage, in welcher
Form eine Enteignungsentschädigung auszurichten ist, seit BGE 119 Ib
348 Rechnung (bestätigt in BGE 121 II 350 E. 7 und 122 II 337 E. 4b
und E. 8). Es hielt - wie gesagt - den Enteignungsrichter an, eine
Sachleistung in Form von Schallschutzmassnahmen an bestehenden Gebäuden
anzuordnen, wenn dadurch die vom Enteigneten erlittenen Nachteile ganz
oder teilweise behoben und gleichzeitig Personen, die in einem den
Immissionen ausgesetzten Gebäude wohnen (Mieter, Pächter), wirksam in
ihrem Wohlbefinden geschützt werden können. Aus ähnlichen Überlegungen
verpflichtet das 1930 erlassene Enteignungsgesetz den Enteigner,
die geeigneten Vorkehren zu treffen, um die Öffentlichkeit und die
benachbarten Grundstücke gegen Gefahren und Nachteile sicherzustellen,
die mit der Erstellung und dem Betrieb seines Unternehmens notwendig
verbunden und nicht nach Nachbarrecht zu dulden sind (Art. 7 Abs. 3 EntG;
HEINZ HESS/HEINRICH WEIBEL, Das Enteignungsrecht des Bundes, Bd. I,
Bern 1986, N. 38 ff. zu Art. 7).

    b) aa) Art. 16 Abs. 2 USG ermächtigt den Bundesrat, Sanierungsfristen
festzulegen. Gestützt auf diese Kompetenz legte er in Art. 17 Abs. 2 LSV
die Frist für die lärmschutzrechtliche Sanierung auf den 1. April 2002
fest. Bis zu diesem Zeitpunkt muss die A2 im Bereiche des Sonnenbergtunnels
die IGW einhalten, sofern keine Erleichterungen gewährt werden. Die im
Umweltschutzgesetz vorgesehene Möglichkeit, Sanierungsfristen festzusetzen,
soll es den Anlageninhabern ermöglichen, sich auf die Anforderungen der
mit dem Umweltschutzgesetz eingeführten neuen Rechtslage einzustellen und
innerhalb einer als angemessen betrachteten Zeitspanne die notwendigen
Dispositionen zu treffen (SCHRADE, aaO, N. 1 ff. und N. 37 zu Art. 16). Es
war dem Gesetzgeber mithin bewusst, dass sachgerechte Sanierungen unter
Umständen nicht ohne erheblichen Zeit- und Planungsaufwand zu verwirklichen
sind (vgl. Art. 17 Abs. 1 und 2 LSV).

    Die Enteignungspraxis muss dieser - wie gesagt auch für die Bestimmung
des Eigentumsinhaltes massgebenden - umweltschutzrechtlichen Rechtslage
im Interesse einer greifbaren Verbesserung der Lärmsituation Rechnung
tragen. Wenn das Umweltschutzrecht des Bundes festlegt, dass ein Nachbar
einer öffentlichen Anlage Immissionen über dem IGW jedenfalls während
der vom Bundesrat kompetenzgemäss festgelegten Sanierungsfrist zu
dulden hat, kann der Betreiber einer öffentlichen Anlage vor Ablauf
dieser Frist grundsätzlich nicht zu einer Enteignungsentschädigung
verpflichtet werden (zur Pflicht, Einwirkungen öffentlicher Anlagen
unter gewissen Voraussetzungen entschädigungslos zu dulden: REY, aaO,
S. 10 f.; GEORG MÜLLER in Kommentar BV, Art. 22ter BV, Rz. 64; RIVA,
aaO, S. 276, weist darauf hin, dass sich bereits aus dem Zusammenspiel
von Art. 22ter Abs. 2 und 3 BV ergebe, dass jedenfalls ein gewisses Mass
an Eigentumsbeeinträchtigungen entschädigungslos hingenommen werden
müssten). Wollte man es anders halten, würden gerade bei öffentlichen
Anlagen die Sanierungsbestrebungen unnötigerweise erschwert, was nicht
im Interesse der betroffenen Nachbarn liegt.

    bb) Aus ähnlichen Überlegungen liess das Bundesgericht bereits vor
Inkrafttreten des Umweltschutzgesetzes Entschädigungen für die Enteignung
nachbarrechtlicher Abwehransprüche im Falle einer sanierungspflichtigen
Strassenanlage nur in engen Grenzen zu. Im nicht publizierten Urteil
vom 16. Juli 1984 i.S. Staat Bern (E. 4a) hielt es fest, gleich wie bei
entschädigungslos zu duldenden vorübergehenden Störungen, die sich aus
Bauarbeiten auf den Nachbarparzellen ergäben, sei bei einer nachträglich
sanierten Nationalstrasse eine enteignungsrechtliche Entschädigung für
die Duldung von Immissionen bis zur Sanierung nur zu leisten, wenn die
Einwirkungen ihrer Art, Stärke und Dauer nach aussergewöhnlich seien. Seit
Erlass der Umweltschutzgesetzgebung muss sich das Kriterium der Dauer
der Einwirkungen nach den Sanierungsvorschriften im Umweltschutzgesetz
und in der Lärmschutz-Verordnung richten. Solange die Sanierungsfrist
noch läuft, kann im allgemeinen nicht gesagt werden, die Einwirkungen
seien im enteignungsrechtlich relevanten Sinne ihrer Dauer nach
aussergewöhnlich. Ähnlich verhält es sich übrigens bei gewissen
Tatbeständen der vorübergehenden Enteignung im Sinne von Art. 6 EntG
(vgl. Urteil des Bundesgerichtes vom 4. Juli 1984, in ZBl 87/1986 S. 76;
BGE 109 Ib 268).

    c) All diese Erwägungen führen zur Abweisung des
Entschädigungsbegehrens, ohne dass im heutigen Zeitpunkt zu entscheiden
wäre, wie sich die Rechtslage ausnimmt, wenn die Sanierungsfrist
überschritten würde oder eine Sanierung nur mit Erleichterungen möglich
wäre.