Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 123 II 210



123 II 210

24. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
22. Februar 1997 i.S. D. gegen Verwaltungsgericht des Kantons Bern
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 12 Abs. 2 OHG, Art. 13 Abs. 2 OHG, Art. 17 OHG (Bemessung der
Genugtuung für Opfer von Straftaten).

    Überprüfungsbefugnis der kantonalen Beschwerdeinstanz gemäss Art. 17
OHG (E. 2).

    Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Opfers bei der Bemessung der
Genugtuung nach Art. 12 Abs. 2 OHG; analoge Anwendung zivilrechtlicher
Regeln; Bedeutung von Art. 13 Abs. 2 OHG für die Bemessung der
Genugtuung; Berücksichtigung eines krassen Missverhältnisses zwischen dem
Mitverschulden des Opfers und dem schädigenden Verhalten des Täters (E. 3).

Sachverhalt

    Am 24. Juni 1993 demonstrierten rund 300 Kurden vor der türkischen
Botschaft in Bern. Im Laufe der Kundgebung drangen verschiedene
Personen auf das Gelände der Botschaft ein. In der Folge schossen
Botschaftsangehörige auf die Demonstrationsteilnehmer. Mehrere
Demonstranten sowie ein Polizeibeamter erlitten Schusswunden; einer
der Demonstranten starb an seinen Verletzungen. Unter den Verletzten
befand sich auch D., der eine offene Unterschenkelfraktur erlitt und
vom 24. Juni bis 14. Juli 1993 im Spital behandelt werden musste; vom
24. Juni 1993 bis zum 31. Januar 1994 war er arbeitsunfähig. Die Fraktur
und die Hautabdeckung sind inzwischen ausgeheilt; es bleiben jedoch
funktionelle Beschwerden (Belastungsschmerzen). Im Zusammenhang mit der
Kundgebung vor der türkischen Botschaft wurde D. wegen Landfriedensbruchs
und Sachbeschädigung verurteilt. Die Untersuchung gegen Angehörige
der türkischen Botschaft wurde durch Beschluss der Anklagekammer des
Obergerichts des Kantons Bern vom 15. Juli 1994 aufgehoben. D. reichte
am 2. Juni 1995 ein Gesuch um Entschädigung gemäss dem Bundesgesetz vom
4. Oktober 1991 über die Hilfe an Opfer von Straftaten (Opferhilfegesetz,
OHG; SR 312.5) ein. Er verlangte Schadenersatz und Genugtuung in
nicht bezifferter Höhe. Die Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion
des Kantons Bern sprach ihm am 18. März 1996 eine Entschädigung von
Fr. 656.-- und eine Genugtuung von Fr. 2'000.-- zu. Hiegegen erhob
D. Beschwerde ans Verwaltungsgericht des Kantons Bern. Er verlangte
Schadenersatz im Betrage von Fr. 1'156.-- und Genugtuung in der Höhe von
mindestens Fr. 6'000.--. Das Verwaltungsgericht hiess die Beschwerde
am 19. September 1996 teilweise gut und legte den Schadenersatz neu
auf Fr. 1'056.-- fest. Im übrigen wies es die Beschwerde ab. Gegen den
verwaltungsgerichtlichen Entscheid erhob D. mit Schreiben vom 4., 16. und
21. Oktober 1996 Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht. Er
beantragt, der angefochtene Entscheid sei hinsichtlich der Genugtuung
aufzuheben und es sei ihm eine Genugtuung in der Höhe von mindestens
Fr. 6'000.-- zuzusprechen.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab

Auszug aus den Erwägungen:

                   aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Der Beschwerdeführer macht geltend, das Verwaltungsgericht
habe Art. 17 OHG verletzt, indem es sich bei der Überprüfung der
Höhe der zugesprochenen Genugtuungssumme eine gewisse Zurückhaltung
auferlegte. Diese Zurückhaltung laufe dem Ziel des Opferhilfegesetzes,
das materielle Haftpflichtrecht gegenüber Opfern von Straftaten landesweit
zu vereinheitlichen, diametral zuwider.

    b) Das Verwaltungsgericht hat in seiner einleitenden Erwägung
ausgeführt, dass es den angefochtenen Entscheid frei prüfe,
und zwar auch hinsichtlich der Angemessenheit der zugesprochenen
Genugtuungssumme. Weil jedoch Art. 12 Abs. 2 OHG der Behörde bei der
Bemessung der Genugtuungssumme einen erheblichen Beurteilungs- und
Ermessensspielraum einräume, auferlege es sich bei der Überprüfung der Höhe
der zugesprochenen Genugtuungssumme eine gewisse Zurückhaltung. Hiefür
berief sich das Verwaltungsgericht u.a. auf die Rechtsprechung zur
bundesgerichtlichen Kognition bei der Überprüfung von Genugtuungssummen
im Berufungsverfahren.

    c) Gemäss Art. 17 OHG bestimmen die Kantone eine einzige
von der Verwaltung unabhängige Beschwerdeinstanz; diese hat
freie Überprüfungsbefugnis. Das bedeutet, dass sie nicht nur die
Sachverhaltsfeststellungen und die Rechtsanwendung der verfügenden
Behörde überprüfen kann, sondern auch die Angemessenheit des angefochtenen
Entscheids; sie darf gegebenenfalls ihr Ermessen an die Stelle desjenigen
der Verwaltung setzen (vgl. Peter Gomm/Peter Stein/Dominik Zehntner,
Kommentar zum Opferhilfegesetz, Bern 1995, Art. 17 Rz. 5). Die
freie Überprüfungsbefugnis hindert aber die Beschwerdeinstanz nicht,
in Ermessensfragen einen Entscheidungsspielraum der Verwaltung zu
respektieren. Die Genugtuungssumme entschädigt einen immateriellen,
in Geld an sich nicht messbaren Schaden. Ihre Höhe hängt von der
Würdigung der in Frage kommenden Bemessungskriterien ab und ist ein
Ermessensentscheid. Es gibt nicht nur eine richtige Entscheidung, sondern
in einer gewissen Bandbreite eine Mehrzahl von angemessenen, der Billigkeit
entsprechenden Lösungen. Die Beschwerdeinstanz kann sich daher damit
begnügen, die Angemessenheit der von der Verwaltungsbehörde zugesprochenen
Summe zu kontrollieren und - soweit diese der Billigkeit entspricht -
von einer Abänderung des angefochtenen Entscheids absehen, auch wenn sie
selbst, hätte sie als erstinstanzliche Behörde entschieden, möglicherweise
nicht auf die gleiche Summe gekommen wäre. Die im angefochtenen Entscheid
geäusserte Zurückhaltung ist in diesem Sinn zu verstehen, zumal sich
das Verwaltungsgericht in seinen Erwägungen mit den verschiedenen
Gesichtspunkten, die für und gegen eine höhere Genugtuungssumme sprechen,
auseinandergesetzt hat und zum Ergebnis gekommen ist, die von der
Justizdirektion zugesprochene Summe sei angemessen. Somit hat es eine
freie Überprüfung vorgenommen und Art. 17 OHG nicht verletzt. Allerdings
dürfte, worauf zur Klarstellung hinzuweisen ist, die Zurückhaltung bei
der Überprüfung nicht so weit gehen, dass das Verwaltungsgericht erst bei
einer rechtsfehlerhaften Ermessensüberschreitung eingreifen würde. Deshalb
könnte der Hinweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung (BGE 116
II 299 E. 5a) etwas missverständlich sein; denn diese Rechtsprechung
lässt sich nicht ohne weiteres auf die Beschwerdeinstanz gemäss Art. 17
OHG übertragen.

Erwägung 3

    3.- a) Der Beschwerdeführer ist ferner der Auffassung, die Vorinstanz
habe bei der Bemessung der Genugtuung zu Unrecht ein Mitverschulden
des Beschwerdeführers berücksichtigt. Das Verwaltungsgericht führte
in seinem Entscheid aus, die türkischen Botschaftsangehörigen, deren
Schusswaffeneinsatz völlig unnötig gewesen sei, treffe ein schweres
Verschulden, was sich auf die Festsetzung der Genugtuung auswirken
könne. In diesem Punkt müsse sich der Beschwerdeführer indessen
entgegenhalten lassen, dass sein eigenes Verhalten anlässlich der
Kundgebung vor der türkischen Botschaft ebenfalls nicht gebilligt werden
könne. Darin sei zwar kein Mitverschulden im haftpflichtrechtlichen Sinne
zu erblicken (weshalb das Verwaltungsgericht auch von einer Kürzung der
materiellen Entschädigung gemäss Art. 13 Abs. 2 OHG absah); dennoch könne
nicht ausser acht gelassen werden, dass der Beschwerdeführer an einer
unbewilligten und daher rechtswidrigen Demonstration teilgenommen habe
und bei dieser Gelegenheit straffällig geworden sei. Hätte er sich nicht
über die Rechtsordnung hinweggesetzt, wäre er nicht Opfer einer Straftat
geworden. Eine Heraufsetzung des Genugtuungsanspruchs mit Blick auf das
Verhalten der Tatbeteiligten rechtfertige sich somit nicht.

    b) Das Opferhilfegesetz legt in Art. 12 Abs. 2 OHG die Voraussetzungen
für die Zusprechung einer Genugtuung fest: Das Opfer muss schwer
betroffen sein, und besondere Umstände müssen die Zusprechung einer
Genugtuung rechtfertigen. Das OHG enthält jedoch keine (ausdrücklichen)
Bestimmungen über die Bemessung der Genugtuungssumme. In Rechtsprechung und
Literatur werden daher die von den Zivilgerichten entwickelten Grundsätze
zur Bemessung von Genugtuungsleistungen herangezogen (vgl. BGE 121 II 369
E. 3c/aa S. 373; GOMM/STEIN/ZEHNTNER, aaO, Art. 12 OHG Rz. 19; RUTH BANTLI
KELLER/ULRICH WEDER/KURT MEIER, Anwendungsprobleme des Opferhilfegesetzes,
Plädoyer 1995 Nr. 5, S. 44; THOMAS KOLLER, Das Opferhilfegesetz:
Auswirkungen auf das Strassenverkehrsrecht, AJP 1996 Nr. 5, S. 591;
KLAUS HÜTTE/PETRA DUCKSCH, Die Genugtuung, I/114 Ziff. 11.4). Bei der
Bemessung der Genugtuungssumme gemäss Art. 47 OR können grundsätzlich
alle Herabsetzungsgründe von Art. 44 OR berücksichtigt werden; dies gilt
insbesondere auch für ein Mitverschulden des Opfers (BGE 117 II 50 E.
4a/bb S. 60; 116 II 733 E. 4g S. 736). Dabei rechtfertigt unter Umständen
auch ein leichtes Mitverschulden eine Reduktion der Genugtuung (BGE 117
II 50 E. 4b S. 62). Dagegen schränkt das Opferhilfegesetz in Art. 13
Abs. 2 OHG die Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Opfers ein:
Die Entschädigung darf danach nur herabgesetzt werden, wenn das Opfer den
Schaden "wesentlich mitverschuldet" hat. ("Lorsque, par un comportement
fautif, la victime a contribué dans une mesure importante à créer ou à
aggraver le dommage"; "se la vittima, con comportamento colpevole, ha
contribuito in modo preponderante a creare o ad aggravare il danno".) Im
vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht selbst angenommen, dem
Beschwerdeführer könne jedenfalls kein wesentliches Mitverschulden im
Sinne dieser Bestimmung vorgeworfen werden. Es fragt sich daher, ob es
das Verhalten des Opfers (Teilnahme an einer rechtswidrigen Demonstration)
dennoch anspruchsmindernd berücksichtigen durfte.

    aa) Seinem Wortlaut sowie seinem systematischen Zusammenhang nach
regelt Art. 13 Abs. 2 OHG nur die Entschädigung, d.h. den materiellen
Schadenersatz des Opfers. In BGE 121 II 369 (E. 3c/aa S. 373 und
E. 4c S. 375) erwog jedoch das Bundesgericht, dass diese Bestimmung
für die Bemessung des Genugtuungsanspruchs analog herangezogen werden
könne. Allerdings ging es im genannten Fall nicht um die Voraussetzungen
einer Anspruchsreduktion, sondern um die Frage, ob ein (wesentliches)
Mitverschulden des Opfers den gänzlichen Ausschluss der Genugtuung
rechtfertigen könne. In diesem Punkt stimmt Art. 13 Abs. 2 OHG (lediglich
Anspruchsreduktion) mit den zivilrechtlichen Grundsätzen gemäss Art. 47
und 44 OR überein: Seit der in BGE 116 II 733 (E. 4f und g S. 734
ff.) vorgenommenen Praxisänderung führt ein überwiegendes Mitverschulden
des Opfers grundsätzlich nicht mehr zur Ablehnung des Genugtuungsanspruchs,
sondern nur noch zu dessen Herabsetzung. Der Entscheid BGE 121 II 369
enthält daher zu der im vorliegenden Fall sich stellenden Frage keine
Aussage.

    bb) Gemäss Art. 44 Abs. 1 OR kann grundsätzlich jedes Selbstverschulden
des Geschädigten zur Herabsetzung der Ersatzpflicht führen. Aus der
Botschaft des Bundesrates zum Opferhilfegesetz geht hervor, dass der
Gesetzgeber in Art. 13 Abs. 2 OHG bewusst eine Formulierung gewählt hat,
die restriktiver gefasst ist als die Herabsetzungsgründe nach Art. 44
Abs. 1 OR (BBl 1990 II S. 991). Es fehlt allerdings an einer Begründung
für diese Abweichung von den Grundsätzen des Zivilrechts, auf welche
die Botschaft (aaO) ansonsten selbst verweist. Möglicherweise beruht
diese Privilegierung von Opfern einer Straftat auf der Überlegung, dass
den Schädiger regelmässig ein kriminelles Verschulden trifft (auch wenn
dies nach Art. 2 Abs. 1 OHG nicht Voraussetzung der Opferhilfe ist),
dem gegenüber ein einfaches Selbstverschulden des Geschädigten dermassen
geringfügig erscheint, dass es bei der Bemessung der Ersatzpflicht nicht
berücksichtigt werden darf (vgl. ROLAND BREHM in: Berner Kommentar, N. 22
zu Art. 44 OR). Diese Erwägung trifft nicht nur auf die (materielle)
Entschädigung zu, sondern auch auf die Genugtuung. Für die Anwendbarkeit
von Art. 13 Abs. 2 OHG auf die Genugtuung liesse sich auch die neuere
Praxis des Bundesgerichts zu Art. 47 OR anführen, wonach sich die
Kürzung der Genugtuung wegen Mitverschuldens grundsätzlich in der
gleichen Grössenordnung bewegen sollte wie die Kürzung des materiellen
Schadenersatzanspruchs (BGE 117 II 50 E. 4a/bb S. 60; 116 II 733 E. 4g
S. 736).

    cc) Andererseits unterscheidet sich die Bemessung des
Genugtuungsanspruchs wesentlich von der Berechnung des materiellen
Schadenersatzanspruchs, weshalb Art. 13 Abs. 2 OHG nicht unbesehen
auf die Genugtuung ausgedehnt werden kann. Die erlittene immaterielle
Unbill lässt sich im Gegensatz zum materiellen Schaden nicht mathematisch
berechnen. Sowohl der Entscheid, ob eine Genugtuung geschuldet wird,
als auch deren Bemessung sind vielmehr Billigkeitsentscheide, bei denen
eine Vielzahl von Kriterien berücksichtigt werden können (vgl. BREHM, aaO,
N. 72 zu Art. 47 OR). Unter diesem Gesichtspunkt erschiene es inkonsequent,
wenn eines dieser Kriterien (nämlich das Opferverhalten) nicht bzw. erst
ab einem bestimmten ("wesentlichen") Verschuldensgrad berücksichtigt
werden dürfte, mit der Folge, dass keinerlei Abstufung mehr möglich wäre
zwischen demjenigen, den überhaupt kein Verschulden trifft und demjenigen,
den zumindest ein leichtes bis mittleres Mitverschulden trifft.

    dd) Es erscheint darüber hinaus sinnvoll, sich bei der Bemessung der
Genugtuung nach dem Opferhilfegesetz nicht zu weit von den zivilrechtlichen
Grundsätzen zu entfernen. Ansonsten könnte sich etwa ein Opfer, das bereits
ein rechtskräftiges Urteil auf Genugtuung gegen den Täter erwirkt hat und
nun ein Gesuch auf Opferhilfe mangels Zahlungskraft des Täters einreicht,
nicht auf dieses Urteil stützen (so aber HÜTTE/DUCKSCH, aaO, I/114
Ziff. 11.4); statt dessen müsste erneut eine Genugtuungssumme festgesetzt
werden - diesmal nach den speziellen Kriterien des Opferhilfegesetzes.

    ee) Schliesslich lässt sich die im Hinblick auf das Mitverschulden
günstigere Behandlung von Entschädigungsansprüchen durch deren sozialen
Zweck rechtfertigen: Während die Genugtuung gemäss Art. 12 Abs. 2 OHG
einkommensunabhängig ist, hat das Opfer nur Anspruch auf Entschädigung,
wenn sein Einkommen einen gewissen Grenzbetrag nicht übersteigt (Art. 12
Abs. 1 OHG). Auch die Höhe der Entschädigung richtet sich u.a. nach
dem Einkommen des Opfers (Art. 13 Abs. 1 OHG). Die Entschädigung nach
Opferhilfegesetz soll demjenigen helfen, der infolge der Straftat in
wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät (Art. 64ter BV). Diesem sozialen
Zweck der Entschädigung würde es widersprechen, der Verschuldenskürzung
zu viel Raum zu geben (vgl. GOMM/STEIN/ZEHNTNER, aaO, Art. 13 Rz. 27).

    ff) Nach dem Gesagten ist zwischen Entschädigungsansprüchen einerseits
und Genugtuungsansprüchen andererseits zu differenzieren: Es ist davon
auszugehen, dass dem Gesetzgeber kein redaktionelles Versehen unterlaufen
ist, als er in Art. 13 Abs. 2 OHG den Genugtuungsanspruch nicht erwähnte,
sondern dass diese Bestimmung nur auf Entschädigungsansprüche Anwendung
findet. Das schliesst nicht aus, im Einzelfall auch bei der Bemessung
der Genugtuung nur ein "wesentliches" Mitverschulden des Opfers zu
berücksichtigen; dies ist jedoch - anders als bei der Entschädigung
- vom Gesetzgeber nicht zwingend vorgeschrieben. Damit war es dem
Verwaltungsgericht nicht von vornherein verwehrt, im vorliegenden Fall bei
der Bemessung der Genugtuungssumme den Umstand mitzuberücksichtigen, dass
der Beschwerdeführer an einer rechtswidrigen Demonstration teilgenommen
hatte und diese Teilnahme kausal für seine erlittenen Verletzungen war.

    c) Es fragt sich allerdings, ob das Verwaltungsgericht dem
Opferverhalten im konkreten Fall nicht zu viel Gewicht beigemessen
hat. Zwar hat der Beschwerdeführer an einer unerlaubten Demonstration
teilgenommen, die den Tatbestand des Landfriedensbruchs erfüllte, und
sich selbst der Sachbeschädigung strafbar gemacht, d.h. selbst eine
rechtswidrige Handlung begangen. Er musste deshalb vernünftigerweise
mit gewissen Risiken rechnen, wie z.B. Polizeieinsatz (Tränengas,
Wasserwerfer usw.) oder Gegendemonstrationen, nicht aber mit dem Einsatz
von Schusswaffen. Dies gilt jedenfalls, solange sich die Demonstration -
wie im vorliegenden Fall - nur gegen Sachen (Gebäude) richtete und keine
Personen gefährdete. Auch wenn man den Schusswaffeneinsatz nicht für so
fernliegend hält, dass sich eine Verneinung der Adäquanz und damit der
Kausalität des Opferverhaltens im Rechtssinne rechtfertigen, muss doch
das krasse Missverhältnis zwischen Anlass und Reaktion bei der Bemessung
der Genugtuung beachtet werden. Im vorliegenden Fall hat allerdings auch
das Berner Verwaltungsgericht angenommen, die Reaktion der türkischen
Botschaftsangestellten sei völlig unangemessen gewesen, weswegen sie ein
schweres Verschulden treffe, während dem Beschwerdeführer, wenn überhaupt,
nur ein leichtes Mitverschulden vorgeworfen werden könne. Es ist deshalb
davon auszugehen, dass es dem Opferverhalten kein zu grosses Gewicht
beigemessen hat.