Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 123 II 56



123 II 56

9. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
18. März 1997 i.S. X. AG und A. gegen Stadt und Kanton St. Gallen
(verwaltungsrechtliche Klage) Regeste

    Art. 41ter Abs. 2 BV; Art. 2 MWSTV; Art. 116 OG; Befreiung
von kantonalen Abgaben wegen Gleichartigkeit mit der Mehrwertsteuer;
zulässiges Rechtsmittel.

    Streitigkeiten über die Belastung mit angeblich
"gleichgearteten" kantonalen Abgaben können dem Bundesgericht nicht
mit verwaltungsrechtlicher Klage unterbreitet werden (Bestätigung der
Rechtsprechung) (E. 1-3).

    Gegen kantonale Entscheide über die Belastung mit solchen Abgaben
steht auch die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht offen. Zulässig ist
allein die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Grundsatzes
des Vorrangs des Bundesrechts (Art. 2 ÜbBest. BV) (E. 4).

Sachverhalt

    Die Stadt St. Gallen erhebt auf den Eintrittspreisen für
Kinoveranstaltungen die Vergnügungssteuer (Reglement der Stadt St. Gallen
über die Vergnügungssteuer vom 15. Mai 1990). Sodann erhebt auch der
Kanton St. Gallen auf den Billetteinnahmen eine Taxe für "regelmässige
öffentliche Filmvorführungen" und die Stadt St. Gallen einen Zuschlag
von 50% auf dieser Taxe (Art. 18 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 des kantonalen
Gesetzes über Filmvorführungen vom 21. Mai 1976).

    Die Kinounternehmung X. AG und Frau A. - diese als "gelegentliche
Kinobesucherin" - führen verwaltungsrechtliche Klage gegen Stadt und
Kanton St. Gallen. Die Klägerinnen beantragen festzustellen, dass die von
der Stadt erhobene Vergnügungssteuer und die von Kanton und Stadt erhobene
Taxe für Filmvorführungen bzw. der Zuschlag darauf zufolge Gleichartigkeit
mit der Mehrwertsteuer gegen Art. 41ter Abs. 2 BV verstossen. Stadt und
Kanton seien zu verpflichten, diese Abgaben nicht mehr zu erheben und
bereits bezogene Steuerbetreffnisse zurückzuerstatten.

    Das Bundesgericht tritt auf die verwaltungsrechtliche Klage nicht
ein und nimmt sie auch nicht als Verwaltungsgerichtsbeschwerde oder
staatsrechtliche Beschwerde entgegen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 41ter Abs. 1 lit. a und b der Bundesverfassung (BV)
kann der Bund ausser den ihm nach Art. 41bis zustehenden Steuern eine
Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer) sowie besondere Verbrauchssteuern auf Waren
erheben. Umsätze, die der Bund nach diesen Vorschriften mit einer Steuer
belastet oder steuerfrei erklärt, dürfen von den Kantonen und Gemeinden
keiner gleichgearteten Steuer unterstellt werden (Art. 41ter Abs. 2
BV). Art. 2 der Verordnung vom 22. Juni 1994 über die Mehrwertsteuer
(MWSTV, SR 641.201) konkretisiert diesen Grundsatz wie folgt:

    "Was diese Verordnung als Gegenstand der Mehrwertsteuer oder als
   steuerbefreit erklärt, ist der Belastung durch gleichgeartete Kantons-
   und

    Gemeindesteuern entzogen; Anstände, die sich aufgrund dieser Bestimmung
   ergeben, beurteilt das Bundesgericht als einzige Instanz (Art. 116  des

    Bundesrechtspflegegesetzes [OG])."

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 116 lit. f des Bundesgesetzes über die Organisation
der Bundesrechtspflege, in der Fassung gemäss Gesetz vom 20. Dezember 1968
(AS 1969 767), konnten Streitigkeiten aus dem Verwaltungsrecht des Bundes
über die Befreiung von kantonalen Abgaben mit verwaltungsrechtlicher Klage
dem Bundesgericht als einziger Instanz unterbreitet werden. Mit Änderung
der Bundesrechtspflege vom 4. Oktober 1991 (AS 1992 288) wurde indessen
lit. f von Art. 116 OG mit Wirkung auf den 1. Januar 1994 aufgehoben,
so dass die verwaltungsrechtliche Klage für solche Streitigkeiten
nicht mehr offensteht. Das Bundesgericht hat in BGE 122 II 241 E. 2c
daraus abgeleitet, dass die verwaltungsrechtliche Klage auch dann
nicht mehr zulässig sei, wenn sich ein Privater über die Verletzung von
Art. 41ter Abs. 2 BV und Art. 2 MWSTV (Verbot gleichgearteter kantonaler
und kommunaler Steuern) beschwere; der Verweis in Art. 2 MWSTV auf
die verwaltungsrechtliche Klage betreffe - sofern er nicht auf einem
Versehen beruhe - seitdem nur Streitigkeiten zwischen Behörden (vgl. Art.
116 lit. a und b OG).

    Nach dieser Rechtsprechung ist es aber ausgeschlossen, Entscheide
über die Belastung mit angeblich gleichgearteten kantonalen Steuern mit
verwaltungsrechtlicher Klage anzufechten. Entgegen der Auffassung der
Klägerinnen handelt es sich bei diesen Ausführungen des Bundesgerichts
nicht um ein obiter dictum: Über die Frage, ob die damalige Eingabe
als verwaltungsrechtliche Klage entgegenzunehmen war, musste das
Bundesgericht entscheiden. Das ergibt sich bereits daraus, dass die
Prozessvoraussetzungen - und damit die Frage des zulässigen Rechtsmittels -
von Amtes wegen und frei zu prüfen sind (vgl. BGE 122 II 241 E. 1).

    Was die Klägerinnen des weitern vorbringen, kann nicht zu einer
Änderung dieser Rechtsprechung führen.

Erwägung 3

    3.- Die Klägerinnen machen geltend, bei der Mehrwertsteuerverordnung
handle es sich um kompetenzgerecht erlassenes Übergangsrecht, das seine
verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 8 ÜbBest. BV finde. Insofern
besitze die Mehrwertsteuerverordnung gesetzesvertretenden Charakter. Das
gelte auch für die Bestimmung über den Rechtsschutz (Art. 2 MWSTV). Diese
Vorschrift gehe als lex specialis und lex posterior dem neuen Art. 116
OG vor. Art. 116 OG in der revidierten Fassung schliesse nach seinem
Wortlaut die verwaltungsrechtliche Klage für Private nicht aus.

    a) Das Schwergewicht der Revision der Bundesrechtspflege von
1991 lag erklärtermassen auf Entlastungsmassnahmen zugunsten
des Bundesgerichts. Eine dieser Massnahmen bestand darin, die
verwaltungsrechtliche Klage künftig auf jene Fälle zu beschränken,
die sich für das Verfügungsverfahren nicht eignen. Das sind vor allem
Verfahren über das bundesstaatliche Verhältnis, also zwischen Bund
und Kantonen oder zwischen den Kantonen, für die aus Gründen der
föderalistischen Rücksichtnahme der Klageweg noch beibehalten wurde
(vgl. Art. 116 lit. a und b OG). In allen anderen Fällen aus dem
Bereich des Bundesverwaltungsrechts sollte zunächst auf eine Verfügung
der dafür zuständigen Bundesverwaltungsbehörde hin eine Eidgenössische
Rekurskommission entscheiden. Dass dies der Sinn der neuen Vorschrift in
Art. 116 OG ist, ergibt sich eindeutig aus der Botschaft des Bundesrates
vom 18. März 1991 (BBl 1991 II 497 Ziff. 241.3; siehe daselbst auch
den Hinweis auf MARKUS METZ, Der direkte Verwaltungsprozess in der
Bundesrechtspflege, Basel und Stuttgart 1980, S. 181). Diese Neuerung war
bereits in der - vom Volk am 1. April 1990 verworfenen - Teilrevision der
Bundesrechtspflege enthalten (Botschaft des Bundesrates vom 29. Mai 1985,
BBl 1985 II 947) und gab auch damals, mit einer kleinen Ausnahme betreffend
lit. b, zu keinen besonderen Bemerkungen Anlass (vgl. Amtl.Bull. N 1987
376, S 1988 259).

    Die dem Bundesrat gemäss Art. 8 ÜbBest. BV in Sachen Mehrwertsteuer
zum Erlass der Ausführungsbestimmungen eingeräumte Kompetenz kann daher
nicht dahingehend verstanden werden, sie umfasse auch die Befugnis, von
der vom Parlament erst kürzlich in die Bundesrechtspflege eingeführten
Regelung abzuweichen. Art. 2 MWSTV selbst lässt nicht darauf schliessen,
dass es sich um eine Ausnahmevorschrift handelt. Wenn daher Art. 2 MWSTV
für Anstände, die sich aus der Anwendung dieser Bestimmung ergeben, auf den
Weg der verwaltungsrechtlichen Klage verweist, so kann diese Vorschrift
- insofern sie nicht auf einem Versehen beruht, was offenbleiben kann -
nur dahingehend ausgelegt werden, dass es sich um Streitigkeiten zwischen
Behörden handeln muss (vgl. Art. 116 lit. a und b OG; BGE 122 II 241 E. 2c;
ähnlich KUHN/SPINNLER, Mehrwertsteuer, Ergänzungsband, Bern 1994, S. 17).

    b) Die Zulässigkeit der verwaltungsrechtlichen Klage lässt
sich entgegen der Auffassung der Klägerinnen auch nicht aus den
Schlussbestimmungen zur OG-Revision 1991 oder aus der Verordnung des
Bundesrates vom 3. Februar 1993 über Vorinstanzen des Bundesgerichts und
des Eidgenössischen Versicherungsgerichts (SR 173.51) ableiten.

    Gemäss Ziff. 1 Abs. 3 lit. b der Schlussbestimmungen zur OG-Revision
1991 erlässt der Bundesrat Ausführungsbestimmungen u.a. über "die
Zuständigkeit für den Entscheid in den Fällen, in denen bisher
das Bundesgericht oder das Eidgenössische Versicherungsgericht als
einzige Instanz auf verwaltungsrechtliche Klage zu entscheiden hatte
und diese Klage nach den Artikeln 116 und 130 dieses Gesetzes nicht
mehr zulässig ist". In der zitierten Verordnung über die Vorinstanzen
des Bundesgerichts und des Eidgenössischen Versicherungsgerichts ist
der Bundesrat diesem Auftrag nachgekommen: In jenen Fällen, wo die
verwaltungsrechtliche Klage nicht mehr zulässig ist, hat er diejenige
Bundesverwaltungsbehörde als zuständig erklärt, die mit dem Vollzug
des in der Sache anwendbaren Erlasses betraut ist (unter Vorbehalt der
Bestimmungen von Bundesgesetzen, die den Entscheid einer kantonalen
Behörde übertragen, vgl. Art. 2 Abs. 1). Gegen Verfügungen solcher
Bundesverwaltungsbehörden ist grundsätzlich die Beschwerde an eine
eidgenössische Rekurskommission vorgesehen (vgl. Art. 3). Gemäss Art. 1
lit. g der Verordnung gilt diese Zuständigkeit namentlich auch für Fälle,
wo "ein Bundesgesetz die verwaltungsrechtliche Klage in Abweichung von
Art. 116 OG vorsieht". Aus dieser Regelung ist ersichtlich, dass der
Bundesrat den Klageweg auf die in Art. 116 OG erwähnten Fälle beschränken
wollte. Die von den Klägerinnen gezogene Schlussfolgerung, dass gerade die
Verordnung über Vorinstanzen des Bundesgerichts und des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts die massgebliche Grundlage für die in Art. 2 MWSTV
getroffene Zuständigkeitsordnung enthalte, trifft daher nicht zu. Die
Verordnung ist im vorliegenden Fall, wo es um die Erhebung kantonaler
bzw. kommunaler Abgaben geht, auch nicht anwendbar. Dieser Erlass regelt
die Zuständigkeit für jene Fälle, wo eine Bundesverwaltungsbehörde
"mit dem Vollzug des in der Sache anwendbaren Erlasses betraut" ist
(vgl. Art. 2 Abs. 1). Es gibt keine Bundesbehörde, welcher der Vollzug
der hier in Frage stehenden kantonalen Erlasse obliegt.

    c) Unbegründet sind auch die weiteren Argumente der Klägerinnen. Es
ist nicht ersichtlich, inwiefern der Grundsatz der Prozessökonomie in
Frage gestellt sein soll, wenn keine Bundesbehörde erstinstanzlich über die
Zulässigkeit der hier in Frage stehenden kommunalen und kantonalen Abgaben
befindet. Es erscheint vielmehr sinnvoll, dass zuerst die kantonalen
Instanzen sich zur Zulässigkeit der in Frage stehenden Steuern unter dem
Gesichtswinkel von Art. 41ter Abs. 2 BV und Art. 2 MWSTV äussern. Auf
diese Weise können unnötige Prozesse vor Bundesgericht vermieden werden,
was einer Zielsetzung bei der Revision der Bundesrechtspflege von 1991
entspricht. Wenn zuerst die kantonalen Instanzen entscheiden, ist auch
die einheitliche Rechtsprechung für das Gebiet der Schweiz nicht in Frage
gestellt. Es geht vorliegend um die Frage, ob die Abgaben, welche die
Stadt und der Kanton St. Gallen hier erheben, "gleichgeartete" Steuern
darstellen. Für Steuern anderer Kantone stellt sich die Frage neu.

Erwägung 4

    4.- Es bleibt zu prüfen, ob die Eingabe der Klägerinnen die
Voraussetzungen eines anderen Rechtsmittels erfüllt.

    a) Die Klägerinnen machen zu Recht nicht geltend, dass ihre Eingabe
eventuell als Verwaltungsgerichtsbeschwerde entgegenzunehmen sei. Gemäss
Art. 97 OG und 5 VwVG ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig
gegen Verfügungen, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen oder
hätten stützen sollen, von einer der in Art. 98 OG genannten Vorinstanz
ausgehen und keinem Ausschlussgrund nach Art. 99-102 OG unterliegen. Wie
das Bundesgericht in BGE 122 II 241 ausführlich begründet hat, beruhen
Verfügungen betreffend die Veranlagung kantonaler Steuern - in der Regel
ausschliesslich - auf öffentlichem Recht der Kantone. Im vorliegenden Fall
ergeben sich die streitigen Abgaben aus kantonalem und kommunalem Recht
(kantonales Gesetz über Filmvorführungen vom 21. Mai 1976; Reglement
der Stadt St. Gallen über die Vergnügungssteuer vom 15. Mai 1990).
Auch wenn sich die Klägerinnen auf die Vorschriften der Art. 41ter
Abs. 2 BV und Art. 2 MWSTV berufen, um die Unvereinbarkeit der in Frage
stehenden Besteuerung mit Bundesrecht darzutun, so beruht die Besteuerung
nicht auf Bundesrecht. Der Vorschrift in Art. 2 MWSTV kommt nur der
Rang einer Grundsatz- oder Rahmenbestimmung zu. Sie bildet aber nicht
unmittelbar anwendbares Bundesverwaltungsrecht in dem Sinne, dass eine
letztinstanzliche kantonale Verfügung über die Besteuerung sich in dieser
Hinsicht auf öffentliches Recht des Bundes stützt oder stützten müsste
(Art. 5 VwVG).

    b) Eine Verletzung der Art. 41ter Abs. 2 BV und Art. 2 MWSTV kann
folglich nur mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung des
Grundsatzes des Vorrangs des Bundesrechts, der in Art. 2 ÜbBest. BV
verankert ist und dem Bürger ein direkt mit staatsrechtlicher Beschwerde
durchsetzbares verfassungsmässiges Recht einräumt, geltend gemacht
werden (BGE 122 II 241 E. 2a und b). Diese ist gegenüber den anderen
Rechtsmitteln an das Bundesgericht subsidiär, das heisst sie kommt dann
zum Zug, wenn kein anderes Rechtsmittel gegeben ist. Sie setzt jedoch
voraus, dass von den kantonalen Rechtsmitteln Gebrauch gemacht worden
ist (Art. 86 Abs. 1 OG). An dieser Voraussetzung fehlt es hier, weshalb
die Eingabe der Klägerinnen auch nicht als staatsrechtliche Beschwerde
entgegengenommen werden kann.

    c) Geht es nicht um unmittelbar anwendbares Verwaltungsrecht des
Bundes, so kommt entgegen der Auffassung der Klägerinnen auch eine
Rückweisung der Sache an eine "geeignete erstinstanzliche Bundesstelle"
nicht in Frage; das drängt sich schon deshalb nicht auf, weil gegen die
Verfügung der letzten kantonalen Instanz das subsidiäre Rechtsmittel
der staatsrechtlichen Beschwerde offensteht. Ebenso erübrigt sich der
Meinungsaustausch mit dem Bundesrat über die Schaffung einer solchen
"Bundesstelle".