Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 123 II 371



123 II 371

40. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 19. Juni 1997 i.S.
Untersuchungsrichteramt Solothurn gegen Eidgenössische Bankenkommission
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Zulässiges Bundesrechtsmittel. Art. 102 OG, Art. 357 StGB und Art. 252
BStP. Beschwerdebefugnis. Art. 103 OG.

    Weigerung der Eidgenössischen Bankenkommission, einen Mitarbeiter
in einer Strafsache zur Zeugenaussage zu ermächtigen. Zulässigkeit der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde oder Beurteilung der Streitigkeit durch
die Anklagekammer des Bundesgerichts im Verfahren nach Art. 357 StGB
bzw. Art. 252 BStP (E. 1)?

    Ein kantonales Untersuchungsrichteramt ist nicht legitimiert zur
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Verweigerung der Ermächtigung
(E. 2).

Sachverhalt

    Das Untersuchungsrichteramt des Kantons Solothurn führt ein
Strafverfahren gegen die Verantwortlichen der Solothurner Kantonalbank
(SKB) und der (ehemaligen) Bank in Kriegstetten wegen Verdachts der
ungetreuen Geschäftsführung eventuell Amtsführung im Zusammenhang mit
der Übernahme der Bank in Kriegstetten durch die SKB. Im Rahmen dieses
Verfahrens ersuchte das Untersuchungsrichteramt mit Schreiben vom 16. Juli
1996 die Eidgenössische Bankenkommission, diejenigen Mitarbeiter der
Eidgenössischen Bankenkommission vom Amtsgeheimnis zu entbinden, die für
diesen Fall Erkenntnisse und Hinweise für die laufende Strafuntersuchung
liefern können. Auf Ersuchen der Eidgenössischen Bankenkommission
präzisierte das Untersuchungsrichteramt sein Begehren mit Schreiben vom
28. August 1996.

    Die Eidgenössische Bankenkommission teilte mit Schreiben vom
23. September 1996 dem Untersuchungsrichteramt mit, das Gesuch werde
abgelehnt, bot aber an, schriftliche Fragen in einem Amtsbericht zu
beantworten.

    Das Untersuchungsrichteramt Solothurn erhob am 23. Oktober 1996
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht mit dem Antrag, die
Verfügung der Eidgenössischen Bankenkommission vom 23. September 1996 sei
aufzuheben und die Bankenkommission sei aufzufordern, die Aufhebung des
Amtsgeheimnisses zwecks Durchführung erforderlicher Zeugeneinvernahmen zu
verfügen, eventualiter sei die Bankenkommission anzuhalten, in Sachen
Aufhebung des Amtsgeheimnisses zwecks Durchführung erforderlicher
Zeugeneinvernahmen eine Verfügung im Sinne von Art. 5 VwVG zu erlassen.

    Die Eidgenössische Bankenkommission beantragt, auf die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei nicht einzutreten und die Beschwerde
sei der Anklagekammer des Bundesgerichts weiterzuleiten und von dieser
abzuweisen; eventualiter sei die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abzuweisen.

    Das Bundesgericht tritt auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht ein

Auszug aus den Erwägungen:

                   aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Verfügungen der Eidgenössischen Bankenkommission sind mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbar (Art. 98 lit. f OG in Verbindung
mit Art. 24 BankG, SR 952.0), sofern nicht ein Ausschlussgrund gemäss Art.
99-102 OG vorliegt. Die Bankenkommission ist der Ansicht, der Entscheid,
die Ermächtigung zur Zeugenaussage zu verweigern, stelle keine Verfügung
dar. Zudem sei diese Ermächtigung als Rechtshilfehandlung im Sinne
von Art. 352 StGB zu betrachten, Anstände darüber somit gemäss 357
StGB in Verbindung mit Art. 252 Abs. 3 BStP von der Anklagekammer des
Bundesgerichts zu entscheiden. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei
daher aufgrund von Art. 102 lit. a OG ausgeschlossen.

    b) In BGE 86 IV 136 E. 1b S. 139 betrachtete sich die
Anklagekammer des Bundesgerichts in einem gleichgearteten Fall als
nach Art. 357 StGB zuständig zur Beurteilung. Demgegenüber entschied
die Anklagekammer in BGE 102 IV 217 E. 4/5 S. 222 f., der Entscheid
einer Bundesbehörde, einer kantonalen Strafuntersuchungsbehörde die
Akteneinsicht oder die Ermächtigung zur Zeugenaussage zu verweigern,
sei nicht im Verfahren gemäss Art. 357 StGB bzw. Art. 252 Abs. 3
BStP bei ihr, sondern mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbar
(ebenso die nicht publizierten Urteile der Anklagekammer i.S.
Schweizerische Bundesanwaltschaft vom 7. April 1992, E. 1e, und der I.
Zivilabteilung i.S. Untersuchungsrichteramt Bern vom 27. Juli 1982, E. 2).
Demgegenüber nahm das Bundesgericht in BGE 103 Ib 253 E. 3 S. 255 f. an,
der Entscheid einer Bundesbehörde, die Aktenherausgabe zu verweigern,
stelle keine Verfügung dar, so dass weder die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
noch die Verwaltungsbeschwerde an den Bundesrat, sondern einzig die
Aufsichtsbeschwerde (Art. 71 VwVG) zulässig sei.

    c) In dem im vorliegenden Fall durchgeführten Meinungsaustausch
erklärte sich die Anklagekammer bereit, die Praxis gemäss BGE 102 IV 217
zu verlassen und wieder zu jener nach BGE 86 IV 136 zurückzukehren. Die
Angelegenheit kann somit jedenfalls im Verfahren nach Art. 357 StGB
bzw. 252 Abs. 3 BStP durch die Anklagekammer des Bundesgerichts beurteilt
werden.

Erwägung 2

    2.- Ob der Entscheid der Bankenkommission eine Verfügung darstelle
und ob die Verwaltungsgerichtsbeschwerde aufgrund von Art. 102 lit. a OG
zum Verfahren gemäss Art. 357 StGB bzw. Art. 252 Abs. 3 BStP subsidiär
sei, kann vorliegend offenbleiben, da, wie nachfolgend zu zeigen ist,
auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde jedenfalls mangels Legitimation
des Beschwerdeführers nicht eingetreten werden kann.

    a) Das Gesetz unterscheidet die allgemeine Beschwerdebefugnis
(Art. 103 lit. a OG) und die besondere Behördenbeschwerde nach Art. 103
lit. b oder c OG. Es besteht keine besondere bundesrechtliche Vorschrift,
welche im Sinne von Art. 103 lit. c OG den Beschwerdeführer zur Beschwerde
ermächtigt. Ebensowenig kann er sich auf Art. 103 lit. b OG berufen,
da diese Bestimmung nur für Bundesbehörden gilt. Seine Legitimation kann
sich somit einzig aus Art. 103 lit. a OG ergeben.

    b) Das Bundesgericht hat in einem analogen Fall, auf den
sich der Beschwerdeführer beruft, die Beschwerdebefugnis eines
Untersuchungsrichteramtes gegen eine Verfügung der Eidgenössischen
Bankenkommission bejaht (Urteil der I. Zivilabteilung vom 27. Juli 1982,
E. 2). Die Beschwerdegegnerin kritisiert diesen Entscheid (mit Hinweis
auf ANDRÉ GRISEL, La commission fédérale des banques sous le regard
du juriste, in: 50 Jahre eidgenössische Bankenaufsicht, Zürich 1985,
S. 151-165, 160 f.). Die Frage ist erneut zu prüfen.

    c) Nach Art. 103 lit. a OG ist zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde
berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein
schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Diese
Beschwerdelegitimation ist herkömmlicherweise hauptsächlich auf Private
zugeschnitten. Nach der Praxis des Bundesgerichts ist jedoch auch
ein Gemeinwesen nach 103 lit. a OG zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde
legitimiert, soweit es gleich oder ähnlich wie ein Privater betroffen ist
(BGE 122 II 33 E. 1b S. 36; 120 Ib 89, nicht publizierte E. 1c; 118 Ib
614 E. 1b S. 616; 112 Ib 128 E. 2 S. 130, mit Hinweisen; analog die Praxis
der Bundesbehörden zu Art. 48 lit. a VwVG: VPB 59/1995 Nr. 12 S. 86). Das
gilt insbesondere dann, wenn es in seinen vermögensrechtlichen Interessen
betroffen ist (BGE 122 II 33 E. 1b S. 36, 382 E. 2b S. 383; 118 Ib 614
E. 1b S. 616). Darüberhinaus ist ein Gemeinwesen legitimiert, wenn es durch
die angefochtene Verfügung in seinen hoheitlichen Befugnissen berührt ist
und ein schutzwürdiges eigenes Interesse an der Aufhebung oder Änderung
des angefochtenen Entscheids hat, so etwa als Gläubiger von Gebühren
(BGE 119 Ib 389 E. 2e S. 391), als Inhaber der Baupolizeikompetenz
(BGE 117 Ib 111 E. 1b S. 113 f.), als Projektant einer öffentlichen
Sportanlage (BGE 112 Ib 564, nicht publizierte E. 2) oder einer Deponie
(nicht publiziertes Urteil des Bundesgerichts i.S. Kanton Thurgau vom
4. November 1993, E. 1c/aa), als Subventionsempfänger (BGE 122 II 382
E. 2b S. 383; 110 Ib 297 E. 3 S. 304 f.; nicht publiziertes Urteil
des Bundesgerichts i.S. Stadt Winterthur vom 6. Juni 1995, E. 2b;
VPB 58/1994 Nr. 39 S. 309; VPB 60/1996 Nr. 48 und 49) oder wenn es als
kostenmässig involvierte Partei Gewässerschutzmassnahmen anordnet (nicht
publiziertes Urteil des Bundesgerichts i.S. Gemeinde Sursee vom 26. März
1986, E. 1c). Desgleichen wird in der Praxis der Verwaltungsbehörden
des Bundes zur gleichlautenden Bestimmung von Art. 48 lit. a VwVG die
Legitimation des Gemeinwesens bejaht, wenn es diesem um spezifische
öffentliche Anliegen geht, z.B. den Schutz seiner Einwohner vor Fluglärm
(VPB 39/1975 Nr. 35 S. 101; VPB 54/1990 Nr. 44 S. 280), den Schutz des
Grundwassers (VPB 44/1980 Nr. 66 S. 272 f.) oder die Umwandlung einer
bedienten in eine unbediente Bahnstation (VPB 43/1979 Nr. 47 S. 225 f.;
VPB 44/1980 Nr. 60 S. 247). Demgemäss wird auch in der neueren Lehre die
Ansicht vertreten, die allgemeine Beschwerdelegitimation des Gemeinwesens
sei zu bejahen, wenn dieses als Träger öffentlicher Aufgaben schutzwürdige,
spezifische öffentliche Interessen geltend machen könne und in einem
Masse betroffen sei, das die Bejahung der Rechtsmittelbefugnis im als
verletzt gerügten Aufgabenbereich rechtfertigen lasse (ATTILIO R. GADOLA,
Die Behördenbeschwerde in der Verwaltungsrechtspflege des Bundes - ein
"abstraktes" Beschwerderecht? AJP 1993 S. 1458-1471, 1468; ALFRED KÖLZ,
Die Beschwerdebefugnis der Gemeinde in der Verwaltungsrechtspflege,
ZBl 78/1977 S. 97-142, S. 121 ff.; KÖLZ/HÄNER, Verwaltungsverfahren und
Verwaltungsrechtspflege des Bundes, Zürich 1993, S. 151; HANS RUDOLF
TRÜEB, Rechtsschutz gegen Luftverunreinigung und Lärm, Diss. Zürich 1990,
S. 194 ff.).

    d) Hingegen begründet nach ständiger Praxis das blosse allgemeine
Interesse an einer richtigen Anwendung des objektiven Bundesrechts keine
Beschwerdelegitimation des Gemeinwesens; insbesondere ist die in einem
Rechtsmittelverfahren unterlegene Vorinstanz nicht legitimiert (BGE
122 II 382 E. 2c S. 383; 112 Ia 59 E. 1b S. 62; 111 V 151 E. 2 S. 152;
110 Ib 148 E. 1c S. 154; 108 Ib 167 E. 2a S. 170; 105 Ib 348 E. 5a
S. 359; GADOLA, aaO, S. 1467; TRÜEB, aaO, S. 195). Zur Legitimation
genügt also nicht, dass ein Gemeinwesen in einem Bereich, in welchem
es zur Rechtsanwendung zuständig ist, eine bestimmte Rechtsauffassung
vertritt, die in Widerspruch steht zu derjenigen einer anderen zuständigen
bzw. übergeordneten Behörde oder Instanz. Legitimiert nach Art. 103 lit. a
OG sind sodann grundsätzlich nur Gemeinwesen als solche, nicht hingegen
einzelne Behörden oder Verwaltungszweige ohne eigene Rechtspersönlichkeit
(nicht publiziertes Urteil des Bundesgerichts i.S. PTT vom 5. März 1996,
E. 1b). Allerdings ist das Bundesgericht auch schon auf eine Beschwerde
eines kantonalen Regierungsrates eingetreten (Urteil des Bundesgerichts
i.S. Kanton Zug vom 30. September 1996, publiziert in SVR, 1997 BVG 68 207,
E. I.2b), doch handelte es sich dabei in Wirklichkeit um die Beschwerde
des Kantons, der durch den Regierungsrat vertreten wurde.

    e) Vorliegend haben die zuständigen Untersuchungsrichter die Beschwerde
klarerweise nicht als Privatpersonen, sondern in ihrer amtlichen
Eigenschaft eingereicht. Sie machen das öffentliche Interesse an der
Anwendung und Durchsetzung des Strafrechts geltend. Das ist jedoch kein
spezifisches hoheitliches Interesse, sondern ein allgemeines Interesse an
der richtigen Anwendung des objektiven Rechts und kann nach dem Gesagten
keine Beschwerdebefugnis begründen. Legitimiert wäre möglicherweise der
Kanton Solothurn als in seinem Vermögen Geschädigter. Doch kann diese Frage
offenbleiben, da der Beschwerdeführer nicht im Namen und in Vertretung
des Kantons auftritt und als Strafverfolgungsbehörde wohl auch nicht
die zuständige Behörde wäre, um Vermögensinteressen des Kantons geltend
zu machen.